Unter Beobachtung
17. Teil
17. Teil
86
Nach dem gemeinsamen Frühstück fuhr Abdul Jens auf dem Weg zum Lazarett bei Oberstleutnant Mahmud Kebier vorbei, wo er sich als Erstes noch einmal Heiko Gröpers vornehmen und dann auch einige seiner Leute verhören wollte. Andreas und Anne fuhren mit ihren Eltern, die sich sehr dafür interessierten, auf die Tauchbasis >Red Sea Dive Resort< zu Alfred und Isolde, um noch ein paar Übernahmebedingungen zu klären. Anne und Andreas wollten das Paar darum bitten, die Basis noch so lange weiterzuführen, bis es Andy gesundheitlich wieder besser ging, um die gut laufende Tauchbasis bis dahin nicht verwaisen zu lassen. Sebastian wollte kurz auf seiner Basis vorbeifahren, um nach dem Rechten zu schauen und dann schnell wieder zu seiner Frau und den Kindern zurückkehren. Pitt, Uwe und Thomas hatten sich in den Kopf gesetzt, für Abdul, Andreas und Anne ein neues Boot zu beschaffen, nachdem das andere ja in kleinen Stücken auf dem Meeresgrund verteilt lag. Dafür zogen sie sich in die, erst vor einiger Zeit provisorisch eingerichtete, Einsatzzentrale zurück. Gleich an zwei Computern surften sie, auf der Suche nach dem richtigen Boot für ihre Freunde, durchs Internet.
87
Eine Woche später begleiteten sie Walter und Erika zum Flughafen. Auf Walter wartete viel Arbeit. Jens versprach ihm, ihn auf dem Laufenden zu halten, was die weiteren Befragungen betraf. Da Jens aufgrund seines Tauchunfalls noch Flugverbot hatte, wurde entschieden, dass die Gefangenen ebenfalls bleiben sollten, bis die Befragungen abgeschlossen waren, ehe sie nach Deutschland überführt werden.
Die Freunde versprachen Annes Eltern, sie spätestens zur Hochzeit von Anne und Andreas wiederzusehen und bis dahin gespannt den Prozess zu verfolgen.
Aufgrund ihrer Verletzungen waren Jens, Pitt, Uwe und Thomas nicht dienstfähig und blieben weiterhin die Gäste von Andreas und Anne, bis sie wieder gesund sein würden. Sie und Abdul versprachen, gut auf Anne und Andy aufzupassen.
So schwer den Eltern auch der Abschied fiel, sie wussten ihre Kinder, wie Walter gerne sagte, bei ihren Freunden in Sicherheit. Denn kein Mensch kann mehr für einen anderen Menschen tun, wie sie es getan hatten und wieder tun würden.
Jens flog, kaum dass er von Doktor Mechier die Flugerlaubnis nach seinem schweren Tauchunfall erhalten hatte, sofort nach Deutschland zurück. Er wurde zusammen mit den Gefangenen von einer Militärmaschine abgeholt. Nacheinander flogen dann auch Uwe und Thomas zurück, um ihren Dienst wieder anzutreten. Nur Pitt blieb weiterhin bei Anne und Andreas. Er hatte bei der Explosion ein schweres Knalltrauma erlitten und war damit noch nicht wieder diensttauglich.
Anne und Andreas übernahmen ihre Tauchbasis. Da Pitt nicht nur herumsitzen wollte, half er, trotz seines Handicaps, auf der Basis mit als Tauchguide und Tauchlehrer, wofür er ebenso wie Andreas eine Ausbildung hatte. Während Anne im Office arbeitete, fuhren die beiden Freunde immer gemeinsam auf der >Amun Re<, mit den Tauchgästen aufs Meer.
Anfangs versteckten die Männer ihre vernarbten Oberkörper unter ihren T-Shirts. Dann machte Pitt, der weniger Narben hatte, den Anfang. Er verzichtete auf dem Boot anfangs beim Tauchen und dann auch in der Mittagspause zum Sonnen auf sein Shirt. Natürlich schauten die Tauchgäste etwas erschrocken, doch sie gewöhnten sich mit der Zeit daran. Sodass Andreas ebenfalls wieder Mut fasste und seinen Oberkörper nicht mehr zu verstecken versuchte.
Anne sorgte dafür, dass die beiden immer dieselbe Tauchgruppe auf der >Amun Re< hatten und sie nur wenig Neue mit einem Mal aufs Boot bekamen.
Da sich die Tauchgäste, die schon länger auf dem Boot waren, an den Anblick gewöhnt hatten und ganz normal damit umgingen, kamen die neu dazugekommenen Touristen schneller damit klar. Sodass Pitt und Andreas bald überhaupt nicht mehr darauf achteten. Anne war sehr froh darüber.
Und da sich die Erzählungen über den Kampf mit dem Hai hielten und immer wieder weitergetragen wurden, war der Wunsch der Tauchgäste groß, mit der >Amun Re< rausfahren zu können und dabei Andreas als Tauchguide zu haben. Doch Anne verteilte die Leute gleichmäßig und gerecht auch auf die anderen Boote mit den Tauchlehrern und Guides.
Oft trafen sie sich an den Ankerplätzen zur Mittagszeit mit den Booten der befreundeten Tauchbasis von Sebastian und Kim und freuten sich besonders, wenn auch wieder mal ihr Freund Sebastian selbst mit auf dem Boot war.
Beide Tauchbasen hatten eingeführt, dass die Besatzungen ihrer Taucherboote gemeinsam mit den Gästen essen und nicht, wie sonst allgemein üblich, erst hinterher. Allerdings achteten sie darauf, dass die Guides das vor jeder Ausfahrt ankündigten und sie auch immer Taucher, die neu an Bord kamen, extra noch danach fragten, ob es ihnen recht sei. Ebenso wurde berücksichtigt, ob die Bootsbesatzungen das wollten. Das kam bei beiden Seiten sehr gut an. Das Verhältnis zwischen Gästen und den ägyptischen Besatzungen untereinander wurde freundlicher und offener. Es ergaben sich dabei richtige Freundschaften.
Natürlich waren die Tauchlehrer in den Pausen als Dolmetscher gefragt. Und sie taten es gern, bemerkten sie doch auch, wie positiv sich das auswirkte. Glücklicherweise sprachen viele Männer der Bootsbesatzungen etwas Englisch, sodass die Guides, die kein Arabisch sprachen, ihre Englischkenntnisse zu Hilfe nehmen konnten.
Auffällig oft wurde gerade die >Amun Re<, auf der sich Andreas und Pitt befanden, von einer Gruppe Delfinen begleitet. Die beiden Freunde lächelten sich dann nur wissend zu und ließen die Gäste zum Schnorcheln ins Wasser, wenn dies möglich war. Doch keines der Tiere ließ sie nahe an sich herankommen. Es sah eher so aus, als würden sich die Tümmler einen Spaß daraus machen und mit den Menschen Hascher spielen. Sie lockten sie immer weiter weg und wenn die Schnorchler aufgeben wollten, kamen die Delfine ein Stück zurück und lockten sie aufs Neue heraus, ihnen wieder zu folgen. Andreas und Pitt verzichteten bewusst darauf, dabei selbst ins Wasser zu gehen. Sie wussten, wenn die Delfine sie am Boot besuchten, dass sie die Tiere an diesem Abend in der Bucht vor dem Palast treffen würden und mit ihnen schwimmen konnten.
88
Drei Monate später standen Anne, Andreas, Kim und Sebastian mit den Zwillingen, Abdul, Pitt, Ahmed, Rashid, Hasan, Kasim und Oberstleutnant Kebier morgens am Flughafen und warteten auf die Landung der Boeing 737 aus Deutschland. In der Maschine saßen Annes Eltern, Jens, Thomas und Uwe. Herzlich begrüßten sich alle in der Ankunftshalle. Mahmud hatte dafür gesorgt, dass sich Soldaten um das Gepäck der Freunde kümmerten.
In einem großen Konvoi fuhren sie zum Palast. Pitt stellte seinen Freunden Hatifa, die Krankenschwester, die sie schon aus dem Lazarett kannten, als seine Freundin vor und bekam dabei sogar einen roten Kopf.
