Der Raum ist weiß und kahl. Fast leer, bis auf einen länglichen Metalltisch in der Mitte und zwei kleine Plastik-Wagen mit medizinischen Instrumenten. Eine der Neonröhren links oben in der Ecke flackert, und ich frage mich, wie oft in der Minute. Vielleicht ergeben die Lichtblitze ein Muster, eine gewisse Regelmäßigkeit.
Mir ist kalt.
Ich friere.
Meine nackten Füße auf blankem Metall.
Du hast gesagt, wir würden zusammengehören.
Ich habe gelacht.
Du hast mich angerufen. Erst nur einmal die Woche, dann jeden Tag, wenn ich von der Arbeit kam und auch am Wochenende.
Ich habe mich geschmeichelt gefühlt.
Blumen, all die vielen Blumen. Sie kamen an Daten mit Primzahlen, weil ich dir einmal am Kopierer in der Firma erzählte, wie sehr ich Primzahlen liebe. Alle Blumen in weiß. Unschuld, hast du am Telefon gesagt. Unschuldig wie unsere Liebe. Deine Liebe.
Rosen, Nelken, schließlich Lilien. Die Lilien kamen jeden Tag, und als ich dem Boten nicht mehr öffnete, legte er den Karton auf die Schwelle. Ich konnte sie durch die geschlossene Tür riechen. Schwer, süß. Durchdringend.
Oft hast du mitten in der Nacht angerufen und mir gesagt, wir sehr du mich liebtest und was du nicht alles für mich tun würdest.
Es fing an mir unheimlich zu werden. Du warst mir unheimlich.
Du hast das Wort mit weißer Kreide an meine Wohnungstür geschrieben.
Unschuld.
Du hast es auf weiße Blätter in weiß geschrieben und unter den Scheibenwischer meines Autos geklemmt. Nur ich konnte es lesen.
Unschuld.
Der Gedanke hat mich fast verrückt gemacht.
Gesehen habe ich dich eigentlich recht selten in der Firma, wenn ich es mir überlege. Mal im Flur auf dem Weg zur Mittagspause, am Kopierer oder am Kaffeeautomaten.
Dafür standest du fast jeden Abend in der kleinen Toreinfahrt, die meinem Haus gegenüber liegt und hast gelächelt. Lautlos mit den Lippen das Wort geformt. Unschuld.
Ich habe keine Brötchen mehr gekauft an den Samstagen. Überhaupt bin ich oft zu Haus geblieben.
Weißt du noch das eine Mal, als ich mit Ela im Kino war?
Du hast eine Reihe hinter uns gesessen. Ich habe dir gesagt, dass mir das Angst macht, dass du mir Angst machst.
Du hast gelächelt. Ein Zufall, dass zwei aus derselben Firma am selben Abend ins Kino gehen und denselben Film schauen. Ela hat mich angeschaut, als wäre ich verrückt. Ich glaube, sie fand dich ganz nett.
Danach war alles anders.
Du hast mich angefasst.
Meinen Arm gezogen, als ich vom Einkaufen kam. Ich hatte deinen heißen Atem an meinem Hals, gleich unterhalb des linken Ohrs. Ich kann die Stelle noch genau spüren.
Wenig später, in derselben Nacht, hast du mich angerufen.
Ich bin nicht rangegangen. Habe mir die Decke über die Ohren gezogen und auf das Piepen des Anrufbeantworters gewartet. Ich würde sehen, hast du gesagt, meine Zeit ist begrenzt. Du hättest lange genug Geduld mit mir gehabt, aber jetzt müsste ich doch einfach verstehen, dass du und ich ein wir sind.
Und unsere Liebe unschuldig ist, deine Liebe unschuldig ist.
Ich habe die Kassette aus dem Gerät genommen und bin zur Polizei gegangen. Die haben gelacht.
Du wärst unschuldig, sagten sie.
Zwei Wochen habe ich mich krankschreiben lassen. Die Blumen kamen weiter.
Ich war nicht mehr einkaufen seit dem Vorfall. Habe mir Essen bestellt. Chinesisch, Pizza, Gyros und Vegetarisch.
