Unerwartet

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Itata

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Aufgeregt saß Tobias in der großen Hotellobby und rieb sich die Hände. Er konnte es nicht erwarten, sie endlich wieder zu sehen. Die Dringlichkeit in ihrer Stimme am Telefon ließ ihn hoffen. Hoffnung auf eine bessere Zukunft, eine gemeinsame. Zu viele Schicksalsschläge hatte er bereits hinnehmen müssen.

Ruth war sein einziger Lichtblick. Sein junges Gesicht wechselte zwischen leuchtend und aschfahl.

Er verspürte ein Kribbeln, sie war da.

Sie erhellte die bereits überbeleuchtete Lobby. Und doch lag Unsicherheit in ihrem Blick. Er schüttelte die aufkommende Unsicherheit schnell ab. Ihr gemeinsames Leben hatte er schon bildlich im Kopf, es fühlte sich richtig an.


Eine Wärme breitete sich in seinem Körper aus. Er konnte nicht anders, als schnellen Schrittes auf sie zuzugehen.
Zu diesem, seiner Meinung nach, bedeutenden Anlass hatte er sein bestes Jackett angezogen. Noch immer weit unter ihrem Niveau, aber mehr konnte er sich momentan nicht leisten. Noch nicht.

Als sie ihn erblickte, erstarrte sie sofort.
„Bitte, nicht hier. Lass uns hochgehen.“

Er überließt ihr den Aufzug und wählte die Treppen, nahm zwei Stufen auf einmal, um sie gebührlich empfangen zu können
Es gefiel ihm, ihr zu gefallen. Ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Endlich konnte er es jemandem Recht machen und sein Leben hatte wieder einen Sinn.


Oben angekommen sah sie ihn kurz an, senkte aber sofort ihren Blick. Er war viel zu aufgeregt um diese kleine, unheilvolle Geste wahrzunehmen.
„Tobias, wir müssen reden.“

Tief durchatmen - sagte er sich selbst. Erwartungsvoll saß er ihr gegenüber und lauschte ihrer warmen Stimme.




Was war passiert? Nur noch schleierhaft konnte er sich an ihr Gespräch erinnern. Er zwang sich, sich zu konzentrieren, aber sein Gehirn blockierte. Seine Augen brannten, der Kopf pochte. Die bekannte Dunkelheit hieß ihn willkommen und umhüllte ihn.




Ruth schloss die Haustür hinter sich und atmete tief durch. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Zu lange und zu oft hatten Ralf und sie Seite an Seite gekämpft. Sie wollte ihrer Ehe neues Leben einhauchen. Und Ralf brauchte von ihrem Seitensprung nichts erfahren.
Im Haus war es gespenstisch still.
„Ralf, wo bist du? Das Meeting war schon früher zu Ende. Hast du noch ein Glas Wein für mich? Ralf?“



Doch Ralf, der lange mit sich selbst gerungen hatte, wollte ihr die Entscheidung abnehmen. Zu offensichtlich war ihr Zweitleben gewesen. Ihr Glück war ihm wichtiger als sein bereits gebrochenes Herz.



Angespannt schlich Ruth durch das Haus, blieb plötzlich wie versteinert stehen. Mit einer grauenhaften Ahnung griff sie zitternd nach den Papieren, die am Küchentisch lagen. Es war nicht der Schmerz einer liebenden Ehefrau. Es war der Kontrollverlust über ihr Leben, der ihr Angst machte. Sollte wirklich ein banales Stück Papier mit dem hässlichen Wort „Scheidung“ sie aus der Bahn werfen? Das war nicht ihr Plan gewesen.


Ralf fühlte sich auf eigenartige Weise befreit. Er wollte die neue gewonnene Energie gleich nutzen und endlich Kontakt zu seinem Sohn aus erster Ehe aufnehmen und nicht noch mehr Zeit verlieren. Er wählte seine Nummer.

„Tobias, wollen wir uns mal auf ein Bier treffen?“
 



 
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