Nachdem sich alle auf ihren Zimmern etwas frisch gemacht hatten, trafen sie sich an einer großen Tafel auf der Terrasse wieder. Annes Eltern betrachteten lächelnd das kleine Bäuchlein ihrer Tochter.
Walter berichtete von den Vorbereitungen zum Prozess. Jens richtete die besten Grüße von den anderen Freunden aus Deutschland aus und erzählte, wie es ihnen allen ging. Nach dem gemeinsamen Essen zog er sich Pitt zur Seite.
„Bist du wirklich sicher, dass du aus dem Dienst ausscheiden willst?“, fragte Jens. „Auch wenn du nicht mehr in den aktiven Dienst darfst, kannst du doch einen Platz als Ausbilder oder strategischer Berater bekommen.“
„Nein, Jens, das ist nichts für mich. Ich war immer bei der kämpfenden Truppe und habe nur nebenbei auch ausgebildet. Das weißt du. Aber nur noch Theorieausbilder, der auf dem Trockenen und hinterm Schreibtisch sitzt, das ist nichts für mich. Ich fühle mich hier sehr wohl und jetzt, wo ich Hatifa habe … Es tut mir leid. Aber ich habe mich entschieden.“
Jens hörte das nicht gern, konnte seinen Freund jedoch sehr gut verstehen. „Aber wenn es Not am Mann ist, dann würdest du uns schon auch mal, so wie zum Beispiel Sebi hier, helfen?“, fragte er dann unsicher.
„Klar doch, ich bleibe doch Korvettenkapitän der Reserve. Oder etwa nicht?“
„Nein, da muss ich dich enttäuschen, das wirst du nicht bleiben“, sagte Jens ernst, mit fester Stimme. „Ebenso wenig wie Andy.“ Als er in das verdutzte Gesicht von Pitt sah, musste er aber lächeln und erklärte: „Ihr werdet nämlich beide zum Fregattenkapitän befördert und erhaltet Sondervollmachten, wenn ihr die wollt, ebenso wie Uwe und Thomas und die anderen von uns. Ja, und Sebi, auch wenn er eigentlich ausgemustert wurde, darf ich mitteilen, dass er zum Korvettenkapitän ernannt wird. Er wird sich ab dann, also Korvettenkapitän a.D. schimpfen dürfen. Ich bin befugt ihn zu fragen, ob er auch der Reserve mit Sondervollmachten beitreten möchte, da nun alle gesehen haben, dass er absolut nicht zum alten Eisen gehört, trotz seiner Prothese.“
„Wow“, meinte Pitt. Mehr brachte er in dem Moment nicht heraus. „Und wann willst du es den beiden sagen?“, fragte er dann.
„Übermorgen zu Andys Hochzeit. Dort wirst du es auch erst offiziell erfahren, ebenso wie Uwe und Tommy. Ich habe dafür meine ausdrücklichen und genauen Befehle erhalten“, erklärte Jens ernst.
„Und warum sagst du es mir schon heute?“, wollte Pitt wissen.
„Weil ich noch nie was vor dir geheim halten konnte“, gab Jens zurück und grinste seinen Freund an, als er weiter sprach: „Aber es gibt auch einen anderen Grund. Ich habe Andys und deine Paradeuniform, wie auch noch eine für Sebi, im Gepäck und ich brauche einen Verbündeten, der den beiden klarmacht, dass sie die zur Hochzeit tragen müssen. Denn ich werde dann auch Andy, erst nach der Beförderung, in die Reserve entlassen, genauso wie dich. Wir haben unsere Uniformen auch im Gepäck, da wir laut Befehl als offizielle Vertreter und nicht nur als Freunde bei der Hochzeit auftreten sollen. Sebi erhält die Ernennungsurkunde und die Schulterstücke ebenso feierlich überreicht.“
„Aber in der Wüste brauchen wir die Uniform doch hoffentlich noch nicht tragen?“, fragte Pitt unsicher.
„Wie meinst du das? Wollen die beiden etwa mitten in der Wüste mit nur Sand und nichts drumherum heiraten?“, wollte Jens wissen und sah seinen Freund entsetzt an.
Pitt erklärte ihm, dass Anne und Andreas vor hatten mit ihnen allen noch heute in die Wüste zu ihrem befreundeten Beduinenstamm zu fahren. Und es geplant sei, dass sie dort auch über Nacht bleiben, da die Feier bestimmt bis weit nach Mitternacht gehen würde. Es sei aber nicht die eigentliche Hochzeit, sondern eben nur ein Besuch bei Freunden. „Andere machen einen Polterabend und die beiden schleppen uns in die heiße Wüste. Aber morgen, im Laufe des Tages, sollten wir wieder zurück sein“, schloss Pitt seine Erklärung.
Nun staunte Jens. Zugleich freute er sich aber auch schon darauf, diese Wüstenmenschen kennenzulernen. „Cool“, meinte er daraufhin nur.
„Wann trifft die Jacht, die wir für die beiden ausgesucht haben, hier ein? Ich hoffe doch nicht, während wir nicht da sind?“, fragte Pitt dann besorgt.
„Nein, eigentlich dürfte sie morgen am späten Nachmittag da sein. Sie ist vor dem Sueskanal und ich habe die Crew gebeten den Zeitplan genau einzuhalten. Wir werden telefonieren, sollte etwas dazwischenkommen“, antwortete Jens ruhig. Pitt nickte ihm zufrieden zu und die beiden Freunde gingen wieder zu den anderen zurück.
Anne verkündete gerade, dass sie sich alle leichte Baumwollkleidung anziehen sollten, da sie in einer Stunde gern mit ihnen ein Stück in die Wüste fahren und dort übernachten wolle.
Leider konnten Abdul Mechier und Mahmud Kebier selbst nicht mitkommen, sie hatten noch Dienst. Aber Mahmud gab Hasan und Kasim, mit weiteren drei Marines als Eskorte in einem Jeep, dem kleinen Konvoi von vier Wagen, zum Schutz mit.
Anne, Andreas, Kim und Sebastian hatten den Kofferraum ihrer Autos schon mit Lebensmitteln und Geschenken beladen. Anne übernahm mit ihrem Toyota, in dem ihre Eltern und Jens saßen, die Führung. Ihr folgte Kim mit den Zwillingen, danach Sebastian mit Rashid, Ahmed und Thomas. Andreas bildete mit Pitt, Hatifa und Uwe den Schluss. Der Jeep mit Kasim, Hasan und den Marines fuhr etwas seitlich von ihnen auf dem Weg durch die Wüste. Alle Wagen waren über Funk miteinander verbunden, denn Pitt hatte schon im Vorfeld darauf bestanden, die Headsets zu nutzen.
„Hey, welche verrückte Person führt hier den Konvoi an?“, meldete sich Andreas schon nach nur wenigen Kilometern, die sie durch den Wüstensand fuhren. „Ich komme mir ja vor wie auf der Dakar Rallye. Nur dass ich wohl hier der Verlierer bin, der den Sand der Sieger schlucken muss“, rief er lachend, seine Freundin anstachelnd.
Daraufhin gab Anne nur noch mehr Gas und die Freunde mussten lachen. Nur Annes Eltern wurde es dabei angst und bange. Selbst draußen auf dem Meer war der aufwirbelnde Sand der Fahrzeuge in der Wüste noch zu sehen.
„Du bist kein bisschen vernünftiger geworden, Kind“, stellte Walter nach einer Weile dann doch lachend fest. „Dabei hoffte ich, dass du nun, wo du selbst ein Kind erwartest, langsam mal erwachsen wirst.“
„Das werde ich niemals, Paps“, rief Anne fröhlich. „Man sollte doch immer merken, dass man lebt. Das hast du mir selbst beigebracht.“
„Ja, stimmt“, gab ihr Vater zu. „Nur als ich das sagte, habe ich nicht damit gerechnet, dass du es mal so auslegen würdest.“
Nach einer Weile meldete sich Kim, dass sie eine Pause brauche, da die Zwillinge wohl frische Windeln und was zu essen bräuchten. Schnell und ohne weitere Absprache stellten sich die fünf Wagen in einem Kreis auf und die Insassen verließen erst die Autos, nachdem sich der Sand und Staub, den sie aufgewirbelt hatten, wieder gelegt hatte.
