Ungleichgewicht in Balance

lexor

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“Da, ich sehe es. Endlich habe ich es erreicht” dachte sich Attila während er das Haus von Franz beobachtete. Seine Ehefrau war vor dem Haus, streckte sich zu den Leinen, wo sie gerade Kleider aufhängte. Sie hatte braunes Haar, zu einem hastigen Knoten gebunden, der einigen Strähnen erlaubte ihr ins Gesicht zu fallen. Ihre weichen Lippen waren leicht geöffnet und sie schien wie in Trance von ihrer Arbeit.
Attila spielte nochmal mit dem Hammer in der Hand, erhärtete und lockerte seinen Griff. Sein Blick war der eines apathischen Wolfes, der gerade seine Beute ins Auge fasste. Er sah es vor seinem inneren Auge, wie er es tun würde, lechzte nach den Wallungen von Leid, die er dieser Frau ausreissen würde.

Aber etwas fehlte noch. Nur noch ein kleines Zeichen und er würde losgehen. Aber was, wenn sie es vorzeitig merken würde? Was sollte er ihr sagen, wenn sie ihn nach dem Hammer fragte?
“Ach was!” dachte sich Attila und lächelte über seine irrelevante Sorge. Sie würde niemals Verdacht schöpfen. Er sah so aus, als würde er gleich eine Versicherung verkaufen. Ein gutaussehender Geschäftsmann im Anzug.

Das Zeichen! Er konnte loslegen. Zielstrebig macht er sich auf den Weg zu diesem bescheidenen Haus mitten in den Bergen. Ein Haus wie man es sich in den Tagträumen im Büro vorstellt, grosse, grobe Steine mit einem hölzernen Dach. Drinnen ist alles handgemacht und der Pelz eines Bären liegt mit aufgerissenem Maul neben dem zischenden Kaminfeuer. Aber heute ist der Kamin nicht an, es ist hochsommer und in diesem Haus würde bald jedes noch leuchtende Licht ausgelöscht.
Attila hörte ein Geräusch von weither, ein Auto. “Er muss es sein, ich muss mich beeilen, sonst verpasst er mein wunderschönes Begrüssungsgeschenk!” Attila lief auf die Schönheit zu.
Sie sah ihn von weitem und winkte ihm lächelnd zu. “Hallo Attila! Was führt dich denn nach so langer Zeit zu uns?”
Attila kam ihr immer näher. Seine Apathie wich angsterfüllt einer bestialischen Wut, die sich nun sein Herz zu eigen gemacht hatte. Es kontrollierte nicht nur seine Gedanken, sondern floss brennend durch seine Adern in jede Stelle seines Körpers, jede einzelne Zelle schäumte und vibrierte durch diese unbändige wilde Wut. Ein grässliches Grinsen breitete sich in Attilas Gesicht aus.
“Na wunderschönen guten Tag Margrith!” Sein sorgloser Ton überraschte ihn selbst. “Ich habe Franz doch schon lange versprochen, dass ich euch mal wieder besuchen möchte, tja, nun bin ich hier” er lehnte sich während dem Laufen schelmisch in ihre Richtung “hoffentlich bin ich keine Störung in diesem wunderschönen Haus?” er war mittlerweile nur noch einige Schritte vor ihr und blieb mit einem Wippen der Füsse stehen.
“Aber Attila, natürlich störst du nicht! Du bist sogar genau rechtzeitig für das Abendessen hier, du kannst ruhig schon mal reingehen und es dir gemütlich machen. Ich komme gleich und bringe dir Kaffee.” Sie wendete sich wieder ihrer Arbeit zu und das Auto kam immer näher. Atillas Wut hatte sich wieder in kalte Gleichgültigkeit gewandelt.
Es war zu spät, er hatte keine Zeit mehr um seinen Plan umzusetzen. Unschlüssig machte er sich auf den Weg in das Wohnzimmer und sah dabei die wichtigste Komponente seines Plans aus dem Fenster aufblitzen. Ein neuer Plan entstand aus Not und dieses Mal würde er ihn auch umsetzen können. Er nahm die Treppe nach oben, eine Linksbiegung und er stand vor der Türe voller Feen, Schmetterlinge, Prinzessinen und Regenbogen.
“Noch zwei drei Jahre und es wird eine abgeschlossene Türe, die sie und ihren Freund vor fremden Blicken schützen soll” dachte er sich spöttisch. Vielleicht hätte sie das sogar gerettet, aber jetzt gab es kein Entkommen mehr.

