Unser Verein

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Matula

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Angefangen hat es mit ein paar Leuten, die sich um den Baumbestand in unserer Gasse Sorgen machten. Neue Rabatten waren angelegt und junge Bäumchen gepflanzt worden. Sie kümmerten schon nach wenigen Wochen. Wir vermuteten gröbliche Vernachlässigung durch das Gartenbauamt und reichten mehrere Beschwerden ein. Schließlich ließ man uns wissen, dass es sich bei Bäumen um verholzte, stammbildende Pflanzen mit Laubwerk und nicht um Haustiere wie Hamster oder Meerschweinchen handle, von "Vernachlässigung" also keine Rede sein könne, zumal ein Baum, sobald ins Erdreich gesenkt, sehr genau wisse, was er zu tun habe.

Das Schreiben empörte uns aufs Äußerste. Wir waren zu diesem Zeitpunkt eine lockere Gemeinschaft von Nachbarn, aber die Frechheit, mit der das Gartenbauamt unser Anliegen behandelte, ließ uns zusammenrücken und aufbegehren. Wir nannten uns "Initiative Ludwigsgasse" und trafen uns bei Herrn Waldemar, vor dessen Haus eine traurige kleine Linde darbte. Unsere erste Aktion bestand in der Abfassung eines gepfefferten Antwortschreibens, in dem wir alle Vorkehrungen aufzählten, die für die gesunde Entwicklung eines jungen Baumes notwendig sind. Am Ende äußerten wir unser Bedauern über die Unbedarftheit der zuständigen Behörde und forderten sie auf, ihrer Verantwortung nachzukommen.

Frau Maywald fand den Tonfall des Schreibens zu süffisant, wurde aber überstimmt. Man könnte auch sagen: niedergeredet. Die Geschwister Eybl, die Jüngsten in unserer Gruppe, hatten von ihren Großeltern die Bezeichnung "Bruder Baum" aufgeschnappt und waren der Meinung, dass man angesichts der offenkundigen Vernachlässigung von quasi minderjährigen Baumbrüdern noch weit deutlichere Worte hätte finden müssen. Herr Dr. Buchegger, selbst vormals Vertragsbediensteter in der Stadtverwaltung, war überzeugt, dass wir keine weitere Antwort erhalten würden und schlug vor, die Obsorge selbst in die Hand zu nehmen.

So fuhren Herr Waldemar und ich zum Baumarkt, um die notwendigen Utensilien zu beschaffen. Während der Fahrt gestand er mir, dass ihm nicht wohl bei der Sache war, weil wir doch allesamt keine gelernten Gärtner waren. Ich musste ihm Recht geben. Man kann sich dieses und jenes anlesen, einschlägige Filmchen anschauen und mit der ganzen Liebe des Amateurs ans Werk gehen, aber was fehlt, ist die Erfahrung, der Blick des Kenners. Mir war zum Beispiel unklar, warum die junge Kastanie vor meinem Haus nur braunumrandete Blätter produzierte. Litt sie an Wassermangel oder hatte ihr im Gegenteil der letzte Platzregen geschadet? War es eine Pilzerkrankung oder ein Virus oder waren es die Autoabgase, die ihr zusetzten?

In unserer nächsten Sitzung brachte ich das Thema zur Sprache. Natürlich hatte niemand eine Erklärung, aber Herr Dr. Buchegger vermutete, dass Hunde und ihre Hinterlassenschaften dafür verantwortlich waren. Immer wieder musste er mitansehen, wie ein Bello, Wuffi oder Wauzi, ermuntert von gewissenlosen Herrchen oder Frauchen, in den Rindenmulch-Schnetzeln scharrten und ihr Bein an den jungen Stämmen hoben. Seine Schilderung erboste das Ehepaar Förster, zwei neue Mitglieder unserer Initiative, sosehr, dass sie sich erbötig machten, den Maschendraht, den Herr Waldemar und ich besorgt hatten, noch in derselbe Nacht zu montieren.

