Unter Beobachtung
11. Teil
50
Immer wieder sah Andreas auf seine Uhr. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. 11. Teil
50
Endlich, kurz vor acht Uhr, rollten zwei Pfleger das Bett, an dem ein Beutel mit einer Blutkonserve hing, die durch einen dünnen Schlauch als Infusion zu Annes Arm führte, zu ihm ins Zimmer. Umgehend setzte er sich auf und schaute besorgt zu ihr hinüber.
Sie schlief noch. Ihr Gesicht war ganz blass.
Kaum waren die Männer verschwunden, die sie gebracht hatten, tauchte auch schon Doktor Mechier im Zimmer auf. „Andy, ihr geht es gut. Sie wird nur noch etwas schlafen“, erklärte der Arzt, als er das besorgte Gesicht seines Freundes sah.
Das beruhigte Andreas etwas. Er stützte sich an der Bettkante ab, schwang sich von da aus in den Rollstuhl und rollte neben Annes Bett, um ganz nah bei ihr zu sein, wenn sie aufwachte.
„Andy, es gibt noch was …“, sagte der Arzt verunsichert, ob seine Entscheidung wirklich auch richtig ist. „Ich habe lange überlegt, ob ich es dir überhaupt sagen soll“, begann er und zog sich einen Stuhl heran, um nahe bei ihm sitzen zu können. „Die Hydra, von der wir gesprochen hatten …“, formulierte er vorsichtig.
„Was ist damit?“, fragte Andreas sofort hellhörig geworden und wandte sich dem Arzt zu.
„Sie hat es nun auch auf unsere Freunde abgesehen. Unsere Männer konnten einen Sprengstoffanschlag, in Form einer Autobombe, vereiteln.“
Mit großen Augen sah Andreas den Arzt ungläubig an und sprang dann aus seinem Rollstuhl auf.
„Doc, ich muss hier raus. Ich muss ihnen helfen!“, schrie er auf.
Doch Abdul nahm den Mann fest bei dem Arm, auch wenn er wusste, dass er ihm damit weh tat und zog ihn konsequent zurück in den Stuhl. „Nein, Andy. Sieh dich doch an. Was willst du in deinem Zustand noch alles tun? Anne braucht dich hier. Beruhige dich. Wir haben ihnen gute Männer zur Seite gestellt. Sebi und Kim erhalten Personenschutz. Euer Mister Arend hat auch noch einen Mann auf den Weg geschickt“, erklärte Doktor Mechier ruhig und absichtlich sehr leise, um seinen Patienten zum genauen Zuhören zu zwingen. „Du musst jetzt für Anne da sein. ... Wir sind uns bisher zwar noch nicht ganz sicher, aber wir glauben, wenn auch erst zu ein paar wenigen Prozent, dass sie ein Kind erwartet. ... Hast du mich verstanden, Andy?“, fragte der Doktor Mechier nach, als sein Freund nur in die Luft starrte. „Hörst du,... du wirst vielleicht Vater.“
Nur ganz langsam drehte Andreas dem Arzt sein Gesicht zu und schaute ihn ungläubig an. „Aber wir haben doch erst nur ein paar Mal … und das erste Mal ist nicht mal drei Tage her. Das ist nicht möglich. Du musst dich irren, Doc.“
„Doch es ist möglich. Und es ist auch möglich, es schon nach so kurzer Zeit, wenn auch nur sehr vage, festzustellen. Dafür gibt es mittlerweile schon Tests. Eben deshalb sind wir uns auch nicht ganz sicher. Aber der erste Test ist nun mal positiv gewesen. Deshalb waren meine Kollegen auch besonders vorsichtig bei ihrer Narkose und die OP hat deshalb so lange gedauert. Wirklich und sicher kann man das aber erst etwas später sagen. Doch die bisherigen Testergebnisse sind nicht von der Hand zu weisen und wir haben uns daran gehalten, um Annes und vielleicht das Leben eures Kindes nicht zu gefährden“, erklärte der Arzt leise.
Andreas sah den Freund noch immer mit großen Augen an, die sich aber langsam zu röten begannen und mit Tränen füllten. „Ist das wirklich wahr, Doc?“
„Ich kann es noch nicht zu hundert Prozent bestätigen, Andy. Aber meine Kollegen und ich glauben es schon. Genaues können wir erst später sagen, das habe ich dir doch gerade erklärt.“
„Sag es Anne noch nicht“, bat Andreas leise und schaute dabei zu der Frau, die er so liebte. „Sie soll es selbst herausfinden, es spüren, wenn es wirklich daran ist und sich darüber freuen können. Ich will es ihr freistellen wann und ob sie mir davon erzählen möchte.“
Abdul verstand seinen Freund und freute sich zugleich über diese Bitte, die so viel Liebe und Gefühl ausdrückte. „Das verspreche ich dir sehr gern, Andy.“
Gerade als Doktor Mechier den Raum leise verlassen wollte, sprach ihn Andreas noch einmal an: „Doc, aber du hältst mich trotzdem auf dem Laufenden, was draußen los ist. Versprochen?“ Der Arzt nickte ihm zu und schloss leise hinter sich die Tür.
Andreas saß mit seinem Rollstuhl ganz nahe bei Annes Bett und rückte kein Stück weg, bis sie wach wurde. Vieles ging in der Zeit des Wartens durch seinen Kopf. Doch in erster Linie wollte er für Anne da sein, wenn sie aufwachte.
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Als Sebastian und Hasan mit den beiden Tauchern etwa zwei Meter vom Grund entfernt waren, stoppten sie ihren Abstieg. Erneut fragte Sebastian mit Handzeichen, ob alles in Ordnung ist, dann gab er die Richtung an, in der sie weiter tauchen wollten, immer darauf gefasst, dass der Kerl neben ihm den Auslöser für den Zünder und die Sprengkapsel drücken würde. Er registrierte, dass Jochen sich, wie besprochen, neben ihm hielt und Kai mit Hasan dicht folgte. Sie tauchten über einen schönen Korallengarten hinweg und erreichten das Drop Off, wo Sebastian im Briefing darauf aufmerksam gemacht hatte, nicht tiefer als auf dreißig Meter runterzugehen.
Plötzlich tauchte sein Buddy schnell weiter nach unten und auch Hasans Tauchpartner folgte ihm.
Kurz darauf bemerkte Sebastian das Kitzeln des leicht fließenden Stroms von dem dünnen Draht in seinem Mund. Er freute sich darüber, dass der kleine Trick, den er angewendet hatte, funktionierte. Schnell nahm er die Hand an den Atemregler, zog ihn aus dem Mund und drückte die Luftdusche, dass er kurz darauf von vielen Luftblasen umgeben war. Das war das Zeichen für Hasan, und beide Männer schossen zu den anderen Tauchern in die Tiefe. Dabei griffen sie bereits zu ihren Messern, zogen sie aus den Taschen der Jacketts, sodass sie die bereits sicher in der Hand hatten, als sie die Männer erreichten.
Doch auch diese waren schon bereit, wenngleich sie überrascht waren, dass ihr Anschlag fehlgeschlagen war und sie es auf einmal mit zwei und nicht nur mit einem Taucher zu tun bekommen würden.
So entwickelte sich in vierzig, dann in fünfzig Metern Tiefe eine wahre Unterwasserschlacht. Die Männer wirbelten herum. Der ein oder andere wurde gegen die scharfkantige Riffwand gedrückt und der Anzug eingerissen. Unzählige Luftblasen der hastig atmeten Taucher perlten als dicke Säule zur Oberfläche, dass es dort aussah, als würde das Wasser kochen.
Ahmed und Rashid sahen es mit großer Besorgnis und entschieden sich, einen Funkspruch an die Küstenwache abzusetzen. Mehr konnten sie in dem Moment für ihren Freund nicht tun.
Sebastian konnte diesen Jochen nach einem langen Kampf in die sprichwörtlichen ›Seile‹ schicken. Doch bevor der Mann bewusstlos noch weiter nach unten trudelte, hielt Sebastian ihn an seiner Weste fest, fesselte ihn mit Kabelbindern, stach die Luftblase seines Jacketts auf und hängte ihn an einem Riffvorsprung auf. Dann schwamm er zu Hasan, um ihm bei seinem Kampf zu helfen. Schnell hatten die beiden den zweiten Angreifer in ihre Gewalt gebracht. Sebastian zwinkerte Hasan zu und reichte ihm die Kabelbinder, damit er seinen Gefangenen selbst fesseln konnte. Als er sah, dass Hasan alles unter Kontrolle hatte, tauchte er zurück und holte den Mann ab, den er, wie einen alten Mantel auf einem Kleiderhaken, an den Riffvorsprung gehängt hatte. Beide Taucher waren bei dem Kampf auf unter fünfzig Meter gesunken und bereits in die Nullzeit geraten. Das bedeutete für sie, aber auch für ihre Gefangenen eine längere Dekompressionszeit, bevor sie an die Wasseroberfläche zurückkehren konnten. Nur würde ihre Luft in den Flaschen, die sie mit sich führten, dafür nicht mehr ausreichen.
Sebastian entschied sich gerade für einen kontrollierten Notaufstieg, als er einen Schiffsmotor über sich hörte. Das Meer, um sie herum, verdunkelte sich vom Schatten eines großen Bootsrumpfs. Er schaute nach oben und sah, wie zwei Pressluftflaschen, mit schon angeschlossenen Atemreglern, an einem Seil zu ihnen in die Tiefe gelassen wurden.
Sebastian schwamm mit der Last des Kerls, den er hielt, zu dem Seil und zog dreimal stark daran. Und schon sanken die Flaschen nicht mehr weiter nach unten.
Gegenseitig halfen sich Sebastian und Hasan, ihre fast leeren Flaschen gegen die frischen zu tauschen. Danach reichten sie ihren Oktopus den beiden Gefangenen. Alle sechs Meter, die sie auch nur sehr langsam aufstiegen, machten sie wieder eine lange Pause. Als sie bereits nur noch fünfzehn Meter von der Wasseroberfläche entfernt waren, aber immer noch eine hohe Dekompressionszeit vor sich hatten, kamen vier ägyptische Marinetaucher wie aus dem Nichts auf sie zu. Sie brachten ihnen Nitroxflaschen, mit 32%igem Sauerstoffgemisch, halfen ihnen beim Wechsel der Flaschen und übernahmen die beiden Gefangenen, sodass sich die beiden Männer nur noch auf sich selbst und ihre eigene Dekompression und den Aufstieg konzentrieren brauchten. Auf den letzten Metern erfolgte ein weiterer Flaschentausch. Dieses Mal mit 50 % Sauerstoff angereicherte Pressluft im Tausch gegen die bereits wieder fast leeren Nitroxflaschen.
Als sie endlich wieder gefahrlos auftauchen konnten, atmeten sie tief durch.
Gerade mal an Bord gekommen, umarmte Sebastian Rashid und Ahmed, die so super reagiert und ihnen die Flaschen heruntergeschickt und zusätzlich Hilfe geholt hatten. „Jungs, ihr beide seid wertvoller als reines Gold“, rief er laut aus und tanzte mit ihnen im Kreis. Als er bemerkte, dass Hasan dabei etwas verlegen abseits stand, bezog er ihn einfach mit in die Runde ein und sie freuten sich alle gemeinsam über den kleinen Sieg.
Die anderen drei Tauchgäste hatten zwar gesehen, wie das Küstenschutzboot längsseits gegangen und von dort Taucher ins Wasser gesprungen waren. Auch, dass die beiden Männer, die mit ihnen auf dem Boot gewesen waren, in Fesseln abgeführt wurden und auf dem Deck die vier Männer feierten. Doch sie konnten sich keinen rechten Reim darauf machen, was da eigentlich vorgefallen war und wie alles zusammenhing.
„Entschuldigt bitte, wenn wir hier etwas länger waren als ursprünglich geplant. Aber es ist ja auch wunderschön hier. Oder? Ahmed hat gleich das Essen fertig. Danach fahren wir zum Erg Sabina. Ihr werdet sehen, es ist umwerfend schön“, sagte Sebastian fröhlich, als er zu den drei Gästen aufs Oberdeck gekommen war.
Kurz darauf verschwand der Chef der Tauchbasis wieder und ging mit Hasan und Rashid in den Salon, wo zwei Marineoffiziere auf sie warteten, während sich Ahmed weiter um das Essen kümmerte.