Erika, Hatifa und Anne kümmerten sich mit Kim um die Versorgung der Zwillinge, während sich die Männer etwas die Beine vertraten. Andreas bemerkte, wie sich aus der Ferne ein paar Reiter auf Kamelen näherten. Schnell lief er zu seinem Ford und gab ein bestimmtes Hupsignal.
„Das sind unsere Freunde“, erklärte er dann den anderen. Und winkte schon mit einem Turbantuch.
Noch bevor die Kamelreiter im wilden Galopp richtig nahe heran waren, schrie einer von ihnen auf Arabisch: „Du brauchst hier keinen Krach zu machen, großer Delfin. Eure Staubwolke war weit hin durch die ganze Wüste zu sehen. Scheich Emad, hat uns euch zur Begrüßung entgegengeschickt. Wir haben unser Lager dieses Mal weiter südlich an einer größeren Wasserstelle aufgeschlagen.“
Die zwölf Reiter begrüßten herzlich die Freunde von Anne und Andreas. Sie übergaben ihnen Turbantücher und halfen ihnen dabei, sie richtig zu binden. Dann blieben sie völlig entzückt vor den Zwillingen stehen, die gerade auf einer Decke in der Wagenburg gefüttert wurden. Sie verneigten sich vor ihnen und den Frauen. Als sie Annes Bauch sahen, jubelten sie laut, in einer schrillen Tonlage auf.
„Na toll, nun wissen es hier schon alle im Umkreis von mehreren Kilometern, dass ich schwanger bin“, meinte Anne wenig begeistert. „Dabei wollten wir sie doch damit überraschen.“ Sie band sich ihr weißes Turbantuch um und half dann ihrer Mutter dabei. Dabei erklärte sie ihr, als sie das Ende vor ihr Gesicht legte und festmachte, dass es sie leichter atmen lassen würde, wenn sie beim Stamm wären, da dort der Sand, wie sie von den Reitern des Stammes erfahren hatte, von einem leichten Wind aufgewirbelt wird. Kim hatte dabei bereits mit feinen Seitentüchern für die Kinder gesorgt und sie über die Kleinen in ihren Kindersitzen gespannt, als sie wieder im Auto saßen.
Dann folgten die fünf Wagen den zwölf Reitern, die ein ordentliches Tempo vorlegten, um schnell mit ihren Freunden bei ihrem Stamm anzukommen, der sie schon erwartete.
Auf dem restlichen Fahrtweg klärte Anne ihre Eltern und Jens über die Sitten und Bräuche des Stammes auf, damit sie nicht erschraken, wenn nach der Begrüßung auf einmal die Frauen von den Männern getrennt und ins Frauenzelt geführt würden. Und dass sie in dem Stamm den Namen Wilde Wüstenblume trug und Andreas dort großer Delfin genannt wurde. Für Erika und Walter war das eine vollkommen neue Welt. Sie waren schon sehr gespannt darauf. Sie freuten sich, auch diese Freunde ihrer Tochter endlich kennenlernen zu dürfen, von denen ihnen Anne nie etwas erzählt hatte, sie es aber von Doktor Mechier erfahren hatten.
Als sie das Beduinendorf erreichten, standen da schon alle Stammesmitglieder jodelnd und tanzend da. Kaum dass sie aus ihren Wagen ausgestiegen waren, wurden Anne und Andreas von ihnen umringt. Anne stellte ihnen ihre Eltern vor. Erika und Walter wussten gar nicht, wie sie sich verhalten sollten, als sich die Leute vor ihnen tief verneigten. Danach stellten Andreas und Anne gemeinsam ihre mitgebrachten Freunde vor und wollten gerade erzählen, was diese alles für sie getan hatten.
Doch Scheich Emad unterbrach sie dabei. „Das ist nicht nötig, der Wüstenwind hat uns das schon zugetragen“, sagte er und verneigte sich auch vor ihnen leicht und bedankte sich für das Leben ihrer Stammesfreunde, die sie zu ihrer Familie zählten. Dabei übersetzten die Freunde Annes Eltern alles was gesprochen wurde.
Anne öffnete den Kofferraum ihres Toyotas und übergab den Frauen des Stammes Kindernahrungsmittel für die Kleinen und einige neue Kindersachen und Stoffe. Andreas, Kim und Sebastian öffneten den Kofferraum ihrer Wagen, in denen Lebensmittel, Medikamente und Gebrauchsgegenstände für sie als Geschenk lagen. Schnell räumten sie gemeinsam alles aus. Dann zogen die Frauen Kim mit den Zwillingen, regelrecht vereinnahmend, Hatifa, Anne und ihre Mutter mit sich fort. Obwohl Walter schon von seiner Tochter darüber aufgeklärt worden war, schaute er seinen beiden Frauen doch etwas verunsichert nach.
Als Andreas das bemerkte, nahm er Walter bei der Schulter. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Die Frauen sind gut aufgehoben. „Lass dich einfach überraschen“, sagte er und zwinkerte seinem zukünftigen Schwiegervater lächelnd zu.
Doch erst als Walter auch Sebastian lächeln und ihm zunickend sah, war er wirklich beruhigt. Auch Pitt war es nicht egal, dass seine Hatifa von ihm weggerissen wurde. Doch er kannte diese Art von Bräuchen auch schon von Hatifas Erzählungen. Der Stammesälteste und Scheich bat die Männer auf den Hauptplatz, wo gerade ein großes Feuer entfacht wurde, um das Decken und Kissen gelegt waren. Emad forderte die Gäste auf, mit ihnen allen Platz zu nehmen. Frauen reichten ihnen Tee und jüngere Männer
brachten schnell Wasserpfeifen heran. Es ertönten Trommeln und Flöten, wozu die Männer rhythmisch klatschten.
Als die ersten Frauen aus dem Zelt traten, verstummte die Musik und alle Augen waren auf den Eingang des Zeltes gerichtet. Anne verließ es als Erste durch das Spalier der Stammesfrauen. Andreas erkannte sie trotz des Schleiers sofort, da sie ihren Kopfschmuck trug, den sie von den Beduinen geschenkt bekommen hatte. Er erhob sich ehrfürchtig bei dem Anblick der wunderschön in Rot gekleideten Frau, die auf ihn zuschritt. Leise raunte er Walter zu, dass die Frau dahinter seine Erika sei. Walter war überwältigt von dem Anblick. Sebastian erkannte auch seine Kim im blauen Kleid sofort und Pitt bekam feuchte Augen, als seine Hatifa, von zwei Frauen geführt, in einem gelben Kleid auf ihn zuschritt.
„Überlege gut, was du nun tust, mein Freund“, raunte Andreas ihm leise zu und lächelte dabei. „Ich habe dir erzählt, wie es bei uns war. Du bist hier ganz schnell verheiratet, wenn sie merken, dass ihr gut zusammenpasst und etwas füreinander empfindet.“
„Meinst du wirklich?“, fragte Pitt unsicher nach. Andreas, sowie auch Anne, die noch immer verschleiert war und schon vor Andreas stand, nickten ihm zu.
Walter besah sich seine Erika so in der Festtagstracht der Beduinenfrauen von allen Seiten und war einfach nur überwältigt. Sebastian nahm Kim in seine Arme und fragte leise nach den Zwillingen.
„Sie schlafen. Zwei Frauen, die auch kleine Kinder haben, sind bei ihnen im Zelt. Wir brauchen uns keine Sorgen machen“, flüsterte sie und beruhigte ihn damit. Etwas unbeholfen und fragend sah Sebastian zu seinem Freund. Der nickte nur leicht. Danach hoben sie die Schleier von den Gesichtern ihrer Frauen und Walter tat es ihnen gleich. Pitt wartete auf ein Zeichen von Hatifa noch damit. Sie standen sich gegenüber. Zu gern hätte er sie schon in den Arm genommen, doch er folgte ihrer Aufforderung.
Erst nachdem sich die drei Paare und alle Freunde wieder auf die Kissen gesetzt hatten, nickte Hatifa Pitt unmerklich zu. Mit vor Aufregung zitternden Fingern hob er dann langsam ihren Schleier.
