Am Morgen, als er zum Frühstück kam, standen schon seine drei Flaschen Wasser, welche er sonst immer am Abend holte, gekühlt auf dem Tisch. Vor dem Hotel wartete Ali mit dem Toyota-Jeep der Basis bereits auf der anderen Straßenseite, um Andreas abzuholen. Freundlich begrüßten sich die Männer.
„Ali, das war ein sehr schöner Abend“, bedankte sich Andreas bei seinem Fahrer nochmals für die Einladung.
„Wir zu danken habe, das du bist gekommen“, gab Ali lächelnd zurück. „Du haben viele Herzen gebrochen. Soll grüßen dich von kleine Amira.“
„Danke Ali. Grüß sie ganz lieb zurück.“
Der Ägypter lächelte seinen Fahrgast an und nickte. „Das werden tun ich.“ Dabei kramte er in seiner Hosentasche, „Hier soll ich geben von Amira dir. Soll Glück bringen, sagen sie.“ Er drückte Andreas einen flachen Stein, der eine schöne Maserung hatte, in die Hand.
„Danke Ali. Ich sehe, Amira hat einen guten Geschmack“, meinte Andreas. Nachdem er den Stein genau betrachtet hatte, steckte er ihn in die linke Brusttasche seines Hemdes und sagte: „Glück kann ich wirklich gut gebrauchen. Bitte danke der kleinen Lady dafür.“
Auf der Basis angekommen, wurde er bereits von Anne und Farid erwartet. Gemeinsam gingen sie in das Krankenzimmer. Nachdem sich Andreas die Hände gewaschen hatte, besah er sich wieder die Wunde am Bein des Ägypters. Schnell desinfizierte er sie und Anne reichte ihm die Salbe, die wundheilend und schmerzlindernd wirkte, die er vorsichtig mit einem Tupfer um die Wundränder verteilte. Zufrieden nickend verbanden sie die Wunde wieder.
„Sieht gut aus mein Freund. Noch ein paar Tage, dann können wir die ersten Fäden ziehen. Aber übertreibe es nicht gleich wieder so.“
Anne übersetzt Farid, was Andreas gesagt hatte, obwohl sie wusste, dass er doch selbst Arabisch sprach. Farid dankte den beiden und sie verließen gemeinsam den Raum. Farid lief zum Hafen, um da mitzuhelfen, während Anne und Andreas zurück nach vorn zur Terrasse gingen, wo die nächste Gruppe von Tauchgästen, von denen viele noch verschlafen aussahen, eintraf.
Freundlich winkend wurden Anne und Andreas von den Ägyptern im Hafen begrüßt, als sie mit dem Pick-up vor der >Amun Re< abgesetzt wurden. Rashid und Ahmed halfen ihnen aufs Boot und klopften Andreas dabei lächelnd auf die Schulter. Schnell waren die Leinen losgemacht und die zurückbleibenden Männer winkten dem Boot noch nach.
„Mit so einer Begrüßung hatte ich ehrlich nicht gerechnet“, gab Andreas zu, während er noch zurückwinkte.
„Sie haben dich in ihr Herz geschlossen“, erklärte Anne kurz, ebenfalls noch winkend. „Du musst wissen, die Kinder sind ihr Heiligtum und so wie du gestern mit ihnen gespielt hast und so lieb zu der kleinen Amira warst, das haben sie sehr wohl registriert.“
Andreas erzählte Anne von dem Geschenk, welches er heute früh durch Ali von Amira erhalten hatte. Er zeigte ihr den schönen Stein, der ihm Glück bringen sollte. „Ich werde heute Abend mal gucken, wo einen Juwelier in der Nähe meines Hotels ist, um darum zu bitten, mir ein Loch in den Stein zu bohren.“
„Warum das denn?“, wollte Anne wissen.
„Damit ich ihn an einem Lederband um den Hals tragen kann.“
Sie fand, dass es eine gute Idee sei, und bot an, ihn am Abend bei einem guten Juwelier abzusetzen, bevor sie ihn zum Hotel zurückbringen würde. Dabei lächelte sie ihn an. „Amira wird das sehr freuen und stolz machen.“
Andreas ging in den Salon, dort packte er den Stein in ein Zellstofftaschentuch und steckte ihn in die Vordertasche seines Rucksacks.
„Und wo soll heute die Reise hingehen?“, wollte er dann wissen.
„Als du gestern mit den Kindern gespielt hast, hatte ich Zeit, mich mit Sebi zu unterhalten. Ich weiß, dass du ihm alles erzählt hast. Wir sind beide der Meinung, dass es nichts bringt, wenn wir uns an Riffs verstecken, wo sie uns nicht so schnell finden. Außerdem musst du deine Angst vor anderen Tauchern loswerden“, sagte sie grinsend. „Also stürzen wir uns heute voll ins Getümmel. Wir fahren nach Giftun Ham Ham und machen da einen Drifttauchgang nach Giftun Soraya, ganz normal mit Stahlflaschen. Sebis Zeug ist schon mit hier an Bord. Er wird in Soraya zu uns rüberkommen, bevor wir zum Absprungpunkt von Ham Ham fahren. Da wir alle drei einen niedrigen Luftverbrauch haben, können wir in der Ecke von Soraya eine ganze Weile bleiben, wo uns viele Taucher sehen werden, die an uns vorbeikommen müssen, um zu ihren Booten zurückzukehren. Da gebe ich einen guten Lockvogel ab. Eigentlich müsste Sebastian mit der >El Warda< dann gleich hinter uns auftauchen, wenn wir am Hafen seiner Tauchbasis vorbeikommen“, erklärte sie.
Andreas nahm Anne fest bei den Schultern und drehte sie zu sich herum, damit er ihr genau in ihre blaugrauen Augen sehen konnte. „Erstens, ich habe keine Angst vor anderen Tauchern, das nur mal so fürs Protokoll. Zweitens, du weißt aber auch, dass es sehr gefährlich ist. Ich werde erst im letzten Moment erkennen können, wenn sie dich greifen. Wir kennen weder die Anzahl der Angreifer, noch wie sie es anstellen wollen. Wir wissen nicht wie sie aussehen, geschweige denn, wann und wo deine Entführung geplant ist. Wir wissen lediglich, dass sie es vorhaben.“
„Ja, das ist mir schon klar. Auch Sebastian hat mich schon darauf hingewiesen. Aber wir wollen die Kerle doch erwischen und nicht ewig Angst haben und uns verstecken, nur um zu verhindern, dass die mich kriegen. Oder?“ Anne lächelte Andreas an. Dann wurde sie ernst und sah ihm genau in seine leuchtend blauen Augen. „Also legen wir ihnen doch den schmackhaften Köder aus und machen es ihnen so leicht wie möglich, damit sie darauf reinfallen. Ich vertraue dir, Andy.“
Nach einiger Überlegung, in der Andreas die Frau nicht losließ und ihr weiter fest in die Augen sah, nickte er. „Gut. Aber dann weihen wir auch unsere kleine Crew mit ein, dass sie uns sagen können, wenn sie ein fremdes Boot entdecken. Ich informiere die ägyptische Küstenwache über den Plan, damit sie sich auch unauffällig in der Nähe aufhalten.“ Er ließ Anne los und nahm sein Handy zur Hand, während sie nach oben ging und Rashid so wie Ahmed informierte und darum bat, die Augen offenzuhalten. Gerade als sie wieder in den Salon kam, hatte Andreas die Funkverbindung getrennt und nickte ihr zu.
Anne erklärte ihm, dass sie noch anderthalb Stunden fahren würden und sich noch etwas ausruhen könnten. Sie kramte kurz in ihrer Tasche, während er Tee für sie, die Besatzung und sich aufbrühte.
„Hier, mit bestem Dank zurück“, sagte sie und gab ihm seine Taucherhandschuhe zurück. „Ich habe heute meine eigenen mit. Du wirst sie vielleicht selbst brauchen. Außerdem waren sie mir auch etwas zu groß.“ Dabei zeigte sie ihre zierlichen Hände, indem sie sie neben seine hielt. „Muss aber nicht unbedingt sein, dass du mich das nächste Mal vielleicht auf einen Steinfisch schubst. Die kleinen Kerlchen sind nämlich verdammt giftig und es dauert sehr lange, bis so ein Stachel aus dem Hinterteil geeitert ist“, meinte sie noch und musste selbst darüber lachen.
Nur Andreas war es bei dem Gedanken absolut nicht nach Lachen zumute, also verzog er nur sein Gesicht zu einem schmerzlichen, verlegenen Lächeln, was Anne erst richtig auflachen ließ.
Diese Frau hat vielleicht Humor, dachte er weniger begeistert und schlürfte vorsichtig einen Schluck von dem noch heißen Tee.
Anne machte es sich auf dem Oberdeck in einer windgeschützten Ecke gemütlich, während sich Andreas um sein Equipment kümmerte und verschiedene Gegenstände in den Taschen seiner Tarierweste verstaute.
Als er dann aufs Oberdeck kam, zeigte der Kapitän nach hinten. „Da, die >El Warda<.“
In einer Armada von Taucherbooten entdeckte Andreas das weiß-blau-rote Boot. Es war das Boot, welches seine Freunde vor einem halben Jahr für ihren Einsatz genutzt hatten, um unbemerkt an die >Blue Sea< heranzukommen, und sie dann sogar mit einem großen Goldschatz der Pharaonen zurückgekehrt waren. Dieses stolze Schiff hatte ein kleines Stück Geschichte für Ägypten und die Welt geschrieben.
Heimlich, durch seine dunkle Sonnenbrille, betrachtete er Anne, die vollkommen ruhig und entspannt auf der Sitzbank zu liegen schien.
Doch ganz so war es nicht. Anne hatte Angst, aber sie unterdrückte sie, so gut sie konnte. Sie war eine Frau für klare Verhältnisse. Sie hasste es, Dinge auf die lange Bank zu schieben. Genau das war auch der Grund dafür, dass sie sich entschlossen hatte, den Köder zu spielen und dabei alle Möglichkeiten auszureizen, anstatt sich ängstlich zu verstecken. Sie wollte, dass dieser Spuk schnell ein Ende hatte und keiner der Kerle seiner gerechten Strafe entging. Diese Doktor Romana Veit war ihr ein Vorbild geworden. Dabei hatte Anne sie nur zweimal kurz gesehen. Einmal an Bord der >Blue Sea<, wo sie die Menschen abgeholt hatte. Da stand sie mit an Deck und half den Verwundeten über die Bordwand. Das zweite Mal begegnete sie ihr dann auf Sebastians Tauchbasis. Da half sie ihr, ihren verletzten Arm frisch zu verbinden. Diese Frau war über ihren eigenen Schatten gesprungen, um andere Menschen aus den Händen von Bestien zu befreien. Sie hatte ihr Leben riskiert und mit den Freunden an ihrer Seite gewonnen. Anne wollte, dass ihr Vater diese Kerle, gegen die sie gekämpft hatten, gerecht verurteilen konnte, damit das große Opfer, welches sie gebracht hatten, nicht umsonst gewesen war.
Es war nun an ihr, auch einen Beitrag dazu zu leisten. Sie wollte diese Kerle nicht entkommen lassen, sondern sie wollte, wie die anderen auch, diese Kerle, die Menschen für ihre schmutzigen Geschäfte brutal missbrauchten und ausnutzten, sicher hinter Schloss und Riegel wissen.
Sie hatte in der letzten Nacht ihren Entschluss dazu gefasst und sie würde nicht Annemarie Kamp heißen, wenn sie das nicht durchziehen würde, egal, wie viel Angst sie auch dabei hatte.
Angst schärft die Sinne, dachte sie sich abschließend und sah heimlich zu Andreas rüber, der zu schlafen schien. Doch als sie sich Giftun Soraya näherten, stand er sofort neben Rashid und fragte, ob er fremde Boote ausmachen konnte. Nachdem der Kapitän sich sorgsam umgesehen hatte, schüttelte er nur mit dem Kopf. Andreas zog sich sein bereitliegendes Shirt über und half Ahmed beim Festmachen des Bootes. Wenig später kam die >El Warda< längsseits und machte an Steuerbord der >Amun Re< fest.
Schnell und nicht unüblich für befreundete Tauchlehrer kletterte Sebastian auf das Nachbarboot und begrüßte Anne und Andreas herzlich.
„Ich habe zehn Taucher an Bord, die dürften uns eine gute Kulisse geben. Keine Sorge, ich habe sie nicht in meinem Schlepptau. Darum kümmern sich Chris und Kerstin, meine beiden Tauchlehrer. Sie wissen nichts, machen hier nur ganz normal ihren Job. Ich habe ihnen aber gesagt, dass ich mit rausfahre, um mit meinen Freunden etwas Zeit zu verbringen. Also, null Problemo“, informierte er seinen schon besorgt guckenden Freund, als der die vielen Leute auf dem Boot sah. Dann ließ er sich von Karim, seinem Kapitän, noch einen Beutel herüberreichen, holte sein unter der Bank verstautes Equipment hervor und sagte: „Schön. Meine Jungs haben wirklich an alles gedacht, als sie es auf euer Boot brachten.“ Schnell und geübt verteilte er in den Taschen des Jacketts das Zeug, das Karim ihm kurz zuvor zugereicht hatte.
„Weiß deine Frau davon, was du hier mit uns vorhast?“, wollte Andreas wissen.
„Klar weiß sie es. Wir teilen nicht nur unser Bett, sondern alles“, antwortete Sebastian fröhlich. Wurde dann aber ernst, als er in das besorgte Gesicht seines Freundes schaute und erklärte: „Sie hat gesagt, ich soll auf meinen Arsch aufpassen und dass sie sich wünscht, dass wir die elenden Kerle zu fassen kriegen. Ich solle mir nicht einfallen lassen, ohne eine gute Nachricht heimzukommen.“ Dann machte er eine kurze Pause, bevor er weitersprach. „Ihr müsst wissen, sie wurde selbst schon mal als Geisel genommen, während sie als Aufbauhelferin im Irak arbeitete. Sie haben sie gedemütigt, gequält und vergewaltigt, ehe sie nach einer für sie langen Woche von unseren Leuten befreit wurde. Sie wacht selbst jetzt noch manche Nacht schreiend, gequält von diesen Alpträumen, auf. Es ist nicht leicht für sie.“
„Das tut mir sehr leid, Sebi. Das wusste ich nicht“, gab Andreas zu und legte die Hand auf die Schulter seines Freundes.
„Ist schon okay, Andy, wir schaffen das schon. Außerdem konntest du es nicht wissen. Kim hat es keinem außer mir erzählt“, sagte Sebastian leise. „Vielleicht ist es ihr und mir auch deshalb so wichtig, dass ich hier helfen kann und wir die Kerle kriegen.“
Betroffene Stille herrschte auf dem Deck der >Amun Re<, während sich die drei Freunde für den Drifttauchgang fertig machten.
Als Andreas sein Shirt auszog, um seinen Neoprenanzug anzuziehen, bekam Sebastian einen Schreck, als er die vielen lang gezogenen, rosa Narben auf dem Körper seines Freundes sah. Er ging zu ihm hin und sah sich die Narben genauer an. „Mein lieber Schwan, mit dir waren sie ja nicht gerade zimperlich. Ich habe zwar davon gehört. Aber so schlimm habe ich es mir doch nicht vorgestellt. Das du das überlebt hast“, sagte er mit leichtem Kloß im Hals.
„Zugegeben, es hat nicht mehr viel gefehlt. Ein paar, die das veranstaltet haben wurden geschnappt. Aber zwei der Fiesesten von ihnen konnten leider rechtzeitig vorm Zugriff entwischen. Jens sucht sie mit seinen Mannen immer noch“, antwortete Andreas, dann lächelte er und meinte: „Es ist fast so wie mit deinem Bein. Es schmerzt manchmal noch höllisch, obwohl es doch eigentlich verheilt ist.“ Damit war das Thema für die beiden Männer abgeschlossen. Doch sie hatten dabei ganz vergessen, dass Anne zuhörte. Sie ließ sich nichts davon anmerken, doch in ihrem Inneren war sie zutiefst erschüttert.
Bevor Anne in ihr Jackett mit der Nitroxflasche schlüpfte, befestigte sie mit Riemen ein Tauchermesser an der Wade ihres rechten Beins. Als sie bemerkte, wie die beiden Männer sie dabei beobachteten, meinte sie nur: „Was ist? ... Ich weiß, dass es hier nicht gern gesehen wird. Ausnahmen bestätigen eben die Regeln. Ich vertraue euch ja. Aber darf ich nicht auch was für meine eigene Sicherheit tun?“ Trotzig zog sie den unteren Riemen noch etwas fester und sah dabei die beiden Männer herausfordernd an. Diese grinsten sich nur an und nickten ihr dann mit gespieltem Ernst zu.
Bevor sie auf die Taucherplattform traten, machten sie sich noch aus, dass Anne normal, wie sonst auch als Tauchguide vornweg tauchen sollte und sie ihr in zwei Meter Abstand als Buddyteam folgen würden. Nichts sollte darauf hinweisen, dass sie von den beiden Männern in Wirklichkeit beschützt wurde. Die drei stellten sich auf die Plattform nahe der Ausstiegsleiter, während das Boot Fahrt aufnahm, um zu ihrem Absprungpunkt zu kommen, wo Rashid ihnen kurze Zeit später das Zeichen gab, dass er die Schraube angehalten hatte.
Sie tauchten rechte Schulter zum Riff und die leichte Strömung trug sie langsam an der schön bewachsenen Riffwand vorbei, als säßen sie in einem bequemen Bus der Stadtrundfahrt. Anne ging langsam auf eine Tiefe von dreißig Metern, um den Gorgonienwald nicht zu verfehlen, die beiden Männer folgten ihr in der verabredeten Entfernung. Als sie das Ende des Drop-Offs erreicht hatten, bogen sie rechts nach Giftun Soraya ein, wo sie ein ausgewachsener Buckelkopfpapageifisch und ein großer Napoleonfisch regelrecht erwarteten. Das war ein absolutes Highlight für die drei Taucher.
Die Tiere zeigten keine Scheu und ließen sich von den drei Freunden umrunden, wobei die Neugier wohl zwischen Fischen und Tauchern ziemlich gleich verteilt war. Doch als sich langsam immer mehr Taucher bei den beiden Fischen einfanden, konzentrierten sich die drei Freunde unmerklich mehr auf die Neoprenfische als auf die wahren Stars der Show.
Dabei verhielt sich Anne ganz ruhig. Was sie aber innerlich nicht wirklich war, wie ihr erhöhter Luftverbrauch wenig später verriet. Schon nach neunzig Minuten kehrten sie unters Boot zurück und machten ihren Sicherheitsstopp, um dann aufzutauchen. Schnell waren Rashid und Ahmed zur Stelle und nahmen ihnen die Flaschen ab. Rashid informierte Andreas darüber, dass er ein Boot entdeckt hatte, welches er hier noch nie gesehen habe, es aber nach seiner Ansicht für ein Safariboot zu klein sei. Andreas und Sebastian gingen mit dem Kapitän aufs Oberdeck und ließen sich das Boot unauffällig zeigen, welches zwischen den Booten der Schnorchelausflügler, direkt bei der großen Giftuninsel lag.