Sie leisteten ganze Arbeit. Am nächsten Tag war um jeden Baum nur mehr ein schmaler Ring der runden Rabatten für die Hunde zugänglich. Die Stämme waren außerdem so hoch umzäunt, dass man kaum noch gießen und keinen frischen Mulch auslegen konnte. "Das muss weg," sagte Frau Maywald und Herr Waldemar pflichtete ihr bei. Die Geschwister Eybl boten an, den Maschendraht zurechtzuschneiden, sobald sie ihre Semesterabschlussprüfungen absolviert hatten. Das Ehepaar Förster war beleidigt, und ich versucht mich herauszuhalten, weil meine Frage den Anlass für die missglückte Aktion geliefert hatte.

Kurz darauf erhielt unser Obmann, Herr Waldemar, einen eingeschriebenen Brief von der Stadtverwaltung, in dem uns aufgetragen wurde, die unrechtmäßig errichteten Zäune unverzüglich zu entfernen. Sollte diesem Auftrag nicht "innert drei Tagen" entsprochen werden, werde man uns die Ersatzvornahme in Rechnung stellen. Herr Dr. Buchegger riet, das Schreiben ernst zu nehmen, zumal unser Verein völlig mittellos war. So rissen Herr Förster und Herr Waldemar die Maschenzäune in der folgenden Nacht wieder heraus, wobei es zu einem Handgemenge mit einem alkoholisierten Passanten kam, der glaubte, sie wollten sich an Staatseigentum vergreifen.

Obwohl wir abwechselnd mit der Gießkanne ausrückten und die jungen Bäume in diesem heißen, trockenen Sommer mit Wasser versorgten, wollte sich keine Besserung einstellen. Unsere vierzehntägigen Treffen standen unter dem Zeichen von Wut und Hilflosigkeit. Frau Maywald, eine passionierte Fotografin, konnte mit einer Bildserie den allmählichen Verfall jedes einzelnen Baumes dokumentieren. Und wieder war es Herr Dr. Buchegger, der den Grund dafür ausfindig gemacht zu haben glaubte. Abgesehen von den Hinterlassenschaften der Hunde schienen ihm die mit Standgas betriebenen Fahrzeuge auf den Parkplätzen zwischen den Bäumen dafür verantwortlich zu sein. Da saßen Lieferanten in ihren Autos und erledigten ihre Protokolle, da stritten Paare, wohin die Fahrt gehen sollte, und da hatten wichtigtuerische Herren und Damen Telefongespräche zu führen. Und das alles bei laufendem Motor.

Die Empörung war wieder groß, vor allem bei Herrn Waldemar, Frau Förster und den Eybl-Geschwistern. Sie wollten auf der Stelle eine App entwickeln, die melden sollte, welcher Baum gerade mit Kohlenmonoxid vergiftet wurde. Das Konzept war noch unausgereift, aber die Absicht in Erz gegossen. Bis zur Fertigstellung wollte man Kameraattrappen in die Bäume hängen, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Frau Maywald, Herr Förster und ich plädierten für Hinweisschilder als Vorstufe. Nach langem Hin und Her schlug sich Herr Dr. Buchegger auf unsere Seite, vor allem wegen der Kosten. Herr Waldemar und ich fuhren wieder in den Baumarkt und besorgten Holzbrettchen und eine Rolle Plastikschnur.

An der Formulierung der Hinweise wäre unsere nachbarschaftliche Gemeinschaft fast zerbrochen. Besonders eindrucksvoll ist mir der Textvorschlag von Frau Förster in Erinnerung, weil er in einen Reim gefasst war:

Bin ein junger Ahornbaum/und leide sehr, du merkst es kaum./Dein Hund, er pinkelt mir ans Bein./Ich frage dich: muss das denn sein?/Dein Auto stinkt ganz fürchterlich,/schalt's ab, das wäre sicherlich/gesünder wohl für Mensch und Baum/und für den ganzen Lebensraum.

Abweichend die Textformulierung von Frau Maywald:

* Das Laufenlassen des Motors im Stand ist verboten und wird bestraft!
* Wenn Sie Ihren Hund äusserln führen, gehen Sie in den Ludwigspark, wo es einen eigenen Bereich mit Hundekotautomaten gibt!