Andreas konnte dieses Gefühl, welches sein Freund gerade erlebte, sehr gut nachfühlen, denn es ging ihm damals nicht anders. Ganz fest nahm er dabei seine Anne in den Arm. Sie schauten beide, glücklich lächelnd zu und erinnerten sich wie es bei ihnen war. Pitt küsste seine Hatifa das erste Mal und alle in der Runde des großen Feuers klatschten Beifall. Hatifa warnte nun, so wie es Brauch war, dass der zweite Kuss bei diesem Volk das Ja-Wort bedeutete. Pitt sah nur kurz zu seinen Freunden rechts und links, aber zögerte keinen Moment. Er war sich völlig sicher und beide küssten sich heiß und innig. Unter großem Jubel bekam Hatifa ihren Brautschmuck von den Stammesmännern aufgesetzt und die Frauen überreichten dem neuen Paar eine bunt eingefärbte Decke aus Kamelhaar. Alle gratulierten dem jungen Paar und wünschten ihnen alles Glück auf Erden.
„Sind wir jetzt wirklich schon verheiratet?“, fragte Pitt unsicher.
„Vor den Augen dieses Stammes schon“, erklärte Anne leise. „Aber noch nicht vor den anderen. Hatifa ist eine Weise, sie wurde von allen Familien in der Siedlung aufgezogen. Um sie da auch zu deiner Frau machen zu können, brauchst du die Zustimmung aller und wenigstens eines Mannes, der sie dir zuführt.“
„Das werde ich gern tun“, meldete sich Rashid sofort zu Wort. „Es würde mir eine große Ehre sein, denn ich weiß, dass Hatifa bei dir in guten und sicheren Händen ist und sie ein gutes Leben bei dir haben wird.“
„Hey, Großer“, meldete sich Sebastian. „So wie du gezittert hast, als du Hatifas Schleier gehoben hast, habe ich dich ja noch nie gesehen. Anders gesagt: Wäre Hatifa ein Sprengsatz, dann könnte man sagen: Hat es jetzt gerade ganz mächtig beim Entschärfen geknallt.“ Alle mussten über diesen Vergleich lachen und gaben Sebastian uneingeschränkt recht.
Zu Ehren der Freunde wurde eine Ziege geschlachtet und über dem Feuer zubereitet. Die Musikanten spielten bis weit in die Nacht. Annes Eltern waren überwältigt von der großen Gastfreundschaft.
„Sie können sehr stolz auf ihre Tochter >Wilde Wüstenblume<, den >großen Delfin< und ihre Freunde sein“, sagte der alte Scheich, der neben Erika und Walter saß.
Sebastian übersetzte es den beiden schnell.
Erika und Walter bedankten sich dafür, indem sie ihre Köpfe kurz senkten. Jens, Pitt, Uwe und Thomas waren begeistert von der Feier und der Lebensfreude dieser Menschen, die mit so wenig zufrieden waren. Sie alle genossen es, mit diesem Beduinenstamm die kurze Zeit verbringen zu dürfen.
Pitt und Hatifa wurden in das Hochzeitszelt geführt.
Auch Annes Eltern, Kim und Sebastian mit ihren Kindern wurde ein Zelt zur Verfügung gestellt. Doch Anne und Andreas sowie ihre Freunde bestanden darauf, im Freien zu übernachten.
Außerdem fanden sie es schön und wussten andererseits aber auch, dass sonst die Beduinenfamilien für sie ihre Unterkünfte räumen und draußen schlafen würden. Doch das wollten sie nicht. Sie hatten Schlafsäcke dabei, die wesentlich komfortabler als die Decken waren, welche diese Menschen hatten. Außerdem waren sie es gewohnt, auch unter schlechteren Bedingungen zu schlafen.
Lange schauten die Freunde, eng nebeneinander liegend, noch in den funkelnden Sternenhimmel und erfreuten sich daran. Sie entdeckten immer wieder fallende Sternschnuppen und unterhielten sich noch leise, ehe sie einschliefen.
89
Nach einer herzlichen Verabschiedung, die fast nicht enden wollte, stiegen die Freunde, nachdem sie den Sonnenaufgang in der Wüste beobachtet und alle gemeinsam gefrühstückt hatten, wieder in ihre Wagen. Der Sand funkelte golden, als sie Gas gaben und den Weg zurück in die Stadt antraten. Sie wurden noch ein Stück von den wilden, jungen Kamelreitern des Stammes begleitet. Wieder hatte Anne die Führung übernommen, da sie sich in dem Stück der Wüste am besten auskannte. Als sie bemerkte, dass die Reiter zurückblieben, grüßte sie mit einem lauten Hupen, und die anderen Fahrer der Wagen stimmten in das Hupkonzert ein. Kurz darauf gab Anne wieder Vollgas, um ihre Gruppe so schnell wie möglich aus der Wüste heraus und wieder heimzuführen. Denn für die kleinen Zwillinge war dies doch eine große Belastung gewesen. Gegen Mittag kamen sie, etwas erschöpft, aber überwältigt und glücklich von dem Erlebten, im Palast an.
Nachdem sich alle wieder frisch gemacht hatten, trafen sie sich auf der Terrasse zum Mittagessen wieder. Danach legten sie sich am Pool in die Sonne. Annes Eltern sahen das erste Mal die Narben, welche die Freunde von ihrem letzten Einsatz für ihre Tochter zurückbehalten hatten und waren zutiefst erschüttert. Doch sie hatten gelernt damit lockerer umzugehen, so wie ihre Tochter, Andreas und die Freunde untereinander es auch taten.
Am späten Nachmittag war ein lautes Motorengeräusch in der, dem Anwesen vorgelagerten Bucht zu hören. Jens, Uwe, Thomas und Pitt zwinkerten sich wissend zu und lehnten sich dann gemütlich auf ihren Liegen zurück. Doch aus dem Augenwinkel beobachteten sie genau die Reaktionen von Anne und Andreas. Aber die beiden reagierten erst einmal gar nicht darauf. Sie schwammen vergnügt, ihre Patenkinder vorsichtig vor sich haltend, im Pool.
Wieder und wieder war zu hören, wie das Boot in der Bucht das Gas aufdrehte. Als noch immer keiner reagierte, erklang laut das Signalhorn dreimal hintereinander in einem bestimmten Rhythmus. Das machte Andreas stutzig und er lauschte, denn er erkannte dieses Zeichen. Unsicher schaute er zu seinen Freunden, die auf den Liegen am Pool lagen, aber so taten, als hätten sie nichts gehört.
„Jungs, habt ihr mir vielleicht was zu sagen?“, rief Andreas ihnen fragend zu, langsam mit dem kleinen Max zum Beckenrand, in den flachen Bereich zurückschwimmend. Instinktiv schwamm auch Anne mit der kleinen Franzi zum Beckenrand zurück. Kim und Sebastian nahmen den beiden ihre Kinder ab und legten sie auf ihre Badetücher, um sie abzutrocknen.
Wieder hörte man den Bootsmotor aufheulen und kurz danach erklang nochmals das Signal aus dem Horn. Sich abtrocknend, sah Andreas seine Freunde an, die sich noch immer in der Sonne aalten, ohne dergleichen zu tun.
„Anne, komm, hier stinkt was ganz gewaltig“, sagte er dann laut und reichte seiner Freundin die Hand hin. Als sie seine Hand erfasst hatte, gingen sie gemeinsam bis vor zur Steinpalisade und schauten nach unten zum Steg. Dort hatte eine große, weiße Jacht mit einer Taucherplattform festgemacht. Anne und Andreas beobachteten, wie Männer von dieser Jacht auf ein anderes Boot umstiegen und damit schnell raus aufs offene Meer verschwanden. Anne und Andreas sahen sich verwundert an.
„Hat hier irgendeiner von Euch was zu sagen?“, fragte Andreas noch einmal und drohte dann: „Sonst jage ich jetzt das Ding mit samt dem Steg in die Luft. Ich werde Anne und uns nicht noch einmal gefährden“, sagte er trocken und begann auch schon von fünf an rückwärts zu zählen.
„Bist du verrückt!“, schrie Thomas entsetzt auf. „Sorry Jungs, aber dem Kerl traue ich alles zu“, entschuldigte er sich dann bei den anderen, dass er es nicht mehr länger ausgehalten hat ruhig dazusitzen. „Du kannst doch nicht eure neue Jacht in die Luft jagen, bevor ihr sie überhaupt richtig gesehen habt! Wir haben uns solche Mühe gegeben, das Richtige für euch zu finden!“
Überrascht und fragend schauten nun Andreas und Anne ihre Freunde an.