An einem Montag im Mai ging ich wieder arbeiten. Du hast morgens nicht in der Toreinfahrt gewartet. Ich habe gedacht, du hättest aufgegeben. Als mir der Meyer aus dem Einkauf im dritten Stock ganz beiläufig zwischen zwei Bissen Bratwurst aus der Kantine erzählte, du hättest seit letzter Woche Urlaub, ist mir ganz übel geworden. Nicht nur wegen all den kleinen Speichelfädchen in Meyers Mundwinkeln.
Ich überlegte fast den ganzen Nachmittag und schließlich fragte ich Evelyn aus der Lohnbuchhaltung, ob sie mich wohl nach Hause fahren könne. Ich habe sie angelogen. Habe ihr erzählt, mein Auto würde nicht anspringen.
Sie hat ein wenig geseufzt, weil sie spät dran war und mit ein paar Auszubildenden noch etwas trinken gehen wollte. Ich habe ihr einen Kaffee bei mir angeboten, aber sie hat abgelehnt und ist gleich weiter gefahren.
Ich wollte nicht betteln.
Als ich sah, dass niemand in der Toreinfahrt stand, musste ich lächeln. Gespenster.
Du hast auf meiner Couch gesessen, als ich die Wohnung betrat.
Im Dunkeln. Die weißen Lilien im Arm.
Unschuld.
Eine der Neonröhren links oben in der Ecke flackert. Ein Arzt betritt den Raum. Er sieht sehr jung aus. Hat noch nicht so viel gesehen, ist noch sehr gewissenhaft, so, wie er sich die Hände wäscht.
In Unschuld.
Er pfeift ein wenig dabei. Ohne Ton und ohne Melodie.
Langsam streift er sich zwei Untersuchungshandschuhe über und tritt an den Tisch, auf dem ich liege. Mit Zeige- und Ringfinger fährt er über meine Augenlider. Dabei berührt sein Handteller ganz sacht, wie ein Schmetterlingsflügel, meine Nasenspitze.
Nein, ich habe keine Schmerzen.
Mir ist nur kalt.
Ich friere.
Meine nackten Füße auf dem blanken Metall.
Mir ist kalt.
Ich friere.
Meine nackten Füße auf blankem Metall.
Du hast gesagt, wir würden zusammengehören.
Ich habe gelacht.
Du hast mich angerufen. Erst nur einmal die Woche, dann jeden Tag, wenn ich von der Arbeit kam und auch am Wochenende.
Ich habe mich geschmeichelt gefühlt.
Blumen, all die vielen Blumen. Sie kamen an Daten mit Primzahlen, weil ich dir einmal am Kopierer in der Firma erzählte, wie sehr ich Primzahlen liebe. Alle Blumen in weiß. Unschuld, hast du am Telefon gesagt. Unschuldig wie unsere Liebe. Deine Liebe.
Rosen, Nelken, schließlich Lilien. Die Lilien kamen jeden Tag, und als ich dem Boten nicht mehr öffnete, legte er den Karton auf die Schwelle. Ich konnte sie durch die geschlossene Tür riechen. Schwer, süß. Durchdringend.
Oft hast du mitten in der Nacht angerufen und mir gesagt, wir sehr du mich liebtest und was du nicht alles für mich tun würdest.
Es fing an mir unheimlich zu werden. Du warst mir unheimlich.
Du hast das Wort mit weißer Kreide an meine Wohnungstür geschrieben.
Unschuld.
Du hast es auf weiße Blätter in weiß geschrieben und unter den Scheibenwischer meines Autos geklemmt. Nur ich konnte es lesen.
Unschuld.
Der Gedanke hat mich fast verrückt gemacht.
Gesehen habe ich dich eigentlich recht selten in der Firma, wenn ich es mir überlege. Mal im Flur auf dem Weg zur Mittagspause, am Kopierer oder am Kaffeeautomaten.