Sie machten ihre Aussagen und tranken mit den beiden Offizieren, so wie es üblich war, als freundschaftliche Geste, einen Tee.
Sebastian bat die beiden Männer dann noch um vier gefüllte Pressluftflaschen im Austausch gegen leere, da er sonst seine Tauchgänge mit den Gästen nicht fortsetzen könnte. Gern stimmten diese zu und veranlassten den Tausch.
Erst nachdem die Offiziere auf ihr Schiff zurückgekehrt waren, zogen sich Sebastian und Hasan ihre Neoprenanzüge aus und bemerkten die leichten Blessuren und Verletzungen, die sie bei dem Kampf davongetragen hatten. Erst schämte sich Hasan dafür, doch als Sebastian lachend die seinen zeigte, ließ er sich von dem Mann, der sein Vorbild war, versorgen und auch eine kleine Verletzung unter örtlicher Betäubung von ihm nähen. Wonach Sebastian sich selbst ohne Betäubung eine Schnittwunde am Arm nähte, was ihm zusätzliche Bewunderung von Hasan einbrachte.
Als er das bemerkte, forderte er Hasan auf, ihm zu helfen und ließ sich von dem jungen Mann die Wunde verbinden. „Hasan“, sagte er dann lächelnd, „nichts ist so schlimm, wie es am Anfang aussieht. Du hast heute hervorragende Arbeit geleistet. Du bist ein ausgezeichneter Taucher und Kämpfer. Ich danke dir für deine Hilfe. Allein hätte ich das nicht geschafft. Ich bin sehr froh, dich hier zu haben, mein Freund.“ Und das meinte er auch so, wie er es sagte.
Der junge Marine hingegen war sehr froh, dass er sich neben diesem Mann beweisen durfte und nicht versagt hatte.
Sebastian kümmerte sich zuerst um ihn, bevor er an sich selbst dachte. Das hatte Hasan gleich bemerkt. Er bewunderte ihn auch deshalb noch mehr als schon zuvor, wo er nur von ihm und seinem Freund gehört hatte. Und er war stolz darauf, jetzt auch zu seinen Freunden zu gehören. Er sah, wie Sebastian seinen schmalen Verband unter einem langen Sweatshirt verbarg und Hasan dabei anlächelte.
„Die anderen, die nichts dafür können und hier nur einen schönen Tauchurlaub haben wollen, brauchen das nicht zu sehen und auch nichts weiter davon zu wissen, als das, was sie gesehen haben“, erklärte er ihm.
Hasan nickte ihm zu und tat es ihm gleich. Er zog ein langärmliges Shirt aus seinem Rucksack und sich schnell über, das seine Verletzung, welche Sebastian genäht und mit Pflaster versorgt hatte, versteckte.
„Hast du Schmerzen, Hasan?“, fragte Sebastian dann besorgt und reichte ihm, ohne auf eine Antwort zu warten, schon eine Tablette. „Hier nimm die. Sie wird dir helfen, denn die örtliche Betäubung, die ich dir gegeben habe, wird nicht lange vorhalten. Du brauchst ja heute nicht mehr zu tauchen.“
Als Hasan die Tablette genommen hatte, stellte er aber fest, dass Sebastian keine nahm. „Und du?“, fragte er unsicher geworden nach.
„Ich muss noch einmal tauchen. Aber diese Tablette wäre da das blanke Gift. Also nehme ich keine. Ich komme auch so zurecht“, erklärte er dem jungen Mann mit einem Lächeln, der ihn nun völlig fassungslos ansah.
Ahmed hatte das Essen fertig und Sebastian half ihm den Tisch zu decken, dann rief er die drei Tauchgäste vom Oberdeck. Als sie im Salon ankamen und schon ihre Teller schnappten, wandte Sebastian das Wort an sie.
„Ich weiß, dass es auf allen Booten meiner und auch anderer Tauchbasen so üblich ist, dass erst die Gäste und die Guides essen und erst danach die Besatzung des Bootes. Meine Freunde haben mich aber eines Besseren belehrt. Jetzt bin ich schon seit einiger Zeit der Meinung, dass die Bootsbesatzung ebenso zum Team an Bord und somit zu uns Tauchern gehört. Also sollten sie auch mit uns gemeinsam essen. Was meint ihr dazu?“
Die drei Taucher sahen sich kurz an.
„Klar, das finden wir super“, antwortete die Frau schnell, aus reiner Überzeugung.
Sebastian rief Rashid und Ahmed und lud sie zu ihnen allen mit an den Tisch. Er würde das nun auch auf all seinen Booten so einführen wollen. Außer, die Besatzung hätte selbst etwas dagegen, mit den Gästen essen zu wollen. Er nahm sich fest vor, alle danach zu fragen, wenn er zurück auf der Basis war.
Völkerverständigung fängt vielleicht auch hier im Kleinen auf den Taucherbooten an, dachte er und lächelte in die Runde, als seine Tauchgäste mit den beiden Männern von der >Amun Re< zu kommunizieren begannen.
Sie lobten das Essen und die stetige Hilfe der kleinen Besatzung an Bord. Sogar ein Rezeptaustausch fand schon statt. Und das Ganze mehr mit Händen, Füßen und Englisch. Und das Beste dabei war, es funktionierte.
Sebastian und Hasan lächelten sich zu und verstanden einander.
Nach dem Essen nahm die >Amun Re< Kurs auf Erg Sabina. Sebastian machte gleich auf der Fahrt dorthin sein Briefing und teilte die Buddyteams neu ein.
Hasan beobachtete, wie Sebastian seinen Verband entfernte und ihn durch ein wasserdichtes Pflaster ersetzte. Fröhlich zwinkerte er ihm dabei sogar noch zu.
Noch bevor die anderen vom Oberdeck kamen, hatte Sebastian bereits seinen Tauchanzug an und zog etwas den langen Schnitt in seinem Ärmel zusammen, damit er nicht bemerkt wurde.
„Müssen Sie wirklich tauchen?“, fragte Hasan besorgt.
„Ja, mein Freund, das ist mein Job. Dana hat einen viel geringeren Luftverbrauch als ihre beiden Begleiter. Also, warum soll sie nicht auch mal einen längeren Tauchgang ihrem Luftverbrauch angemessen genießen können, wenn das doch möglich ist. Hasan, ich tue das sehr gern.“
„Auch mit ihrer Verletzung? Die tut doch weh?“
„Nicht dass ´Sie´, Hasan. Ich bin für dich einfach nur Sebastian oder noch besser Sebi. So wie für die anderen auch. Einverstanden? Und was den kleinen Kratzer angeht, so war der mein eigenes Verschulden, weil ich nicht achtsam genug war. Ja, es tut weh, aber es ist eigentlich nichts. Hab schon Schlimmeres erlebt. Außerdem bewege ich beim Tauchen nicht die Arme, sondern die Beine“, erklärte er lächelnd und zeigte auf seine Beinprothese. „Und wenn du Andy erst kennenlernst, dann wirst du sehen, dass noch vieles mehr möglich ist.“
„Ich habe von ihm gehört“, sagte Hasan, „und dem, was ihr hier schon gemacht habt.“
„Aber das ist nur an der Oberfläche gekratzt, mein Freund“, gab Sebastian zurück. „Er kämpft nicht erst, seitdem er hier ist. Andy ist schon viele Jahre dabei und hat vielen Menschen, auch mir, das Leben gerettet.“
„Aber du auch ihm“, stellte Hasan fest.
„Ja, Hasan. Eben das macht unsere Freundschaft aus. Man ist füreinander da. Heute warst du für mich da. Und jetzt gleich, wenn ich tauchen gehe, werde ich für diese Frau da sein und ihr einen schönen Tauchgang verschaffen, weil ich es dank dir noch kann. Du hast einen guten Job gemacht. Ich würde mich freuen, wenn du auch morgen wieder dabei sein könntest. Aber davor möchte ich, dass du dich erst deinem Arzt vorstellst.“
„Und du selbst? Du weißt, dass du jetzt auch noch nicht wieder tauchen dürftest. Die Pause ist eindeutig zu kurz gewesen für dich. Deine Stickstoffsättigung ist noch zu hoch“, meinte Hasan.
Sebastian musste lachen. „Ich brauche damit nicht zum Doc.“ Dabei zeigte er auf seinen Arm. „Aber trotzdem werde ich mich dann durchchecken lassen, wegen der Deko. Nur keine Sorge, ich weiß, was ich tue und mir zutrauen kann. Ich habe ein paar Jahre mehr Erfahrung darin“, beruhigte er den jungen Mann. Doch bevor Hasan weitere Fragen stellen konnte, kamen die anderen vom Oberdeck und begannen, sich ihre Anzüge überzuziehen.
Die >Amun Re< hatte am neuen Tauchplatz festgemacht.
Als die vier Taucher ins Wasser sprangen, blieb Hasan zurück. Doch er hatte kein gutes Gefühl dabei, denn sein Befehl war eindeutig. Er hatte bei Sebastian Rothe zu bleiben. Die fünfundachtzig Minuten, bis er mit der Frau endlich wieder am Boot auftauchte, waren dem jungen Mann eine Qual. Zumal er wusste, dass dieser lange Tauchgang für seinen neuen Freund nach der Nullzeit, in der sie waren und der viel zu kurzen Pause, nicht ganz ungefährlich war.
Doch Sebastian wusste, was er tat. Während er die Frau schon zur Wasseroberfläche schickte, weitete er seinen Sicherheitsstopp noch um zehn Minuten aus. Er hatte im Vorfeld bereits viel getrunken und setzte auch, kaum dass er an Bord war, die Wasserflasche wieder an, um eine Dehydration zu vermeiden.
Hasan half Ahmed, die Leinen loszumachen. Dann nahm die >Amun Re< den Kurs Richtung Heimathafen auf.
Nachdem die Tauchgäste aufs Oberdeck gegangen waren, um noch etwas die Sonne zu genießen, ging Sebastian in den Salon und zog schnell das Pflaster ab, verband seine Wunde frisch und zog sich an. Zurück auf dem Oberdeck übernahm er das Ruder, um Rashid und Ahmed die Zeit für ihr gemeinsames Gebet zu ermöglichen.
Die drei Tauchgäste bemerkten das gar nicht so, warum auf einmal Sebastian am Steuer saß, aber Hasan schon. Damit stieg die Achtung für diesen Mann noch mehr in seinen Augen, auch wenn er selbst kein strenggläubiger Muslim war.
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„Na mein Schatz, wie geht es dir?“, fragte Andreas leise, als Anne langsam die Augen öffnete. Zärtlich streichelte er ihr über die Wange.„Danke, gut.“ Dabei lächelte sie ihn an. „Ich bin nur sehr müde.“
„Dann schlaf, meine Prinzessin.“ Andreas gab ihr einen lieben Kuss und Anne schloss wieder ihre Augen.
Leise öffnete sich die Tür. Doktor Mechier sah nur mit dem Kopf herein und winkte seinem Freund zu, dass er zu ihm kommen solle. Als Andreas an der Tür war, schob ihn Abdul auf den Flur. Eine Krankenschwester ging stattdessen zu Anne ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
„Ist etwas mit Anne? Warum kann ich nicht drinbleiben?“ Fragte er und blickte den Arzt besorgt an.
„Nein, mit Anne ist alles in Ordnung, aber bei Sebi nicht. Er hat gerade vom Boot aus bei mir angerufen, dass er dich und mich schnell braucht. Wir sollen zu ihm, direkt in den Hafen, kommen. Er erzählte etwas von einem Dekotauchgang“, berichtete Abdul aufgeregt. Schnell schob er den Rollstuhl den Gang entlang und gab Andreas die Krücken in die Hand. „Hier, nimm die. Auch wenn ich es nicht gern tue, aber ehe wir den Rollstuhl im Wagen haben, das dauert mir einfach zu lange und dort im Sand nützt er dir ohnehin auch nicht viel.“ Doktor Mechier hielt den Stuhl direkt vor der Wagentür an.
„Aber Doc, ich habe nur eine Hose an, noch nicht mal ein Shirt.“
„Dafür ist jetzt keine Zeit. Ich will wissen, was da los ist. Du wirst schon nicht erfrieren. Auf der Basis wird sich sicher was für dich finden, wenn du wirklich was brauchen solltest“, meinte der Arzt drängelnd. Kaum war Andreas eingestiegen, fuhr Abdul los und stoppte erst wieder im Hafen, wo gerade die ersten Taucherboote zurückkehrten.