„Ja, nun geht schon runter und schaut euch die Jacht an. Sie gehört euch“, meinte Jens gespielt gelangweilt, dabei war er ebenso gespannt wie seine Freunde, ob sie das Richtige für das Paar gefunden hatten.
Schnell liefen Anne und Andreas die Stufen, gefolgt von ihren Freunden, nach unten. Annes Eltern, Sebastian und Kim verfolgten alles vom Rand der Terrasse aus.
„Wow, eine Gobbi 28 Cabin Motorjacht.“, stellte Andreas begeistert fest und zog Anne auch schon mit sich an Bord. Die vier Männer standen auf dem Steg und freuten sich darüber, wie begeistert Anne und Andreas das Boot durchstöberten und sich alles genau ansahen.
„Ein Hochzeitsgeschenk von uns nur für euch“, sagte Jens. „Das Boot für den Doc, weil Pitt seins ja versenkt hat, dürfte morgen eintreffen.“
Anne und Andreas kletterten auf den Steg zurück. Sie umarmten ihre Freunde, wobei Anne die Tränen vor Freude und Rührung liefen, welche sie nicht zu verbergen versuchte. Gerade als alle noch auf dem Steg standen und sich umarmten, kamen die Delfine in die Bucht. Schnell zogen sie sich die in einer Box liegenden Gummihandschuhe über und sprangen ins Wasser. Sofort wurden sie von den Tümmlern umringt und konnten mit ihnen schwimmen und kurz abtauchen. Anne näherte sich die Delfinmutter und noch ein zweites Tier sehr vorsichtige und beide Tümmler waren sehr bedacht darauf, besonders sanft mit ihr umzugehen. Auch wenn Andreas eigentlich Vertrauen zu den Tieren hatte, blieb er trotzdem immer beschützend in der Nähe seiner Anne. Die Freunde genossen die Zeit mit den intelligenten Tieren im Wasser.
Sie spürten, wie sie sich dabei erholten und die Kräfte vom langen Flug und dann gleich dem doch auch anstrengenden Trip in die Wüste zurückkehrten.
An diesem Abend gingen sie zeitig zu Bett. Zum einen, weil sie noch so viele Eindrücke zu verarbeiten hatten, zum anderen, da am nächsten Tag die Hochzeit von Anne und Andreas stattfand, die laut Auskunft von Doktor Mechier sehr anstrengend werden könnte.
90
Schon früh am Morgen fuhren die Frauen zum Friseur, um sich schön machen zu lassen, was sehr lange dauerte. Wieder zurück, verzogen sie sich sogleich in Annes Zimmer, wo sie dabei halfen, die Braut anzukleiden und zurechtzumachen. Pitt hatte von Jens den Auftrag erhalten, Andreas beizubringen, dass er seine Uniform tragen müsse. Das war keine leichte Aufgabe für ihn. Da war harte Überzeugungsarbeit notwendig, denn Andreas hatte sich für seine Hochzeit extra einen Anzug schneidern lassen. Doch nun traten die fünf Freunde gemeinsam in ihren schmucken Paradeuniformen, an denen all ihre Orden für besondere Verdienste hingen, aus ihren Zimmern ins Foyer.
Sebastian trug als einziger einen schwarzen Anzug und stellte sich neben sie. Auch Abdul und Mahmud erschienen in Uniform. Als Walter im Anzug auftauchte, war Sebastian etwas erleichtert, nicht allein in Zivil dazustehen.
„Eh, Sebi, deine Anzugsordnung ist nicht korrekt. So kannst du unmöglich herumlaufen“, verkündete Jens mit strenger Miene und schüttelte dabei enttäuscht den Kopf.
Sofort sah Sebastian erschrocken an sich herunter und versuchte nochmals seine Krawatte zu richten. Verlegen sah er seine Freunde an, weil er beim besten Willen nicht wusste, was Jens an seinem Anzug auszusetzen hatte.
„Jungs, bringt das mal in Ordnung. So machen wir uns ja mit ihm zum Gespött.“
Nach diesen Worten ihres Vorgesetzten, zogen Pitt und Thomas, den Jens ebenfalls eingeweiht hatte, ihren Freund zurück in Pitts Zimmer.
Schon wenig später trat Sebastian, voller Stolz, in einer ihm perfekt passenden Paradeuniform, an der sogar all seine Orden und Verdienstspangen prangten, mit den anderen Beiden zurück auf den Gang.
„Na also, geht doch“, kommentierte Jens das lächelnd.
Kim steckte den Kopf aus der Tür. Beim Anblick ihres Mannes, blieb ihr erst einmal der Mund offen stehen und sie wusste nicht mehr, was sie eigentlich sagen wollte. Also kam auch Annes Mutter dazu, zog Kim wieder ins Zimmer zurück und verkündete schnell: „Fahrt schon mal zur Siedlung vor. Wir kommen dann gleich nach.“ Und schon schloss sie die Tür wieder hinter sich.
Die Männer hörten die Frauen im Zimmer lustig kichern, sahen sich fragend an, zuckten hilflos mit den Schultern und begaben sich ohne die Frauen zu den Wagen auf dem Parkplatz.
Abdul setzte sich neben Andreas in seinen Ford. „Mache dir keine Sorgen, Andy“, flüsterte er ihm zu. „Ich hatte dir versprochen mich um alles für eure Hochzeit zu kümmern und das habe ich getan. Fahre einfach los. Die Leute warten schon auf uns.“
„Und Anne?“, fragte Andreas unsicher.
„Sie kommt mit den anderen Frauen nach, wenn sie so weit sind. Es sind nun mal Frauen. Also lass ihnen Zeit. Das Glück kennt keine Uhr. Hier ist es anders als in Deutschland. Hier lassen sich die Menschen noch Zeit“, erklärte Doktor Mechier geduldig. „Die Hochzeit mit meiner Frau wurde auf zwölf Uhr festgelegt. Doch am Ende haben wir erst am Abend geheiratet. So lange haben meine Frau und ihre Freundinnen gebraucht, sich für die Gäste und mich herauszuputzen. Das ist normal hier.“
„Ich weiß nicht, ob mich das jetzt im Moment wirklich beruhigt, Doc. Ich möchte eigentlich Anne ganz schnell an meiner Seite haben“, gab Andreas zu. Trotzdem gab er Gas und lenkte seinen Wagen mit Abdul, Mahmud, Jens und Walter in Richtung Siedlung. Sebastian folgte ihm mit seinem Ford, in dem Uwe, Thomas und Pitt mit saßen. Ihnen folgte das Auto mit Hasan und Kasim. Ahmed war mit seiner Familie und Rashid mit seiner Frau würden sie dann auf dem Festplatz treffen.
Der große Platz war festlich mit bunten Blumengirlanden geschmückt. Zuerst wurden die Männer in ihren Uniformen bestaunt und herzlich willkommen geheißen. Die Leute waren schon fleißig am feiern und bezogen die Freunde sogleich mit ein.
Endlich rollte auch Annes Toyota auf den Platz, den Kim fuhr. Neben ihr saß Hatifa, dahinten Anne mit ihrer Mutter.
Abdul stellte sich als Vater an Vaters statt neben Andreas und forderte Walter auf, zu seiner Tochter zu gehen. Uwe, Jens, Thomas, Sebastian und Pitt traten hinter Abdul und Andreas. Zuerst stiegen Kim und Hatifa in ihren wunderschönen langen Kleidern aus, dann trat Erika zu ihnen. Walter trat an den Wagen heran, reichte seiner Tochter die Hand und half ihr beim Aussteigen. Anne trug ein langes, weißes, mit Perlen und Stickereien verziertes Kleid, in dem sie aussah wie eine Prinzessin. Ihr aufgestecktes Haar und ihr Gesicht wurden von einem dünnen Schleier verdeckt, der leicht im Wind wehte und vom Brautschmuck, den sie von den Beduinen bekommen hatte, gehalten wurde. Den Blumenstrauß, den sie trug, hatte Abdul für sie extra so arrangieren lassen. Blaue Blüten waren so gebunden, dass sie als lange, spitzzulaufende Ranke aus dem Bukett von roten Rosen wie ein Wasserfall hervortraten.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still war es auf dem Platz geworden. Alle bestaunten die Schönheit der Braut und der Frauen in ihrem Gefolge. Dann begannen die ägyptischen Hochzeitsgäste mit rhythmischem Klatschen, woraufhin auch Trommel und Flötenklänge einstimmten. Walter nahm voller Stolz seine Tochter bei der Hand und ging mit ihr langsam auf Andreas und Abdul zu.