Geschwind lief Andreas die Stufen wieder hinunter, holte seinen Feldstecher aus dem Rucksack und besah sich das Boot aus sicherer Deckung genauer. Kurz darauf kam auch Sebastian zu ihm und fragte neugierig: „Und was ist?“
„Ja, ich glaube, das könnten unsere Freunde sein. Sie beobachten uns. Wahrscheinlich wollen sie auf Nummer sichergehen.“
„Welches Boot ist es?“, wollte Sebastian wissen.
„Da das Dritte von rechts. Das Weiße, mit dem schmalen blauen Streifen oberhalb der Wasserlinie und den grellgelben Aufbauten“, beschrieb Andreas das Boot, dabei reichte er seinem Freund das Fernglas.
„Stimmt“, sagte Sebastian, „dieses Boot habe ich hier auch noch nie gesehen. Und die Idioten glotzen noch dazu völlig ohne Deckung mit ihren Feldstechern direkt zu uns rüber. Ich zähle gerade sechs Mann. Sie scheinen sich ziemlich sicher zu fühlen.“
„Gibt es vielleicht noch ein zweites Boot, das uns näher steht?“, wollte Andreas wissen.
Konzentriert nahm sein Freund die anderen Boote unter die Lupe. „Nein, alles andere sind bekannte Boote von hiesigen Tauchbasen.“
„Dann schauen wir doch mal, ob wir die Nussschale noch mal zu Gesicht bekommen, wenn wir woanders hinfahren“, meinte Andreas und grinste dabei seinen Freund an.
„Wirst du es Anne sagen?“, wollte Sebastian wissen. „Ich meine ja nur. Sie hatte schon jetzt einen ziemlich hohen Luftverbrauch, was untypisch für sie ist. Für gewöhnlich hat sie die gleichen Luftreserven wie ich. Und meine Flasche war noch halb voll, als wir aufgetaucht sind. Sprich, sie war sehr aufgeregt. Auch wenn sie das nie zugeben würde.“
Andreas überlegte eine Weile, dann sagte er: „Stimmt, habe ich auch bemerkt. Doch, ich glaube, es ist besser, wenn wir es ihr sagen. Dann kann sie besser darauf reagieren. Außerdem ist es vielleicht gut, um ihren Luftverbrauch in Gefahrensituationen besser einschätzen zu können. Wer weiß wofür es gut ist, den zu kennen.“ Er sah seinen Freund an und meinte dann noch: „Aber wir müssen ihr ja nicht gleich auf die Nase binden, dass du sechs Leute gezählt hast. Vielleicht haben wir ja Glück und es gehen nur zwei von ihnen ins Wasser.“ Sebastian nickte ihm verstehend zu, aber sagte dann kopfschüttelnd: „Du glaubst wohl wirklich noch an den Weihnachtsmann.“
„Eigentlich nicht. Aber manchmal kann es auch hilfreich sein, an dem alten Jungen festzuhalten“, entgegnete Andreas lächelnd, ging aus der Deckung und hängte seinen nassen Anzug auf den Bügel, damit er wieder etwas abtrocknen konnte.
Wie schon am Tag zuvor nahmen sie ihre Mahlzeit gemeinsam mit den beiden Besatzungsmitgliedern ein und lobten Ahmed wegen seiner Kochkünste.
Nach dem Essen meldete sich Sebastian zu Wort und schlug vor, den nächsten, flacheren Tauchgang bei Abu Ramada gegen die Strömung Richtung Abu Ramada Plateau und mit der Strömung wieder zurück zur >Amun Re< zu machen. „Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir das Boot wieder in unserer Nähe entdecken“, sagte er abschließend.
„Aber warum greift sich die Küstenwache nicht gleich das Boot?“, wollte Anne wissen.
Andreas rückte näher an sie heran und erklärte ruhig: „Weil es auch einfache Taucher sein können, die das Gleiche vorhaben wie wir, schöne Tauchgänge zu haben. Anne … Mädchen, wir brauchen Beweise, dass es wirklich die richtigen Kerle sind. Sonst werden sie ganz schnell wieder laufen gelassen und dann wollen sie uns als Rache vielleicht richtig ans Leder.“
Bei dem letzten Satz von Andreas musste die junge Frau mächtig schlucken und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Es tut mir leid, wenn ich das so hart sage und vielleicht auch etwas übertrieben habe“, versuchte er, das zuvor Gesagte abzuschwächen. „Doch glaub mir, wir müssen die Richtigen erwischen und das mit allen Beweisen, die wir nur kriegen können. Das verstehst du doch?“ Anne nickte.
„Außerdem glaube ich nicht, dass die uns gleich besuchen werden. Vorausgesetzt, die sind es überhaupt“, meinte Sebastian ruhig. „Ich denke eher, dass sie uns erst einmal versuchen auszuspionieren, ob wir wirklich nur eine kleine Tauchgruppe sind, die du als Tauchguide zu begleiten hast. Wenn sie es sind, wollen sie sicher sein, dass es für sie ein leichtes Spiel wird, dich zu kidnappen.“
„Na ja“, gab sie zu und sah dabei abwechselnd von einem zum anderen. „Aber so richtig beruhigt habt ihr mich damit nicht gerade.“ Ein verlegenes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Wenn wir also eine normale Gruppe mit Guide spielen wollen, dann können wir das nicht glaubhaft machen, wenn wir uns untereinander, so wie bisher, nur ein gegenseitiges Kurzbriefing zuwerfen. Ab jetzt machen wir die Vorstellung richtig und werden unser Briefing vor jedem Tauchen auf dem Oberdeck durchziehen. Selbst wenn ich nur die Tafel hoch genug halte, mal aufs Riff zeige und wir uns in Wirklichkeit vielleicht Witze erzählen oder den Tauchgang ganz anders planen. Hauptsache es sieht nach einem normalen Briefing aus.“
„Anne hat Recht“, gab Sebi zu. „Daran haben wir gar nicht gedacht.“
„Okay, dann ab jetzt Briefing auf dem Oberdeck, woraus wir eine Lagebesprechung machen und genau festlegen, wer was macht“, schloss Andreas das Gespräch ab. Er ging nach draußen, um die Ankerleine am Bug mit einzuholen. Dann machte sich die >Amun Re<, extra langsam auf den Weg zum nächsten Tauchplatz.
Anne setzte sich in den Salon und malte gewissenhaft den Tauchplatz, den sie ansteuerten, mit allen Tiefenangaben auf.
„Warum gibst du dir solche Mühe damit?“, wollte Andreas wissen, als er in den Salon kam, um seine Wasserflasche zu holen.
Anne lächelte ihn. „Vielleicht sind ja nicht nur wir so schlau und haben ein starkes Fernglas. Vielleicht haben sie auch eins und dann sähe es doch blöd aus, wenn ich euch ne leere Briefingtafel vor die Nase halte. Am Ende kennen sie ja hier die Tauchplätze und würden ziemlich schnell merken, dass etwas nicht stimmt. Damit wäre unsere Tarnung geplatzt, noch bevor wir sie überhaupt erst richtig anwenden konnten.“
„Anne, du bist verdammt gerissen. Du denkst mit. Danke“, lobte Andreas anerkennend und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. „Dann sollte ich wohl besser mein Shirt wieder anziehen, dass ich damit nicht so auffalle.“ Dabei zeigte er auf seinen Oberkörper. Sofort holte er es aus seiner Tasche, zog es über, dazu setze er sein Basecap und die Sonnenbrille auf. Dann ging er mit der Wasserflasche in der Hand aufs Oberdeck.
„Und wie sieht es aus, Sebi?“, wollte er von seinem Freund wissen, der schon, seit sie abgelegt hatten, auf dem Oberdeck war.
Sebastian berichtete ihm kurz, dass viele Boote gleich nach ihnen wieder losgemacht und ebenfalls ihren Kurs eingeschlagen hatten, da die Tauchplätze um Abu Ramada gern nach Giftun Ham Ham aufgesucht wurden. Dann grinste er und sagte, dass auch das fremde Boot mit dabei sei.
„Sieht so aus, als ständen wir unter Beobachtung“, meinte der fast einen Kopf kleinere Sebastian und grinste seinen Freund an.
Als Anne mit der Briefingtafel nach oben kam, hatten es sich die beiden Männer auf dem Oberdeck, auf den Sitzbänken links und rechts im Schatten, gemütlich gemacht und dösten vor sich hin. Sie schob die Tafel unter die Bank, nahm sich eine Matte vom Stapel, breitete ihr Badetuch darauf aus und legte sich in die Sonne, die hoch im Süden stand.
Am Geräusch des Motors hörten die Männer, dass der Kapitän beidrehte, um mit dem Bug nach Norden am neuen Tauchplatz festzumachen. Beide hoben nur leicht den Kopf und schauten übers Meer. Das weiße Boot mit dem gelben Aufbau überholte sie gerade und fuhr weiter nach Süden.
„Es macht bei Erg Abu Ramada fest“, stellte Sebastian trocken fest, als er beobachtete, wie das Boot beidrehte und an einem Boot festmachte, welches schon dort lag. Als er näher hinsah, bemerkte er, dass es sich bei dem anderen Boot um eines von Annes Tauchbasis handelte. „Wenn das unsere Leute sind, dann sind sie ganz schön dreist“, meinte er.
„Oder sie wissen noch nicht, auf welchem Boot Anne ist, und sie suchen sie noch“, überlegte Andreas laut.
„Anne, weißt du vielleicht, wer von euch heute auf der >Al Shams< unterwegs ist?“, wandte sich Sebastian an die Frau.
„Ja, ich glaube Rolf und Dirk, mit vierzehn Tauchern und zwei Schnorchelgästen“, antwortete sie verschlafen. „Warum fragst du?“
„Ach nur so. Hat mich bloß mal interessiert“, tat es ihr Freund und Kollege ab, um sie nicht zu beunruhigen. Die beiden Männer nickten sich zu. Sie wussten, dass sie den Tauchlehrern am Abend in der Basis ein paar wichtige Fragen stellen mussten.
Nach einer Weile setzte sich Anne auf, sah auf ihre Uhr, flocht sich ihr Haar neu, stand auf und hockte sich auf die etwas höhere Sitzbank, die dem Steuer abgewandt war. „Okay Jungs“, sagte sie und holte die Tafel vor. „Es wird Zeit fürs Briefing.“ Schnell richteten sich beide Männer auf und schienen aufmerksam ihren Ausführungen zu lauschen. Dabei legten sie aber in Wirklichkeit ihre Positionen zueinander und die Tauchzeit fest. Sie wollten nicht erst bei hundert bar, wie eigentlich üblich, wieder zum Boot zurückkehren, sondern ihren Tauchgang wesentlich verkürzen. Damit es nicht auffiel, dass sie alle drei Profitaucher waren. Sie wollten so tun, als wären sie ganz durchschnittliche Tauchtouristen, mit einem durchschnittlichen Luftverbrauch. Also einigten sie sich darauf, ihren Tauchgang nicht länger, als auf fünfundfünfzig Minuten auszudehnen. Dann machten sich die drei für ihren Tauchgang fertig.
Sie überprüften auf der Plattform noch einmal gegenseitig ihre Tauchausrüstung und sprangen nacheinander ins Wasser. Anne fragte von den beiden Männern das Okay ab und gab mit dem Daumen nach unten gerichtet das Zeichen zum Abtauchen. Artig nahmen die Männer ihren Inflator nach oben, um die Luft aus dem Jackett zu lassen, obwohl sie sonst doch nur am Schnellablass des Inflators oder dem Ablassventil am Jackett zogen. Sie tauchten ab und sofort zur Riffwand, der sie linke Schulter zum Riff gegen die nur leichte Strömung folgten. Weit und breit waren keine anderen Taucher zu sehen.
Anne schien den Tauchgang sichtlich zu genießen, denn sie sah wieder interessiert und neugierig in fast jede Spalte und freute sich über die Entdeckung einer kleinen Nadelschnecke, die sie ihren Begleitern voller Stolz zeigte. Im Gegenzug machte Sebastian nach einer Weile auf eine Scherengarnele aufmerksam, welche die drei Taucher eine Weile beim Fressen beobachteten, bevor sie weiter schwammen. Ein Weißspitzenriffhai zog schnell an ihnen vorbei und schien gar keine Notiz von ihnen zu nehmen. Er hatte wohl anderes vor.
Ihnen begegneten große Blaustreifen-Drückerfische. Papageifische, die an den Steinkorallen nagten, um sich ihr Futter zu suchen. Dabei entdeckten sie auch wieder die lustigen Anemonenfische. Andreas konnte erneut nicht widerstehen, sie so ein wenig zu ärgern.
Nach fünfzig Minuten waren sie zurück unter ihrem Boot. Sie sahen während ihres Sicherheitsstopps in weiter Ferne, gerade noch so auszumachen, Richtung Süden eine Gruppe von Tauchern, die ihnen nicht mehr gefährlich werden konnte.
Zuletzt, so wie es üblich war, verließ Anne als Tauchguide das Wasser. Schnell zog sie sich die Handschuhe aus, warf ihr Equipment ab und sprang noch einmal, nur mit ihrem Anzug, ins Wasser zurück, wusch sich ihr Gesicht ab und tauchte es wieder und wieder unter. Die Männer standen auf der Plattform und sahen der Frau zu, wie sie sich immer wieder das Gesicht abwischte.
„Was ist los mit dir?“, fragte Andreas besorgt.
„Ich bin wohl voll in einer Nesselplantonwolke aufgetaucht, das brennt vielleicht und dann hat mich noch was eklig Schleimiges gestreift. Aber ne Qualle war das nicht.“
Sebastian lacht laut los. „Nee, aber die alte Plastiktüte hier.“ Dabei wedelte er mit einer dünnen, durchsichtigen und zerfetzten Tüte herum. „Habe sie knapp hinter dir aus dem Wasser gefischt, als sie auf mich zutrieb.“ Dann sagte er etwas ernster: „Komm raus. Ich habe Salbe. Die ist gut gegen das leichte Brennen. Habe sie mir erst von meinem Apotheker zusammenmixen lassen. Hilft wirklich schnell.“
Während Sebastian in den Salon ging, half Andreas Anne aus dem Anzug.
„Hier wasch dir das Gesicht erst einmal etwas mit Trinkwasser ab, damit das Salz runterkommt“, riet Sebastian, dabei reichte er ihr die mitgebrachte Wasserflasche. Als sie ihr gerötetes Gesicht, wobei aber der Bereich, wo sie die Maske trug, verschont geblieben war, abgespült und abgetrocknet hatte, gab ihr Sebastian den kleinen Tiegel mit der Salbe. „Brauchst nicht viel davon.“
Dankbar nahm Anne eine Fingerspitze voll von der Creme und verrieb sie gleichmäßig auf Wangen, Kinn und Halsansatz.
„Kinder, ich will ja nicht prüde erscheinen“, meldete sich Andreas zu Wort, der noch immer in seinem Neoprenanzug auf dem Deck stand. „Aber könntet ihr euch vielleicht mal so hinstellen, dass neugierige Vögel von dem unbekannten Boot da drüben nicht zufällig meinen Oberkörper sehen können. Nur für den Fall, dass da einer dabei ist, der mich daran erkennen könnte, weil er davon gehört hat. Ich habe vorhin mein Shirt vergessen anzulassen. Die Zeit ohne war eben so schön.“
Sofort verstanden sie, was er meinte. Während Sebastian beim Ausziehen des eng anliegenden Anzugs half und ihm dann sein Shirt zureichte, breitete Anne ihr Badetuch weit aus, als rubble sie sich damit den Rücken ab und spielte dabei mit dem Wind in ihrem langen Haar.
„Jungs, beeilt euch etwas, mir wird kalt“, sagte Anne, die schon eine Gänsehaut auf den Armen hatte.
„Okay. Kannst dich wieder einmummeln. Der Kleine ist verpackt“, antwortete Sebastian. Schnell schlang sie das große Tuch um ihren Körper und lief zur Reling, wo sie ihren anderen, in der Zwischenzeit getrockneten, Badeanzug vom Geländer der Reling zog, den sie nach ihrem ersten Tauchgang da fest gemacht hatte. Damit verschwand sie auf der Toilette, um sich darin umzuziehen. Die beiden Männer dagegen gingen in den Salon und wechselten dort schnell ihre Badehosen und waren damit fertig, bevor Anne, noch immer leicht fröstelnd, in den Salon trat, um sich ihre kuschelig, warme Fleecejacke zu holen.
Ahmed löste nacheinander die Ankertaue und die >Amun Re<, gesteuert von Rashid, nahm langsame Fahrt auf. Sie sahen noch, wie sich auch die >Al Shams< von ihrem Ankerplatz löste, aber das unbekannte Boot dort vor Ort blieb. Sie setzten sich windgeschützt aufs Oberdeck in die Sonne, um sich von ihren Strahlen wieder aufwärmen zu lassen.
„Und, wie wollen wir nun unsere gemeinsamen ›Ausflüge‹ weiter gestalten?“, wollte Andreas an seinen alten Freund gewandt wissen.
„Oh, ich habe mit Kim schon darüber gesprochen. Sie schmeißt so lange unsere Basis allein und ich habe eben Urlaub, den ich mal auf einer anderen Tauchbasis, einfach zum Gaudi als normaler Tauchtouri, verbringe. Haben wir schon mal so gemacht. Stimmt’s Anne?“, sagte er und grinste dabei die Frau frech an.
„Oh ja, das hat er gemacht“, antwortete sie lachend. „Der Kerl hat sich angestellt, als wäre er der größte Tauchtrottel auf Erden.“ Dabei lachte sie noch mehr und erzählte: „Wir haben ihn einige Male wie einen Luftballon mit uns an der Buddyleine geführt, weil er so tat, als könnte er absolut nicht tarieren. Dabei hatte er auf dem Boot immer die große Klappe, was für ein toller Taucher er sei und wo er schon überall getaucht war. Alle Kollegen haben mitgespielt und wir haben etwas unsere Gäste zum Narren gehalten. Am Ende haben wir sie aber doch eingeweiht. Die Leute haben danach zugegeben, dass es die spannendsten und lustigsten Tauchgänge ihres Lebens waren.“ Alle drei mussten nun lachen. Dann sagte Anne noch, dass er ja sogar so eiskalt war zu erzählen, dass ihm ein weißer Hai das Bein abgebissen hätte.
Während die beiden Männer noch darüber lachten, wurde Anne mit einem Mal nachdenklich und ernst. Sie sah Sebastian an. „Aber mal ehrlich. Du hast noch nie darüber gesprochen, wie es wirklich passiert ist.“
Nun wurden auch die beiden Männer sehr ernst und schauten sich bedrückt an. Sebastian nickte seinem Freund auffordernd zu, dass er es erzählen könne.