Im Zimmer war ein leichtes Summen zu hören, Lilly lag mit dem Bauch auf ihrem Bett und zeichnete gerade eine neue Prinzessin, Rapunzel. Sie hatte noch nicht einmal ihre Sandalen ausgezogen und ihre schulterlangen goldenen Locken streichelten ihren nackten Rücken.
Als Attila eintrat, dachte er sich für einen kurzen Augenblick was für eine bildhübsche Frau sie geworden wäre. Für einen miligramm einer Sekunde dachte er sich sogar, sie leben zu lassen aber ihr Vater hatte es zu weit getrieben.

Was Franz ihm angetan hatte, war viele Kilometer über der Tat, die Attila gleich ausüben würde. Nicht einmal der Mord an seiner kleinen Tochter würde ihn dafür büssen lassen. Noch heute ist das Gift seiner Tat zu spüren und zu schmecken. Bis heute leiden die Menschen und alle haben sich zurückgezogen, das Vertrauen zu ihren Nachbarn und sogar Geschwistern verloren. Wegen Franz wird bald eine zweite Flut von Gott fällig, nur diese eine Tat von Franz reicht aus, um Sodom und Gomorra an Sünde zu übertreffen.
Wo ist er eigentlich, dieser Gott? Wieso hatte er Franz damals nicht aufgehalten? Vielleicht wollte er ihn prüfen, aber das war wohl die schlimmste Prüfung, die sich Gott vorstellen konnte. Nein, das konnte nicht Gottes Werk sein. Das war der Teufel höchst persönlich der in Franz gefahren war. Gott handelt jetzt durch Attila um die Balance der Gerechtigkeit auf dieser Welt wieder herzustellen. Es fühlt sich an, als wäre es viel zu spät, aber wenigstens wird die Gerechtigkeit schlussendlich doch ausgeübt. Gottes Pläne sind undurchschaubar.