„Hat Sebi was gesagt, auf welchem Boot er ist?“, fragte Andreas.
„Ja, auf der >Amun Re<“, kam die Antwort und beide hielten nach dem Schiff Ausschau.
Doch bei den gerade einlaufenden Booten war es nicht mit dabei. Abdul ging zum Kofferraum seines Dienstwagens, holte seine Arzttasche heraus und stellte sie aufs Dach des Fahrzeugs. Wenig später kam er mit zwei Flaschen Wasser zurück und reichte eine davon seinem Freund, der sich an die Seite des Wagens gelehnt und die Krücken daneben gestellt hatte. Beide tranken einen Schluck und ließen die Hafeneinfahrt dabei nicht aus den Augen. Wieder kam ein Boot herein. Doch das war die >El Warda<.
„Da Doc, dort hinten kommt die >Amun Re<“, stellte Andreas fest und Abdul folgte seinem Blick. Als das Boot ins Hafenbecken einlief, nahm Andreas seine Krücken, der Arzt seine Tasche und sie gingen gemeinsam auf den Anlegeplatz des Bootes zu.
„Ist das dort neben dem Generalstabsarzt …?“, begann der junge Marine Sebastian zu fragen, als er die beiden Männer am Kai stehen sah.
„Ja, Hasan, das ist Korvettenkapitän Andreas Wildner. Du wirst ihn gleich kennenlernen. Sie kommen zu uns aufs Boot.“
Sebastian half den drei Tauchgästen von Bord und entschuldigte sich bei ihnen, dass er erst später nachkommen könnte.
Der Arzt sprang an Deck. Als Hasan ihm salutieren wollte, blockt Doktor Mechier das schnell ab. „Helfen sie lieber diesem Mann mit runter“, sagte er stattdessen und zeigte auf Andreas.
Hasans Augen wurden groß, als er die vielen frischen und etwas älteren Narben auf dem Oberkörper des Mannes sah, der ihn aber freundlich aus hellen Augen anlächelte und ihm die Krücken reichte. Er wollte nur, dass sich der Arzt und Hasan, die etwa gleich groß waren, an den Rand stellten.
„Was hast du vor, Andy?“, wollte Abdul wissen. „Wir helfen dir doch runter.“
„Nicht nötig, Doc. Ich will es mal so versuchen“, antwortete Andreas und grinste breit übers ganze Gesicht. Dabei stützte er sich auf die Schultern der beiden Ägypter und ließ sich langsam, nur mit seiner Armkraft, runter aufs Deck, wo er sicher zum Stehen kam. Er bedankte sich bei beiden und nahm seine Krücken wieder. Als er Richtung Salon ging, wo Sebastian schon saß, sah Hasan, dass dieser Mann auch auf dem Rücken so viele Narben und noch einige frische Wunden und Pflaster hatte. Und seine Unterarme und die linke Hand waren dick verbunden.
Der junge Soldat und Marinetaucher war sehr erstaunt. Bei allem, was er gehört hatte, so schlimm hätte er es sich nicht vorgestellt. Gemeinsam mit dem Arzt ging er in den Salon. Ahmed hatte für alle Cappuccino gemacht und setzte sich mit zu ihnen, wo auch schon der Kapitän der >Amun Re< saß.
Sebastian schloss die Salontür und schlug vor, auf Arabisch zu sprechen, damit Ahmed und Rashid nicht vom Gespräch ausgeschlossen wurden. Seine Freunde nickten ihm zu.
„Worum geht es?“, wollte Andreas wissen. „Und was hat es mit dem Dekotauchgang auf sich, von dem du Doc am Telefon kurz berichtet hast? … Hast du die Dekozeit eingehalten?“, fragte er besorgt nach und musterte seinen Freund genau. „Los, gib mir deinen Tauchcomputer.“ Forderte er streng.
„Immer der Reihe nach, mein Kleiner“, stoppte Sebastian ihn. Dann berichtete er von den beiden Männern, die mit auf dem Boot waren. Wie Hasan durch seine Aufmerksamkeit einen Sprengsatz in Sebastians Atemregler entdeckt und entfernt hatte. Dann erzählte er von dem Unterwasserkampf und wie sie nur dank der Umsicht und des schnellen Handelns von Rashid und Ahmed überhaupt ihre Dekostopps durchführen und so unbeschadet zur Wasseroberfläche zurückkehren konnten. Und wie ihnen dann auch die Taucher vom Küstenschutz auf dem letzten Stück entgegenkamen und halfen.
Er bat Abdul, sich die Verletzung von Hasan vorsichtshalber anzusehen, die er ihm notdürftig versorgt hatte.
„Wie tief wart ihr und wie lange?“, wollte Andreas wissen und schaute ernst von seinem Freund zum Marinetaucher und wieder zurück.
„Wir warn erst zehn Minuten auf dreißig, der Kampf begann auf vierzig und es ging schnell runter. Auf etwa so fünfzig Metern waren wir dann auch noch paar Minuten. Ich habe meinen Tauchcomputer noch nich ausgelesen“, antwortete Sebastian ehrlich.
„Gib ihn endlich her. Ich mache das gleich“, forderte Andreas seinen Freund auf. „Kann ich auch deinen Computer bekommen, Hasan?“ Dann wandte er sich dem Arzt zu. „Doc, kannst du vorsichtshalber unsere beiden Helden durchchecken. Ich habe etwas gegen böse Überraschungen, die wir verhindern können.“
Andreas bedankte sich bei Rashid und Ahmed für ihre Umsicht und super Hilfe. Dann wollte er von ihnen wissen, woran sie denn gemerkt haben, dass die Taucher sie brauchten und wie sie sie so sicher gefunden haben. Und das, wo sie schon so weit weg vom Ankerplatz waren.
Stolz erzählten beide Männer, wie sie die aufsteigenden Luftblasen der Gruppe die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatten und dann erkannten, dass sie am Drop-Off mit einem Mal viel stärker wurden. Nachdem sie die anderen Tauchgäste wieder an Bord hatten, wären sie sofort hingefahren und als es wieder weniger Luftblasen wurden, schickten sie prophylaktisch zwei Pressluftflaschen mit Atemregler am Seil nach unten.
„Ihr seid die Größten“, lobte Andreas, stand auf, ging die paar Schritte ohne seine Krücken auf sie zu und drückte sie herzlich. „Ohne euch wäre es jetzt verdammt ruhig hier, ohne unser Großmaul Sebi und dem neuen in der Truppe.“
Doktor Mechier schaute sich gerade die Verletzung von Hasan an. „Ich hätte es nicht besser machen können, Sebi. Gute Arbeit“, stellte er anerkennend fest und machte nur ein neues Pflaster auf die Wunde. Dann sah er Hasan genau in die Augen und untersuchte ihn auf Anzeichen einer Dekompressionskrankheit.
Andreas wertete in der Zwischenzeit die beiden Tauchcomputer aus und sah sich dabei ganz genau die Tauchprofile an. „Sag mal, du Schwachkopf“, wandte er sich an Sebastian, „du warst hinterher noch mal neunzig Minuten, zwar nicht tief, aber nach so kurzer Dekopause eigentlich viel zu lange, noch mal unten? Hattest du deine Geldbörse verloren und danach gesucht? Oder welcher Teufel hatte dich da geritten?“ schimpfte Andreas und sah seinen Freund streng an.
Sebastian grinste ihn breit an und meinte. „Nein, mein Glasauge war rausgeflogen und du weißt genau, dass ich ohne das Ding nichts sehen kann“, konterte Sebastian und die beiden Männer mussten laut lachen. Auch Ahmed, Rashid und der Arzt stimmten mit ein, weil sie den seltsamen Humor der beiden Freunde nun schon kannten. Nur Hasan hatte noch etwas Probleme damit. Doch dann lachte auch er.
„Und was war es wirklich?“, beharrte Andreas trotzdem auf eine Antwort.
„Ich habe meinen Job gemacht und eine Taucherin begleitet. Hatte es ihr versprochen und Versprechen hält man für gewöhnlich.“ Dann wechselte Sebastian schnell das Thema. „Aber das steht hier jetzt nicht zum Thema. Ich habe den Doc hergebeten, um uns durchzuchecken, dich freizugeben und notfalls mit allen möglichen Mittelchen vollzupumpen, damit du fit bist. Doc, ist das bitte möglich? Ich brauche Andy hier dringend. Wir stehen nämlich beide auf der Abschussliste von mordlüsternen Ganoven. Und noch eine Bitte, Abdul, könntest du vielleicht Kim mit ins Lazarett nehmen. Für sie wird es hier jetzt zu gefährlich. Aber bei dir wüsste ich sie in Sicherheit. Heute hatten wir früh schon netten Besuch und nun auch gleich hier auf dem Boot. Anders gesagt, geht es heiß her. Ich habe Jens meine Befürchtung schon mitgeteilt. Nämlich dass ich denke, dass die netten Jungs hier ein kleines Waffenarsenal haben und auf Rachefeldzug gegen uns gegangen sind. Jens selbst kommt erst übermorgen Mittag und hat jetzt noch zwei Kerle mehr zu verhören, von denen er im Moment vielleicht gerade von der Küstenwache erfahren haben dürfte. Er hat aber heute einen Mann geschickt. Der müsste schon auf der Basis sein. Andy, was sagt dir der Name Eric Thomson?“, endete Sebastian und sah seinen Freund fragend an.
„Er ist seit drei Jahren bei uns. Thomson ist der Mann, den ich abgelehnt hatte, um dich zu kriegen. Erinnerst du dich?“, erklärte Andreas, dabei lächelte er seinen Freund an und sprach weiter: „Was ich natürlich bereits bereue.“ Dann wurde er wieder ernst. „Ric ist ein guter Mann. Er hat zwar so gut wie keine Kampferfahrungen, ist aber sehr ehrgeizig und zäh, lässt sich nicht so schnell unterkriegen. Ich habe ihn selbst ausgebildet. Er hat alles schnell begriffen, war der Beste in dem Ausbildungsjahr“, erklärte Andreas und fragte dann: „Hat Jens etwa ihn geschickt?“
Sebastian nickte seinem Freund zu. „Kann er gut improvisieren und etwas schauspielern, sodass er zu uns passt? Wie sieht er aus? Ich meine von der Statur her. Ist es auch so ein großer Muskelprotz wie du?“, wollte er wissen.
„Ich weiß nicht, ob er auch etwas Schauspielern kann. Er war nur in einem Einsatz mit mir. Und dieser scheiterte wegen Verrats, sodass wir uns schnell zurückziehen mussten“, erklärte Andreas und sagte dann noch: „Nein, er ist mit seinen eins sechzig sogar kleiner als du abgebrochener Wicht. Er ist ziemlich drahtig und sieht eher unscheinbar aus. Warum fragst du? Was hast du vor?“
„Gut, sehr gut. Dann testen wir den morgen mal“, meinte Sebastian, ging aber nicht weiter darauf ein. Stattdessen fragte er den Arzt, inwieweit er Einfluss hätte, dass ihnen die beiden Marinesoldaten, die für ihn und seine Frau als Personenschutz eingeteilt waren, auch noch ein paar Tage mit bei ihm und Andreas bleiben könnten. „Natürlich nur auf freiwilliger Basis, denn es könnte gut sein, dass es etwas haarig wird“, sagte er zum Abschluss.
Doktor Mechier nickte ihm zu. „Das geht zu machen.“ Die Freunde sahen nun den jungen Mann fragend an. Hasan war begeistert. Er meldete sich sofort freiwillig.
Dann erklärte Sebastian seinen Freunden im Salon der >Amun Re<, was er vorhatte. Dabei begannen die Augen von Andreas immer mehr zu funkeln.
„Ihr seid verrückt, Jungs. Das ist ein verdammt heißes Spiel mit dem Feuer“, gab Abdul zu, nachdem er alles gehört hatte.