Nur langsam begann Andreas. Es schien ihm sehr schwerzufallen. „Sebi war ebenso wie ich und die neun Männer, die du schon vor einem halben Jahr auf der >Blue Sea< gesehen hast, in derselben Sondereinheit von Kampfschwimmern. Bei einem Geheimauftrag im Mittelmeer, bei dem wir ein Schiff entern sollten, um zwei Geiseln zu befreien, die verschleppt wurden, gerieten wir in einen Hinterhalt. Sebi entdeckte ein Harpunengeschoss mit einem Sprengkörper daran, welches auf unsere Gruppe zukam. Als er erkannte, dass wir es nicht mehr schaffen würden auszuweichen, legte er ein paar Flossenschläge zu, um das Geschütz von uns abzulenken. Es zerfetzte seinen Unterschenkel, aber rettete uns damit das Leben. Danach musste er leider den Dienst bei unserer Einheit quittieren und wurde in allen Ehren als Kapitänleutnant, was dem Rang eines Hauptmanns entspricht, entlassen.“
Erschüttert von dem gehörten, starrte Anne auf die Prothese ihres Freundes. Als Sebastian den starren Blick von ihr bemerkte, sagte er lachend: „Hey Mädchen, es ist doch egal ob es der Weiße Hai, ein Geschoss oder ein simpler Verkehrsunfall war. Ich lebe und komme gut damit zurecht. Ist es nicht das, was zählt?“
„Nein, Sebi, ganz so sehe ich es nicht“, gab Anne zu. „Es macht einen riesigen Unterschied. Ihr seid besondere Menschen. Ein Haibiss oder ein Verkehrsunfall, genauso wie vielleicht mal eine Prügelei unter Betrunkenen, in die man versehentlich geraten kann, sind tragische Unfälle. Aber ihr wusstet genau, was und warum ihr es getan habt. Nämlich um andere Menschen damit zu schützen. Das ist etwas ganz anderes“, stellte sie fest. Dabei steckte ihr ein großer Kloß im Hals.
„Nun mach es mal halblang, Kleene“, sagte Sebastian und lächelte sie dabei an. „Jeder tut das, was er am besten kann.“
„Und wir sind hier, um ein paar schöne Tauchgänge mit dir zu haben und so nebenbei ein paar böse Buben zu erwischen, die uns nicht in den Kram passen“, ergänzte Andreas seinen Freund angrinsend. Dabei nahmen sie die Frau in ihre Mitte und legten beide einen Arm um sie.
Ahmed balancierte vorsichtig ein Tablett mit fünf Gläsern Cappuccino zu ihnen hoch aufs Oberdeck. Erst bot er das Getränk den Gästen an, die sich herzlichst dafür bedankten. Sie konnten den Cappu jetzt gut gebrauchen. Dann reichte er eines an den Kapitän weiter und nahm sich selbst das letzte Glas.
Es dauerte noch eine halbe Stunde, ehe die >Amun Re< ihren sicheren Heimathafen erreichte.
Die drei Freunde sicherten sich eine gemütliche Ecke unter einem Ventilator. Dann ging Sebastian ins Office und meldete sich als offizieller Tauchgast auf der >Amun Re< an. Alfred und Isolde nahmen es lachend zur Kenntnis und warnten ihren Freund aber davor wieder solchen Schabernack zu treiben. Doch er machte ihnen klar, dass er einfach nur mit zwei guten Freunden ein paar entspannte Tauchgänge genießen wolle, weil er mal aus dem täglichen Stress raus müsse. Das verstand das Ehepaar und sie setzten ihn auf ihrer Liste mit auf das Boot, welches Andreas Wildner gemietet hatte. Als er zurück zum Tisch seiner Freunde kam, stand da schon ein Dekobier für ihn bereit und sie stießen gemeinsam an, wie all die anderen kleinen Gruppen von Tauchern, die zurückgekommen waren. Nichts unterschied sich von ihnen.
Nach einer Weile entdeckte Sebastian Rolf und Dirk bei ihrer Tauchgruppe. Er gab Andreas mit den Augen ein Zeichen. Sie entschuldigten sich bei Anne und gingen auf die beiden Tauchlehrer zu. Freundlich wurde er von seinen Kollegen begrüßt.
Doch nachdem er ihnen „Wir müssen reden“ ins Ohr geflüstert hatte, sahen sie ihn fragend an und gingen gemeinsam mit ihm und Andreas hinter die Ausgabetheke in den Raum, in denen sie kleine Reparaturen am Equipment erledigten.
„Was ist denn los?“, wollte Rolf vom Kollegen der Nachbarbasis wissen.
„Ihr wart doch heute zum zweiten Tauchgang am> Erg Abu Ramada<?“, fragte Sebastian.
„Ja“, antwortete Dirk als erster.
„Neben euch das Boot, kanntet ihr das schon?“, fragte er weiter und begründete seine Neugier. „Ich habe es hier nämlich noch nie gesehen.“
„Wir auch zuvor noch nicht“, gab Rolf zu. „Aber es sind paar ganz nette Typen. Sie sagten, sie kommen von einer neuen Tauchbasis ganz aus dem Süden. Habe den Namen noch nie gehört. Aber wer weiß, vielleicht haben sie ja gerade erst aufgemacht.“
„Mir war nur komisch, dass sie bis hier hochgekommen sind“, ergänzte Dirk seinen Kollegen.
„Warum?“, wollte Andreas wissen.
„Ganz einfach, weil da unten im Süden die Riffe noch unberührter und deshalb noch um vieles schöner sind als hier“, erklärte Dirk höflich.
„Und? Warum sind sie nun hier?“, hakte Sebastian nach.
„Sind paar Männer, die sich selbstständig gemacht haben und paar Abenteuer zusammen erleben wollen. Haben sie gesagt“, antwortete Rolf.
„Und“, fragte Sebastian neugierig weiter, „haben sie sich nach den Tauchbasen hier erkundigt? Wer weiß, vielleicht können wir sie ja als Gäste gewinnen.“
„Ich glaube du eher nicht“, antwortete Dirk und grinste Sebastian frech an, als er weiter sprach. „Sie waren nämlich sehr interessiert an unserer Tauchbasis. Aber was mir komisch erschien …“ Dabei stockte Dirk und überlegte kurz.
„Was ist dir komisch vorgekommen?“ Hakte nun Andreas, schon leicht genervt, nach.
„Sie haben gefragt, ob Annemarie Kamp noch bei uns arbeitet und auf welchem Boot sie zurzeit fahren würde. Dabei hatten sie zuvor gemeint, dass sie noch nie auf unserer Basis waren. Aber Anne arbeitet schon seit acht Jahren hier und war vorher auf keiner anderen Tauchbasis beschäftigt. Sie hat nämlich hier ihren Tauchlehrer gemacht und ist gleich geblieben. Woher sollten die sie also kennen?“
Schnell warfen sich die beiden alten Freunde einen ernsten Blick zu. Dann fragte Sebastian weiter. „Und, was habt ihr ihnen gesagt?“
„Na, dass sie mit nem Privatkunden für paar Tage auf der >Amun Re< unterwegs ist. Warum fragst du?“, wollte Rolf wissen.
„Ach, nur reine Neugier“, gab Sebastian zurück. Dann wollte er noch wissen, wie viel Mann auf dem fremden Boot waren.
„Zehn plus drei Mann Besatzung“, antwortete Dirk ehrlich.
Die beiden Männer bedankten sich für die Auskünfte und baten die beiden Tauchlehrer, das kleine Gespräch für sich zu behalten. Dann gingen sie zurück zu Anne, die sich in der Zwischenzeit mit ein paar Tauchgästen unterhielt.
„Junge, ich denke, wir haben da ein mörderisches Problem“, raunte Sebastian seinem Freund zu, während sie an den Tisch zurückkehrten. „Es sind ein paar zu viele für uns zwei.“
„Lass uns morgen darüber sprechen“, antwortete Andreas eben so leise, „Anne braucht davon nichts zu wissen. Vielleicht ist es ja auch nur ein dummer Zufall, wir müssen abwarten. Aber ich informiere auf jeden Fall Jens heute noch darüber.“
Gemeinsam traten die beiden Männer lächelnd, als wäre nichts gewesen, an den Tisch und setzten sich zu Anne, um ihr angefangenes Bier auszutrinken, etwas zu scherzen und von den beiden Tauchgängen zu sprechen.
„Kann ich meinen abtrünnigen Gemahl vielleicht hier bei euch abholen?“, hörten die drei Freunde plötzlich Kims Stimme, die sich unbemerkt an den Tisch herangeschlichen hatte. Freundlich wurde sie von Andreas und Anne begrüßt. Sebastian gab ihr einen lieben Kuss und bat sie, sich doch noch kurz zu ihnen zu setzen.
„Das hatte ich eh vor“, sagte sie lächelnd und stellte eine Schale Chips auf den Tisch, welche sie zuvor an der kleinen Bar der Basis geholt hatte. „Und wie weit seid ihr?“, fragte sie dann ihren Mann mit ernster Miene.
„Noch nichts Genaues, Schatz“, sagte Sebastian schnell und küsste sie erneut. „Und, wie geht es auf der Basis?“, wollte er, sie ablenkend, von ihr wissen.
„Oh, Sandra hilft mir im Office. Wir kommen gut zurecht“, beruhigte Kim ihren Mann, damit er seinen Job hier auch unbesorgt machen konnte.
Als die Tauchbasis sich langsam leerte, stand Kim auf und zog ihren Mann einfach mit sich. Dabei sagte sie lächelnd. „Dieser Mann kann nie ein Ende finden. Ich nehme ihn besser mal mit nachhause.“ Dann verabschiedeten sich die Frauen herzlich voneinander. Die beiden Männer winkten sich nur kurz zu, als Sebastian zu Kim in den Wagen stieg und sie bereits Gas gab, noch bevor er die Autotür richtig geschlossen hatte.
„Die beiden passen wirklich super zusammen“, meinte Anne nur kurz und Andreas nickte ihr zustimmend zu, während er noch dem silbernen Ford nachsah.
„Ja, Sebi hat es gut getroffen“, gab er in Gedanken versunken zurück.
Nachdem alle Tauchgäste die Basis verlassen hatten, schwang sich Andreas wieder hinter Anne auf den Motorroller und sie fuhren dieses Mal in entgegengesetzter Richtung davon. Schnell fragte er, wo sie denn hin wolle, wo das Hotel doch in der anderen Richtung lag.
„Ich denke, du wolltest zu einem Juwelier, um den Stein von Amira bearbeiten zu lassen?“, fragte Anne laut gegen das Motorengeräusch und den Fahrtwind ankämpfend. Das hatte Andreas ganz vergessen und war dankbar, dass sie daran gedacht hat.
Sie fuhren nach Sakalla, in die Altstadt von Hurghada, wo Anne direkt vor einem großen Juwelierladen hielt und ihren Roller abstellte. Und das wieder, ohne ihn abzuschließen. Gemeinsam traten sie in den geräumigen Laden und wurden höflich von zwei Mitarbeitern begrüßt. Anne fragte nach dem Chef und nur wenig später erschien ein Ägypter im schwarzen Anzug mit Krawatte, der fröhlich auf sie zuging und sie begrüßte. Sie stellte ihm Andreas vor und erklärte kurz seinen Wunsch, während Andreas den flachen Stein aus seiner Rucksacktasche holte, ihn aus dem Papier packte und vorsichtig auf die gläserne Verkaufstheke legte.
„Ein ausgefallener Wunsch, aber auch ein wirklich schöner Stein“, meinte der Ägypter freundlich lächelnd. Er nahm den Stein und verschwand in einen der hinteren Räume, während seine Mitarbeiter den beiden Besuchern einen Tee anboten und sie in eine gemütliche Ecke einluden. Anne und Andreas genossen noch den wohlschmeckenden Hibiskustee, als der Juwelier mit dem tadellos sitzenden, schwarzen Anzug zurückkam und Andreas den Stein reichte, der nun ein kleines Loch hatte, durch den bereits eine braune Lederschnur gefädelt war.
Als Andreas seine Brieftasche herauszog, um zu bezahlen, wehrte der Mann mit erhobenen Händen ab.
„Oh nein“, sagte er auf Ägyptisch, „das ist ein Freundschaftsdienst. Dafür nehme ich kein Geld.“ Lächelnd setzte er hinzu: „Allah würde mich dafür bestrafen.“
Etwas verwirrt sah Andreas Anne an, die ihn verschmitzt anlächelte.
„Mustafa ist der Bruder des hiesigen Bürgermeisters und der Onkel von der kleinen Amira, die übrigens auch mein Patenkind ist“, erklärte sie ihm leise.
Andreas legte noch im Juweliergeschäft, vor einem großen Spiegel, den Stein um seinen Hals, zog ihn in Höhe seiner Brust, um dann das Lederband fest zu verknoten. Er bedankte sich herzlichst bei dem Mann und verließ gemeinsam mit Anne den Laden.
„Du kennst hier sehr viele gute Menschen“, stellte er fest, als er wieder hinter ihr auf dem Roller Platz nahm.
„Ich lebe hier auch schon eine ganze Weile und liebe diese Leute und ihre Lebensart. Ich identifiziere mich mit ihnen“, gab Anne erklärend zurück und startete ihr Moped. Als sie am Hotel angekommen waren, stieg Andreas von der Maschine und wollte sich gerade von ihr verabschieden, als sie nur leise, wie zu sich selbst sagte: „Ich möchte diesen Abend nicht allein sein. Ich habe Angst.“
Fragend und forschend sah er tief in ihre Augen. Dann nahm er, ohne ein Wort zu sagen, wieder hinter ihr Platz und sie startete den Motor.
Kurz bevor sie vor ihrem Haus ankamen, entdeckte Andreas die neu errichtete Stellung der Touristenpolizei und war sehr froh, dass die ägyptischen Stellen so schnell auf seine Bitte reagiert hatten. Auf der anderen Seite machte er sich aber nun auch Sorgen um Annes guten Ruf bei ihren ägyptischen Freunden, wenn er um diese späte Stunde noch mit zu ihr ins Haus marschieren würde.
„Anne“, sagte er leise, nachdem sie ihre Maschine abgestellt hatte, „es ist vielleicht doch besser, wenn ich wieder gehe.“
„Warum?“
Andreas wies auf die Stellung der Polizei hin und sagte dann: „Das würde schnell bei deinen Freunden die Runde machen. Ich möchte nicht, dass sie falsch von dir denken könnten.“
„Du meinst wegen der Touristenpolizei da?“, fragte sie. Als er leicht nickte, lächelte sie ihn an. „Ich habe sie schon heute früh bemerkt. Bist du dafür verantwortlich?“ Wieder nickte er.
„Es ist besser, wenn ich wieder gehe. Du hast allen Schutz, den du brauchst, für die Nacht. Und den Tag über werde ich dafür zuständig sein und Sebi wird mir dabei helfen.“ Damit verabschiedete er sich von ihr.
Nachdem sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte, trat er zu Fuß seinen Rückweg zum Hotel an. Dort angekommen, ging er mit seinem Rucksack, noch bevor er seinen Zimmerschlüssel an der Rezeption abgeholt hatte, in den Speisesaal. Erst nach dem Abendessen, welches er sich am Büfett ausgesucht hatte, holte er seinen Schlüssel ab und lief die Treppen nach oben, in den vierten Stock, wo sein Zimmer war.
Da er kein Licht im langen Gang gemacht hatte, bemerkte er sofort den Lichtschein, der ringsum aus den Spalten seiner nicht dicht abschließenden Zimmertür drang. Er wusste, dass er früh kein Licht angemacht, geschweige denn hat brennen lassen. Langsam näherte er sich der Tür, leise und vorsichtig steckte er den Schlüssel ins Schloss. Drehte ihn schnell herum und stürmte in sein Zimmer, keine Ecke zur Kontrolle auslassend.
Na Klasse, dachte er befreit aufatmend, da haben wohl die Zimmerboys vergessen, das Licht zu löschen, nachdem sie aufgeräumt und sauber gemacht hatten. Doch noch während er das dachte, quietschte leise die Balkontür.
Ein Mann trat ins Zimmer, grinste ihn an und sagte: „Du lässt nach, mein alter Freund. Hast den Balkon außer Acht gelassen.“
„Nicht ganz. Schau mal“, antwortete Andreas und wies, eben so grinsend, mit den Augen auf seine gezogene Pistole, die noch immer auf den Mann an der Balkontür gerichtet war.
„Okay, ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil“, meinte der Mann. „Pack die Bleispritze weg. Du weißt doch, ich reagiere immer so allergisch auf das Zeug.“ Andreas steckte die Waffe wieder zurück in die Tasche und begrüßte seinen alten Freund, Kampfgefährten und Vorgesetzten mit einem kräftigen Handschlag.
„Sieh da, sieh da. Flottillenadmiral Jens Arend höchstpersönlich. Was verschafft mit denn die Ehre? Oder ist es ein Kontrollbesuch?“ Die beiden Männer setzten sich bequem in die beiden Sessel, die in Andys Zimmer neben dem Balkonfenster standen.
Jens berichtete ihm, dass er gerade erst angekommen sei und noch Zeit hat, bis er zum Marinestützpunkt müsse. Und er einfach schon im Vorfeld die Zeit nutzen wollte, seinen Freund über die neusten Ereignisse zu informieren, und dabei etwas vom Stand seiner Ermittlung und Arbeit erfahren wollte.
„Was gibt es denn so Interessantes, dass dich die Ägypter auf ihren Stützpunkt einladen und noch dazu so schnell?“, wollte Andreas, neugierig geworden, wissen.
„Sie haben ein Boot aufgebracht, das heimlich im Süden über die Grenze gekommen ist. Nun glauben sie, dass es vielleicht etwas mit unserer Bande zu tun haben könnte, und haben mich herzlichst zum Verhör mit eingeladen“, erzählte Jens und sah in das nachdenkliche Gesicht seines Freundes.
„Das klingt sehr interessant, mein Alter“, gab Andreas noch immer überlegend zurück und fragte weiter: „Wann haben sie die erwischt?“
„Vorgestern Abend, kurz nachdem es dunkel war, haben sie es versucht ohne Positionslichter, und nur langsamer Fahrt. Die ägyptische Marine griff sie eher durch Zufall auf, als sie bereits zwei Seemeilen in ihrem Hoheitsgebiet waren. Mehr werde ich dann wohl morgen früh erfahren“, sagte Jens und fragte noch: „Aber warum interessiert dich das so?“
„Ich bin nicht davon überzeugt, dass es nur ein Zufall war. Vom südlichsten Zipfel bis hier her braucht so eine Nussschale schon etwas mehr als vierundzwanzig Stunden, schätze ich mal. Es würde also genau passen. Bitte bekomme auf jeden Fall raus, wer die Leute auf dem Boot waren und welche Absichten sie hatten. Vor allem die Bootsbesatzung interessiert mich dabei. Vielleicht haben wir es hier nur mit einem Köder und Ablenkungsmanöver zu tun“, gab Andreas noch immer nachdenklich zurück und erklärte dann. „Denn genau heute früh ist uns ein fremdes Boot aufgefallen, das artig in unserer Nähe blieb. Die Kerle haben bei einem anderen Kahn der Tauchbasis nach Annemarie Kamp gefragt und sich darüber informiert, auf welchem Boot sie zurzeit meist fährt. Ich denke nun, entweder sie haben zwei oder sogar mehr Schiffe losgeschickt in der Hoffnung, dass so viele wie möglich es schaffen sollen. Oder sie haben wirklich nur einen Köder ausgelegt, um die Gunst der Stunde zu nutzen, während die Marine noch mit dem anderen Boot beschäftigt war.“
Nun grübelte auch Jens nach und gab seinem Freund recht. „Sobald ich Näheres erfahren habe, rufe ich dich an oder spreche dir auf deine Mailbox. Und was gibt es sonst noch, was ich vielleicht wissen sollte?“ , fragte Jens.