Dafür standest du fast jeden Abend in der kleinen Toreinfahrt, die meinem Haus gegenüber liegt und hast gelächelt. Lautlos mit den Lippen das Wort geformt. Unschuld.
Ich habe keine Brötchen mehr gekauft an den Samstagen. Überhaupt bin ich oft zu Haus geblieben.
Weißt du noch das eine Mal, als ich mit Ela im Kino war?
Du hast eine Reihe hinter uns gesessen. Ich habe dir gesagt, dass mir das Angst macht, dass du mir Angst machst.
Du hast gelächelt. Ein Zufall, dass zwei aus derselben Firma am selben Abend ins Kino gehen und denselben Film schauen. Ela hat mich angeschaut, als wäre ich verrückt. Ich glaube, sie fand dich ganz nett.
Danach war alles anders.
Du hast mich angefasst.
Meinen Arm gezogen, als ich vom Einkaufen kam. Ich hatte deinen heißen Atem an meinem Hals, gleich unterhalb des linken Ohrs. Ich kann die Stelle noch genau spüren.
Wenig später, in derselben Nacht, hast du mich angerufen.
Ich bin nicht rangegangen. Habe mir die Decke über die Ohren gezogen und auf das Piepen des Anrufbeantworters gewartet. Ich würde sehen, hast du gesagt, meine Zeit ist begrenzt. Du hättest lange genug Geduld mit mir gehabt, aber jetzt müsste ich doch einfach verstehen, dass du und ich ein wir sind.
Und unsere Liebe unschuldig ist, deine Liebe unschuldig ist.
Ich habe die Kassette aus dem Gerät genommen und bin zur Polizei gegangen. Die haben gelacht.
Du wärst unschuldig, sagten sie.
Zwei Wochen habe ich mich krankschreiben lassen. Die Blumen kamen weiter.
Ich war nicht mehr einkaufen seit dem Vorfall. Habe mir Essen bestellt. Chinesisch, Pizza, Gyros und Vegetarisch.
An einem Montag im Mai ging ich wieder arbeiten. Du hast morgens nicht in der Toreinfahrt gewartet. Ich habe gedacht, du hättest aufgegeben. Als mir der Meyer aus dem Einkauf im dritten Stock ganz beiläufig zwischen zwei Bissen Bratwurst aus der Kantine erzählte, du hättest seit letzter Woche Urlaub, ist mir ganz übel geworden. Nicht nur wegen all den kleinen Speichelfädchen in Meyers Mundwinkeln.
Ich überlegte fast den ganzen Nachmittag und schließlich fragte ich Evelyn aus der Lohnbuchhaltung, ob sie mich wohl nach Hause fahren könne. Ich habe sie angelogen. Habe ihr erzählt, mein Auto würde nicht anspringen.
Sie hat ein wenig geseufzt, weil sie spät dran war und mit ein paar Auszubildenden noch etwas trinken gehen wollte. Ich habe ihr einen Kaffee bei mir angeboten, aber sie hat abgelehnt und ist gleich weiter gefahren.
Ich wollte nicht betteln.
Als ich sah, dass niemand in der Toreinfahrt stand, musste ich lächeln. Gespenster.
Du hast auf meiner Couch gesessen, als ich die Wohnung betrat.
Im Dunkeln. Die weißen Lilien im Arm.
Unschuld.
Eine der Neonröhren links oben in der Ecke flackert. Ein Arzt betritt den Raum. Er sieht sehr jung aus. Hat noch nicht so viel gesehen, ist noch sehr gewissenhaft, so, wie er sich die Hände wäscht.
In Unschuld.
Er pfeift ein wenig dabei. Ohne Ton und ohne Melodie.
Langsam streift er sich zwei Untersuchungshandschuhe über und tritt an den Tisch, auf dem ich liege. Mit Zeige- und Ringfinger fährt er über meine Augenlider. Dabei berührt sein Handteller ganz sacht, wie ein Schmetterlingsflügel, meine Nasenspitze.
Nein, ich habe keine Schmerzen.
Mir ist nur kalt.
Ich friere.
Meine nackten Füße auf dem blanken Metall.