„Ich weiß, Doc. Deshalb magst du uns ja auch so“, meinte Andreas und ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht. „Es war dein Vorschlag, der Hydra den Kopf abzuschlagen. Erinnerst du dich? Vielleicht schaffen wir das mit Sebis Plan und der super Verhörtechnik unseres gemeinsamen Freundes, Jens Arend. Unser Bussard ist darin der beste.“ Dann wurde sein Gesicht wieder ernst, als er fragte: „Wirst du wieder für uns alle hier an Bord da sein? Die Bedingungen bleiben aber die gleichen wie das letzte Mal. Nur dass Anne dieses Mal rausfällt, denn sie ist schon unter deiner Obhut.“
„Oh nein, Andy, das kann ich dir dieses Mal nicht versprechen“, gab der Arzt kopfschüttelnd zurück. „Aber dass ich mit meinen Leuten für euch alle da sein werde, das kann ich zusagen.“
„Oh doch, Doc, das kannst du. Dieser Deal gilt noch immer zwischen uns beiden und ich weiche kein Stück davon ab.“
„Aber du kannst dich an unser Gespräch und den Befund von heute früh erinnern“, erwiderte der Arzt hartnäckig. Kurz schwieg Andreas und schien nachzudenken. Dann sagte er mit fester Stimme.
„Ja, Doc, das kann ich. Und ich werde auch dafür kämpfen. Aber ich möchte nicht mit einem schlechten Gewissen leben müssen. Also, was ist nun?“
„Okay“, gab der Arzt sich geschlagen, „aber nicht um jeden Preis, verstehst du, Andy? Überlasse mir wenigstens ein Stück der Entscheidung selbst.“
Das konnte Andreas akzeptieren. Und beide Männer waren sich damit einig geworden.
Keiner der anderen Anwesenden wusste, worüber Andreas und Doktor Mechier da sprachen. Nur Sebastian ahnte da so was. Er kannte seinen Freund dafür schon zu lange und viel zu gut.
„Gut Doc, dann nimm dir mal hier den Oberverrückten unter die Lupe, nicht dass er uns in der Nacht erst damit überrascht, sondern wir ihn vielleicht lieber gleich für paar Stunden in die Blechbüchse sperren, damit er morgen fit ist. Sein Tauchprofil schreit nämlich eigentlich ziemlich laut nach einer Druckkammerfahrt. Er dürfte mehr Stickstoff im Körper haben als Hirn im Kopf. Aber wir brauchen ihn morgen wieder“, sagte Andreas und schob seinen Freund Richtung Abdul. Dieser entschied, Sebastian und auch Hasan aus reiner Vorsichtsmaßnahme die Nacht über in die Dekompressionskammer zu stecken. Ihm reichte die Einschätzung von Andreas über das Tauchprofil der beiden dafür völlig zu. Wusste er doch, dass er sich mehr um seine Freunde als um sich sorgte.
„Danke, mein Freund. … Manchmal gehst du mir mit deiner Fürsorge so richtig tierisch auf den Senkel. Wäre nicht schlecht, wenn du dich auch gelegentlich mal an der eigenen Nase zupfen würdest“, meinte Sebi und sah dabei wirklich nicht gerade freundlich zu Andreas rüber. Der grinste ihn aber nur breit an, zog die Schultern hoch und hob die Hände. „Wenn ich dich daran erinnern darf, du warst es, der mich heute aus dem Lazarett raus haben wollte. Und du hast dem Doc vorgeschlagen, ja regelrecht darum gebettelt, mich mit allem Möglichen vollzupumpen, um in die Vollen gehen zu können. Dabei wollte ich dieses Mal eigentlich artig sein und mich auskurieren. Also beschwere dich jetzt nicht. Aber mach dir keine Sorgen, ich komme ja mit und winke dir mal durchs kleine Bullauge von draußen aus zu“, sagte Andreas und grinste noch immer frech.
„Doc, um Gottes willen! Lass diesen Vogel bloß nicht an die Kammer ran. Sonst kann ich die ganze Nacht vor Alpträumen nicht schlafen“, schrie Sebastian laut auf und tat ganz entsetzt.
Hasan hatte das kurze Wortgefecht zwischen den beiden Freunden verfolgt und war regelrecht erschüttert, wie sie sich angingen und stritten. Doch als alle im Raum anfingen zu lachen, war er erleichtert. Nun begriff auch er, dass diese Männer es gar nicht so gemeint hatten. „Ihr habt eine seltsame Art, miteinander umzugehen“, stellte er laut fest. „Das ist gewöhnungsbedürftig.“
Was alle wieder lachen ließ. Die Männer kletterten von der >Amun Re< und halfen Andreas dabei. Dieser stieg dann gleich zum Arzt in den Wagen und die anderen fuhren mit dem bereitstehenden Pick-up zur Basis zurück, während Ahmed und Rashid auf dem Boot blieben.
Sie hatten sich ausgemacht, dass Abdul mit Andreas gleich wieder, ohne Zwischenhalt auf der Basis, ins Lazarett fahren und Sebastian mit seiner Frau, Hasan und Eric Thomson so schnell wie möglich nachkommen. Kasim würde am Abend von seinem Vorgesetzten wegen morgen informiert und könne sich dann entscheiden, ob er an diesem Einsatz weiter teilnehmen wolle oder nicht.
53
„Doc, kann ich erst noch zu Anne, ehe du mich in deine Wundermedizin einweist?“, fragte Andreas, als sie im Militärlazarett angekommen waren. „Mir ist ohnehin lieber, wenn Sebi mit dabei ist.“„Anders wird es auch gar nicht gehen, denn ich glaube kaum, dass du an deinen Rücken so gut herankommst“, antwortete der Arzt. „Gehe nur erst zu Anne, ich hole dich, wenn die anderen da sind.“ Andreas bedankte sich und wollte gerade los, als Abdul ihn zurückhielt und ihm den Rollstuhl zuschob. „Jetzt noch mal so“, sagte er. „Du brauchst ab morgen alle Kräfte, die du hast.“
Artig setzte sich sein Freund in den Stuhl und rollte dann aber schnell los, um keine Zeit zu verschenken, die er noch bei Anne sein konnte. Außerdem musste er ihr etwas Wichtiges erklären. Leise öffnete er die Tür zu ihrem Zimmer und rollte hinein. Die Schwester lächelte ihm zu und verließ den Raum.
„Na, du Rumtreiber. Wo warst du nur so lange?“, begrüßte Anne ihn und gab ihm einen Kuss, als er nah genug herangefahren war.
„Ach, du hast geschlafen, da ist mir etwas langweilig geworden und ich bin den hübschen Schwestern hier nachgejagt.“
„Du bist ein schlechter Lügner. Ich weiß, dass du bei Sebi und Kim warst“, sagte Anne und lachte, als Andreas sein Gesicht wie ein Kind verzog, welches bei einem bösen Streich erwischt worden war und deshalb ein schlechtes Gewissen hatte. Dann aber lächelte er wieder. „Ja. Du hast mich ertappt. Aber grüßen brauche ich dich nicht von ihnen, denn sie kommen dann gleich selbst vorbei. … Zumindest Kim“, schränkte er dann schnell ein. „Bei Sebi weiß ich es nicht genau, denn wir stecken ihn für die Nacht in die Blechdose. Schließlich will ich auch mal etwas Spaß haben.“
Anne sah ihn erschrocken an und wollt wissen, was passiert war.
Doch Andreas beruhigte sie und erklärte, dass es nur prophylaktisch wäre, weil er es heute etwas mit dem Tauchen übertrieben hätte. Er lenkte schnell wieder davon ab, indem er sie danach fragte, wie es ihrem Bein geht und ob sie große Schmerzen hat. Besorgt sah er sie dabei an.
Anne konnte ihn beruhigen. „Es geht mir gut, Andy, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
Andreas rollte noch etwas dichter an sie heran und legte vorsichtig seinen Kopf auf ihren Bauch, dabei lächelte er sie an. Er dachte wieder an das Gespräch, welches er früh mit dem Arzt geführt hatte. Dann aber wurde er sehr ernst, stand aus dem Rollstuhl auf und setzte sich zu ihr aufs Bett. Er nahm ihre Hand und bedeckte sie mit zärtlichen Küssen. „Schatz, ich muss dir etwas sagen“, begann er und überlegte, wie er es ihr am schonendsten beibringen konnte. „Ich werde morgen nicht bei dir sein können.“ Genau musterte er ihren Gesichtsausdruck, ehe er weitersprach. „Sebi braucht meine Hilfe. Aber ich werde diese Nacht bei dir bleiben und auch morgen Abend wieder hier sein. Das verspreche ich dir. In der Zwischenzeit, in der ich nicht da bin, wird dir Kim Gesellschaft leisten und ihr könnt so richtig über uns Männer herziehen und nach Herzenslust lästern. Na, ist das nicht ein toller Vorschlag?“ Andreas versuchte fröhlich zu lächeln, doch es misslang ihm gründlich.
Anne richtete sich blitzschnell im Bett auf und stellte die Rückenlehne hoch. Ernst sah sie ihren Freund an. „Was ist passiert? Und ich will keine Ausflüchte mehr hören. Schon vergessen, ich bin schon groß und kann das ab. Also, raus damit. Was ist los?“
Ihm blieb nichts anders übrig, als ihr von den beiden Anschlägen zu erzählen. Dabei ließ er aber einige Details weg, um Anne nicht unnötig aufzuregen.
„Und was wird morgen passieren?“, wollte sie dann wissen, dabei sah sie Andreas herausfordernd und forschend an.
„Schatz, bitte rege dich nicht auf. Ich werde mit Sebi nicht allein sein. Wir haben Hilfe bekommen. Mit Rashid und Ahmed sind wir sieben, und die Küstenwache ist immer in der Nähe. Die drei Männer, die uns helfen, sind hervorragend ausgebildete Männer mit Kampferfahrung. Es wird ein Spaziergang, versprochen. Und vielleicht passiert ja auch gar nichts und wir haben einfach nur einen schönen Tag auf See“, erklärte er geduldig.
„Ja klar, und den Weihnachtsmann gibt es wirklich“, gab Anne kurz zurück. „Das glaubst du doch selbst nicht.“
Andreas nahm sie in den Arm und küsste sie. „Maus, ich verspreche dir, ich werde vorsichtig sein.“
„Und welche Reihenfolge hast du für Abdul dieses Mal bestimmt, wenn doch etwas passiert?“, fragte sie plötzlich für ihn vollkommen unerwartet. Mit großen Augen sah er sie erschrocken an. „Wie meinst du das?“
„Tue nicht so. Der Doc hat mir davon erzählt, als du im Koma lagst. Du hattest darauf bestanden, als Letzter behandelt zu werden und ihm das als Versprechen abgenommen. Abdul hat sich hinterher miserabel gefühlt, weil du eigentlich die schwersten Verletzungen hattest und zuerst seine Hilfe gebraucht hättest. Ist dir überhaupt klar, wie er sich dabei gefühlt hat? Ist es dieses Mal auch wieder so?“
„Nicht ganz“, gab Andreas kleinlaut zu. „Die letzte Entscheidung liegt bei ihm.“
Anne nickte zufrieden. Keiner der beiden sprach noch ein Wort. Sie rutschte ein Stück, damit er sich neben sie auf die Bettdecke legen konnte. Er nahm sie in seinen Arm und streichelte sie zärtlich. Dabei schlief er nach einer Weile erschöpft ein. Denn er hatte schon die ganze Nacht nicht geschlafen, sondern hatte vor dem OP gewartet und war dann unterwegs gewesen. Dabei steckte ihm der Kampf mit dem Hai immer noch in den Knochen.
Als wenig später Doktor Mechier das Zimmer betrat, war Andreas sofort wieder hellwach.
„Anne, ich entführe dir den Mann mal kurz“, sagte Abdul lächelnd. Aber du bekommst ihn dann gleich wieder.
„Oh nein, Doc. Ich komme mit. Ich will die anderen sehen, die morgen mit Andy rausfahren.“ Und schon machte Anne Anstalten, aus dem Bett zu steigen.
„Bin ich hier im Irrenhaus oder was?“, fragte der Arzt entsetzt. „Seid ihr alle von den guten Geistern verlassen? Ja, ich scheine hier nur verrückte Freunde zu haben. Ich denke, ausreden kann ich dir das nicht mehr“, stellte er dann fest. Und schob auch schon den Rollstuhl für sie zurecht und half ihr gemeinsam mit Andreas, sich so gut und bequem wie möglich hinzusetzen. Abdul schob Anne, während Andreas ihnen in seinem Rollstuhl folgte.