„Ich denke, dass es etwas heiß werden könnte. Laut Aussage der Leute vom anderen Taucherboot, handelt es sich um zehn Mann plus drei Mann Besatzung, die durchaus auch zu denen gehören könnte. Da hätte ich schon gern etwas mehr Sicherheitsvorkehrungen für unseren Lockvogel, damit wir sie nicht verlieren“, gab Andreas zu bedenken.
„Oh, gut, dass du das ansprichst. Ich hab dir etwas von unserem Spielzeug mitgebracht“, sagte Jens und holte eine Tasche vom Balkon, die er da versteckt hatte, als er seinen Freund überraschen wollte.
Als Andreas ihn fragend ansah, erklärte Jens: „Unter anderem, sind auch ein paar starke Minipeilsender drin, die nicht über die herkömmlichen Frequenzen laufen. Die Gefahr der Entdeckung ist damit geringer, aber leider nicht ausgeschlossen. Zwei der dazugehörigen Empfänger werde ich morgen unseren ägyptischen Freunden geben. Damit können sie jederzeit die Standorte von eurem Äppelkahn, den von unserem Lockvogel und wenn es möglich wäre, dem Boot der Kerle ausmachen und zugreifen, sobald es so weit ist. Eins behaltet ihr.“ Dann grinste er, „Was die anderen kleinen Spielereien angeht, lass dich überraschen. Ich denke, Gebrauchsanweisungen wirst du dafür nicht benötigen.“ Nach einer kurzen Pause erkundigte er sich nach Sebastian Rothe und Andreas berichtete ihm, dass er zu seinem Glück, da er jede Hilfe brauchen kann, voll mit eingestiegen und verdammt gut in Form ist. Er informierte seinen Vorgesetzten und Freund auch darüber, dass er Anne so gut wie alles gesagt hatte und sie sich sehr gut hielt.
„Ich kenne Romana persönlich ja nicht so gut wie du. Sondern hauptsächlich nur die schon fast nervenden Schwärmerei von Ralf, als wir alle noch eine Truppe waren und die Berichte über euren Einsatz. Aber ich glaube, Anne ist ebenso stark und beherzt wie Romy. Sie möchte diese Kerle nicht entwischen lassen“, erklärte Andreas.
Jens überlegte kurz und schien in Gedanken ein paar Monate zurückzugehen. Er lächelte noch ganz versonnen, als er sagte: „Wenn sie wirklich auch nur halb so gut und mutig ist, wie unser Habicht damals war, dann kriegen wir die Kerle. Und zwar jeden Einzelnen von ihnen, noch bevor die Verhandlung in Deutschland beginnt.“ Dabei sah er auf seine Uhr. „Tut mir leid, Kleiner, aber ich muss wieder los. Ich will mir heute noch die ersten Aussagen durchlesen und nähere Infos einholen. Passt auf eure Ärsche auf und grüß den alten Haudegen Sebi von mir. Wenn ich etwas Zeit habe, schaue ich noch bei euch vorbei, bevor ich wieder zurückfliege.“ Damit stand er auf und die beiden Männer umarmten sich kumpelhaft zum Abschied.
„Ich melde mich bei dir, sobald ich Näheres weiß. Ansonsten die gehabte Nummer und ich bin an der Strippe“, sagte Jens, als er schon an der geöffneten Tür stand. Gerade als er sie hinter sich schließen wollte, sagte Andreas noch: „Bussard … danke für den Besuch und das Spielzeug.“
Jens lächelte ihm kurz zu. „Keine Ursache, Schneeeule.“ Dann schloss er die Tür hinter sich und Andreas war wieder allein in seinem Hotelzimmer. Er nahm sich ein gut gekühltes Bier aus der Minibar und trat auf den Balkon. Doch wenig später ging er zurück ins Zimmer und wählte die Nummer von Sebastian.
Andreas hatte einen neuen Plan.
„Hallo Kim“, grüßte er, als sich die Frau seines Freundes am Telefon meldete. „Hier ist Andy. Kannst du mir mal bitte deine schlechtere Hälfte geben? …Danke. .... Ja, Hallo, mein Großer. Viele Grüße von unserem Bussard. Er war gerade hier und hat paar Spielereien vorbeigebracht. Sag mal, weshalb ich eigentlich anrufe. Hättest du morgen Lust und Zeit auf einen Nachttauchgang? … Nein, mir wäre einfach mal danach. .... Klasse. Näheres erfährst du dann morgen von mir. … Nö, brauchst du nicht. Ich rufe sie gleich selbst noch an. Grüß deine bessere Hälfte von mir.“ Andreas trennte die Verbindung und wählte eine neue Nummer. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich, etwas außer Atem, eine Frauenstimme meldete.
„Hallo. Ana huna, Anne Kamp.“
„Hallo Anne, hier ist Andy. Sorry, wenn ich dich beim Schwimmen gestört habe“, sagte er in den Hörer. Eine Weile war Ruhe auf der anderen Seite, dann fragte Anne: „Woher weißt du, dass ich gerade schwimmen war?“
„Ach, hörte sich nur so an“, gab Andreas ausweichend zurück und musste lächeln. „Aber, weshalb ich anrufe. Ist es möglich, dass wir morgen auch einen Nachttauchgang mit einplanen können?“
„Klar, warum nicht? Du hast das Boot samt mir zur freien Verfügung. Was hast du vor?“, wollte Anne neugierig geworden von dem Mann an der anderen Seite der Leitung wissen.
„Nicht hier am Telefon, Anne. Ich erkläre es dir morgen in aller Ruhe auf dem Boot. Einverstanden?“
Sie war damit einverstanden. Beide wünschten sich noch eine gute Nacht, dann legte sie als Erste den Hörer auf und sprang kopfüber zurück ins Wasser, um noch ein paar Bahnen zu schwimmen.
Doch ihr ging dabei der Anruf von Andreas nicht mehr aus dem Kopf. Sie hätte zu gern gewusst, was er vorhatte, denn sie mochte Überraschungen nicht sonderlich.
Sosehr sie sich auch anstrengte und überlegte, sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was Andreas mit dem Nachttauchgang bezweckte.
Wenig später brach sie ihr Schwimmen mitten in Pool ab und paddelte mit nur wenigen, kräftigen Armschlägen zurück zum Rand, kletterte die Leiter hoch und zog sich ihren bereitliegenden Bademantel über. Immer und immer wieder gingen ihr zwei Fragen durch den Kopf.
Was hatte der Mann vor? Und, was bezweckte er damit?
In dieser Nacht schlief Annemarie Kamp sehr unruhig.
10Das Weckerklingeln am Morgen erschien ihr viel zu früh. Mühevoll wälzte sie sich aus den Federn und brauchte erst einmal eine kalte Dusche, um halbwegs wach zu werden. Sie versorgte ihren Kater, brühte sich einen extrastarken Kaffee und zog sich an, während der Kaffee durchlief. Noch wie gerädert setzte sie sich an den Frühstückstisch und bekam am Ende keinen Bissen von dem frisch getoasteten Brot mit Marmelade, was sie sonst am Morgen so mochte, herunter. Sie ging ins Bad zurück, kämmte sich nochmals ihr langes, bis zur Taille reichendes Haar und flocht es zu einem dicken Seitenzopf.
„Mach keinen Blödsinn Miekosch“, ermahnte sie ihren Kater, während sie ihren schwarzen Helm aufsetzte und der kleine Kerl ihr zum Abschied um die Beine schlich. Wenig später verschloss sie die Haustür, setzte sich auf den Roller und startete ihn.
Als sie am Hotel von Andreas vorbeifuhr, sah sie ihn, bereits auf seinen Pick-up wartend, auf den Stufen sitzen. Sie bremste ab und winkte ihm zu, während sie ihr Handy aus der Tasche holte, um Ali anzurufen, damit er nicht umsonst zum Hotel fuhr. Schnell kam der Mann mit seinem voll bepackten Rucksack auf die andere Straßenseite gelaufen und fragte Anne fröhlich gelaunt: „Fahren sie zufällig Richtung Red Sea Dive Resort und könnten mich ein Stück mitnehmen?“
„Ja, das ist gerade meine Strecke“, gab Anne eben so fröhlich und höflich zurück. Doch dann drängte sie: „Nun steig schon endlich auf, ich bin etwas spät dran.“
Schnell setzte sich Andreas hinter sie, zog seine Kappe tiefer ins Gesicht, damit sie nicht vom Fahrtwind weggeweht werden konnte. Und schon reihte sich Anne in den morgendlichen Straßenverkehr ein, wo sie ordentlich Gas gab und sich laut hupend Platz verschaffte.
„Du weißt schon, dass du mit solch einer Fahrweise in Deutschland keine Fahrprüfung bestehen würdest“, schrie Andreas gegen den Fahrtwind ankämpfend zu Anne nach vorn.
„Ich weiß“, gab sie zurück, „deshalb fahre ich ja auch hier.“ Dabei betätigte sie wieder ihre Hupe, während sie einen Kleinbus überholte, der sie abdrängen wollte. „Aber glaub mir, wer hier fahren kann, kann es auf der ganzen Welt. Doch ich kann dich beruhigen, ich habe meinen Führerschein in Deutschland gemacht und fahre da auch ganz gesittet.“ Sie lachte wieder und schwenkte gekonnt um einen tiefer liegenden Gullydeckel herum. Dabei merkte sie, wie Andreas alle Bewegungen der Maschine geschmeidig mitmachte und sich nicht dagegen lehnte. Das beruhigte sie sehr und sie gab noch etwas mehr Gas. Schon wenig später bogen sie nach links zur Tauchbasis ein. Sie setzte ihren Fahrgast ab und startete dann, mit durchdrehendem Hinterrad, was ihr viel Spaß zu machen schien, in einer engen Kurve, in der sie ordentlich Sand aufwirbelte, Richtung Hafen. Schon nach weiteren fünfzehn Minuten stellte sie ihren Roller auf dem Parkplatz hinter der Basis ab. Noch während sie ihren Helm absetzte, lief sie ins Office, um für ihr Boot die Ganztagsausfahrt plus Nachttauchgang umzumelden. Das war wichtig, damit genügend Stahlflaschen mit Nitrox an Bord gebracht werden konnten und sie sich im Büro keine Sorgen machen musste, wenn die >Amun Re< nicht am Nachmittag mit den anderen Booten zurück sein würde.
„Warum bist du denn so schnell zum Hafen gefahren?“, fragte Andreas sie ganz verdutzt, als sie auf die Terrasse zurückkam. Anne erklärte ihm, dass sie Ahmed und Rashid Bescheid gesagt hatte, dass sie etwas mehr zu Essen einplanen müssen, damit sie auch am Abend keine knurrenden Mägen haben brauchen. Dann habe sie noch mit organisiert, dass die Mannschaften der anderen Boote etwas mit von ihren Vorräten, die meist sehr reichlich bemessen waren, abgaben. Denn für gewöhnlich würden sonst die Jungs bereits am Abend zuvor, wenn sie zur Nacht mit rausfahren, dafür vorsorglich einkaufen. Es aber in diesem Fall schon zu spät gewesen war. Andreas entschuldigte sich daraufhin bei Anne und versprach, so etwas in Zukunft eher kundzutun.
Auf dem nächsten Pick-up, der an der Basis hielt, erkannten die beiden Freunde Sebastian sofort und winkten ihm zu, damit er sie nicht lange suchen musste.
„Hallo ihr zwei Süßen“, begrüßte er sie fröhlich, als er zu ihnen trat und sich mit auf die bequeme Bank fläzte. „Schon gesehen? Das Meer ist glatt wie ein Spiegel. Da werden wir super Tauchgänge haben.“ Während Andreas ihm eben so fröhlich beipflichtete, schaute Anne Sebastian eher skeptisch an.
„Du weißt wohl noch nicht, dass Andy auch einen Nachttauchgang für heute geplant hat?“, fragte sie.
„Doch“, antwortete ihr Kollege immer noch lächelnd, „und ich bin schon sehr gespannt darauf, wo er was vorhat. Irgendetwas wird sich dieser Schwachkopf schon ausgedacht haben.“
„Ja. … Das beruhigt mich dann ja wirklich ungemein“, gab Anne unsicher zurück. Daraufhin nahm Sebastian die Frau sanft in den Arm und flüsterte ihr ins Ohr: „Vertrau ihm nur einfach, meine Kleene.“
„Eh!“ Wehrte sie sich lachend. „Du musst nicht immer auf meinem sächsischen Dialekt rumhacken! Ich spreche auch Hochdeutsch, wenn ich es will!“ Dabei löste sie sich mit gespielter Empörung von Sebastian. „Braucht doch nicht jeder wissen, dass ich aus dem tiefsten Sachsen komme.“
„Wieso? Schämst du dich etwa dafür?“, wollte Andreas wissen.
„Nein, eigentlich bin ich stolz darauf, denn meine Heimat ist sehr schön“, gab Anne zurück. „Ich mag nur die maßlosen Übertreibungen meines Dialektes nicht, die ich immer wieder zu hören bekomme. Der bayrische Dialekt klingt auch nicht gerade gut in den Ohren, trotzdem macht man sich über ihn nicht so lustig wie über den meinen. Dabei bin ich aber stolz darauf und würde ihn nie unterdrücken und verleugnen.“
Andreas wusste aus ihrer Akte, dass Anne aus Dresden stammte. Er selbst war ebenso aus den neuen Bundesländern und verstand sehr gut ihren Stolz auf ihre Stadt und ihr Land. Eigentlich war es nichts anderes als der Stolz, den die Anderen auf ihre Region hatten, in der sie aufgewachsen waren und lebten. Doch für viele, die aus den Altbundesländern kamen, war der Dialekt eben neu und ungewohnt. Der sächsische Dialekt wurde in vielen alten Filmen, die aus der USA kamen und in den alten Bundesländern liefen, bei den Synchronarbeiten für die Nazideutschen verwandt. Was eigentlich völlig falsch war, aber die damalige Politik des Kalten Krieges gut widerspiegelte. Beispiele gab es da genug. Doch das brauchte Andreas hier keinem sagen. Sie wussten es beide. Es war schon früher oft genug Diskussionsthema zwischen seinen Kampfgefährten und Freunden bei der Sondereinheit.
Doch über die kleine Stichelei von Sebastian konnte er doch auch lachen. Wusste er doch ganz genau, dass sein Freund die Frau damit nur anstacheln, herausfordern und ablenken wollte. Was ihm auch sehr gut gelungen war, wie er ihm anerkennend zugestehen musste. Er selbst hätte es nicht so gut hinbekommen. Mit den Augen gab er seinem Freund ein Zeichen, welches dieser gleich zurückgab. Sebastian und Andreas hatten sich ohne Worte verstanden, wie schon zu vielen Einsätzen zuvor, bevor das mit Sebastians Bein passiert war. Beide wussten immer, dass dieses Geschoss, welches Sebastian abgefangen hatte, sonst als Nächstes Andreas getroffen hätte. Aber nie hatte es einer von beiden auch nur im Ansatz erwähnt. Sie wussten es einfach und verstanden sich blind. Allein das war es, was für sie immer zählte.
In der Zeit, während dies alles noch in Andreas´ Kopf herumging, war ihr Pick-up vorgefahren.
Kaum dass sie aus dem geschützten Hafen der Tauchbasis ausliefen, entdeckten sie das weiße Boot mit den gelben Aufbauten, wie sie es eigentlich nicht anders erwartet hatten. Beide waren sich im Klaren darüber, dass es schon auf sie wartete, um ihnen zu folgen.
„Rashid, lass uns bei dem schönen Wetter nach >El Fanadir Dacht< fahren“, sagte Sebastian auf Arabisch zum Kapitän und an Andreas gewandt auf Deutsch: „Ich will sehen, wie dreist die Kerle wirklich sind.“
Andreas wusste sofort, was Sebastian vorhatte und nickte ihm nur grinsend zu.
Sie begaben sich unter Deck in den Salon des Bootes, wo Anne schon saß und für die beiden Männer mit Tee aufgebrüht hatte.
„Und wohin fahren wir?“, wollte sie wissen.
„Och, ich denke, wir machen heute unsere Tauchgänge mal entlang von >El Fanadir<“ , antwortete Sebastian, nahm sich eins der Gläser mit dem heißen Getränk und setzte sich dann Anne gegenüber. Nacheinander sah sie sich die beiden Männer genau an.
„Jungs, was ist Sache? Entweder ihr lasst mich mitspielen oder ihr müsst allein damit zurechtkommen. Ich mag keine Geheimnisse. Schon gar nicht, wenn es mich als euren Lockvogel betrifft“, sagte sie dann.
Wieder sahen sich die beiden Freunde an.
Sebastian nickte seinem Freund auffordernd zu, da er selbst ziemlich gespannt auf seine Ausführungen war.
„Okay Anne“, begann Andreas etwas zögerlich und dabei auf seinen Freund blickend, der ihm wieder ermutigend zunickte. „Wir glauben das Boot mit den Kerlen, die uns interessieren, ausgemacht zu haben. Wenn sie uns heute, was ich schwer hoffe, nur ausspionieren wollen, um dann sichergehen zu können, möchte ich dem Boot heute …“ Dabei betonte er dann besonders an seinen Freund gewandt. „Und zwar ich allein, bei einem Nachttauchgang einen Peilsender anheften, der sowohl von uns, als auch von der ägyptischen Marine überwacht werden kann. Einen Peilsender wird auch unsere >Amun Re< bekommen, damit wir immer für unsere Freunde erkennbar sind.“ Er machte eine längere Pause, weil er nicht genau wusste, wie er es Anne erklären sollte. Doch die beiden Freunde lauschten weiter gespannt, sodass Andreas kurze Zeit später weiter sprach. „Uns würde aber die ganze Aktion nichts bringen, wenn sie dich, liebe Anne, nicht in ihre Hände bekommen könnten.“ Dabei sah er die Frau verzeihend lächelnd an und sprach schnell weiter. „Nur dadurch könnten wir ihnen eine Geiselnahme nachweisen und sie eben so verurteilen wie die anderen auch. Würden wir dich nur, in Anführungszeichen, beschützen, könnte der Prozess gegen die anderen zwar in Ruhe laufen, aber wir hätten den Rest der Bande nicht. Aber du, ebenso wie deine Freundin Kim und Sebi, hast dir gewünscht, dass wir sie kriegen sollen.“
Wieder sah er Anne an, die langsam ungeduldig wurde und auf ihrem Platz nervös hin und her zu rutschen begann. „Und was wird da im Klartext genau meine Aufgabe sein?“, fragte sie.