Andreas konnte es kaum erwarten, seine Anne endlich bei sich zu haben. Er strahlte übers ganze Gesicht.
„Doc, was muss ich tun?“, fragte er leise und wirkte dabei sehr unsicher. „Darf ich sie in meinen Arm nehmen und küssen?“
„Nein, so weit sind wir noch lange nicht“, flüsterte Doktor Mechier. Andreas sah ihn halb entsetzt und halb erstaunt fragend an.
„Warum nicht? Ich halte das nicht mehr lange aus, Doc. Sie ist doch so wunderschön.“
„Ja Andy, das ist sie. Ich habe noch nie eine schönere und liebreizendere Braut, neben einem solch starken, stolzen und guten Bräutigam gesehen. Und deshalb wollen sie euch auch alle so sehen, also laufen wir eine Zaffa. Und das Ganze bis zu eurem Heim und dann dort noch einmal.“
„Wir laufen eine was?“, fragte Pitt, der mit seinen Freunden hinter ihnen Aufstellung genommen hatte.
Leise erklärte Abdul Andreas und den anderen, was es mit dem Hochzeitsbrauch, der Prozession, die Zaffa genannt wird, auf sich hat. „Man läuft einfach so umher, begrüßt seine Gäste und zeigt sich allen. Das Brautpaar bekommt dabei die ersten Glückwünsche für die Zukunft und wird mit Reis beworfen, was ihnen Glück und Reichtum bringen soll. Außerdem zeigt ihr bei der gemeinsamen Zaffa euer gegenseitiges Einverständnis zu dieser Eheschließung. Auch wenn wir dann mit den Hochzeitsgästen zum Palast fahren, gehört das trotzdem mit zur Zaffa. Ihr werdet euch überall zeigen und kurz verweilen, wo ihr willkommen seid.“
„Oh mein Gott, da komme ich doch nie dazu Anne zu heiraten. Fast jeder Ägypter in der ganzen Altstadt von Hurghada kennt Anne. Sie ist dort bei allen beliebt.“
„Ja, das stimmt, Andy. Und ich finde das persönlich sehr schön und für euch eine große Ehre. Ihr habt es verdient. Aber keine Sorge, ich bleibe als dein Vater an Vaters Statt an deiner Seite“, beruhigte ihn Abdul.
„Danke, Paps“, stichelte Andreas und lächelte den fast zwei Köpfe kleineren Ägypter neben sich an.
Als Anne den Männern und ihrem Bräutigam immer näher kam, füllten sich ihre Augen mit Tränen und sie hörte ihre Mutter hinter sich schluchzen. Das erste Mal sah Anne den Mann, den sie liebte, sowie seine Freunde in Uniform. Sie fand, dass sie alle darin schnittig und schick aussahen. Wäre sie nicht schon verliebt in ihren Andy, so würde sie sich jetzt und augenblicklich in diesen Korvettenkapitän Wildner verlieben.
Als nur noch zwei Meter zwischen dem Paar lagen, streckte Andreas ihr seine Hände entgegen. Walter nahm die Hand seiner Tochter und gab sie in die Hände des Mannes, der sie glücklich lächelnd empfing. Er bedankte sich mit einer tiefen Verbeugung bei Annes Vater und kniete dann vor Anne nieder, um ihr nach dem hiesigen Brauch einen zärtlichen Kuss auf ihren Handrücken zu geben. Die Hochzeitsgäste jubelten. Dann legte Abdul seine Hand über die Hände des jungen Paares. Anne und Andreas verneigten sich vor den beiden Vätern, die nebeneinander standen. Begleitet von der rhythmischen Musik und dem Klatschen aller Anwesenden, begann das Brautpaar, gefolgt von Erika und Walter, Kim und Sebastian, Hatifa und Pitt, Jens, Uwe und Thomas, an Abduls und Mahmuds Seite, die „Zaffa“. Sie liefen langsam über den großen Platz und drehten ihre Runden, bis sie von allen Gästen einzeln beglückwünscht wurden. Andreas trug dabei die ganze Zeit seine kleine Freundin Amira auf dem Arm und hielt Anne fest an der Hand.
Sie lüftete ihren Schleier auch nicht, als sie ihrem jüngsten Patenkind Jamal einen Kuss auf die Stirn gab. Sie nahm ihn auf den Arm und tanzte mit ihm und Andreas mit Amira, eine Runde nach der orientalischen Musik. Jamal war in der Zeit ein richtiger Wonneproppen und ganz schön schwer geworden.
Als der Tanz zu Ende war, gab Anne den Kleinen seiner Mutter Fatima zurück und verneigte sich vor ihr und ihrem Mann Kalif. Dann war es soweit: Doktor Mechier gab das Zeichen zu den Wagen und bereitstehenden Minibussen zu gehen. Dabei fuhr ein Angestellter von ihm den frisch gewaschenen, auf Hochglanz polierten, festlich mit Blumengirlanden geschmückten Mercedes vor. Er lud, mit einer höflichen Geste das Brautpaar ein auf den Rücksitzen Platz zu nehmen. Oberstleutnant Mahmud Kebier half der Braut beim Einsteigen mit dem Kleid und dem langen Schleier. Dann setzte er sich neben Abdul nach vorn. Schnell reihte sich die Wagenkolonne aus Autos und mit Gästen vollgestopften Minibussen hinter ihnen ein. Mit lautem Hupkonzert, begleitet von den Gesängen der Ägypter, startete der Hochzeitszug seinen Weg durch Hurghada. Immer wieder musste die Kolonne halten. Die ägyptischen Männer traten extra aus den Coffeeshops, wo sie für gewöhnlich ihre Shisha rauchten und Tee tranken, die Frauen mit ihren Kindern kamen aus den Häusern gelaufen. Sie winkten dem Brautpaar zu und verneigten sich vor ihnen.
Als sie in die Altstadt von Hurghada, Sekalla, einfuhren, hielt Abdul die Wagenkolonne an. Begleitet von den Musikanten und den engsten Freunden und Verwandten, lief das Brautpaar die Hauptstraße entlang.
Alle kannten das junge Paar und jubelten ihm fröhlich zu. Dabei staunten sie aber auch über die Uniform des Bräutigams und seiner Freunde. Immer wieder musste das Brautpaar stehen bleiben. Sie wurden von den Menschen gefeiert und bekamen Tee angeboten, den sie nicht ablehnen konnten. Überall wurden sie als Gäste und liebe Freunde empfangen und ihnen wurde alles Glück gewünscht. Die Einheimischen verneigten sich tief vor ihnen, ihren Eltern und Freunden.
Das Brautpaar wurde mit den engsten Freunden in Annes Lieblingscoffeeshop geführt, der eigentlich nur Männern vorbehalten ist. Doch sie war dort gern als Gast gesehen, da sie immer so hilfsbereit war.
Schnell machten sie dem Paar Platz und verneigten sich vor der schönen Braut und boten den Gästen einen frischen, gut gekühlten Malventee, der fast den Geschmack von Kirschsaft hatte, an. Anne führte vorsichtig das Glas unter ihren Schleier und trank den Tee, dankbar für die Erfrischung, in einem Zug aus.
Als sie aus dem Coffeeshop traten, bemerkten einige Touristen das Brautpaar und Pitt. Sie trauten ihren Augen nicht, als sie die beiden Männer erkannten, mit denen sie auf der >Amun Re< rausgefahren und getaucht waren. Die jetzt aber eine deutsche Uniform trugen, die sie als Korvettenkapitäne einer Spezialeinheit auswies, und neben anderen Offizieren derselben Einheit, sogar einem Flottillenadmiral und zwei hochrangigen, ägyptischen Offizieren standen. Als sie sich wieder gefangen hatten, drängten sie sich zu dem Brautpaar durch und wünschten ihnen viel Glück. Nun konnten sie auch in etwa zusammenreimen, woher die vielen älteren und frischen Narben der beiden Männer stammen könnten.