Als sie in Doktor Mechiers Zimmer kamen, salutierte Eric Thomson vor seinem Vorgesetzten und ehemaligen Ausbilder, dann begrüßten sich die beiden Männer aber herzlich. Andreas stellte ihm Anne vor und umgekehrt. Anne betrachtete den kleinen Mann genau. Er war höchstens einen Meter sechzig groß, hatte dunkelblondes kurzes Haar und braune Augen. Es schien immer ein verschmitztes Lächeln auf seinem Gesicht zu liegen. Dann machte Andreas sie mit Hasan bekannt, von dem sie schon aus seiner Erzählung gehört hatte.
„Und wo ist der Dritte, von dem du gesprochen hast?“, wollte sie wissen. „Es ist Kasim aus der Siedlung, der Sohn von Anat und Ismael“, antwortete Abdul für Andreas. „Er hat sich auch freiwillig gemeldet und wird morgen wieder da sein.“
Zufrieden lächelte Anne dem Doc zu. Sie kannte Kasim schon länger und wusste, dass er ein guter Mann war. Dann begrüßte sie Kim und Sebastian, den sie gleich strafend ansah, leicht von sich schubste und ihn einen Dummkopf schimpfte, weil er noch ein zweites Mal getaucht war.
„Blöde Petze“, zischte Sebastian daraufhin Andreas zu. Und schon lachten wieder alle.
Doch dann wurde es wieder still im Raum. Abdul begann damit, seinen Freunden und dabei besonders Sebastian und Andreas zu erklären, welche Medikamente und Injektionen er für Andreas zusammengestellt hatte, welche Wirkungen sie hatten und wie sie sich mit Taucheinsätzen vertrugen. „Würdest du dich bitte wieder mal als Nadelkissen zur Verfügung stellen und mal dein Shirt ausziehen?“, forderte er dann Andreas auf.
Der rollte nur mit den Augen. „Ist ja für eine gute Sache“, raunte er leise und zog sein Shirt über den Kopf.
Doktor Mechier zeigte Sebastian, aber auch Hasan und Eric genau die Stelle, wo die erste Injektion neben der Wirbelsäule platziert werden musste und gab damit Andreas auch schon die erste Spritze. Er wies darauf hin, in welchen Abständen sie verabreicht werden musste, damit die Wirkung über den Tag anhielt. Er zeigte ihnen auch die anderen Injektionen und erklärte, dass sie wahllos ins Muskelgewebe gespritzt werden könnten, wenn es nötig werden würde. „Aber Vorsicht, Jungs! Das sind reine Aufputschmittel. Wendet sie wirklich nur an, wenn es unbedingt nötig ist“, warnte der Arzt und an Andreas gewandt. „Du entscheidest selbst darüber. Lässt sie dir geben oder nimmst sie selbst. Allerdings bitte wirklich nur, wenn du weißt, dass ein Einsatz bevorsteht und du merkst, dass es für dich ohne nicht zu bewältigen ist. Ich verlasse mich da auf deinen gesunden Menschenverstand.“
„Wow, dann kann ich also zu Superman werden“, scherzte Andreas.
Der Arzt überlegte kurz und sagte dann: „Wisst ihr was, Jungs? Euch traue ich alles zu. Ich glaube, es ist besser, ich komme selbst mit, ehe ihr Blödsinn damit anstellt.“
„Nein, Doc, da schiebt sich nichts zusammen. Das kommt gar nicht in die Tüte“, protestierten Sebastian und Andreas fast gleichzeitig.
„Aber dann könnte ich die Injektionen selbst setzen und wäre im Notfall auch sofort da“, meinte der Arzt und verstand die Ablehnung nicht.
„Abdul“, begann Andreas vorsichtig, „das ist gut von dir gemeint und eigentlich ein super Vorschlag. Doch was ist, wenn wir etwas brauchen, was du nicht in deiner großen Wundertasche hast? Oder was ist, wenn dir etwas passiert? Wen haben wir dann, der uns so schnell zu Hilfe kommen kann, wie du es für uns tust? Du kennst unseren Plan und kannst danach am besten handeln. Außerdem gibt es hier keinen, dem wir mehr vertrauen als dir. Bitte respektiere das einfach.“ Doktor Mechier gab sich geschlagen und erklärte weiter die Wirkung der zusätzlichen Medikamente. Dann gab er ihnen einen kleinen Arztkoffer, in dem alle Ampullen und Einwegspritzen sowie andere Sachen für die schnelle Erste Hilfe enthalten waren. „Ihr wisst damit umzugehen. Aber mir wäre es lieber, wenn ihr nichts davon brauchen würdet. Ich will euch nämlich alle heil wiedersehen und das in einem Stück. Das ist ein Befehl“, sagte der Arzt streng und die Männer standen sofort stramm.
„Jawohl Herr Generalstabsarzt!“, kam es, außer von Eric, von den anderen, wie aus der Pistole geschossen auf Deutsch und Arabisch zurück.
Sie gingen und fuhren dann gemeinsam zu dem großen Raum, in dem die Dekompressionskammer stand. Kim gab ihrem Mann einen lieben Kuss, bevor er durch das dicke Schott in den engen Innenraum der Kammer kroch und sich auf die Pritsche neben Hasan legte. Die massive Tür aus Stahl wurde hermetisch verschlossen und der Druck auf die letzten Tauchbedingungen der beiden Männer hochgefahren. Andreas winkte noch, wie versprochen, durch ein Bullauge seinem Freund zu und bekam prompt von ihm den Stinkefinger gezeigt. Doch sie lachten sich dabei fröhlich zu.
Sebastian betätigte den Schalter der Wechselsprechanlage. „Weißt du was, Andy? Ich schlafe mit der Gewissheit ein, dich morgen wieder mit Nadelstichen quälen zu dürfen. Daran zu denken, lässt für mich die Nacht im Flug vergehen“, sagte er und alle im Raum hörten es. Nun zeigte ihm Andreas den Stinkefinger und seine Zunge noch dazu, sodass alle lachen mussten.
„Ich glaube“, sagte Abdul auf die Gegensprechanlage drückend, damit es auch die beiden Männer in der Kammer hören konnten, „ihr beide werdet wirklich nie erwachsen.“ Der Arzt, der zur Überwachung der beiden mit in der Dekompressionskammer saß, hatte zwar nichts verstanden, aber konnte es sich zusammenreimen und lachte mit. Dann winkten sich die Freunde als Gutenachtgruß zu.
Kim und Eric bekamen ihre Zimmer gezeigt, wobei Kims direkt neben dem von Anne lag. Die Freunde verabschiedeten sich und schlossen die Türen hinter sich. Andreas half Anne aus dem Rollstuhl ins Bett und achtete darauf, dass sie mit ihrem Bein auch nirgends anstieß und es bequem ohne Schmerzen auf das weiche Kissen legen konnte. Behutsam deckte er sie zu. Dann löschte er das Licht und wollte gerade in sein Bett gehen.
„Andy“, bat Anne leise, „kommst du mit zu mir ins Bett? Ich möchte dich spüren und hier nicht allein sein.“
„Aber ich habe Angst, dir vielleicht im Schlaf ans Bein zu stoßen und dir damit wehzutun.“
„Das wirst du nicht. Das weiß ich“, sagte sie und rutschte schon ein Stück, um für ihn Platz zu machen. Als er sich zu ihr aufs Bett legte, war er ganz vorsichtig. Er legte seinen Arm um sie und Anne legte ihren Kopf auf seine breite, starke Schulter.
Er hielt sie liebevoll fest. „Nicht dass du mir aus dem Bett fällst, Kleines“, sagte er besorgt und küsste sie zärtlich.
„Das wird nicht passieren. Ich kuschle mich ja an dich an“, flüsterte sie, dabei legte sie ihre Hand auf seine Brust. Anne lauschte seinem ruhigen Herzschlag.
Er genoss die Wärme ihrer Hand auf seinem Brustkorb und war froh, sie einfach nur im Arm halten zu können. Er spürte ihren Atem auf seiner Haut, der langsam immer ruhiger und gleichmäßiger wurde. Anne war eingeschlafen. Wenig später schlief auch er.
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„Na klar. Das ist wieder typisch. Mich für die Nacht in ne Stahlkapsel in Größe einer Sardinenbüchse verfrachten und selber mit seinem Mädel kuscheln. Das kann ich vielleicht leiden. Genau so habe ich mir Freundschaft schon immer vorgestellt“, murrte Sebastian, als er früh in Annes Zimmer kam, um seinen Freund abzuholen und die beiden noch beim Abschiedskuss erwischte. „Dir auch einen guten Morgen“, sagte Andreas freundlich. „Warst du denn nicht noch mal bei Kim, bevor wir gehen?“, fragte er dann vorsichtig.
„Na glaubste etwa, ich bin mit voller Wucht gegen ne Betonmauer gerannt und davon blöd geworden? Logisch war ich bei Kim. Der Doc war gnädig und hat Hasan und mich schon vor einer Stunde aus dem Loch gelassen.“
„Und was regst du dich dann hier so künstlich auf?“, wollte Anne wissen und begann zu lachen. Dabei wusste sie genau, dass die Jungs ihr das vorspielten, um ihr den Abschied nicht so schwer zu machen. Sie hatte große Angst um ihren Andy, doch sie zeigte es ihm nicht, sondern sagte nur: „Seht zu, dass ihr die bösen Buben erwischt und haltet einander die Rücken frei.“ Leise fügte sie hinzu: „Kim und ich, wir warten auf euch. Brecht nicht euer Versprechen.“
Andreas ging noch einmal zu ihrem Bett zurück. „Das werden wir nicht.“ Er gab ihr noch einen lieben Kuss, nahm seinen Rucksack und verließ mit Sebastian das Zimmer.
Vor der Tür warteten schon Eric und Hasan. Anne hörte noch, wie sie sich begrüßten und sich dann ihre Schritte und Stimmen entfernten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Aber sie wusste, dass dieser Einsatz notwendig war und atmete mehrmals tief durch, um ihre Beherrschung wiederzufinden. Wenig später kamen Kim und Abdul in ihr Zimmer, um nach ihr zu sehen.
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Es war noch früh am Morgen, als die vier Männer vor der Tauchbasis ankamen. Sebastian schloss das Office auf. Er sah sich die Listen der angemeldeten Tauchgäste an und verteilte sie auf die einzelnen Boote und teilte die entsprechenden Tauchguides dazu ein. Dabei galt sein Augenmerk besonders den Neuanmeldungen.
In der Zwischenzeit traf auch Kasim ein und wurde von den anderen herzlichst begrüßt.
Andreas trat ins Büro. „Und was ist?“, wollte er von seinem Freund wissen.
„Zwei Männer und eine Frau, die sich unabhängig voneinander hier angemeldet und heute ihren ersten Tauchgang auf der Halbtagesfahrt haben werden. Alle drei haben sich aber erst gestern Nachmittag bei Kim eintragen lassen. Ich denke, die Frau können wir vernachlässigen, bleiben die beiden Männer“, meinte Sebastian und schob Andreas die Anmeldungen zu.
„Und sonst?“
„Alles alte Bekannte, die schon viele Jahre immer wieder hier herkommen. Damit nehmen wir die drei mit auf die Halbtagestour und ich degradiere unsere Leute hiermit zu Anfängern, also zu Neulingen auf der Basis. Was dich betrifft, so ist es eh egal, da du ja ebenso wie ich schon die Ringe einer Schießscheibe auf Stirn und Arsch trägst. Also brauchen wir dich nicht verstecken, sondern präsentieren dich im vollen Rampenlicht“, entschied Sebastian und grinste seinen Freund breit an.
„Das will ich aber auch meinen. Schließlich wollen wir den Kerlen ja Futter vor schmeißen. Ich hoffe nur, wir werfen unsere Angel nicht ins Leere“, meinte Andreas, dann ging er raus auf die Terrasse und wandte sich an die anderen: „Also Jungs, vergesst nicht, ihr seid hier neu und habt noch nicht so viele Tauchgänge. Achtet darauf, wenn ihr die Anmeldezettel ausfüllt. Von mir aus unterhaltet euch darüber oder schreibt die Anzahl der Tauchgänge und eine niedrige Ausbildungsstufe besonders dick und groß auf den Anmeldungsschein, damit die anderen es sehen“, erklärte er. Dann an Kasim gewandt auf Arabisch: „Kannst du etwas Deutsch verstehen und sprechen, Kasim?“
„Ja, das kann ich. Aber nicht ganz so gut wie du arabisch“, antwortete der junge Mann auf Deutsch.