„Wir müssten zulassen, wenn auch nicht gleich freiwillig, um den Schein zu wahren, dass sie dich entführen können.“
„Das meint ihr nicht wirklich ernst?“, fragte Anne und sah abwechselnd zu Andreas und Sebastian. Jedoch nickten ihr beide Männer ernst als Antwort, zu.
„Anne“, sprach dann Andreas weiter auf sie ein, „es ist aber nicht so, dass du das lange bist. Auch da werden wir immer in unmittelbarer Nähe sein und eingreifen, noch bevor dir irgendetwas passieren kann.“
„Und wie wollt ihr das garantieren?“, wollte sie daraufhin wissen.
„Indem du diesen Sender hier, irgendwo versteckt an deinem Körper trägst, wo die Kerle ihn nicht finden können.“ Dabei hielt Andreas ein unscheinbares Teil zwischen den Fingern, welches sogar kleiner als eine normale Kopfschmerztablette war und zeigte es ihr. „Damit wüssten wir jederzeit, wo du bist und könnten immer nahe bei dir sein, um dir zu helfen, wenn es notwendig ist, noch bevor die ägyptische Küstenwache so weit wäre, um zuzuschlagen. … Es ist allein deine Entscheidung, ob du es machst oder nicht. Sagst du nein, dann blasen wir alles ab und wir nehmen dich quasi in Schutzhaft, bis die Gerichtsverhandlungen abgeschlossen sind. Es ist allein deine Entscheidung.“ Mit diesen Worten legte Andreas den Knopf vor Anne auf den Tisch, setzte sich auf die andere Seite, um seinen Tee zu trinken und ihre Entscheidung geduldig abzuwarten.
Nachdenklich drehte Anne den kleinen Knopf zwischen ihren Fingern hin und her und schaute ihn sich genau an. Plötzlich und unerwartet für die beiden Männer, fragte sie laut und mit fester Stimme. „Ist das Ding auch wasserdicht und so?“
„Ja ist es“, gab Andreas zurück.
Nach einer weiteren kurzen Pause, die Anne zum Nachdenken gebraucht hatte, stand sie entschlossen auf und verschwand mit dem Knopf in der Hand auf der Toilette.
Als sie nach einer Weile wieder zurück in den Salon kam, starrten sie die beiden Männer an.
„Was ist?“, fragte sie mit leicht rot werdendem Gesicht, „Ihr habt doch gesagt, dass ich das Ding verstecken soll. Und das Ganze dort, wo die es nicht finden können. Aber unter dem Neoprenanzug trage ich nun mal nur nen engen Badeanzug und den wechsele ich immer“, rechtfertigte sie sich etwas verlegen geworden.
„N...ne… nein, i… ist schon so okay“, brachte Andreas nur noch stotternd hervor, als er sich vorstellte, wo Anne den Peilsender versteckt haben könnte. Für ihn war nun endgültig klar, dass diese Frau in nichts einer Doktor Romana Veit nachstand, sondern ebenso mutig und zu allem entschlossen ist, wie sie es war.
In dem Moment wusste er endgültig, dass er Anne nicht nur achtete, sondern sehr mochte.
Doch er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sie bei El Fanadir Dacht anlegten.
Sebastian und er stiegen hoch zum Oberdeck, um zu sehen, wo sich das fremde Boot befand. Ahmed sagte ihnen, dass dieses fremde Schiff schon an ihnen vorbeigezogen war und gerade bei El Fanadir Foc fest machte.
Damit waren zwar beide Boote auf Blickkontakt, aber per Tauchen mit den normalen Pressluftflaschen in sicherer Entfernung zueinander. Wie die Freunde beruhigt feststellten.
„Willst du heute Abend wirklich allein da rüber gehen?“, wollte Sebastian, um seinen Freund besorgt, wissen.
„Ja, Sebi. Du kennst unsere Devise. So wenig Menschenleben wie möglich gefährden.“
Sebastian ergänzte etwas gelangweilt: „… um so viele wie möglich in der Rückhand zu haben. Ich weiß.“
„Du bist meine Rückhand, Kumpel. Mehr habe ich nicht“, meinte Andreas und lächelte ihn an.
Sebastian nickte ihm zu. „Kannst dich auf mich verlassen“, antwortete er. Dann lachte er kurz auf und meinte: „Sonst lässt mich Kim auch nicht mehr unter ihre Decke.“ Doch dann fügte er wieder ernst hinzu: „Es bedeutet ihr und mir sehr viel.“
Andreas wusste, was sein Freund meinte, nachdem er die Geschichte von Sebastians Frau erfahren hatte. Er trat zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter.
„Lass mal, wir werden es gemeinsam so hinbekommen, dass du wieder unter die Decke kriechen darfst.“ Beide sahen sich an und lachten laut los, als Anne gerade mit ihrer Briefingtafel auf dem Oberdeck auftauchte.
„Okay Jungs“, sagte sie, während sie sich mit dem Rücken zum Kapitän auf die Bank setzte, wo für gewöhnlich der Tauchlehrer zum Briefing saß. „Wie hättet ihr es denn zum ersten Tauchgang gerne?“
„Ja, ich denke mal“, begann Sebastian, „wir tun mal was, was vernünftige Taucher machen würden. Wir gehen den vielleicht bösen Buben aus dem Weg. Wir tauchen ganz artig, zuerst gegen die Strömung ums Riff rum und dann wieder mit der Strömung so zurück, das wir nach fünfundvierzig Minuten, wieder gut sichtbar für die Chorknaben, auf dem Boot zurück sind. Schließlich soll Andy, wenn es dunkel ist, noch die Chance bekommen, den Peilsender bei den Vögeln am Boot anzubringen. Also halten wir für ihn die Tauchzeit so kurz wie möglich.“
Sofort stimmten beide Sebastians Vorschlag zu. Doch um den Anschein zu wahren, zeigte Anne noch auf das Riff und die beiden Männer folgten, sichtlich interessiert, ihren weiteren Ausführungen über den Tauchplatz. Dann gingen sie nach unten, um ihre Tauchausrüstung anzulegen. Schon wenig später sprangen sie nacheinander mit einem großen Schritt ins Leere, ins Wasser. Wobei sich Sebastian mal wieder bemühte besonders blöd auszusehen, was ihm das Gelächter seiner Freunde einbrachte, aber hoffentlich auch eine Minderschätzung der heimlichen Beobachter an Bord des anderen Bootes. Schnell fasste es Andreas auf und spielte Ohrprobleme beim Druckausgleich vor, wonach er total hektisch aufzutauchen schien und ihn seine Tauchlehrerin Anne erst wieder beruhigen musste und sie dann gemeinsam, ganz langsam abtauchten. Wobei Anne ihn versuchte heftig zu schlagen, weil sie wirklich im ersten Moment selbst an seine Panik geglaubt hatte, bis sie seine vor Schalk grinsenden Augen hinter der Maske sah.
„Das Weib begleitet zwei Vollpfosten“, meldete sich der Mann, der die >Amun Re< die ganze Zeit beobachtete. „Boss, warum wollen wir nicht schon heute, jetzt gleich, zuschlagen und uns die Alte holen? Die Kerle da drüben sind, wie es aussieht, sogar zu blöd zum Scheißen.“
Der Mann mit dem pockennarbigen Gesicht riss ihm wütend das Fernglas aus der Hand und schrie: „Hier geht es nicht nach dir, du Kleinhirn! Ich will auf Nummer sichergehen. Wir dürfen dabei nichts verpatzen. Mehr als eine Chance haben wir nicht. Wir machen es so, wie ich es sagte und nicht anders. Ich hoffe, das ist allen hier klar!“, schrie er dann sehr aggressiv auch alle anderen Männer an Bord des Bootes an. „Wir warten ab!“
„Ich hoffe, die Blödmänner da drüben kaufen mir meine Schauspielkunst ab und ich habe wenigstens dort ein würdigeres Publikum und nicht nur solche Ignoranten wie ihr“, sagte Sebastian und spielte den Beleidigten, während alle an Bord sich noch den Bauch vor Lachen hielten.
Andreas suchte sich eine Ecke des Bootes, von wo aus er nicht von den Männern auf dem fremden Boot gesehen werden konnte. Ahmed half ihm schnell beim Abstreifen seines Anzugs. In der Zwischenzeit zogen auch Anne und Sebastian mit Unterstützung von Rashid ihre Anzüge aus und halfen sich gegenseitig. Dabei täuschen sie geschäftiges Treiben auf dem Deck vor, bis sie ihre Anzüge auf die Kleiderbügel gehängt und ihre Westen an den neuen, vollen Flaschen angeschlossen hatten.
Beim Mittagessen, welches wieder die drei Freunde gemeinsam mit der Schiffsbesatzung einnahmen, fragte Andreas Ahmed, ob er auch tauchen könne.
Der Junge sah nur kurz Anne an und sagte dann: „Ja, Anne hat es mir heimlich beigebracht. Aber ich habe keinen Schein dafür.“
Dann wandte Andreas sich an Anne und Sebastian. „Wie sieht es aus, könntet ihr Ahmed, nur bitte ohne jedes Risiko, an meiner statt heute Abend mit zum Nachttauchgang runternehmen? Von mir aus hängt ihn einfach nur die ganze Zeit unters Boot. Aber die Kerle müssen drei Leute rein, mit Lampen rumfuchteln und wieder rauskommen sehen. Ist das zu machen?“ Forschend sah er seine Freunde an. Auch Sebastians Blick heftete sich nun fragend auf Anne.
„Ahmed ist ein guter Taucher“, antwortete sie sicher. Aber fragte dann auch etwas besorgt: „An wie lange hattest du denn gedacht, dass wir unten bleiben sollen?“
„Ich denke mal, fünfundvierzig Minuten als Ablenkung würden mir reichen, auch wenn ich länger dafür brauchen werde. Wichtig ist dabei nur, dass sie das Licht eurer Lampen so lange wie möglich am Riff sehen, ohne dass sie merken, dass ihr Profis seid. Ist das machbar?“
„Klar, ist es das“, antwortete Sebi schnell, „zur Not bekommt Ahmed Luft von uns und wir werden mit den Lampen rumfuchteln, bis ihnen der Saft ausgeht, was eh in dieser Zeitspanne bei den normalen Dingern passieren wird. Kein Problem.“
„Gut“, stellte Andreas zufrieden fest, „dann machen wir den zweiten Tauchgang wie normale Tauchanfänger, um die Gegend für den Nachttauchgang kennenzulernen. Ich schlage vor, ihr nehmt da Ahmed zu seiner Sicherheit schon mit. Aber seht zu, dass ihr ihn immer etwas mit euren Körpern verdeckt, da er ja leider nicht meine Größe hat. Er soll dabei meinen Anzug tragen. Er wird schon irgendwie reinpassen. Ich habe für mich dann noch einen dünnen drei Millimeteranzug. Der wird mir reichen. Was meint ihr?“
Anne und Sebastian sahen sich kurz an und nickten ihm zu. Dann erzählten sie Ahmed, was sie vorhatten und fragten ihn, ob er bereit dafür wäre. Freudig nickte der Junge.
Nach dem Essen zog sich Andreas aber seinen Freund zur Seite und machte ihn darauf aufmerksam, dass er beim zweiten Tauchgang nicht nur Anne, sondern auch den Jungen zu beschützen hatte. Sollten die Kerle unerwartet doch eher angreifen als vermutet, würde es eine Weile dauern, bis er selbst vor Ort wäre, um zu helfen. Doch Sebastian beruhigte seinen Freund, dass er sich dessen sehr wohl bewusst war. Mehr Worte bedurfte es zwischen den beiden nicht. Andreas wusste genau, dass Sebastian alles in seiner Macht Stehende für diese zwei Menschen tun würde, so wie auch er.
Nach dem Essen bekam Ahmed das Basecap, die Sonnenbrille und ein weißes T-Shirt von Andreas an, wo er eigentlich zweimal hineinpasste.
Andreas begann langsam damit die ersten Vorbereitungen für seinen nächtlichen Tauchgang zu treffen, als plötzlich, aber für ihn nicht ganz unerwartet, sein Handy klingelte. Er nahm es schnell aus der Seitentasche seines Rucksacks und meldete sich. Auf der anderen Seite der Leitung war Jens Arend, der Bussard, zu hören. Er informierte ihn darüber, dass die Leute auf dem Boot hauptsächlich Frauen und Kinder waren, die auf einer Schnorcheltour waren. Die Bootsmannschaft hatte aber gestanden, dass sie ihnen Schlafmittel verabreicht hatten, um mit ihnen heimlich in ägyptische Hoheitsgewässer gelangen zu können. Das Zeug dafür hatten sie von zwei Männern, die sie nicht kannten, aber als pockennarbigen Hünen und den anderen als asiatischen, schlitzäugigen Teufel beschrieben, erhalten. Sie hatten ihnen versprochen, für ihre Familien zu sorgen, egal ob sie es über die Grenze schafften oder nicht. Eine Frau und zwei Kinder lägen noch im Koma, weil die Dosis der verabreichten Mittel viel zu hoch war.
„Die Beschreibungen kommen mir irgendwie verdammt vertraut und bekannt vor“, gab Andreas kurz seinen Kommentar dazu ab und fragte weiter: „Und, haben die Familien der Besatzung das versprochene Geld schon erhalten?“
„Nein, so weit wie wir von den Behörden des Nachbarlands wissen, nicht einen Cent“, gab Jens etwas irritiert zurück.
„Das dachte ich mir. Diese Schweine!“, sagte Andreas, dabei hatte er sich kaum noch in der Gewalt. „Die armen Schlucker, die daran geglaubt haben, gehen in den Knast und ihre Familien, Frauen mit Kindern den Bach runter, ohne etwas dafür zu können. Ihnen wurde der einzige Ernährer genommen. Jens, sehe zu, ob du da vielleicht mit Hilfe von unserem Superanwalt Rainer, unserem Nachtfalken, was deichseln kannst. Ich habe was dagegen, wenn unschuldige Menschen unter solchen Parasiten leiden müssen. Egal, ob sie durch das Geld verführt wurden. Es sind nur arme Schlucker, die für ihre Familien einen kleinen Ausweg gesucht haben. Straft nicht auch noch deren Frauen und Kinder.“
So kannte Jens seinen Freund gar nicht. Für gewöhnlich brachte dieser seine Bedenken immer erst nach einer abgeschlossenen Operation an. Aber er versprach ihm alles ihm Mögliche für die Besatzungsmitglieder des aufgebrachten Bootes und deren Familienmitglieder im Sudan zu tun. Dann erkundigte er sich nach der laufenden Mission. Wenig später verabschiedeten sich die Männer wieder.
Zum nächsten Briefing verzog sich Andreas in den Salon, denn an seiner Stelle nahm nun Ahmed daran teil. Wobei die beiden Freunde immer bemüht waren, ihn mit ihren Körpern etwas vor den neugierigen Blicken der Männer auf dem anderen Boot zu verdecken.
Andreas beobachtete derweil versteckt die Männer auf dem Boot. Sofort machte er zwei Beobachtungsposten aus, welche die >Amun Re< in ihrem Fernglasvisier hatten. Aber es beruhigte ihn, dass keiner sich dort an Bord für einen Tauchgang vorzubereiten schien. Was er seinen drei Leuten gleich mitteilte, als die sich zum Tauchen fertig machten. Etwas musste er dabei schmunzeln, weil Ahmed sein Anzug zu weit und viel zu groß war und sie Ärmel und Hosenbeine mehrmals umschlagen mussten. Doch selbst Ahmed störte sich nicht daran, sondern grinste breit übers ganze Gesicht. Er winkte Andreas noch kurz zu, bevor er als zweiter der kleinen Gruppe ins Wasser sprang.
Nachdem die drei aus seinem Sichtfeld verschwunden waren, schaute er noch einmal zu dem anderen Boot, was eigentlich in sicherer Entfernung für normale Taucher lag. Er war erleichtert, dass von ihnen keine Aktivitäten ausgingen, sondern sie sich nur auf die Beobachtungen der Taucher und Besatzung, der >Amun Re< konzentrierten. Leise kam Rashid in den Salon und hielt wenig später für Andreas und sich ein Glas heißen Tee bereit.
„Oh danke Rashid“, sagte Andreas lächelnd auf Arabisch, „du weiß, was ein Mann in solch einem Moment braucht.“ Dankend nahm er ihm das eine Glas ab. Dann setzten sie sich beide schweigend nebeneinander und schlürften immer wieder von dem heißen Getränk.
„Du magst Anne sehr“, begann der alte Kapitän das Gespräch, „warum also gehst du nicht zu ihr und sagst ihr das?“
„Ach alter Freund“, erwiderte Andreas sichtlich bedrückt zu Rashid, „wenn das doch so einfach wäre.“
„Es ist einfach“, gab der alte Mann nicht nach, „Anne mag dich sehr. Vielleicht wartet sie ja nur darauf, dass du es ihr sagst.“ Dabei lächelte er Andreas herausfordernd an.
„Das mag sein, Rashid.“ Andreas legte freundschaftlich seinen Arm auf die Schulter des alten Mannes und sprach dann weiter: „Aber im Moment kann und darf ich mir keine Gefühle leisten, wenn wir alle gesund hier rauskommen und dabei unser Ziel erreichen wollen.“
Rashid verstand, was der Mann meinte.
Dann schwiegen beide wieder und tranken ihren Tee, wobei jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.
Die von Rashid kreisten um Andreas und Anne. Doch die von Andreas kreisten um seinen nächtlichen Einsatz, bei dem nichts, aber auch gar nichts, schiefgehen durfte, um Annes Leben und die Chance eines fairen Prozesses gegen hochrangige Waffenschieber in Deutschland und anderen Teilen der Welt zu sichern.
Gerade als der Kapitän zurück aufs Oberdeck gehen wollte, tauchten die drei Freunde am Heck des Bootes wieder auf und kletterten nacheinander nach oben.
„Und, wie ist es gelaufen?“, wollte Andreas wissen.
„Oh, Anne hat ganze Arbeit bei Ahmed geleistet“, antwortete Sebastian anerkennend und rubbelte dem jungen Ägypter freundschaftlich über den Kopf. „Er taucht wie ein kleiner Fisch.“
„Dann dürfte also bei eurem Nachttauchgang nichts schiefgehen“, stellte Andreas zufrieden fest und half erst Anne und dann seinem Freund aus dem Neoprenanzug, während bei Ahmed der zu große Anzug, wie von selbst herunterrutschte. Worüber alle fünf lachen mussten.
Der Schiffsjunge verzog sich in die Kombüse und die drei Freunde stiegen aufs Oberdeck, um sich noch etwas in die Sonne zu legen. Andreas lag gleich neben Sebastian und wollte von ihm wissen, wann sie für gewöhnlich zu Nachttauchgängen starten. Sebastian erklärte ihm, dass sich die meisten kurz nach dem Sonnenuntergang fertig machen würden.