Zwischen diesen beiden Versionen sollten wir uns entscheiden, was zu Verstimmungen und einer lautstarken Auseinandersetzung führte. Am Ende konnten wir uns auf eine quasi streng-charmante Formulierung einigen. Die Holztafeln wurden beschriftet, lackiert und den Bäumen auf Sichthöhe umgeschnallt. Natürlich rechneten wir damit, dass sie Schilder Unmut erzeugen, beschmiert und beschädigt werden könnten, dass sie aber nach nur zwei Tagen spurlos verschwanden, überraschte uns doch. Wir hatten uns einen Mann mit Bulldogge und SUV zum Feind gemacht. Er wohnte in unserer Gasse und ärgerte sich über die Rabatten, die die verfügbaren Parkplätze dezimierten. Den Zusammenhang mit den verschwundenen Hinweisschildern deckte Herr Dr. Buchegger auf, der sie auf dem Rücksitz des besagten Fahrzeugs liegen sah. Er lauerte dem Besitzer auf und stellte ihn zur Rede.

Es ist allgemein bekannt, dass Leute mit Waffen, bissigen Hunden und schweren Autos besonders ängstlich sind. Da im konkreten Fall zwei dieser Attribute vorlagen, kam es rasch zu einer Schreierei, in deren Verlauf der Schilderdieb behauptete, Dr. Buchegger verwehre ihm den Zutritt zu seinem Wohnhaus, habe ihn wiederholt gestoßen und am Ärmel gepackt. Die Passanten nahmen kaum Notiz, bis auf einen, der vorsorglich den Notruf über einen eskalierenden Streit in der Ludwigsgasse informierte. Und tatsächlich erschien ein Polizeibeamter, befahl dem Dieb, die Schilder zurückzugeben und verbot gleichzeitig Herrn Dr. Buchegger, sie wieder zu montieren. Die Rechtsgrundlage für Letzteres lag im Dunkeln.

Nach dieser Niederlage leckten wir unsere Wunden und erörterten die weitere Vorgehensweise. Eine Grundsatzdiskussion wollte aufkommen, wurde aber von Frau Maywald abgewürgt. Sie hatte eine neue Idee, die das Siechtum der Bäume in unserer Gasse erklären sollte. Es war der Borkenkäfer, auch "Buchdrucker" genannt! Ein hinterlistiges Geschöpf, das nur seine Vermehrung im Sinne hatte und zu diesem Zweck lange Gänge unter der Rinde eines Baumes fraß. Bezeichnend war der Name "Rammelkammern", denn dort wurde auf Teufel komm raus begattet und die Brut aufgezogen, die ihrerseits wieder Rammelkammern fraß und so weiter, bis der Baum, abgeschnitten von seinen Lebenssäften, umstürzte.

Herr Waldemar zeigte sich skeptisch und auch Herr Förster hatte Bedenken, weil man vom Borkenkäfer fast immer im Zusammenhang mit Nadelwäldern lesen konnte. Die Geschwister Eybl durchforsteten sofort das Internet und ließen uns wissen, dass auch Laubbäume nicht vor einem Befall gefeit waren. Sie wollten auf der Stelle Proben von den Rinden nehmen, wovon wir sie mit Mühe abhalten konnten. Immerhin erzeugte Frau Maywalds Diagnose gewisse Zweifel in dem Sinne, dass wir eine Mitverantwortung bei den Bäumen verorteten. Ihr Immunsystem war möglicherweise nicht gut genug. Vielleicht brauchten sie mehr Abhärtung und weniger Pflege. Am Ende der Sitzung wurde Herr Waldemar mit der Abfassung eines Schreibens betraut, in dem er dem Gartenbauamt unseren Borkenkäfer-Verdacht mitteilen und um Verifizierung ersuchen sollte.

Diesmal kam umgehend eine Antwort. Man warnte uns nachdrücklich vor "Untersuchungen und Manipulationen an Straßenbäumen", welche allesamt im Eigentum der Gemeinde stünden. Der Borkenkäfer sei ein Waldbewohner und im städtischen Raum äußerst selten anzutreffen. Am Ende hieß es, dass unser Verein die Anschaffung und Pflege von Bonsais in Betracht ziehen möge, da solche nach Anleitung einschlägiger Fachliteratur über viele Jahr viel Freude bereiten könnten.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich festhalten, dass nur drei der sieben Bäume in der Ludwigsgasse den Winter überstanden haben. Die anderen wurde umgesägt. Ihre Stümpfe harren der Entfernung. Der Nachbar mit der Bulldogge und dem SUV glaubte, nun Oberwasser zu haben, aber die Eybl-Geschwister stellen ihre Vespas jetzt vor seinem Haus ab. Ich vermute, dass die Bulldogge bald lernen wird, an diesen Fahrzeugen ihr Bein zu heben. Von Bäumen haben wir vorerst genug. Es sind doch recht anspruchsvolle, undankbare Gewächse. Jetzt haben wir ein Abbruchhaus unter unsere Fittiche genommen. Erst gestern erging ein weiteres Schreiben an das Bundesdenkmalamt, mit dem wir gegen die Zerstörung von Kulturgut in unserer Gasse aufs Schärfste protestieren.
 