„Gut. Dann seid ihr ab jetzt keine Ägypter mehr, sondern ein Türke und ein Tunesier, die sich über die deutsche Sprache miteinander verständigen können“, entschied Andreas. „Kasim, Hasan wird dir erklären, was wir vorhaben. Einigt euch, wer aus welchem der beiden Länder ist und sagt uns Bescheid, wenn ihr es ausgeknobelt habt.“
Die beiden Männer nickten ihm zu und Hasan flüsterte Kasim leise alles zu, was er wissen musste.
Dann wandte sich Andreas seinem ehemaligen Unterstellten und Schüler zu. „Ric, du warst immer bei allem vorn dabei während der Ausbildung. Nun bekommst du einen neuen und sehr interessanten Auftrag. Wir brauchen dich neben dem, was du kannst, auch als guten Schauspieler. Nicht übertrieben, sondern einfach nur perfekt. Erinnere dich dabei möglichst an deine ersten Tauchstunden oder wie sich vielleicht manch andere dabei angestellt haben. Genau das wollen wir von dir sehen. Trage auf der Anmeldung dann bitte OWD mit zehn Tauchgängen ein und versuche dich so gut wie möglich auch daranzuhalten. Aber keine Übertreibungen.“
„Aber was haben wir denn überhaupt vor? Ich weiß gar nicht, worum es eigentlich geht.“
„Lass dich überraschen, sei immer auf der Hut und spiele mit“, antwortete Andreas und lächelte. Eric Thomson nickte seinem Ausbilder zu. „Oh, und noch was, Ric. Werde hier einfach lockerer. Ich bin ein Mann, der in deinen Augen einen Riss in der Schüssel hat. Bekommst du das hin?“, fragte Andreas und sah dem Mann genau in die Augen, ehe er weiter sprach: „Unsere Zeichen kennst du. Sie gelten ebenso von Sebastian wie von mir. Ist das klar?“
Eric nickte wieder. Doch dann fragte er: „Und wie ist es mit den beiden Bimbos da?“ Dabei zeigte er verächtlich auf Hasan und Kasim.
„Was meinst du damit?“, wollte nun Sebastian wissen.
„Verstehen die solche Zeichen überhaupt? Die Kameltreiber kommen doch frisch aus der Wüste.“ Der Ton, wie auch die Wortwahl, gefielen Sebastian und Andreas nicht. Sie wurden sofort hellhörig. Ihre Blicke trafen sich nur kurz, dann reagierten sie beide und setzten sich dem Mann gegenüber auf die Bank.
„Ja, sie verstehen die Hand- und Mimikzeichen. Sogar nur ein angedeutetes Blinzeln“, erwiderte Andreas.
„Hast du ein Problem mit ihnen?“, hakte Sebastian nach.
„Ja“, gab Eric zu, „es sind und bleiben dreckige Araber“, sagte er abwertend.
„Falsch, mein Junge. Es sind Menschen wie du und ich und noch dazu enge Freunde. Aber wenn du einzelne Menschen und ganze Völker allein wegen ihrer Abstammung, Sprache oder Hautfarbe verurteilst, ohne etwas zu hinterfragen, dann bist du hier falsch. Du bist raus aus dem Einsatz und aus dem Team. Flieg wieder heim und vergiss das Ganze, ganz schnell“, entschied Andreas und wurde förmlich: „Das ist ein Befehl, Soldat. Also machen Sie sich vom Acker und melden Sie sich bei Ihrem Vorgesetzten auf dem Heimatstützpunkt zurück.“ Dabei warf er dem Mann schon seinen Rucksack über den Tisch hinweg zu. „Es tut mir leid. Ich schäme mich dafür, dass ich mich so in Ihnen getäuscht habe. Lassen Sie sich Ihre Papiere wiedergeben und suchen Sie sich einen anderen Job.“
Anstandslos, ohne auch nur einen Versuch, sich zu rechtfertigen, nahm Eric Thomson sein Gepäck und ging.
„Da hast du wohl mächtig in die Scheiße gegriffen, mein Kleiner“, meinte Sebastian.
„So könnte man es auch sagen. Ich bin froh, das jetzt erkannt zu haben. Und nicht erst, wenn wir schon draußen auf dem Meer sind und uns hätten auf ihn verlassen müssen. Ich frage mich, wie er diese Einstellung so lange verbergen konnte. Die Jungs werden doch genau unter die Lupe genommen, bevor sie bei uns anfangen dürfen. Der Mann hat bei uns keine Perspektive mehr. Dafür werde ich sorgen“, sagte der Korvettenkapitän mit streng verkniffenem Gesicht und sah dem jungen Mann kopfschüttelnd nach. „Ich habe etwas gegen Rassisten, die alle Menschen und ganze Völker über einen Kamm scheren, wo sie vor der eigenen Haustür genug zu kehren haben. Solche Leute sind gefährlich, und ich habe nun einen davon auch noch zur Kampfmaschine ausgebildet, ohne es zu wissen. Das hätte nicht passieren dürfen.“
Hasan und Kasim hatten alles mit angehört, was Andreas und Sebastian gesagt hatten, und schauten die beiden Männer beeindruckt an. Was die vier in dem Moment aber nicht wussten, dieser Eric Thomson, der eigentlich Emanuel Nietzsche hieß, war ganz froh darüber, schnell wegzukommen. Er verfolgte ganz andere Pläne.
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„Gut, nun sind wir zwar einer weniger als vorgesehen“, meinte Sebastian. „Doch das macht nicht wirklich viel aus. Also halten wir uns einfach an unseren Plan.“ „Wir werden drei Taucher mit aufs Boot nehmen, auf die wir etwas achten sollten. Zwei Männer und eine Frau“, erklärte Andreas den beiden Ägyptern. „Vielleicht wird unser Tag auch ganz ruhig verlaufen. Vielleicht aber auch nicht. Also halten wir alle schön die Augen offen.“
„Ihr wisst“, übernahm Sebastian wieder, „Andy und ich haben vor, etwas die Zielscheiben zu spielen. Und wir werden uns auch absichtlich nahe bei anderen Booten aufhalten, um zusätzlich noch Lockvogel zu spielen. Wir werden also immer in Blickkontakt zueinander bleiben, um keines der Zeichen, die einer von uns gibt, zu übersehen.“ Dann wandte er sich direkt an Hasan. „Wenn ich selbst zu der Zeit verhindert bin, aber Andy seine Injektion kriegen muss, dann wirst du sie ihm geben müssen. Du hast gestern zugesehen, als Doktor Mechier sie ihm gab. Traust du dir das zu? Der Doc hat vorsichtshalber den genauen Einstichpunkt mit wasserfestem Stift markiert.“
Der junge Mann nickte dem Mann selbstsicher zu. „Ja, ich weiß, dass ich nicht zu tief stechen darf und nur langsam spritzen muss.“
„Gut Hasan. Da darf aber auch wirklich nichts schiefgehen. Andy oder ich werden dir ein Zeichen geben, wenn du es erledigen musst. Dann sieh zu, dass du unauffällig nach unten in Ahmeds Kajüte kommst. Entweder Andy ist schon dort, oder er kommt wenig später nach. Wir werden dort den Arztkoffer deponieren“, erklärte Sebastian ernst.
Andreas sagte den beiden noch, dass sie jetzt hier gleich ins Nachbarhotel gehen können, wo sie als Gäste gemeldet sind, um in Ruhe zu frühstücken. Sie sollen dann, normal wie die anderen Tauchgäste auch, mit dem Pick-up zur Tauchbasis kommen. So, wie sie es schon besprochen hatten.
Sebastian und Andreas wünschten den beiden Männern einen guten Appetit und verabschiedeten sich für die kurze Zeit voneinander. Wenig später kamen Rashid und Ahmed vom Hafen zur Basis gelaufen. Die Freunde begrüßten sich herzlich.
Andreas entnahm dem Arztkoffer die erste Einwegspritze und eine Ampulle. Er steckte sich ein paar der Medikamente in die Hosentaschen, dann gab er Ahmed den Koffer und bat ihn, ihn gleich mit aufs Boot zu nehmen und bei sich in die Kabine zu legen. Danach verzog er sich mit Sebastian ins Office und ließ sich von ihm die erste Injektion setzen.
„Was macht eigentlich der Haifischkopf?“, fragte Andreas, während Sebastian die Nadel in seinen Rücken stach und die Kanüle bis kurz vor die Wirbelsäule seines Freundes trieb, um dort die Flüssigkeit langsam aus der Spritze zu drücken.
„Ich hoffe, ich habe dich richtig verstanden, dass du nicht den ganzen Kopf, sondern eigentlich die beiden Kiefer mit den blank geputzten Zähnchen haben möchtest.“
„Ja genau“, sagte Andreas und zuckte leicht, als es kurz, aber heftig an der Wirbelsäule entlang zu brennen begann.
„Ich habe ihn drei meiner Jungs mitgegeben. Sie kennen paar Fischer im Ort, die noch Ahnung davon haben, wie so etwas fachgerecht ausgeschält und präpariert wird“, erklärte Sebastian und zog die Nadel langsam wieder raus. Er drückte fest einen Tupfer auf die Einstichstelle. „Okay, fertig. Dann in zwei Stunden wieder.“ Und beide schauten auf ihre Uhren, um die Zeit für die nächste Injektion nicht zu verpassen. Sie hatten es bewusst so gewählt, dass sie zu diesen Zeiten nicht gerade im Wasser zum Tauchen sein würden, sondern vor dem Tauchen noch einmal und vorsichtshalber auch gleich danach, sollte bis dahin noch nichts passiert sein. Sebastian griff in die Schublade seines Schreibtisches und holte die letzten vier Notpacks, die er hatte, daraus hervor. Zwei davon reichte er an Andreas weiter. „Hier, steck sie dir ein. Für den Notfall. Ich nehme die anderen beiden. Ich hoffe, Jens bringt morgen wieder welche mit. Auf den Wunschzettel habe ich sie zumindest geschrieben.“
„Ich dank dir. Ich werde da auch gleich die Weißgrünen mit dazu packen. Bitte tue es auch. Dann brauchen wir nicht lange beim anderen zu suchen, sollte man ans eigene Pack nicht ran kommen“, schlug Andreas vor. Die beiden Freunde nahmen ihre Rucksäcke und packten die Ballonspritzen mit dem Serum gegen das Nervengift mit in die Notpacks. Jeder von ihnen wusste genau, wo er das Pack bei den Sachen des anderen schnell finden würde.
Sie hatten gerade alles wieder in ihre Rucksäcke verstaut, als die Tauchlehrer und Guides mit dem Minibus an der Tauchbasis eintrafen. Alle begrüßten sich freundschaftlich und jeder ging seiner Arbeit nach.
Andreas suchte sich eine ruhige und gemütliche Ecke auf der Terrasse, legte die Beine hoch und versuchte noch ein Nickerchen zu machen, bis der Trubel auf der Basis losgehen würde. Dabei ging ihm aber die ganze Zeit das Verhalten von Eric Thomson nicht aus dem Kopf, wie er, ohne noch ein Wort zu sagen oder sich zu rechtfertigen, sofort gegangen war. Etwas stimmt da nicht, dachte er immer und immer wieder. Doch so sehr er auch nachgrübelte, seine Gedanken drehten sich nur im Kreis. Er konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Wieso wurde sein Freund mit einem Mal auch angegriffen? Der Pockennarbige konnte ihn auf dem Boot unmöglich so genau gesehen und erkannt haben, erst recht nicht so viel von ihm wissen, um gezielt die Leute, die ihn im Knast besucht hatten, auf Sebi anzusetzen.
Noch während er darüber nachsann, trafen die ersten Tauchgäste ein. Andreas tat weiterhin, als würde er schlafen, um von ihnen nicht gestört zu werden. Denn er wusste, dass ein paar von ihnen ihm sofort ein Gespräch aufgedrängt hätten, nachdem er für sie nun der große Haifischjäger war. Natürlich richteten sich wieder alle Augenpaare auf ihn, und er hörte auch die Auslöser von Fotoapparaten klicken. Dabei musste er in sich rein schmunzeln. Denn auf den Bildern würde nicht mehr zu sehen sein, als ein schlafender Mann im weißen Shirt, neben dem Krücken standen und dessen Gesicht durch eine Sonnenbrille und den Schirm seines Basecaps total verdeckt war. Keine tolle Ausbeute also. Einige der Leute fragten sich sicher, wo denn die Frau sei, die bei ihm gewesen war und warum er selbst wieder hier war.