„Aber wenn es dir lieber ist, können wir auch später starten“, schlug er dann vor und sah Andreas fragend an.
„Nein, wir machen es so, wie es hier auf den Booten üblich ist. Ich will die da drüben“, antwortete er, dabei wies er leicht mit dem Kopf zu dem anderen Schiff, „nicht auf uns aufmerksam machen. Reicht schon zu, dass sie immer zwei zu unserer Beobachtung abstellen.“ Dann erklärte er weiter, dass er vorhabe, mindestens eine halbe Stunde vor ihnen ins Wasser zu gehen, damit die Wachen dann, wenn er in die Nähe ihres Bootes kommt, durch den Tauchgang seiner Freunde abgelenkt sind.
„Ich hoffe, ich habe mich da mit der Strecke nicht verschätzt. Es ist schon ein ganzes Stück bis dahin. Doch die Zeit, plus eure vierzig Minuten dürften mir reichen, um gerade dort anzukommen, wenn ihr wieder aus dem Wasser kommt und ein wenig Rabatz macht“, sagte Andreas, noch etwas nachdenklich.
„Ja, die Zeit müsste reichen, um bis dort hinzukommen“, gab ihm sein Freund zurück. „Du stehst doch voll im Training und ich glaube nicht, dass die Strömung noch zunehmen wird. Wenn aber doch, dann könnte es knapp werden.“
„Das will ich nicht hoffen. Seht zu, dass ihr, wenn ihr wieder draußen seid, nicht vergesst, das Licht an der Plattform und dem Hauptdeck zu löschen, damit ich unbemerkt rauskommen kann. Ich habe keine Lust, die Bordwand hochklettern zu müssen. Ich denke, dafür wäre ich dann zu ausgepowert. Setzt euch aufs Oberdeck und macht ruhig etwas lauter und bewegt euch viel, vor allem während wir ablegen.“
„Klar doch, großer Bruder, das kriegen wir hin“, meinte Sebastian und grinste Andreas breit an. „So lange bin ich ja nun auch noch nicht aus dem Geschäft, dass ich nichts mehr von Ablenkungsmanövern verstehen würde.“
„Na dann bin ich ja beruhigt. Ich will nur nicht, dass sie stutzig werden und im nächsten Moment ihren Bootsrumpf absuchen, unseren kleinen Informanten finden und kaputt machen.“
Ahmed kam mit einem großen Teller voller Kuchen und einem Tablett mit saftigen, roten Wassermelonenscheiben die Stufen zum Oberdeck hoch balanciert, stellte alles auf eine Bank und verschwand noch einmal, um wenig später mit fünf Gläsern Cappuccino zurückzukehren. Alle fünf setzten sich gemütlich in einem Kreis auf den Boden des Decks und aßen gemeinsam. Dabei scherzten und lachten sie, wie schon die Tage zuvor.
Andreas verzog sich wenig später nach unten in den Salon. Er holte seinen schwarzen, 3 mm dünnen, langen Tropentauchanzug aus seiner Tasche. Dazu die schwarzen Dacor Longblade Flossen, die ihm ein schnelleres Vorwärtskommen ermöglichen sollten.
„Wow, mit den langen, harten Brettern willst du tauchen?“, fragte Anne ungläubig, als sie in den Salon kam und eine Flosse in die Hand genommen hatte, um sie sich genau anzusehen. „Da brauchst du ja mehr als nur etwas Kraft. Ich hoffe, du bekommst da keinen Krampf in den Waden.“
Andreas lächelte sie verschmitzt und herausfordernd an und meinte: „Kannst mir ja vorher die Waden massieren.“ Dann kramte er in seiner Tasche und holte eine Tube Salbe hervor. „Ich hoffe, keinen Krampf zu bekommen, und genau dafür nehme ich diese Salbe und reibe mir kurz vorher die Beine damit ein. Ist so eine Art Wundermittelchen, welches die Muskeln im Vorfeld schon mal etwas aufheizt. Dazu eine Magnesiumtablette und es dürfte funktionieren. Außerdem bin ich dafür ausgebildet“, erklärte Andreas ihr.
„Trotzdem ein sehr weiter Weg“, meinte Anne besorgt.
„Ja, das stimmt schon“, gab er zu, „aber sehe es mal positiv, danach kann ich super gut schlafen.“
„Ja, und wir haben morgen was zu lachen, wenn du vor Muskelkater kaum noch laufen kannst“, stichelte Anne.
Sie sah zu, wie Sebastian seinem Freund die Salbe auf den Beinen verteilte und einmassierte, dabei sprach keiner der beiden Männer ein Wort. Andreas schluckte noch eine zweite Magnesiumtablette und trank eine halbe Flasche Wasser in nur einem Zug aus.
Als er fertig angezogen war, half ihm sein Freund beim Anlegen der Tarierweste mit dem Kreislaufgerät, welches ihn unter Wasser nicht durch aufsteigende Luftblasen verraten konnte. Andreas befestigte den Taschengurt um seine Taille und bat Anne, ihm, wenn er im Wasser ist, die Flossen zu reichen.
Den Schutz der Aufbauten nutzend, kletterte er über die Reling an Backbord. Er brauchte alle Kraft, um sich, mit dem Gewicht des gesamten Equipments, langsam an der Bordwand ins Wasser gleiten zu lassen, damit er keine lauten Geräusche dabei machte. Denn ein Sprung ins Wasser wäre bei dem ruhigen, spiegelglatten Meer weithin zu hören gewesen. Anne reichte ihm die Flossen zu und wünschte ihm viel Glück.
Gerade als Andreas abtauchte, stand die Sonne schon über dem Gebirge im Westen und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie dahinter verschwand.
„Ali, das war ein sehr schöner Abend“, bedankte sich Andreas bei seinem Fahrer nochmals für die Einladung.
„Wir zu danken habe, das du bist gekommen“, gab Ali lächelnd zurück. „Du haben viele Herzen gebrochen. Soll grüßen dich von kleine Amira.“
„Danke Ali. Grüß sie ganz lieb zurück.“
Der Ägypter lächelte seinen Fahrgast an und nickte. „Das werden tun ich.“ Dabei kramte er in seiner Hosentasche, „Hier soll ich geben von Amira dir. Soll Glück bringen, sagen sie.“ Er drückte Andreas einen flachen Stein, der eine schöne Maserung hatte, in die Hand.
„Danke Ali. Ich sehe, Amira hat einen guten Geschmack“, meinte Andreas. Nachdem er den Stein genau betrachtet hatte, steckte er ihn in die linke Brusttasche seines Hemdes und sagte: „Glück kann ich wirklich gut gebrauchen. Bitte danke der kleinen Lady dafür.“
Auf der Basis angekommen, wurde er bereits von Anne und Farid erwartet. Gemeinsam gingen sie in das Krankenzimmer. Nachdem sich Andreas die Hände gewaschen hatte, besah er sich wieder die Wunde am Bein des Ägypters. Schnell desinfizierte er sie und Anne reichte ihm die Salbe, die wundheilend und schmerzlindernd wirkte, die er vorsichtig mit einem Tupfer um die Wundränder verteilte. Zufrieden nickend verbanden sie die Wunde wieder.
„Sieht gut aus mein Freund. Noch ein paar Tage, dann können wir die ersten Fäden ziehen. Aber übertreibe es nicht gleich wieder so.“
Anne übersetzt Farid, was Andreas gesagt hatte, obwohl sie wusste, dass er doch selbst Arabisch sprach. Farid dankte den beiden und sie verließen gemeinsam den Raum. Farid lief zum Hafen, um da mitzuhelfen, während Anne und Andreas zurück nach vorn zur Terrasse gingen, wo die nächste Gruppe von Tauchgästen, von denen viele noch verschlafen aussahen, eintraf.
Freundlich winkend wurden Anne und Andreas von den Ägyptern im Hafen begrüßt, als sie mit dem Pick-up vor der >Amun Re< abgesetzt wurden. Rashid und Ahmed halfen ihnen aufs Boot und klopften Andreas dabei lächelnd auf die Schulter. Schnell waren die Leinen losgemacht und die zurückbleibenden Männer winkten dem Boot noch nach.
„Mit so einer Begrüßung hatte ich ehrlich nicht gerechnet“, gab Andreas zu, während er noch zurückwinkte.
„Sie haben dich in ihr Herz geschlossen“, erklärte Anne kurz, ebenfalls noch winkend. „Du musst wissen, die Kinder sind ihr Heiligtum und so wie du gestern mit ihnen gespielt hast und so lieb zu der kleinen Amira warst, das haben sie sehr wohl registriert.“
Andreas erzählte Anne von dem Geschenk, welches er heute früh durch Ali von Amira erhalten hatte. Er zeigte ihr den schönen Stein, der ihm Glück bringen sollte. „Ich werde heute Abend mal gucken, wo einen Juwelier in der Nähe meines Hotels ist, um darum zu bitten, mir ein Loch in den Stein zu bohren.“
„Warum das denn?“, wollte Anne wissen.
„Damit ich ihn an einem Lederband um den Hals tragen kann.“
Sie fand, dass es eine gute Idee sei, und bot an, ihn am Abend bei einem guten Juwelier abzusetzen, bevor sie ihn zum Hotel zurückbringen würde. Dabei lächelte sie ihn an. „Amira wird das sehr freuen und stolz machen.“
Andreas ging in den Salon, dort packte er den Stein in ein Zellstofftaschentuch und steckte ihn in die Vordertasche seines Rucksacks.
„Und wo soll heute die Reise hingehen?“, wollte er dann wissen.
„Als du gestern mit den Kindern gespielt hast, hatte ich Zeit, mich mit Sebi zu unterhalten. Ich weiß, dass du ihm alles erzählt hast. Wir sind beide der Meinung, dass es nichts bringt, wenn wir uns an Riffs verstecken, wo sie uns nicht so schnell finden. Außerdem musst du deine Angst vor anderen Tauchern loswerden“, sagte sie grinsend. „Also stürzen wir uns heute voll ins Getümmel. Wir fahren nach Giftun Ham Ham und machen da einen Drifttauchgang nach Giftun Soraya, ganz normal mit Stahlflaschen. Sebis Zeug ist schon mit hier an Bord. Er wird in Soraya zu uns rüberkommen, bevor wir zum Absprungpunkt von Ham Ham fahren. Da wir alle drei einen niedrigen Luftverbrauch haben, können wir in der Ecke von Soraya eine ganze Weile bleiben, wo uns viele Taucher sehen werden, die an uns vorbeikommen müssen, um zu ihren Booten zurückzukehren. Da gebe ich einen guten Lockvogel ab. Eigentlich müsste Sebastian mit der >El Warda< dann gleich hinter uns auftauchen, wenn wir am Hafen seiner Tauchbasis vorbeikommen“, erklärte sie.
Andreas nahm Anne fest bei den Schultern und drehte sie zu sich herum, damit er ihr genau in ihre blaugrauen Augen sehen konnte. „Erstens, ich habe keine Angst vor anderen Tauchern, das nur mal so fürs Protokoll. Zweitens, du weißt aber auch, dass es sehr gefährlich ist. Ich werde erst im letzten Moment erkennen können, wenn sie dich greifen. Wir kennen weder die Anzahl der Angreifer, noch wie sie es anstellen wollen. Wir wissen nicht wie sie aussehen, geschweige denn, wann und wo deine Entführung geplant ist. Wir wissen lediglich, dass sie es vorhaben.“
„Ja, das ist mir schon klar. Auch Sebastian hat mich schon darauf hingewiesen. Aber wir wollen die Kerle doch erwischen und nicht ewig Angst haben und uns verstecken, nur um zu verhindern, dass die mich kriegen. Oder?“ Anne lächelte Andreas an. Dann wurde sie ernst und sah ihm genau in seine leuchtend blauen Augen. „Also legen wir ihnen doch den schmackhaften Köder aus und machen es ihnen so leicht wie möglich, damit sie darauf reinfallen. Ich vertraue dir, Andy.“
Nach einiger Überlegung, in der Andreas die Frau nicht losließ und ihr weiter fest in die Augen sah, nickte er. „Gut. Aber dann weihen wir auch unsere kleine Crew mit ein, dass sie uns sagen können, wenn sie ein fremdes Boot entdecken. Ich informiere die ägyptische Küstenwache über den Plan, damit sie sich auch unauffällig in der Nähe aufhalten.“ Er ließ Anne los und nahm sein Handy zur Hand, während sie nach oben ging und Rashid so wie Ahmed informierte und darum bat, die Augen offenzuhalten. Gerade als sie wieder in den Salon kam, hatte Andreas die Funkverbindung getrennt und nickte ihr zu.
Anne erklärte ihm, dass sie noch anderthalb Stunden fahren würden und sich noch etwas ausruhen könnten. Sie kramte kurz in ihrer Tasche, während er Tee für sie, die Besatzung und sich aufbrühte.
„Hier, mit bestem Dank zurück“, sagte sie und gab ihm seine Taucherhandschuhe zurück. „Ich habe heute meine eigenen mit. Du wirst sie vielleicht selbst brauchen. Außerdem waren sie mir auch etwas zu groß.“ Dabei zeigte sie ihre zierlichen Hände, indem sie sie neben seine hielt. „Muss aber nicht unbedingt sein, dass du mich das nächste Mal vielleicht auf einen Steinfisch schubst. Die kleinen Kerlchen sind nämlich verdammt giftig und es dauert sehr lange, bis so ein Stachel aus dem Hinterteil geeitert ist“, meinte sie noch und musste selbst darüber lachen.
Nur Andreas war es bei dem Gedanken absolut nicht nach Lachen zumute, also verzog er nur sein Gesicht zu einem schmerzlichen, verlegenen Lächeln, was Anne erst richtig auflachen ließ.
Diese Frau hat vielleicht Humor, dachte er weniger begeistert und schlürfte vorsichtig einen Schluck von dem noch heißen Tee.
Anne machte es sich auf dem Oberdeck in einer windgeschützten Ecke gemütlich, während sich Andreas um sein Equipment kümmerte und verschiedene Gegenstände in den Taschen seiner Tarierweste verstaute.
Als er dann aufs Oberdeck kam, zeigte der Kapitän nach hinten. „Da, die >El Warda<.“
In einer Armada von Taucherbooten entdeckte Andreas das weiß-blau-rote Boot. Es war das Boot, welches seine Freunde vor einem halben Jahr für ihren Einsatz genutzt hatten, um unbemerkt an die >Blue Sea< heranzukommen, und sie dann sogar mit einem großen Goldschatz der Pharaonen zurückgekehrt waren. Dieses stolze Schiff hatte ein kleines Stück Geschichte für Ägypten und die Welt geschrieben.
Heimlich, durch seine dunkle Sonnenbrille, betrachtete er Anne, die vollkommen ruhig und entspannt auf der Sitzbank zu liegen schien.
Doch ganz so war es nicht. Anne hatte Angst, aber sie unterdrückte sie, so gut sie konnte. Sie war eine Frau für klare Verhältnisse. Sie hasste es, Dinge auf die lange Bank zu schieben. Genau das war auch der Grund dafür, dass sie sich entschlossen hatte, den Köder zu spielen und dabei alle Möglichkeiten auszureizen, anstatt sich ängstlich zu verstecken. Sie wollte, dass dieser Spuk schnell ein Ende hatte und keiner der Kerle seiner gerechten Strafe entging. Diese Doktor Romana Veit war ihr ein Vorbild geworden. Dabei hatte Anne sie nur zweimal kurz gesehen. Einmal an Bord der >Blue Sea<, wo sie die Menschen abgeholt hatte. Da stand sie mit an Deck und half den Verwundeten über die Bordwand. Das zweite Mal begegnete sie ihr dann auf Sebastians Tauchbasis. Da half sie ihr, ihren verletzten Arm frisch zu verbinden. Diese Frau war über ihren eigenen Schatten gesprungen, um andere Menschen aus den Händen von Bestien zu befreien. Sie hatte ihr Leben riskiert und mit den Freunden an ihrer Seite gewonnen. Anne wollte, dass ihr Vater diese Kerle, gegen die sie gekämpft hatten, gerecht verurteilen konnte, damit das große Opfer, welches sie gebracht hatten, nicht umsonst gewesen war.
Es war nun an ihr, auch einen Beitrag dazu zu leisten. Sie wollte diese Kerle nicht entkommen lassen, sondern sie wollte, wie die anderen auch, diese Kerle, die Menschen für ihre schmutzigen Geschäfte brutal missbrauchten und ausnutzten, sicher hinter Schloss und Riegel wissen.
Sie hatte in der letzten Nacht ihren Entschluss dazu gefasst und sie würde nicht Annemarie Kamp heißen, wenn sie das nicht durchziehen würde, egal, wie viel Angst sie auch dabei hatte.
Angst schärft die Sinne, dachte sie sich abschließend und sah heimlich zu Andreas rüber, der zu schlafen schien. Doch als sie sich Giftun Soraya näherten, stand er sofort neben Rashid und fragte, ob er fremde Boote ausmachen konnte. Nachdem der Kapitän sich sorgsam umgesehen hatte, schüttelte er nur mit dem Kopf. Andreas zog sich sein bereitliegendes Shirt über und half Ahmed beim Festmachen des Bootes. Wenig später kam die >El Warda< längsseits und machte an Steuerbord der >Amun Re< fest.
Schnell und nicht unüblich für befreundete Tauchlehrer kletterte Sebastian auf das Nachbarboot und begrüßte Anne und Andreas herzlich.
„Ich habe zehn Taucher an Bord, die dürften uns eine gute Kulisse geben. Keine Sorge, ich habe sie nicht in meinem Schlepptau. Darum kümmern sich Chris und Kerstin, meine beiden Tauchlehrer. Sie wissen nichts, machen hier nur ganz normal ihren Job. Ich habe ihnen aber gesagt, dass ich mit rausfahre, um mit meinen Freunden etwas Zeit zu verbringen. Also, null Problemo“, informierte er seinen schon besorgt guckenden Freund, als der die vielen Leute auf dem Boot sah. Dann ließ er sich von Karim, seinem Kapitän, noch einen Beutel herüberreichen, holte sein unter der Bank verstautes Equipment hervor und sagte: „Schön. Meine Jungs haben wirklich an alles gedacht, als sie es auf euer Boot brachten.“ Schnell und geübt verteilte er in den Taschen des Jacketts das Zeug, das Karim ihm kurz zuvor zugereicht hatte.
„Weiß deine Frau davon, was du hier mit uns vorhast?“, wollte Andreas wissen.
„Klar weiß sie es. Wir teilen nicht nur unser Bett, sondern alles“, antwortete Sebastian fröhlich. Wurde dann aber ernst, als er in das besorgte Gesicht seines Freundes schaute und erklärte: „Sie hat gesagt, ich soll auf meinen Arsch aufpassen und dass sie sich wünscht, dass wir die elenden Kerle zu fassen kriegen. Ich solle mir nicht einfallen lassen, ohne eine gute Nachricht heimzukommen.“ Dann machte er eine kurze Pause, bevor er weitersprach. „Ihr müsst wissen, sie wurde selbst schon mal als Geisel genommen, während sie als Aufbauhelferin im Irak arbeitete. Sie haben sie gedemütigt, gequält und vergewaltigt, ehe sie nach einer für sie langen Woche von unseren Leuten befreit wurde. Sie wacht selbst jetzt noch manche Nacht schreiend, gequält von diesen Alpträumen, auf. Es ist nicht leicht für sie.“
„Das tut mir sehr leid, Sebi. Das wusste ich nicht“, gab Andreas zu und legte die Hand auf die Schulter seines Freundes.