Zuletzt bearbeitet:

petrasmiles

Mitglied
Liebe Matula,

voll ins Leben gegriffen - zumindest, wie ich es mir vorstelle. Da ich aus den Augenwinkeln bei Gruppenbildung unserer Spezies meist diese oder jene Verhaltensweise festgestellt habe, hielt und halte ich mich immer fern, kann also nur Mutmaßungen anstellen.

Was mir an Deiner Geschichte besonders gefallen hat, ist, dass niemand bloßgestellt wurde; alles sind beseelt von ihrem Drang, etwas Gutes tun zu wollen - oder ihr Recht zu bekommen, ob nun gerechtfertigt oder nicht. Es menschelt einfach und eigentlich hat jeder Leser die Chance, eine Ahnung davon zu bekommen, zu welcher 'Abart' er wohl selbst tendieren würde (für mich habe ich sie gefunden) - und das macht den Humor Deiner Geschichte einfach großartig!

Liebe Grüße
Petra
 

Matula

Mitglied
@petrasmiles
@Ubertas

Liebe Petra, liebe Ubertas,

es freut mich sehr, dass Euch die kleine Geschichte gefallen hat ! Ich glaube, Vereine sollten sich ganz auf ihren Zweck konzentrieren. Sobald sie auf Nebenschauplätzen aktiv werden, ist es vorbei mit der Eintracht. So gesehen hat die "Initiative Ludwigsgasse" gute Chancen, weil ihr eigentlicher Zweck ja darin besteht, diverse Behörden zu ärgern.

Vielen Dank und herzliche Grüße,
Matula
 

Matula

Mitglied
Guten Abend @Bo-ehd !

Danke für Deine freundliche Beurteilung ! Ich kann mir gut vorstellen, dass es in Deutschland ähnliche Aktionen gibt. Die Bürger reiben sich überall gern an ihren Behörden. In Wien sind in einzelnen Bezirken die Rabatten für das Aufstellen von Liegestühlen und Blumen- und Kräuterkistchen freigegeben worden. Der Drang des Städters zur Natur ...

Schöne Grüße,
Matula
 

Sandra Z.

Mitglied
Hallo Matula,

Deine Geschichte über die ehrenamtliche Arbeit dieses Vereins hat mir gut gefallen. Du beschreibst hier sehr lebendig und mit einem Schuss Satire einen Kampf gegen die Mühlen der Bürokratie (immer wieder ein lohnendes Thema :)).

Was mir nicht ganz so gut gefällt, ist der Titel deiner Geschichte. Ich bin kein "Vereinsmeier", was nicht heißen soll, dass ich das Engagement dieser Menschen nicht wertschätze. Es ist nur so, dass "Unser Verein" in meinen Ohren irgendwie "angestaubt und ein wenig langweilig" klingt.

Das Thema Deiner Geschichte ist doch die Rettung von Bäumen. Daher hätte ich als Titel eine Art "Schlachtruf" gewählt, der diese Aktionen umschreibt.

Viele Grüße, Sandra
 

Matula

Mitglied
Hallo @Sandra Z. ,

ja, vielleicht klingt der Titel langweilig, aber aus meiner Beobachtung geht es im Vereinsleben nicht nur um das gemeinsame Ziel, das. wie in der Geschichte, austauschbar ist, sondern auch um das Miteinander. Unter Umständen gerät der Vereinszweck sogar ganz in den Hintergrund, weil ihn die Mitglieder nur als Vorwand für aggressive Auseinandersetzungen nutzen. - Vielleicht wenig überraschend gehören zu diesen vor allem die Hundezüchtervereine.

Danke fürs Kommentieren
und herzliche Grüße,
Matula
 



 
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