Attila zwang sich zurück zur Konzentration, schlich zu Lilly und setzte sich an das Fussende des Bettes. Lilly fuhr erschrocken herum, sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und offenem Mund an, um ihren Gesichtsausdruck dann nur noch mehr zu übertreiben und zu trällern “Ach Onkel Attila! Du bist es ja!” Sie warf sich ihm um den Hals. Attila stiess sie leicht weg um sie lächelnd anzusehen “Hast du mich vermisst kleine Lilly?”
“Ich bin gar nicht mehr klein, ich bin jetzt gross!” sagte sie mit einem stolzen Lächeln um dann zu einem belustigten Kichern zu wechseln: “Aber was willst du denn mit dem Hammer? Bist du jetzt ein Baumeister geworden?”
Für einen kurzen Moment drang der wahre Hintergrund seiner Mordlust an die Oberfläche. Aber bevor er ihn packen und analysieren konnte, war er weg.
“Weisst du eigentlich, was ich in deinem Alter getan habe?” Er versuchte lächerlicherweise das Unvermeidliche noch ein bisschen hinauszuzögern und diese letzten Momente mit Lilly zu geniessen.
“Jaja, ich weiss es noch. Du hast sehr viel gelernt und im Haushalt geholfen und deinem Onkel immer schöne Zeichnungen geschenkt. Das funktioniert nicht mehr bei mir Onkel Attila, ich weiss was du damit erreichen willst” Sie sieht ihn frech an.
“Also gut also gut, du hast mich erwischt.” Antwortet er. “Erzähl mir doch wie es in der Schule bei dir so läuft. Wie sind deine Noten, was sagen deine Lehrer?”
Während ihr die Worte aus dem Mund flossen, suchte Attila verzweifelt nach seiner vorher so omnipräsenten Wut. Was war jetzt nur los mit ihm? Er merkte, dass das kurze Aufblitzen einer abgrundtiefen Wahrheit seine Entschlossenheit getrübt hatte, so wie letztes Jahr. Das ganze Jahr über hatte er dann unter einem höllischen Fieber gelitten, konnte sich nicht einmal richtig an das vergangene Jahr erinnern. Nein, dieses Mal würde er es tun.
“Ich muss die Gerechtigkeit wieder herstellen, sonst verlieren wir unser Gleichgewicht. Ich muss die Balance halten.” Attila nahm all seine Kraft zusammen und löste eine Flut an Gleichgültigkeit von seinem Kopf in den Rest seines Körpers aus. Er versuchte das tobende Herzklopfen und das ausgestossene Adrenalin zu ignorieren. Mit einem Ruck stand er auf und war jetzt direkt gegenüber von Lilly. Die sah ihn nur so an, als wäre er von allen guten Geistern verlassen.
“Aber Onkel, du siehst so blass-”
Sie sollte den Satz nicht zu Ende sprechen können, denn Attila hatte ausgeholt und ihr halbherzig den ersten Schlag auf die Stirn verpasst. Damit erreichte er natürlich nichts, ausser einem dumpfen Knall und einem Fluss Blut auf der getroffenen Stelle. Er blieb eine gefühlte Ewigkeit schockiert vor ihr stehen und beobachtete ihre Reaktion.
Ihr Kopf wurde mit ihren Haaren und ihrem ganzen Körper weggeschleudert und sie fasste sich reflexartig an die getroffene Stelle auf der linken Seite ihrer Stirn. Sie sah auf ihre blutige Hand und dann zu Attila.
“Aber was, wieso-”
Wieder liess er sie nicht zu Ende sprechen, der zweite Schlag sass besser und traf auf der fast gleichen Stelle. Dieses Mal war auch ein Knacken dabei, der Druck ging teilweise auch auf Attilas Hand über, er umklammerte den Hammer fester.
Ein tiefer, schmerzerfüllter Seufzer entfuhr Lillys Lippen, sie hatte jetzt Tränen in den Augen. Weinerlich schrie sie Attila an: “Hör doch auf, was soll das? Du machst mir weh!” Sie drehte sich zur Türe um und schrie nach ihrer Mutter. Diese konnte natürlich nichts hören, weil sie in der Küche kochte, mit dem Radio auf einer ohrenbetäubenden Lautstärke.
Bevor sie die Türe erreichte, packte Attila sie an ihren Haaren und riss sie zurück, sie fiel mit dem Rücken auf den Boden. Erst jetzt bemerkte Attila die schreckliche Delle in ihrer Stirn, wie ein zugewachsenes Loch.
“Tut mir leid mein Liebes, aber dein Vater wollte es so”
Die letzten Worte Attilas, bevor er Lilly endgültig tötete. Er holte aus und liess den Hammer mit voller Kraft auf ihre Gesicht treffen. Es fühlte sich fast wie das Klopfen von einem dicken und zähen Stück Fleisch an. Er machte weiter, bis das Geräusch nicht mehr ein metallenes Knallen war, sondern ein Schmatzen.
Ihre Haare waren jetzt vermengt mit ihrem Gesicht und ihr Mund formte eine groteske Grimasse.

Attila hob sie auf und legte sie behutsam auf ihr Bett, damit sie wenigstens jetzt ihre Ruhe hatte. Wie leid sie ihm tat, dass Sie all die Jahre mit Franz als Vater leben musste. Nun war sie endlich erlöst und durfte ihre Zeit im Himmel mit ihren Freunden und Bekannten verbringen. “Sie ist wahrscheinlich in diesem Moment dankbar für meine Tat.” dachte er sich. Gleichzeitig würde Franz tiefe Qualen erleiden, soweit alles nach Plan.
Er machte sich auf den Weg nach unten zu der atemberaubend schönen Mutter von Lilly und tippte ihr mit dem Hammer auf die Schulter.
“Deine Tochter ist ja so gewachsen, das hat mich echt umgehauen!” sagte er, nachdem sie das Radio abgeschaltet hatte.
“Nicht wahr? Ich kann mich noch erinnern, als wäre es gestern gewesen, wie es war sie als kleines Baby in den Händen zu halten. Aber heute ist sie fast grösser als ich, bald werde ich noch von ihr getragen” scherzte sie.
Attila lachte gekünstelt und deutete in Richtung Zimmer von Lilly. “Sie hat mich geschickt, um dir etwas zu zeigen, komm doch mal mit.” Sie sah ihn an, die Hand auf ihre Brust gelehnt, der Blick eine Mischung aus Verwunderung und gespielter Freude.