Auf einer Nebenstraße begab sich das Paar mit seinem Gefolge zurück zu den Wagen, wo der Rest der Hochzeitsgäste geduldig auf sie gewartet hatte.
Die Tauchtouristen waren dem Paar gemeinsam mit vielen singenden und tanzenden Ägyptern gefolgt und waren überwältigt von dem großen Hochzeitszug, der sich wieder in Bewegung setzte.
Es begann bereits dunkel zu werden, als sich die Kolonne endlich dem Palast näherte.
„Oh, na endlich. Das wird aber auch Zeit“, stöhnte Andreas erleichtert. „Wir haben den ganzen Tag vor lauter Aufregung und Vorfreude noch nichts gegessen. Ich habe vielleicht einen Hunger.“
Mahmud Kebier lachte laut. „Noch ist es nicht so weit“, erklärte er. „Die Zaffa ist noch nicht abgeschlossen. Ihr müsst sie schon noch einmal laufen. Außerdem warten weitere Gäste im Garten auf euch.“
„Wer denn noch?“, fragte Anne erstaunt. „Wir haben doch alle von der Siedlung schon abgeholt? Ich wüsste nicht, wen wir vergessen haben könnten. Mahmud, nun sag schon, wen haben wir hier in unserem Hochzeitsgefolge nicht dabei? Ich muss mich da doch für das Versäumnis entschuldigen.“
„Oh nein, das musst du nicht. Es ist eine Überraschung von Jens und den Jungs. Ihr werdet schon sehen“, antwortete Oberstleutnant Kebier wissend und lächelte kurz nach hinten zu dem Paar. Auch Abdul fragte sich jetzt, wer da noch als Gäste gekommen sein könnte. Denn auch er war der Meinung, dass sie keinen vergessen hatten.
Es fanden gar nicht alle Fahrzeuge auf dem Parkplatz des Palastes, der eigentlich sehr groß war, Platz, sodass einige Minibusse auf der Straße parken mussten. Als das Brautpaar vom Parkplatz aus den Garten des Palastes betrat, glaubte Andreas zu träumen. Auch Anne erkannte die dort stehenden Gäste sofort. Es waren die anderen Kampfgefährten der Gruppe. Es waren Ralf, Claus, Falko und Rainer. Und neben Ralf stand seine Frau Romana mit den Zwillingen Lisa und Laura. Anne erkannte Romana sofort an ihrem langen, gewellten, rot leuchtenden Haar wieder. Sie war die Ärztin, die damals mit dabei war und die Menschen des Forschungsschiffes >Blue Sea< mit den anderen Männern befreien half.
Von Andreas wusste Anne, dass sie Ralf geheiratet und sie die Zwillinge von seinem Freund Steffen Körner, der bei dem Einsatz gefallen war, adoptiert hatten.
Schnell liefen sie freudig auf die kleine Gruppe zu und kurze Zeit später lagen sie sich alle in den Armen. Als Sebastian als Letzter in den Garten kam und die Freunde erkannte, jubelte er laut auf, denn auch er hatte sie seit dem Einsatz nicht mehr wiedergesehen. Er nahm seine Frau bei der Hand und zog sie mit zu der Gruppe von Freunden. Auch er und Kim wurden in die freudige Umarmung eingeschlossen. Nacheinander kamen auch die anderen dazu und begrüßten sich freudig.
„Na toll, ganz toll. Nun haben wir hier alle Verrückten auf einem Haufen“, sagte Abdul, extra laut auf Ägyptisch, damit es alle hören konnten, zu seinem Freund Mahmud Kebier. „Da können wir uns auf was gefasst machen. Die lassen bestimmt nicht einen Stein auf dem anderen. So vereint ersetzen die eine ganze Armee und sind unschlagbar.“
Lachend, weil sie es gehört und verstanden hatten, stellten sich die Freunde, Arm in Arm, nebeneinander auf. Die Hochzeitsgäste, die von den mutigen Männern und der Frau schon gehört hatten, klatschten ihnen laut jubelnd zu. Walter hielt in diesem Moment seine Erika fest im Arm. Beide waren gerührt und keines Wortes fähig.
Die Gäste verteilten sich eng gedrängt im Garten. Dann war es endlich so weit. Abdul führte das Brautpaar die Treppe hinauf unter einen Rosenbogen. Dort gaben sich das Paar ihr Eheversprechen und tauschten die Ringe. Endlich durfte Andreas den Schleier seiner Anne heben und sie küssen. Im selben Moment regnete es, von einem großen Feuerwerk hinter dem Haus, leuchtend bunte Sterne vom abendlichen Himmel.
Eine große Festtafel, die rings um den Pool errichtet war, und ein riesiges Büfett, welches in der Halle aufgebaut war, erwarteten die Hochzeitsgäste.
Nachdem alle einen Platz gefunden hatten, meldete sich Jens lautstark zu Wort und bat Andreas so wie seine Freunde Uwe, Pitt, Thomas und Sebastian im strengen Befehlston nach vorn zu treten und Aufstellung zu nehmen. Er gab sich extra viel Mühe und hielt seine Ansprache auf Arabisch, sodass sie alle Anwesenden verstehen konnten. Er richtete dem Brautpaar und den Männern die besten Grüße und den Dank im Namen der beiden Regierungen und der internationalen Staatengemeinschaft für ihren mutigen Einsatz aus und ernannte sie danach feierlich zu Fregattenkapitänen und Sebastian zum Korvettenkapitän der Reserve. Jens übergab ihnen die Ernennungsurkunden und tauschte, vom heftigen Beifall aller Gäste begleitet, ihre Schulterstücke und Kragenspiegel aus. Dabei informierte er auch, dass Andreas und Pitt mit allen Ehren ab diesem Moment aus dem aktiven Dienst entlassen und in die Reserve versetzt sind. Uwe, Pitt, Thomas, Sebastian und Andreas schleuderten ausgelassen ihre Schirmmützen, als Zeichen der Freude, in die Höhe, was vom Jubel der Hochzeitsgäste lautstark begleitet wurde.
Danach forderten die sechs Freunde Generalstabsarzt, Doktor Mechier auf, zu ihnen nach vorn zu kommen. Sie bedankten sich bei ihm für die stetige Hilfe und überreichten ihm den Schlüssel zu einer neuen Jacht, die heute erst am Steg festgemacht hatte, während sie alle unterwegs waren. Romana, Ralf, ihre beiden Kinder und die Freunde waren mit der Jacht angereist, nachdem sie die Jacht auf der Werft in Kairo übernommen hatten. Auch an Ahmed, Rashid, Hasan und Kasim wurde gedacht. Sie erhielten von der deutschen Regierung, als Dank für ihren mutigen Einsatz, eine hohe Prämie. Oberstleutnant Kebier überreichte ihnen von der ägyptischen Regierung eine Auszeichnung. Hasan und Kasim wurden zudem in ihren ersten Offiziersrang, zu Leutnants, befördert.
Gerade als Andreas glaubte, nun endlich etwas zu essen zu bekommen, da er wirklich sehr hungrig war, trat der Bürgermeister, der Vater der kleinen Amira, vor und hielt eine Ansprache. Dabei erwähnte er, dass ja jetzt das schöne Hotel, welches noch immer von der Touristenpolizei bewacht wurde, leer stehe. „Der Gemeinderat hat beschlossen“, sagte er, „dass wir nicht wollen, dass dieses schöne Hotel verwahrlost. Aber wir wollen es auch nicht einfach verkaufen. Sondern wir haben beschlossen, es als Hochzeitsgeschenk unserer Gemeinde dem jungen Paar zu übergeben, das so viel für uns alle getan hat. Sie sollen selbst entscheiden, was daraus wird oder von wem sie es bewirtschaften lassen wollen. Außerdem würden wir uns aber sehr freuen, wenn dieses Hotel einen schönen neuen Namen bekommt, der alte Name ist wenig rühmlich“, führte er weiter aus und überreichte dem Paar symbolisch einen goldenen Schlüssel. Alle ägyptischen Hochzeitsgäste jubelten wieder laut auf. Nur Anne und Andreas sahen sich leicht geschockt an. Wenn sie mit allem gerechnet hatten, aber damit nicht. Sie hatten doch schon genug Arbeit mit ihrer Tauchbasis. Was wollten sie da auch noch mit einem Hotel? Ohne ein Wort zu wechseln, waren sich die beiden aber einig und traten Hand in Hand vor. Sie bedankten sich für das großzügige Geschenk der Gemeinde und verneigten sich vor all ihren Gästen. Dann übernahmen sie abwechselnd das Wort. Sie bestimmten Annes Eltern, Doktor Mechier und Pitt als gleichberechtigte Verwalter des Hotels und legten dabei fest, dass der überschüssige Gewinn der Gemeinde und damit den Ärmsten der Armen so wie der Schulbildung der einheimischen Kinder zugutekommen solle. Abdul war begeistert von dieser Idee, Annes Eltern und Pitt nickten den beiden zustimmend zu, als diese sie fragend und bittend ansahen.