Aber das interessierte Andreas alles herzlich wenig. Er wollte einfach seine Ruhe haben und sich auf seinen Job konzentrieren können. Keiner der Leute bemerkte, dass sie von diesem schlafenden Mann in Wirklichkeit sehr genau und auch etwas misstrauisch beobachtet wurden.
Andreas hatte ein hervorragendes Personen- und Namensgedächtnis, deshalb bemerkte er rasch die drei Neulinge auf der Terrasse der Basis und sah dies kurz darauf bestätigt, als Sebastian ihm ein Zeichen gab.
Leicht rekelte er sich, als Zeichen, dass er sie auch schon entdeckt hatte.
Die beiden Männer verhielten sich vollkommen normal. Aber die Frau schaute immer wieder, wie sie wohl meinte, unauffällig in seine Richtung. Andreas schätzte sie auf vielleicht fünfunddreißig bis vierzig Jahre. Sie hatte blondes, sehr kurz geschnittenes Haar und schien ziemlich sportlich zu sein. Als er Hasan und Kasim entdeckte, die gerade mit dem Pick-up angekommen waren, kratzte er sich wie zufällig vor der Brust. Kasim strich sich übers Haar, als Zeichen, dass er verstanden hatte. Als würde er einen freien Platz suchen, blickte er sich genau um, bis er die Frau, die neu auf der Basis war, entdeckt hatte. Er setzte sich auf einen freien Stuhl ganz in ihrer Nähe. Auch Hasan schlängelte sich zwischen den anderen Tauchgästen durch und suchte sich einen Platz, von wo aus er diese Frau, die Kasim ihm per Blickkontakt kurz gezeigt hatte, gut sehen konnte.
Andreas beobachtete die beiden Männer, die ziemlich nahe beieinander blieben, dass er beide gleichzeitig im Auge behalten konnte.
Die ersten Gäste wurden mit den Pick-ups zu ihren Booten in den nahen Hafen gefahren und die Tauchbasis leerte sich langsam etwas. Sebastian übergab die Bürogeschäfte an Sandra und kam auf die Terrasse, wo er die verbliebenen Tauchergäste zu sich an einen langen Tisch bat. Er begrüßte die Neulinge, die er gleich nach ihren Vornamen fragte. Gerade als Kasim sich nach Hasan vorgestellt hatte, kamen drei Männer, mit großen, über ihre Schultern geschwungenen Tauchtaschen, auf der Basis an.
Ein kleiner Mann mit kurzem blondem Haar und blauen Augen fragte, noch während sich die drei dem Tisch näherten: „He Chef, können wir vielleicht auch noch mitmachen? Wir haben nur gestern die Anmeldung verschlafen.“
Andreas wurde hellhörig. Diese Stimme kannte er doch. Er schob seine Sonnenbrille etwas weiter Richtung Nasenspitze und schaute über den Rand der Brille. Er glaubte nicht, wen er da sah. Es waren tatsächlich Thomas, Uwe und Pitt. Sehr enge Freunde und Kampfgefährten.
Am liebsten wäre er aufgesprungen und zu ihnen gelaufen, um sie zu begrüßen. Aber er musste abwarten, was die drei vorhatten. Auch Sebastian erkannte die Freunde sofort, mit denen er oft im Einsatz gewesen war, bis das mit seinem Bein passierte. Alle drei waren doch erst voriges Jahr kurz vor Weihnachten hier, um die Mitglieder des Forschungsschiffes >Blue Sea< zu befreien und sind am Ende mit dem Goldschatz auf der >El Warda< zu seiner Tauchbasis zurückgekehrt. Auch Sebastian wäre am liebsten aufgesprungen und hätte sie herzlich begrüßt.
Aber als er bemerkte, wie ernst seine Freunde schauten, sagte er nur: „Etwas spät, meine Herren. Es ist wohl besser, wenn ihr euch erst mal drin im Büro anmeldet und dann morgen mit rausfahrt.“ Damit tat er so, als hätte sich für ihn die Sache erledigt, und begann den Leuten am Tisch den Ablauf auf der Tauchbasis zu erklären.
„Ach Mensch, gebt euch einen Ruck, es wird doch noch für drei Mann mehr Platz auf eurer Nussschale sein. Die Anmeldeformulare sind doch schnell ausgefüllt, und Klamotten brauchen wir auch keine von hier. Wir haben unser eigenes Zeug mit“, sagte ein groß gewachsener Mann mit dunkelbraunem Haar und braunen Augen. Es war Uwe, der immer den Kontakt zu ihm, auch für die anderen mit, aufrecht gehalten hatte.
Uwe, Sebastian und Andreas bildeten meistens eins der verschiedenen festen Teams bei Einsätzen.
„Na ja, okay, dann setzt euch mit her“, gab sich Sebastian dann doch, nach einer kurzen Diskussion mit den drei Männern, geschlagen und fing von vorn an alles kurz zu erklären. Dann stellten sich alle noch einmal mit Vornamen vor und Sebastian schrieb sich auch die Namen der drei auf. „Hasan, Kasim, Steffi, Horst, Michael, Uwe, Thomas und Pitt“, wiederholte er die Namen. „Okay, und dazu kommt noch Andreas, der als Guide mit uns rausfährt. Mein Name ist Sebastian. Ich bin der Leiter dieser Tauchbasis und ich werde euch heute begleiten und den Checkdive mit euch durchführen“, stellte er sich vor und gab dann die Anmeldeformulare aus.
Er schaute sich in der Zwischenzeit die Logbücher seiner Gäste an und überprüfte auch die Gültigkeit der letzten Tauchtauglichkeitsuntersuchung bei jedem Einzelnen. Dann fragte er, wer von ihnen keine eigene Ausrüstung hatte und sich von hier etwas leihen müsse. In dem Moment schlich Andreas leise zur Ausgabetheke und verschwand in der Werkstatt, die sich hinter dem Equipmentraum befand.
Alle hatten ihre eigene Ausrüstung. Nur der kleine, blonde Mann fragte, ob er vielleicht ein neues Membran für die zweite Stufe seines Cressi-Atemreglers bekommen könnte. Seines wäre wohl nicht mehr in Ordnung. Er würde es aber lieber selbst austauschen wollen, wenn er mal die Werkstatt benutzen dürfte.
„Was ist es denn für ein Cressi?“, wollte Sebastian von dem Mann wissen.
„Ein Cressi Ellipse Alaska“, gab Thomas zurück.
„Sandra!“, rief der Leiter der Tauchbasis laut. „Schau mal nach, ob wir noch Reparaturkitts für Ellipse Alaska haben!“ Dann lauschte er eine Weile. Eigentlich wusste er genau, dass noch Reparaturkitts da waren, denn er selbst benutzte ebenfalls einen solchen Reglertyp.
„Ja, Sebi“, hörte er dann Sandra, „hier sind noch zwei.“
„Danke. Eins können wir hier gut gebrauchen. Und funk mal im Hafen Rashid an, dass sie noch dreimal Nitrox, zusätzlich auf die >Amun Re< laden sollen“, dann wandte er sich an den Mann: „Tut mir leid, ich kann dir aber nur das ganze Set verkaufen.“
Thomas nickte. „Macht nichts, man kann ja alles irgendwie mal brauchen. Das geht schon in Ordnung“, sagte er.
Sandra brachte Sebastian eine kleine Schachtel, während der kleine Mann seinen Regler aus der Equipmenttasche zog, diese aber auch schnell wieder verschloss.
„Na dann komm mal mit“, sagte Sebastian und erhob sich vom Stuhl, während Sandra die Anmeldekarten einsammelte. Sie übernahm auch auf Bitte ihres Chefs die Belehrung und machte die Gäste mit der Tauchbasis vertraut und erklärte, wo sich was auf der Basis befindet, wie ein Morgen hier abläuft und worauf zu achten war.
Als Sebastian mit dem Mann, der ebenso groß wie er selbst war, in der Werkstatt ankam, schloss Andreas schnell hinter ihnen die Tür. Dann begrüßten und umarmten sich die drei Freunde erst mal herzlichst.
„Was macht ihr denn hier?“, wollte Andreas wissen.
„Jens war der Meinung, ihr könntet noch Hilfe von Profis brauchen und nicht nur von Ric. Wir sind hier vor einer Stunde mit einer Militärmaschine aufgeschlagen und haben etwas von unserem Spielzeug mit“, erklärte Thomas, dann stutzte er und fragte: „Wo ist Ric, unser Frischling, überhaupt? Ich habe ihn gar nicht gesehen.“ Sebastian berichtete ihm, dass sie Eric weggeschickt haben. Und Andreas erklärte, warum. Auch Thomas war sehr überrascht, das von dem Mann zu hören. Aber er fand die Entscheidung seiner Freunde, ihn daraufhin herauszuhalten, richtig.
Dann besah Thomas seine Freunde genau. Andreas stand auf Krücken vor ihm, die Unterarme und die Hand verbunden, in dessen Gesicht noch immer leicht Blessuren von einer Schlägerei erkennbar waren. Und auch so sah er nicht gerade sehr gesund aus. Auch an Sebastians Arm entdeckte er frische Narben und einen Verband. „Sagt mal, drehen die euch hier täglich durch den Fleischwolf, oder was?“, wollte er wissen.
„Ja, so ähnlich“, meinte Sebastian gequält lächelnd und erklärte dann seinem Freund, dass Hasan und Kasim, die vorn mit bei der Gruppe sitzen, zu ihnen gehören. Aber die anderen drei Typen stehen für den Tag unter ihrer Beobachtung. Und er erzählte von den gestrigen Anschlagsversuchen.
„Ja, davon hat uns Jens berichtet, bevor wir los sind. Er hat es von einem gewissen Abdul Mechier, oder so ähnlich, erfahren.“
„Ja, ich hatte keine Zeit mehr, Jens zu kontaktieren, weil mich dieser Clown da“, dabei wies er auf Andreas, „in die Blechbüchse stecken ließ und selbst nur sein Mädel im Kopf hatte.“
„Abdul ist hier der ägyptische Militärgeneralstabsarzt und ein sehr enger Freund, der auch jetzt wieder für uns in Bereitschaft ist“, erklärte Andreas schnell, dann ging er zum Hinterausgang der Werkstatt.
Er musste um das Gebäude drumherum laufen, um von vorn wieder auf die Terrasse zu gelangen, damit es so aussah, als käme er von der Toilette. Er ging wieder auf seine Krücken gestützt zurück zu seinem Platz in der Ecke, als sei nichts gewesen.
Nach einer Weile kamen auch die beiden Männer aus der Werkstatt zurück. Wenig später bestiegen die zehn Leute den Pick-up, während alle auf den Ladeflächen Platz nahmen, setzte sich Andreas mit seinen Krücken ins Fahrerhaus auf den Beifahrersitz.
Als Michael beim Tauchgepäck einem der im letzten Moment dazugekommenen Männer helfen wollte, lehnte dieser dankend ab und hob die Tasche spielerisch leicht auf die Ladefläche, bevor er selbst dazu stieg. Denn hätte dieser Michael die Tasche zu heben versucht, hätte er sehr schnell festgestellt, dass da mehr als nur Tauchequipment drin war.
Eine normale Tauchtasche konnte auch so schon schwer genug sein und gut und gern ein Gewicht zwischen 18 und 25 Kilogramm auf die Waage bringen. Nur die Taschen der drei Männer waren wesentlich schwerer.
Rashid und Ahmed halfen Andreas als Letzten an Bord und trugen seinen Rucksack in den Salon. Das Boot legte ab und nahm Kurs nach Süden, wo die meisten der Taucherboote heute hingefahren waren, weil doch ein etwas stärkerer Wellengang herrschte.
Hasan und Kasim wurden von Sebastian kurz darüber aufgeklärt, wer die drei Männer waren und dass ihr Plan bestehen bleibt.