Sie trat langsam in das Zimmer von Lilly ein, aber sie reagierte nicht sofort. Es hat erstaunlich lange gedauert, bis sie verstand, dass das Monster mit der grässlichen Grimasse, den hervorstehenden Augen und dem rot-weissem Matsch, ihre einst so schöne Lilly war.
“Wie. Aber. Was.” Alles Blut wich aus ihrem Gesicht, als sie sich zu Attila umdrehte.
“Franz hat es sich selbst zuzuschreiben. Du weiss ja was er getan hat und hättest dir denken müssen, das so etwas passiert. Hättest du doch bloss geredet und nicht mitgespielt, dann wäre dieses Desaster gar nicht nötig gewesen.” Attila redete mit ruhiger Stimme auf sie ein, seine linke Hand auf ihre Schulter gelegt suchte er nach Verständnis in ihren Augen. Stattdessen blickte er nur auf Entsetzen, in einen Brunnen voller Schock und Angst, ihr Körper schaffte es aber noch diese Gefühle im Zaum zu halten, da ihre Menge ihn sonst zum Kollaps bringen würden.
Attila wollte dieses Mal etwas gnädiger sein und holte von Anfang an zu einem harten Schlag aus. Margrith reagierte komischerweise gar nicht auf den Schlag, nur ihr Fall und der dumpfe Ton deuteten darauf hin, dass Attila sie getroffen hatte. Ein erschrockener Schrei entfuhr ihr dann doch und gleich darauf setzte er zum zweiten Schlag auf ihren Kopf an. Er liess nicht nur seinen Arm auf sie nieder sondern ging mit seinem ganzen Oberkörper mit. Er wurde immer schneller und hörte nur noch sein eigenes Schnaufen und Grunzen.
Bei Margrith ergab sich ein weit hässlicheres Bild als bei Lilly. Ihre Beine und Arme zuckten bei jedem Schlag und sie versuchte vage die Schläge mit ihren Armen abzuwehren, es sah so aus wie ein Baby dass die Beweglichkeit ihrer Arme testete. Aber auch das hörte irgendwann auf und das Leben wich endlich aus ihrem Körper.
Zufrieden liess Attila den Hammer in ihrem Gesicht stecken und klatschte in die Hände um dann das Blut rauszudrücken.
Im gleichen Moment erklang das ratternde Geräusch der tausend kleinen Explosionen im Motor eines teuren Sportwagens. Franz war angekommen.

Attila ging sofort nach unten, um ihn abzufangen.
“Lilly? Margrith? Ist jemand Zuhause?” Sie waren wohl kaum unterwegs, bei dem Zustand da draussen, dachte er sich. Überrascht stellte Franz fest, wie Attila von den Treppen runterkam und ihn mit offenen Armen begrüsste.
“Ach Attila, was für eine schöne Überraschung. Dich habe ich ja gar nicht erwartet. Wie geht es dir?” Was will er nach Allem hier?
“Mir geht es prächtig Franz, sogar besser als je zuvor!” Attila lächelte ihn an und umarmte ihn. “Endlich habe ich mein Gewissen reingewaschen und getan, was getan werden musste. Vielleicht werden sogar deine Sünden vergeben, durch das Leid, dass du erfahren wirst.”
Franz schaute ihn an, als wäre er wahnsinnig, er hatte keine Ahnung was er mit diesen kryptischen Worten sagen wollte. Er entschied sich dafür diese Bemerkung zu ignorieren. Attila benahm sich schon seit damals immer wieder mal komisch.
”Hast du meine Mädels gesehen?” fragte er ihn stattdessen und legte seine Arbeitstasche und Sacko auf das Sofa.
“Ja ich habe sie gesehen, sie schlafen gerade in Lillys Zimmer. Ich habe sie erst vorhin verabschiedet und wollte eigentlich gerade gehen.” Attila bewegte sich selbstsicher zur Türe.
“Seltsam, Margrith schläft nie um diese Zeit...” Franz denkt kurz nach, um dann sofort wieder die Aufmerksamkeit auf Attila zu richten: “Bleib doch noch eine Weile, Margrith wird sicher bald aufstehen, bleib hier zum Abendessen!”
Attila ignoriert die Einladung und verlässt das Haus. Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan.
 



 
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