„Ist schon okay, Andy, wir schaffen das schon. Außerdem konntest du es nicht wissen. Kim hat es keinem außer mir erzählt“, sagte Sebastian leise. „Vielleicht ist es ihr und mir auch deshalb so wichtig, dass ich hier helfen kann und wir die Kerle kriegen.“
Betroffene Stille herrschte auf dem Deck der >Amun Re<, während sich die drei Freunde für den Drifttauchgang fertig machten.
Als Andreas sein Shirt auszog, um seinen Neoprenanzug anzuziehen, bekam Sebastian einen Schreck, als er die vielen lang gezogenen, rosa Narben auf dem Körper seines Freundes sah. Er ging zu ihm hin und sah sich die Narben genauer an. „Mein lieber Schwan, mit dir waren sie ja nicht gerade zimperlich. Ich habe zwar davon gehört. Aber so schlimm habe ich es mir doch nicht vorgestellt. Das du das überlebt hast“, sagte er mit leichtem Kloß im Hals.
„Zugegeben, es hat nicht mehr viel gefehlt. Ein paar, die das veranstaltet haben wurden geschnappt. Aber zwei der Fiesesten von ihnen konnten leider rechtzeitig vorm Zugriff entwischen. Jens sucht sie mit seinen Mannen immer noch“, antwortete Andreas, dann lächelte er und meinte: „Es ist fast so wie mit deinem Bein. Es schmerzt manchmal noch höllisch, obwohl es doch eigentlich verheilt ist.“ Damit war das Thema für die beiden Männer abgeschlossen. Doch sie hatten dabei ganz vergessen, dass Anne zuhörte. Sie ließ sich nichts davon anmerken, doch in ihrem Inneren war sie zutiefst erschüttert.
Bevor Anne in ihr Jackett mit der Nitroxflasche schlüpfte, befestigte sie mit Riemen ein Tauchermesser an der Wade ihres rechten Beins. Als sie bemerkte, wie die beiden Männer sie dabei beobachteten, meinte sie nur: „Was ist? ... Ich weiß, dass es hier nicht gern gesehen wird. Ausnahmen bestätigen eben die Regeln. Ich vertraue euch ja. Aber darf ich nicht auch was für meine eigene Sicherheit tun?“ Trotzig zog sie den unteren Riemen noch etwas fester und sah dabei die beiden Männer herausfordernd an. Diese grinsten sich nur an und nickten ihr dann mit gespieltem Ernst zu.
Bevor sie auf die Taucherplattform traten, machten sie sich noch aus, dass Anne normal, wie sonst auch als Tauchguide vornweg tauchen sollte und sie ihr in zwei Meter Abstand als Buddyteam folgen würden. Nichts sollte darauf hinweisen, dass sie von den beiden Männern in Wirklichkeit beschützt wurde. Die drei stellten sich auf die Plattform nahe der Ausstiegsleiter, während das Boot Fahrt aufnahm, um zu ihrem Absprungpunkt zu kommen, wo Rashid ihnen kurze Zeit später das Zeichen gab, dass er die Schraube angehalten hatte.
Sie tauchten rechte Schulter zum Riff und die leichte Strömung trug sie langsam an der schön bewachsenen Riffwand vorbei, als säßen sie in einem bequemen Bus der Stadtrundfahrt. Anne ging langsam auf eine Tiefe von dreißig Metern, um den Gorgonienwald nicht zu verfehlen, die beiden Männer folgten ihr in der verabredeten Entfernung. Als sie das Ende des Drop-Offs erreicht hatten, bogen sie rechts nach Giftun Soraya ein, wo sie ein ausgewachsener Buckelkopfpapageifisch und ein großer Napoleonfisch regelrecht erwarteten. Das war ein absolutes Highlight für die drei Taucher.
Die Tiere zeigten keine Scheu und ließen sich von den drei Freunden umrunden, wobei die Neugier wohl zwischen Fischen und Tauchern ziemlich gleich verteilt war. Doch als sich langsam immer mehr Taucher bei den beiden Fischen einfanden, konzentrierten sich die drei Freunde unmerklich mehr auf die Neoprenfische als auf die wahren Stars der Show.
Dabei verhielt sich Anne ganz ruhig. Was sie aber innerlich nicht wirklich war, wie ihr erhöhter Luftverbrauch wenig später verriet. Schon nach neunzig Minuten kehrten sie unters Boot zurück und machten ihren Sicherheitsstopp, um dann aufzutauchen. Schnell waren Rashid und Ahmed zur Stelle und nahmen ihnen die Flaschen ab. Rashid informierte Andreas darüber, dass er ein Boot entdeckt hatte, welches er hier noch nie gesehen habe, es aber nach seiner Ansicht für ein Safariboot zu klein sei. Andreas und Sebastian gingen mit dem Kapitän aufs Oberdeck und ließen sich das Boot unauffällig zeigen, welches zwischen den Booten der Schnorchelausflügler, direkt bei der großen Giftuninsel lag.
Geschwind lief Andreas die Stufen wieder hinunter, holte seinen Feldstecher aus dem Rucksack und besah sich das Boot aus sicherer Deckung genauer. Kurz darauf kam auch Sebastian zu ihm und fragte neugierig: „Und was ist?“
„Ja, ich glaube, das könnten unsere Freunde sein. Sie beobachten uns. Wahrscheinlich wollen sie auf Nummer sichergehen.“
„Welches Boot ist es?“, wollte Sebastian wissen.
„Da das Dritte von rechts. Das Weiße, mit dem schmalen blauen Streifen oberhalb der Wasserlinie und den grellgelben Aufbauten“, beschrieb Andreas das Boot, dabei reichte er seinem Freund das Fernglas.
„Stimmt“, sagte Sebastian, „dieses Boot habe ich hier auch noch nie gesehen. Und die Idioten glotzen noch dazu völlig ohne Deckung mit ihren Feldstechern direkt zu uns rüber. Ich zähle gerade sechs Mann. Sie scheinen sich ziemlich sicher zu fühlen.“
„Gibt es vielleicht noch ein zweites Boot, das uns näher steht?“, wollte Andreas wissen.
Konzentriert nahm sein Freund die anderen Boote unter die Lupe. „Nein, alles andere sind bekannte Boote von hiesigen Tauchbasen.“
„Dann schauen wir doch mal, ob wir die Nussschale noch mal zu Gesicht bekommen, wenn wir woanders hinfahren“, meinte Andreas und grinste dabei seinen Freund an.
„Wirst du es Anne sagen?“, wollte Sebastian wissen. „Ich meine ja nur. Sie hatte schon jetzt einen ziemlich hohen Luftverbrauch, was untypisch für sie ist. Für gewöhnlich hat sie die gleichen Luftreserven wie ich. Und meine Flasche war noch halb voll, als wir aufgetaucht sind. Sprich, sie war sehr aufgeregt. Auch wenn sie das nie zugeben würde.“
Andreas überlegte eine Weile, dann sagte er: „Stimmt, habe ich auch bemerkt. Doch, ich glaube, es ist besser, wenn wir es ihr sagen. Dann kann sie besser darauf reagieren. Außerdem ist es vielleicht gut, um ihren Luftverbrauch in Gefahrensituationen besser einschätzen zu können. Wer weiß wofür es gut ist, den zu kennen.“ Er sah seinen Freund an und meinte dann noch: „Aber wir müssen ihr ja nicht gleich auf die Nase binden, dass du sechs Leute gezählt hast. Vielleicht haben wir ja Glück und es gehen nur zwei von ihnen ins Wasser.“ Sebastian nickte ihm verstehend zu, aber sagte dann kopfschüttelnd: „Du glaubst wohl wirklich noch an den Weihnachtsmann.“
„Eigentlich nicht. Aber manchmal kann es auch hilfreich sein, an dem alten Jungen festzuhalten“, entgegnete Andreas lächelnd, ging aus der Deckung und hängte seinen nassen Anzug auf den Bügel, damit er wieder etwas abtrocknen konnte.
Wie schon am Tag zuvor nahmen sie ihre Mahlzeit gemeinsam mit den beiden Besatzungsmitgliedern ein und lobten Ahmed wegen seiner Kochkünste.
Nach dem Essen meldete sich Sebastian zu Wort und schlug vor, den nächsten, flacheren Tauchgang bei Abu Ramada gegen die Strömung Richtung Abu Ramada Plateau und mit der Strömung wieder zurück zur >Amun Re< zu machen. „Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir das Boot wieder in unserer Nähe entdecken“, sagte er abschließend.
„Aber warum greift sich die Küstenwache nicht gleich das Boot?“, wollte Anne wissen.
Andreas rückte näher an sie heran und erklärte ruhig: „Weil es auch einfache Taucher sein können, die das Gleiche vorhaben wie wir, schöne Tauchgänge zu haben. Anne … Mädchen, wir brauchen Beweise, dass es wirklich die richtigen Kerle sind. Sonst werden sie ganz schnell wieder laufen gelassen und dann wollen sie uns als Rache vielleicht richtig ans Leder.“
Bei dem letzten Satz von Andreas musste die junge Frau mächtig schlucken und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Es tut mir leid, wenn ich das so hart sage und vielleicht auch etwas übertrieben habe“, versuchte er, das zuvor Gesagte abzuschwächen. „Doch glaub mir, wir müssen die Richtigen erwischen und das mit allen Beweisen, die wir nur kriegen können. Das verstehst du doch?“ Anne nickte.
„Außerdem glaube ich nicht, dass die uns gleich besuchen werden. Vorausgesetzt, die sind es überhaupt“, meinte Sebastian ruhig. „Ich denke eher, dass sie uns erst einmal versuchen auszuspionieren, ob wir wirklich nur eine kleine Tauchgruppe sind, die du als Tauchguide zu begleiten hast. Wenn sie es sind, wollen sie sicher sein, dass es für sie ein leichtes Spiel wird, dich zu kidnappen.“
„Na ja“, gab sie zu und sah dabei abwechselnd von einem zum anderen. „Aber so richtig beruhigt habt ihr mich damit nicht gerade.“ Ein verlegenes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Wenn wir also eine normale Gruppe mit Guide spielen wollen, dann können wir das nicht glaubhaft machen, wenn wir uns untereinander, so wie bisher, nur ein gegenseitiges Kurzbriefing zuwerfen. Ab jetzt machen wir die Vorstellung richtig und werden unser Briefing vor jedem Tauchen auf dem Oberdeck durchziehen. Selbst wenn ich nur die Tafel hoch genug halte, mal aufs Riff zeige und wir uns in Wirklichkeit vielleicht Witze erzählen oder den Tauchgang ganz anders planen. Hauptsache es sieht nach einem normalen Briefing aus.“
„Anne hat Recht“, gab Sebi zu. „Daran haben wir gar nicht gedacht.“
„Okay, dann ab jetzt Briefing auf dem Oberdeck, woraus wir eine Lagebesprechung machen und genau festlegen, wer was macht“, schloss Andreas das Gespräch ab. Er ging nach draußen, um die Ankerleine am Bug mit einzuholen. Dann machte sich die >Amun Re<, extra langsam auf den Weg zum nächsten Tauchplatz.
Anne setzte sich in den Salon und malte gewissenhaft den Tauchplatz, den sie ansteuerten, mit allen Tiefenangaben auf.
„Warum gibst du dir solche Mühe damit?“, wollte Andreas wissen, als er in den Salon kam, um seine Wasserflasche zu holen.
Anne lächelte ihn. „Vielleicht sind ja nicht nur wir so schlau und haben ein starkes Fernglas. Vielleicht haben sie auch eins und dann sähe es doch blöd aus, wenn ich euch ne leere Briefingtafel vor die Nase halte. Am Ende kennen sie ja hier die Tauchplätze und würden ziemlich schnell merken, dass etwas nicht stimmt. Damit wäre unsere Tarnung geplatzt, noch bevor wir sie überhaupt erst richtig anwenden konnten.“
„Anne, du bist verdammt gerissen. Du denkst mit. Danke“, lobte Andreas anerkennend und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. „Dann sollte ich wohl besser mein Shirt wieder anziehen, dass ich damit nicht so auffalle.“ Dabei zeigte er auf seinen Oberkörper. Sofort holte er es aus seiner Tasche, zog es über, dazu setze er sein Basecap und die Sonnenbrille auf. Dann ging er mit der Wasserflasche in der Hand aufs Oberdeck.
„Und wie sieht es aus, Sebi?“, wollte er von seinem Freund wissen, der schon, seit sie abgelegt hatten, auf dem Oberdeck war.
Sebastian berichtete ihm kurz, dass viele Boote gleich nach ihnen wieder losgemacht und ebenfalls ihren Kurs eingeschlagen hatten, da die Tauchplätze um Abu Ramada gern nach Giftun Ham Ham aufgesucht wurden. Dann grinste er und sagte, dass auch das fremde Boot mit dabei sei.
„Sieht so aus, als ständen wir unter Beobachtung“, meinte der fast einen Kopf kleinere Sebastian und grinste seinen Freund an.
Als Anne mit der Briefingtafel nach oben kam, hatten es sich die beiden Männer auf dem Oberdeck, auf den Sitzbänken links und rechts im Schatten, gemütlich gemacht und dösten vor sich hin. Sie schob die Tafel unter die Bank, nahm sich eine Matte vom Stapel, breitete ihr Badetuch darauf aus und legte sich in die Sonne, die hoch im Süden stand.
Am Geräusch des Motors hörten die Männer, dass der Kapitän beidrehte, um mit dem Bug nach Norden am neuen Tauchplatz festzumachen. Beide hoben nur leicht den Kopf und schauten übers Meer. Das weiße Boot mit dem gelben Aufbau überholte sie gerade und fuhr weiter nach Süden.
„Es macht bei Erg Abu Ramada fest“, stellte Sebastian trocken fest, als er beobachtete, wie das Boot beidrehte und an einem Boot festmachte, welches schon dort lag. Als er näher hinsah, bemerkte er, dass es sich bei dem anderen Boot um eines von Annes Tauchbasis handelte. „Wenn das unsere Leute sind, dann sind sie ganz schön dreist“, meinte er.
„Oder sie wissen noch nicht, auf welchem Boot Anne ist, und sie suchen sie noch“, überlegte Andreas laut.
„Anne, weißt du vielleicht, wer von euch heute auf der >Al Shams< unterwegs ist?“, wandte sich Sebastian an die Frau.
„Ja, ich glaube Rolf und Dirk, mit vierzehn Tauchern und zwei Schnorchelgästen“, antwortete sie verschlafen. „Warum fragst du?“
„Ach nur so. Hat mich bloß mal interessiert“, tat es ihr Freund und Kollege ab, um sie nicht zu beunruhigen. Die beiden Männer nickten sich zu. Sie wussten, dass sie den Tauchlehrern am Abend in der Basis ein paar wichtige Fragen stellen mussten.
Nach einer Weile setzte sich Anne auf, sah auf ihre Uhr, flocht sich ihr Haar neu, stand auf und hockte sich auf die etwas höhere Sitzbank, die dem Steuer abgewandt war. „Okay Jungs“, sagte sie und holte die Tafel vor. „Es wird Zeit fürs Briefing.“ Schnell richteten sich beide Männer auf und schienen aufmerksam ihren Ausführungen zu lauschen. Dabei legten sie aber in Wirklichkeit ihre Positionen zueinander und die Tauchzeit fest. Sie wollten nicht erst bei hundert bar, wie eigentlich üblich, wieder zum Boot zurückkehren, sondern ihren Tauchgang wesentlich verkürzen. Damit es nicht auffiel, dass sie alle drei Profitaucher waren. Sie wollten so tun, als wären sie ganz durchschnittliche Tauchtouristen, mit einem durchschnittlichen Luftverbrauch. Also einigten sie sich darauf, ihren Tauchgang nicht länger, als auf fünfundfünfzig Minuten auszudehnen. Dann machten sich die drei für ihren Tauchgang fertig.
Sie überprüften auf der Plattform noch einmal gegenseitig ihre Tauchausrüstung und sprangen nacheinander ins Wasser. Anne fragte von den beiden Männern das Okay ab und gab mit dem Daumen nach unten gerichtet das Zeichen zum Abtauchen. Artig nahmen die Männer ihren Inflator nach oben, um die Luft aus dem Jackett zu lassen, obwohl sie sonst doch nur am Schnellablass des Inflators oder dem Ablassventil am Jackett zogen. Sie tauchten ab und sofort zur Riffwand, der sie linke Schulter zum Riff gegen die nur leichte Strömung folgten. Weit und breit waren keine anderen Taucher zu sehen.
Anne schien den Tauchgang sichtlich zu genießen, denn sie sah wieder interessiert und neugierig in fast jede Spalte und freute sich über die Entdeckung einer kleinen Nadelschnecke, die sie ihren Begleitern voller Stolz zeigte. Im Gegenzug machte Sebastian nach einer Weile auf eine Scherengarnele aufmerksam, welche die drei Taucher eine Weile beim Fressen beobachteten, bevor sie weiter schwammen. Ein Weißspitzenriffhai zog schnell an ihnen vorbei und schien gar keine Notiz von ihnen zu nehmen. Er hatte wohl anderes vor.
Ihnen begegneten große Blaustreifen-Drückerfische. Papageifische, die an den Steinkorallen nagten, um sich ihr Futter zu suchen. Dabei entdeckten sie auch wieder die lustigen Anemonenfische. Andreas konnte erneut nicht widerstehen, sie so ein wenig zu ärgern.
Nach fünfzig Minuten waren sie zurück unter ihrem Boot. Sie sahen während ihres Sicherheitsstopps in weiter Ferne, gerade noch so auszumachen, Richtung Süden eine Gruppe von Tauchern, die ihnen nicht mehr gefährlich werden konnte.
Zuletzt, so wie es üblich war, verließ Anne als Tauchguide das Wasser. Schnell zog sie sich die Handschuhe aus, warf ihr Equipment ab und sprang noch einmal, nur mit ihrem Anzug, ins Wasser zurück, wusch sich ihr Gesicht ab und tauchte es wieder und wieder unter. Die Männer standen auf der Plattform und sahen der Frau zu, wie sie sich immer wieder das Gesicht abwischte.
„Was ist los mit dir?“, fragte Andreas besorgt.
„Ich bin wohl voll in einer Nesselplantonwolke aufgetaucht, das brennt vielleicht und dann hat mich noch was eklig Schleimiges gestreift. Aber ne Qualle war das nicht.“
Sebastian lacht laut los. „Nee, aber die alte Plastiktüte hier.“ Dabei wedelte er mit einer dünnen, durchsichtigen und zerfetzten Tüte herum. „Habe sie knapp hinter dir aus dem Wasser gefischt, als sie auf mich zutrieb.“ Dann sagte er etwas ernster: „Komm raus. Ich habe Salbe. Die ist gut gegen das leichte Brennen. Habe sie mir erst von meinem Apotheker zusammenmixen lassen. Hilft wirklich schnell.“
Während Sebastian in den Salon ging, half Andreas Anne aus dem Anzug.