Andreas zog sein Shirt aus, legte es auf seinen Rucksack im Salon, stellte die Krücken daneben und ging noch etwas vorsichtig zurück aufs Deck, um sein Equipment aufzurödeln.
„Man, du willst doch nicht etwa in dem Zustand tauchen, in dem du bist?“, fragte einer der Tauchgäste hinter ihm.
Andreas sah sich um. Da stand dieser Horst und grinste ihn dumm an.
„Wieso nicht?“, wollte Andreas, sich dumm stellend, wissen.
„Du bist doch eigentlich ein Krüppel.“
„Oh, und Krüppel dürfen wohl nicht tauchen?“, mischte sich Sebastian ein. „Ja, dann werden wir wohl wieder umkehren müssen, denn ohne Checkdive und Guide geht bei mir kein neuer Gast ins Wasser.“
Horst sah den Mann, es nicht ganz verstehend, an.
Sebastian zog sein Shirt aus, sodass der Mann auch seine alten und frischen Narben am Oberkörper sehen konnte. Dann zog er das Hosenbein hoch und klopfte gegen seine Beinprothese, als er sagte: „Du hast es hier mit noch einem Krüppel zu tun, der auch noch dein Guide für diesen Tauchgang sein wird, da du nur die OWD-Ausbildung und noch dazu erst zwölf Tauchgänge hast. Ich lasse prinzipiell keine Anfänger ohne Guide tauchen. Und der andere Krüppel da, der auch Tauchlehrer ist, wird die zweite Gruppe führen, weil wir ja nun ein paar Leute mehr geworden sind und es sonst zu lange dauern würde, ehe ich alle allein gecheckt habe. Hast du ein Problem damit?“
Mit großen Augen schaute Horst die beiden Männer an. Er schüttelte etwas beschämt mit dem Kopf und entschuldigte sich.
Nach und nach verzogen sich die Tauchgäste auf das Oberdeck und es entwickelten sich zwischen ihnen ein paar kleine Gespräche. Nichts deutete darauf hin, dass irgendetwas anders war, als auf anderen Booten, wo Menschen sich das erste Mal begegneten, um ihrem Hobby, dem Tauchen, nachzugehen.
Sebastian verschwand mit Andreas unauffällig nach unten in Ahmeds Kajüte, um ihm die Injektion zu geben. Dabei berieten beide, wie sie die Tauchteams aufteilen wollten. Schnell waren sie sich einig, dass Sebastian zusammen mit Hasan die beiden Männer und Andreas mit Kasim die Frau übernehmen würde. Ihre drei Freunde sollten ein eigenes Team bilden können, da sie ja schon so als Gruppe aufgetreten waren. Nur zum Checkdive wollten sie, dass in jeder Gruppe zumindest einer mit dabei war, um vielleicht zu entdecken, ob einer von den Dreien nur vorgab, erst so wenig Erfahrung beim Tauchen zu haben.
Sie nahmen die Gummimanschetten aus dem Arztkoffer, die Abdul ihnen mit hineingelegt hatte, damit sie ihre Verbände drum lassen konnten, sondern sie nur erneuern brauchten, sollten die Manschetten nicht dichthalten.
Als die beiden wieder von unten in den Salon kamen, sahen sie, wie die Frau sich, immer etwas in Deckung haltend, an Andys Equipment zu schaffen machte. Schnell gingen sie die Stufen wieder leise nach unten und warteten, bis sie hörten, wie sie wieder die Leiter zum Oberdeck hochstieg.
Ohne nach ihrem Equipment zu schauen, gingen sie auch gleich hoch aufs Deck. Sie sahen, wie die Frau deutlich und erleichtert aufatmete, weil sie glaubte, dass sie nicht bemerkt worden war.
Sebastian gab Pitt und Hasan ein Zeichen, mal nach Andys und seinen Sachen zu sehen. Miteinander über ihre Tauchausrüstung schwatzend, gingen die beiden Männer unauffällig nach unten, um sich gegenseitig ihr Equipment zu zeigen.
Schnell und sehr aufmerksam nahmen sie sich das Equipment ihrer Freunde vor. Es dauerte eine Weile, bis sie fündig wurden. In den zweiten Stufen der Atemregler ihrer Freunden befanden sich kleine Kapseln. Vorsichtig holten sie die Kapseln heraus und schauten sie sich genau an.
Hasan konnte nichts damit anfangen. Pitt aber schon. Er erklärte dem jungen Mann, dass die Außenhaut der Kapseln aus wasserlöslichem Material bestand, welche ein Gas oder Pulver freisetzten, sobald sie sich aufgelöst hatten. In dem Fall war es ein sehr schnell wirkendes Betäubungsgas, wie Pitt an der kleinen Aufschrift erkennen konnte.
„Wie lange braucht die Kapsel, bis die sich aufgelöst hat und das Gas freigibt?“, wollte Hasan wissen.
„Bei dem Salzgehalt hier im Roten Meer? Und etwas von dem Wasser kommt eigentlich immer, aber spätestens beim Check in den Regler … ich denke … etwa eine halbe Stunde“, schätzte Pitt.
Sie überlegten, was es bringen würde, die beiden nur schlafen zu legen, wo doch die anderen Taucher alle da wären und ihnen sofort helfen könnten. Sie sahen sich erschrocken an, als sie den gleichen Gedanken hatten. Sogleich kontrollierten sie die restlichen Atemregler und fanden auch da solche Kapseln. Sogar die Oktopusse waren damit präpariert. Nur bei drei Geräten war alles in Ordnung. Damit wussten sie Bescheid.
„Warum nehmen wir sie nicht einfach fest, wo wir doch jetzt wissen, dass sie es sind?“, fragte Hasan.
„Weil wir ihnen das so nicht einfach nachweisen können. Aber einen Überfall können wir bezeugen und somit nachweisen. Wir wollen sie fest haben, Hasan und nicht nach vielleicht zwei Monaten wieder laufen lassen müssen.“
Das verstand der Ägypter. Die beiden Männer gingen wieder zurück aufs Oberdeck und unterhielten sich darüber, wo sie schon überall im Urlaub waren und da auch getaucht sind. Bei der nächsten günstigen Gelegenheit gaben sie ihren Freunden das Zeichen für Schlafen und Pitt zeigte kurz eine der Kapseln. Außer Kasim hatten es alle verstanden. Hasan setzte sich zu seinem Freund und erklärte es ihm leise.
Rashid steuerte die >Amun Re< zum Erg Sabina, wo Ahmed die Leinen festmachte.
Sebastian setzte sich mit dem Rücken zum Kapitän und holte seine schon gemalte Briefingtafel vor. „Wir stehen am Erg Sabina“, begann er. „Wir werden hier als Erstes direkt unterm Boot unseren Checkdive machen. Die Gruppen nenne ich dann. Jetzt erst mal zum Tauchplatz. Nach dem Check tauchen wir unter dem Boot lang, folgen den Ankertauleinen zum Riff und beginnen es mit der rechten Schulter zur Riffwand zu umrunden. Diese Riffseite ist nicht so schön bewachsen, aber wenn wir hier um die Kurve kommen“, dabei zeigte er auf die Tafel, „erwartet uns eine etwas stärkere Strömung aus Norden. Also haltet euch möglichst nahe der Wand oder am Grund, um den Strömungsschatten zu nutzen. Wenn ihr hier rum seid, dann kommt ihr nach einer Weile zu einer Stelle, da seht ihr deutlich, dass ein großes Stück vom Riffdach abgebrochen ist und eine Geröllschneise gebildet hat. An diesem großen Trümmerstück geht ihr von der Riffwand weg und folgt eurem Kompass genau Richtung Norden. Nach etwa zehn bis fünfzehn Minuten, je nachdem, wie schnell ihr unterwegs seid und die Richtung richtig gehalten habt, trefft ihr auf das eigentliche Erg. Es sieht aus wie ein dicker Schornstein. Es ist wunderschön bewachsen und von vielen Fischarten besiedelt. Schaut immer mal nach oben. Dort halten sich meist kleine Sardinenschwärme auf, die von Makrelen gejagt werden. Ein sehr interessantes Schauspiel. Je nach eurem Luftverbrauch umrundet dieses Erg ruhig in unterschiedlichen Tiefen. Bei hundert Bar heißt es Tschüss und ihr tretet den Rückweg mit der Strömung an. Wer will und noch genug Luft hat, kann noch etwas südwestlich tauchen, wo ein kleiner Korallengarten zu finden ist. Wer das tut, denkt aber daran, euch dann östlich zu halten, um zum Hauptriff zurückzukommen. Nicht, dass wir euch dann irgendwo anders wieder auflesen müssen. Der Tauchplatz ist hier nicht tiefer als zwölf Meter, wie ihr seht. Kommt ihr wesentlich tiefer, seid ihr irgendwo falsch abgebogen. Soweit klar oder gibt es Fragen zum Tauchplatz?“, wollte Sebastian nach seiner genauen Erklärung wissen und schaute in die Runde. Aber keiner sagte etwas. „Gut, dann komme ich jetzt zur Einteilung der Gruppen zum Checkdive und den Buddyteams nach dem Check.“ Er zog einen Zettel aus seiner Hosentasche, faltete ihn auf und las vor. „Zum Checkdive kommen mit mir Horst, Michael, Thomas, Hasan und Uwe.“ Er schaute die Leute dabei nacheinander an. „Mit Andreas gehen Steffi, Pitt und Kasim. Nach dem Checkdive bleiben Horst, Hasan und Michael bei mir und passen schön auf mich auf. Steffi bildet ein Team mit Kasim. Ihr passt auf Andreas auf. Bitte bleibt direkt hinter ihm, da ihr erst wenige Tauchgänge habt und es euch noch an Erfahrung fehlt. Thomas, Pitt und Uwe verabschieden wir nach dem Check. Ihr habt den AOWD und hinreichend Tauchgänge, um dann allein loszuziehen. Außer, ihr möchtet euch unseren Gruppen anschließen. Das ist euch überlassen.“
Die drei Angesprochenen sprachen sich kurz ab und entschieden dann, vielleicht bei den schon eingeteilten Gruppen zu bleiben.
„Wir wollen uns nicht gleich den ersten Tag die Blöße geben und uns vertauchen“, meinte Uwe verlegen und alle mussten lachen.
„Gut“, sagte Sebastian, „dann schließt euch uns an. Aber gebt uns ein Zeichen, wenn ihr uns doch verlassen wollt.“
Die drei Freunde nickten.
Sebastian sah gerade noch, wie Andreas zwei der Aufputschpillen in den Mund schob und mit Wasser nachspülte. Kurze Zeit später stand er auf. „Klasse, dann lasst uns Spaß haben und tauchen gehen“, sagte Andreas. „Damit wir nicht so ein Gedränge auf dem Deck haben und uns beim Anrödeln nicht gegenseitig auf die Füße treten, geht meine Gruppe zuerst. Außerdem würde ich, damit wir im Wasser nicht nur Neoprenfische sehen, schon auf dem Hinweg den Korallengarten wählen und den etwas kürzeren Weg zurücknehmen“, schlug er vor und fragte: „Jemand von euch was dagegen?“ Alle schüttelten den Kopf.
Als die vier nach unten kamen, standen Ahmed und Rashid schon bereit, um den Tauchgästen beim Anlegen ihrer Ausrüstung zu helfen. Andreas streifte sich die engen Gummimanschetten über die Verbände seiner Arme und der Hand, damit sie nicht nass werden konnten. Er bedankte sich höflich bei Steffi, die ihm dabei behilflich war, als sie sah, dass er damit ein paar Probleme hatte.
Andreas und Pitt legten ihren Taschenbleigurt um, von dem die anderen glaubten, er würde auch genau als dieser dienen. Doch das wenige Blei, was sie brauchten, hatten beide, ebenso wie Sebastian, Uwe und Thomas, in versteckten Trimmtaschen in ihren Jacketts verteilt.
Als sie nach dem Buddycheck ins Wasser sprangen, schauten die Männer noch einmal auf ihre Uhren. Dann tauchte die kleine Gruppe ab und Sebastian ging mit seinen Tauchern nach unten, um sich fertig zu machen.
Ahmed half seinem Freund beim Anlegen der Gummimanschette. Dabei sagte Sebastian ihm leise, dass sie wieder aufmerksam sein sollten. Unmerklich nickte ihm der junge Mann zu und wünschte viel Glück.
Fortsetzung folgt
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