„Aber ich hoffe, dass ich trotzdem auch noch bei euch als Tauchlehrer und Guide arbeiten darf. Ihr wisst, dass Tauchen eine Sucht ist und ich zu lange auf dem Trockenen gelassen, anfange, am Rad zu drehen“, gab Pitt zu bedenken.
„Klar doch, das kannst du. Und das alles als gleichberechtigter Partner“, antworteten Anne und Andreas fast gleichzeitig. Und wieder jubelten alle dem Paar zu und klatschten dann im Rhythmus der Musik.
Dann endlich durfte das Brautpaar das Büfett eröffnen.
Lisa und Laura, die Zwillinge, hatten sich schnell mit Amira und den anderen Kindern angefreundet. Auch wenn sie sich sprachlich nicht verstanden, verstanden sie sich doch sehr gut über Gesten und spielten schön miteinander. Sie sprangen in den Pool und fühlten sich sehr wohl. Abdul gefiel es, endlich wieder Kinderlachen in dem Haus zu hören.
Voller Stolz zeigten Kim und Sebastian, ihren heute erst angereisten Freunden, ihre Zwillinge. Vor allem Romana und Ralf waren ganz hin und weg von den beiden Kleinen.
Pünktlich um Mitternacht stellten sich die ledigen Mädchen auf und Anne warf ihnen, den Rücken zugewandt, im hohen Bogen den Brautstrauß zu.
Der Jubel und die Freude waren groß, als ihn ausgerechnet Hatifa fing. Sogleich schaute sie mit hochrotem Gesicht zu Pitt, der sich vor Freude kaum halten konnte. Er lief auf sie zu, hob sie weit über seinen Kopf und drehte sich mit ihr im Kreis. Dann setzte er sie langsam wieder ab und schaute ihr glücklich in die Augen. Und schon feierten die Freunde das zukünftige Paar.
Nach einer Weile ging Andreas ans Ende der riesigen Terrasse und schaute sehnsüchtig über die Bucht. Ein Lächeln zog über sein Gesicht, als er die nassen Körper seiner anderen Freunde im Mondlicht glänzen sah. Schnell lief er zurück zu Abdul und den engen Freunden.
„Leute, gerade sind die letzten Gäste eingetroffen“, sagte er fröhlich. „Wollen wir sie begrüßen gehen?“
Abdul nickte ihm zu und gab ein Zeichen. Kurz darauf wurde die Bucht mit starken Scheinwerfern ausgeleuchtet. Die Freunde gingen schnell auf ihre Zimmer und zogen die Neuankömmlinge einfach mit sich, die nicht wussten, worum es ging. Auch Ahmed, Rashid, Hasan, Kasim, Mahmud und Hatifa erhielten die Möglichkeit sich umzuziehen. Kurz darauf erschienen die neunzehn Freunde, alle eingehüllt in weiße Bademäntel, wieder auf der Terrasse und gingen die Treppe hinunter zum Steg. Die anderen Hochzeitsgäste, versammelten und drängten sich neugierig an der Palisade, auf der Treppe und am Steg. Sie beobachteten, wie Andreas als Erster seinen Bademantel ablegte und ins Wasser sprang. Kurz darauf beobachteten sie, wie sich ihm eine große Schule Delfine näherte und ihn umringte. Sie sahen, wie die Tiere sich von ihm streicheln ließen. Sie hörten, wie er seinen Freunden nach einer Weile zurief, dass sie nun auch ins Wasser kommen könnten. Das musste man ihnen nicht zweimal sagen. Die Frauen und Männer zogen sich Gummihandschuhe über und sprangen nacheinander ins Wasser. Anne schwamm zu ihrem Mann und wurde ebenfalls sofort von den Tümmlern umrundet und ließen sich von ihr streicheln. Mit Andreas und Anne zogen dann einige Delfine schnell durchs Wasser ein Stück aufs offene Meer hinaus, während die Freunde mit einer kleinen, zurückgebliebenen Gruppe von Tümmlern spielen, schwimmen und tauchen konnten.
Dieses Schauspiel zog alle so in den Bann, dass keiner von den Gästen etwas sagen konnte. Sie schauten einfach nur staunend dem bunten Treiben in der erleuchteten Lagune zu.
Als die Delfine Anne und Andreas weit aus der Bucht und aus dem Blickfeld der Hochzeitsgäste gezogen hatten, ließen sie von ihnen ab und umkreisten sie wieder.
„Ich glaube“, sagte Andreas glücklich, „sie wollen, dass wir uns küssen.“ Beide holten tief Luft, dann zog Andreas seine Frau unter die Wasseroberfläche und sie küssten sich heiß. Dabei hörten sie das Singen der Delfine um sich herum. Als sie wieder, nach Luft schnappend, auftauchten, sprangen die wunderschönen Tiere aus dem Wasser und tauchten kurz darauf mit einem Platschen wieder ein. Andreas umarmte seine Anne fest. Er küsste sie immer und immer wieder leidenschaftlich und streichelte sie überall, was Anne schwach werden ließ. Sie entledigten sich in ihrem Liebesspiel ihrer Badesachen und genossen es.
Noch ganz außer Atem bemerkten sie dann beide, dass sie nackt waren. Ihre Badesachen waren, von ihnen unbemerkt, untergegangen und wegen der leichten Strömung bestimmt verloren. Ihnen war klar, dass sie aber schwerlich so zum Steg zurück konnten, trotzdem mussten sie darüber lachen.
„Und nun?“, fragte Anne und meinte dann doch etwas verlegen: „Wir sind hier in einem islamischen Land. Wenn wir wie Adam und Eva da wieder auftauchen und aus dem Wasser steigen, ist der Teufel los. Also, was machen wir?“
Andreas zuckte noch etwas außer Atem mit den Schultern. Doch im nächsten Moment tauchten zwei Delfine direkt neben ihnen auf und hatten den Badeanzug und die Badehose im Maul. Dankbar nahmen Anne und Andreas den Tieren die Sachen ab und schlüpften lachend hinein. Wenig später brachten die Tümmler sie zurück zur Gruppe von Freunden, die gar nicht bemerkt hatten, dass sie weg gewesen waren.
Nach einer Weile verschwanden die Delfine wieder, aber zuvor warfen sie noch frisch von ihnen gefangene Fische auf den Steg.
Als die Männer und Frauen aus dem Wasser kletterten und in ihre Bademäntel schlüpften, riefen die Hochzeitsgäste Andreas laut zu:
„You are the Dolphinman“
Damit hatte Andreas für alle Anwesenden seinen Spitznamen weg.
Frisch umgezogen, kamen die Freunde an die Festtafel zurück. Anne erschien in einem weiten, festlichen Abendkleid und Andreas im schwarzen Anzug, den er eigentlich zu seiner Hochzeit tragen wollte. Ein paar Männer und Fischer vom Dorf hatten sich schon der Fische angenommen und grillten sie für alle über dem schnell entfachten offenen Feuer am Strand.
So ging die Feier noch bis in die frühen Morgenstunden. Es wurde getanzt und viel gelacht. Ein solches Fest hatte noch nie einer der Gäste zuvor erlebt. Keiner würde diese Hochzeit je vergessen, welche nun von den Einheimischen dem Mythos, um die Gruppe der deutschen Freunde hinzugefügt wurde.
Ende