„Hier wasch dir das Gesicht erst einmal etwas mit Trinkwasser ab, damit das Salz runterkommt“, riet Sebastian, dabei reichte er ihr die mitgebrachte Wasserflasche. Als sie ihr gerötetes Gesicht, wobei aber der Bereich, wo sie die Maske trug, verschont geblieben war, abgespült und abgetrocknet hatte, gab ihr Sebastian den kleinen Tiegel mit der Salbe. „Brauchst nicht viel davon.“
Dankbar nahm Anne eine Fingerspitze voll von der Creme und verrieb sie gleichmäßig auf Wangen, Kinn und Halsansatz.
„Kinder, ich will ja nicht prüde erscheinen“, meldete sich Andreas zu Wort, der noch immer in seinem Neoprenanzug auf dem Deck stand. „Aber könntet ihr euch vielleicht mal so hinstellen, dass neugierige Vögel von dem unbekannten Boot da drüben nicht zufällig meinen Oberkörper sehen können. Nur für den Fall, dass da einer dabei ist, der mich daran erkennen könnte, weil er davon gehört hat. Ich habe vorhin mein Shirt vergessen anzulassen. Die Zeit ohne war eben so schön.“
Sofort verstanden sie, was er meinte. Während Sebastian beim Ausziehen des eng anliegenden Anzugs half und ihm dann sein Shirt zureichte, breitete Anne ihr Badetuch weit aus, als rubble sie sich damit den Rücken ab und spielte dabei mit dem Wind in ihrem langen Haar.
„Jungs, beeilt euch etwas, mir wird kalt“, sagte Anne, die schon eine Gänsehaut auf den Armen hatte.
„Okay. Kannst dich wieder einmummeln. Der Kleine ist verpackt“, antwortete Sebastian. Schnell schlang sie das große Tuch um ihren Körper und lief zur Reling, wo sie ihren anderen, in der Zwischenzeit getrockneten, Badeanzug vom Geländer der Reling zog, den sie nach ihrem ersten Tauchgang da fest gemacht hatte. Damit verschwand sie auf der Toilette, um sich darin umzuziehen. Die beiden Männer dagegen gingen in den Salon und wechselten dort schnell ihre Badehosen und waren damit fertig, bevor Anne, noch immer leicht fröstelnd, in den Salon trat, um sich ihre kuschelig, warme Fleecejacke zu holen.
Ahmed löste nacheinander die Ankertaue und die >Amun Re<, gesteuert von Rashid, nahm langsame Fahrt auf. Sie sahen noch, wie sich auch die >Al Shams< von ihrem Ankerplatz löste, aber das unbekannte Boot dort vor Ort blieb. Sie setzten sich windgeschützt aufs Oberdeck in die Sonne, um sich von ihren Strahlen wieder aufwärmen zu lassen.
„Und, wie wollen wir nun unsere gemeinsamen ›Ausflüge‹ weiter gestalten?“, wollte Andreas an seinen alten Freund gewandt wissen.
„Oh, ich habe mit Kim schon darüber gesprochen. Sie schmeißt so lange unsere Basis allein und ich habe eben Urlaub, den ich mal auf einer anderen Tauchbasis, einfach zum Gaudi als normaler Tauchtouri, verbringe. Haben wir schon mal so gemacht. Stimmt’s Anne?“, sagte er und grinste dabei die Frau frech an.
„Oh ja, das hat er gemacht“, antwortete sie lachend. „Der Kerl hat sich angestellt, als wäre er der größte Tauchtrottel auf Erden.“ Dabei lachte sie noch mehr und erzählte: „Wir haben ihn einige Male wie einen Luftballon mit uns an der Buddyleine geführt, weil er so tat, als könnte er absolut nicht tarieren. Dabei hatte er auf dem Boot immer die große Klappe, was für ein toller Taucher er sei und wo er schon überall getaucht war. Alle Kollegen haben mitgespielt und wir haben etwas unsere Gäste zum Narren gehalten. Am Ende haben wir sie aber doch eingeweiht. Die Leute haben danach zugegeben, dass es die spannendsten und lustigsten Tauchgänge ihres Lebens waren.“ Alle drei mussten nun lachen. Dann sagte Anne noch, dass er ja sogar so eiskalt war zu erzählen, dass ihm ein weißer Hai das Bein abgebissen hätte.
Während die beiden Männer noch darüber lachten, wurde Anne mit einem Mal nachdenklich und ernst. Sie sah Sebastian an. „Aber mal ehrlich. Du hast noch nie darüber gesprochen, wie es wirklich passiert ist.“
Nun wurden auch die beiden Männer sehr ernst und schauten sich bedrückt an. Sebastian nickte seinem Freund auffordernd zu, dass er es erzählen könne.
Nur langsam begann Andreas. Es schien ihm sehr schwerzufallen. „Sebi war ebenso wie ich und die neun Männer, die du schon vor einem halben Jahr auf der >Blue Sea< gesehen hast, in derselben Sondereinheit von Kampfschwimmern. Bei einem Geheimauftrag im Mittelmeer, bei dem wir ein Schiff entern sollten, um zwei Geiseln zu befreien, die verschleppt wurden, gerieten wir in einen Hinterhalt. Sebi entdeckte ein Harpunengeschoss mit einem Sprengkörper daran, welches auf unsere Gruppe zukam. Als er erkannte, dass wir es nicht mehr schaffen würden auszuweichen, legte er ein paar Flossenschläge zu, um das Geschütz von uns abzulenken. Es zerfetzte seinen Unterschenkel, aber rettete uns damit das Leben. Danach musste er leider den Dienst bei unserer Einheit quittieren und wurde in allen Ehren als Kapitänleutnant, was dem Rang eines Hauptmanns entspricht, entlassen.“
Erschüttert von dem gehörten, starrte Anne auf die Prothese ihres Freundes. Als Sebastian den starren Blick von ihr bemerkte, sagte er lachend: „Hey Mädchen, es ist doch egal ob es der Weiße Hai, ein Geschoss oder ein simpler Verkehrsunfall war. Ich lebe und komme gut damit zurecht. Ist es nicht das, was zählt?“
„Nein, Sebi, ganz so sehe ich es nicht“, gab Anne zu. „Es macht einen riesigen Unterschied. Ihr seid besondere Menschen. Ein Haibiss oder ein Verkehrsunfall, genauso wie vielleicht mal eine Prügelei unter Betrunkenen, in die man versehentlich geraten kann, sind tragische Unfälle. Aber ihr wusstet genau, was und warum ihr es getan habt. Nämlich um andere Menschen damit zu schützen. Das ist etwas ganz anderes“, stellte sie fest. Dabei steckte ihr ein großer Kloß im Hals.
„Nun mach es mal halblang, Kleene“, sagte Sebastian und lächelte sie dabei an. „Jeder tut das, was er am besten kann.“
„Und wir sind hier, um ein paar schöne Tauchgänge mit dir zu haben und so nebenbei ein paar böse Buben zu erwischen, die uns nicht in den Kram passen“, ergänzte Andreas seinen Freund angrinsend. Dabei nahmen sie die Frau in ihre Mitte und legten beide einen Arm um sie.
Ahmed balancierte vorsichtig ein Tablett mit fünf Gläsern Cappuccino zu ihnen hoch aufs Oberdeck. Erst bot er das Getränk den Gästen an, die sich herzlichst dafür bedankten. Sie konnten den Cappu jetzt gut gebrauchen. Dann reichte er eines an den Kapitän weiter und nahm sich selbst das letzte Glas.
Es dauerte noch eine halbe Stunde, ehe die >Amun Re< ihren sicheren Heimathafen erreichte.
Die drei Freunde sicherten sich eine gemütliche Ecke unter einem Ventilator. Dann ging Sebastian ins Office und meldete sich als offizieller Tauchgast auf der >Amun Re< an. Alfred und Isolde nahmen es lachend zur Kenntnis und warnten ihren Freund aber davor wieder solchen Schabernack zu treiben. Doch er machte ihnen klar, dass er einfach nur mit zwei guten Freunden ein paar entspannte Tauchgänge genießen wolle, weil er mal aus dem täglichen Stress raus müsse. Das verstand das Ehepaar und sie setzten ihn auf ihrer Liste mit auf das Boot, welches Andreas Wildner gemietet hatte. Als er zurück zum Tisch seiner Freunde kam, stand da schon ein Dekobier für ihn bereit und sie stießen gemeinsam an, wie all die anderen kleinen Gruppen von Tauchern, die zurückgekommen waren. Nichts unterschied sich von ihnen.
Nach einer Weile entdeckte Sebastian Rolf und Dirk bei ihrer Tauchgruppe. Er gab Andreas mit den Augen ein Zeichen. Sie entschuldigten sich bei Anne und gingen auf die beiden Tauchlehrer zu. Freundlich wurde er von seinen Kollegen begrüßt.
Doch nachdem er ihnen „Wir müssen reden“ ins Ohr geflüstert hatte, sahen sie ihn fragend an und gingen gemeinsam mit ihm und Andreas hinter die Ausgabetheke in den Raum, in denen sie kleine Reparaturen am Equipment erledigten.
„Was ist denn los?“, wollte Rolf vom Kollegen der Nachbarbasis wissen.
„Ihr wart doch heute zum zweiten Tauchgang am> Erg Abu Ramada<?“, fragte Sebastian.
„Ja“, antwortete Dirk als erster.
„Neben euch das Boot, kanntet ihr das schon?“, fragte er weiter und begründete seine Neugier. „Ich habe es hier nämlich noch nie gesehen.“
„Wir auch zuvor noch nicht“, gab Rolf zu. „Aber es sind paar ganz nette Typen. Sie sagten, sie kommen von einer neuen Tauchbasis ganz aus dem Süden. Habe den Namen noch nie gehört. Aber wer weiß, vielleicht haben sie ja gerade erst aufgemacht.“
„Mir war nur komisch, dass sie bis hier hochgekommen sind“, ergänzte Dirk seinen Kollegen.
„Warum?“, wollte Andreas wissen.
„Ganz einfach, weil da unten im Süden die Riffe noch unberührter und deshalb noch um vieles schöner sind als hier“, erklärte Dirk höflich.
„Und? Warum sind sie nun hier?“, hakte Sebastian nach.
„Sind paar Männer, die sich selbstständig gemacht haben und paar Abenteuer zusammen erleben wollen. Haben sie gesagt“, antwortete Rolf.
„Und“, fragte Sebastian neugierig weiter, „haben sie sich nach den Tauchbasen hier erkundigt? Wer weiß, vielleicht können wir sie ja als Gäste gewinnen.“
„Ich glaube du eher nicht“, antwortete Dirk und grinste Sebastian frech an, als er weiter sprach. „Sie waren nämlich sehr interessiert an unserer Tauchbasis. Aber was mir komisch erschien …“ Dabei stockte Dirk und überlegte kurz.
„Was ist dir komisch vorgekommen?“ Hakte nun Andreas, schon leicht genervt, nach.
„Sie haben gefragt, ob Annemarie Kamp noch bei uns arbeitet und auf welchem Boot sie zurzeit fahren würde. Dabei hatten sie zuvor gemeint, dass sie noch nie auf unserer Basis waren. Aber Anne arbeitet schon seit acht Jahren hier und war vorher auf keiner anderen Tauchbasis beschäftigt. Sie hat nämlich hier ihren Tauchlehrer gemacht und ist gleich geblieben. Woher sollten die sie also kennen?“
Schnell warfen sich die beiden alten Freunde einen ernsten Blick zu. Dann fragte Sebastian weiter. „Und, was habt ihr ihnen gesagt?“
„Na, dass sie mit nem Privatkunden für paar Tage auf der >Amun Re< unterwegs ist. Warum fragst du?“, wollte Rolf wissen.
„Ach, nur reine Neugier“, gab Sebastian zurück. Dann wollte er noch wissen, wie viel Mann auf dem fremden Boot waren.
„Zehn plus drei Mann Besatzung“, antwortete Dirk ehrlich.
Die beiden Männer bedankten sich für die Auskünfte und baten die beiden Tauchlehrer, das kleine Gespräch für sich zu behalten. Dann gingen sie zurück zu Anne, die sich in der Zwischenzeit mit ein paar Tauchgästen unterhielt.
„Junge, ich denke, wir haben da ein mörderisches Problem“, raunte Sebastian seinem Freund zu, während sie an den Tisch zurückkehrten. „Es sind ein paar zu viele für uns zwei.“
„Lass uns morgen darüber sprechen“, antwortete Andreas eben so leise, „Anne braucht davon nichts zu wissen. Vielleicht ist es ja auch nur ein dummer Zufall, wir müssen abwarten. Aber ich informiere auf jeden Fall Jens heute noch darüber.“
Gemeinsam traten die beiden Männer lächelnd, als wäre nichts gewesen, an den Tisch und setzten sich zu Anne, um ihr angefangenes Bier auszutrinken, etwas zu scherzen und von den beiden Tauchgängen zu sprechen.
„Kann ich meinen abtrünnigen Gemahl vielleicht hier bei euch abholen?“, hörten die drei Freunde plötzlich Kims Stimme, die sich unbemerkt an den Tisch herangeschlichen hatte. Freundlich wurde sie von Andreas und Anne begrüßt. Sebastian gab ihr einen lieben Kuss und bat sie, sich doch noch kurz zu ihnen zu setzen.
„Das hatte ich eh vor“, sagte sie lächelnd und stellte eine Schale Chips auf den Tisch, welche sie zuvor an der kleinen Bar der Basis geholt hatte. „Und wie weit seid ihr?“, fragte sie dann ihren Mann mit ernster Miene.
„Noch nichts Genaues, Schatz“, sagte Sebastian schnell und küsste sie erneut. „Und, wie geht es auf der Basis?“, wollte er, sie ablenkend, von ihr wissen.
„Oh, Sandra hilft mir im Office. Wir kommen gut zurecht“, beruhigte Kim ihren Mann, damit er seinen Job hier auch unbesorgt machen konnte.
Als die Tauchbasis sich langsam leerte, stand Kim auf und zog ihren Mann einfach mit sich. Dabei sagte sie lächelnd. „Dieser Mann kann nie ein Ende finden. Ich nehme ihn besser mal mit nachhause.“ Dann verabschiedeten sich die Frauen herzlich voneinander. Die beiden Männer winkten sich nur kurz zu, als Sebastian zu Kim in den Wagen stieg und sie bereits Gas gab, noch bevor er die Autotür richtig geschlossen hatte.
„Die beiden passen wirklich super zusammen“, meinte Anne nur kurz und Andreas nickte ihr zustimmend zu, während er noch dem silbernen Ford nachsah.
„Ja, Sebi hat es gut getroffen“, gab er in Gedanken versunken zurück.
Nachdem alle Tauchgäste die Basis verlassen hatten, schwang sich Andreas wieder hinter Anne auf den Motorroller und sie fuhren dieses Mal in entgegengesetzter Richtung davon. Schnell fragte er, wo sie denn hin wolle, wo das Hotel doch in der anderen Richtung lag.
„Ich denke, du wolltest zu einem Juwelier, um den Stein von Amira bearbeiten zu lassen?“, fragte Anne laut gegen das Motorengeräusch und den Fahrtwind ankämpfend. Das hatte Andreas ganz vergessen und war dankbar, dass sie daran gedacht hat.
Sie fuhren nach Sakalla, in die Altstadt von Hurghada, wo Anne direkt vor einem großen Juwelierladen hielt und ihren Roller abstellte. Und das wieder, ohne ihn abzuschließen. Gemeinsam traten sie in den geräumigen Laden und wurden höflich von zwei Mitarbeitern begrüßt. Anne fragte nach dem Chef und nur wenig später erschien ein Ägypter im schwarzen Anzug mit Krawatte, der fröhlich auf sie zuging und sie begrüßte. Sie stellte ihm Andreas vor und erklärte kurz seinen Wunsch, während Andreas den flachen Stein aus seiner Rucksacktasche holte, ihn aus dem Papier packte und vorsichtig auf die gläserne Verkaufstheke legte.
„Ein ausgefallener Wunsch, aber auch ein wirklich schöner Stein“, meinte der Ägypter freundlich lächelnd. Er nahm den Stein und verschwand in einen der hinteren Räume, während seine Mitarbeiter den beiden Besuchern einen Tee anboten und sie in eine gemütliche Ecke einluden. Anne und Andreas genossen noch den wohlschmeckenden Hibiskustee, als der Juwelier mit dem tadellos sitzenden, schwarzen Anzug zurückkam und Andreas den Stein reichte, der nun ein kleines Loch hatte, durch den bereits eine braune Lederschnur gefädelt war.
Als Andreas seine Brieftasche herauszog, um zu bezahlen, wehrte der Mann mit erhobenen Händen ab.
„Oh nein“, sagte er auf Ägyptisch, „das ist ein Freundschaftsdienst. Dafür nehme ich kein Geld.“ Lächelnd setzte er hinzu: „Allah würde mich dafür bestrafen.“
Etwas verwirrt sah Andreas Anne an, die ihn verschmitzt anlächelte.
„Mustafa ist der Bruder des hiesigen Bürgermeisters und der Onkel von der kleinen Amira, die übrigens auch mein Patenkind ist“, erklärte sie ihm leise.
Andreas legte noch im Juweliergeschäft, vor einem großen Spiegel, den Stein um seinen Hals, zog ihn in Höhe seiner Brust, um dann das Lederband fest zu verknoten. Er bedankte sich herzlichst bei dem Mann und verließ gemeinsam mit Anne den Laden.
„Du kennst hier sehr viele gute Menschen“, stellte er fest, als er wieder hinter ihr auf dem Roller Platz nahm.
„Ich lebe hier auch schon eine ganze Weile und liebe diese Leute und ihre Lebensart. Ich identifiziere mich mit ihnen“, gab Anne erklärend zurück und startete ihr Moped. Als sie am Hotel angekommen waren, stieg Andreas von der Maschine und wollte sich gerade von ihr verabschieden, als sie nur leise, wie zu sich selbst sagte: „Ich möchte diesen Abend nicht allein sein. Ich habe Angst.“
Fragend und forschend sah er tief in ihre Augen. Dann nahm er, ohne ein Wort zu sagen, wieder hinter ihr Platz und sie startete den Motor.
Kurz bevor sie vor ihrem Haus ankamen, entdeckte Andreas die neu errichtete Stellung der Touristenpolizei und war sehr froh, dass die ägyptischen Stellen so schnell auf seine Bitte reagiert hatten. Auf der anderen Seite machte er sich aber nun auch Sorgen um Annes guten Ruf bei ihren ägyptischen Freunden, wenn er um diese späte Stunde noch mit zu ihr ins Haus marschieren würde.
„Anne“, sagte er leise, nachdem sie ihre Maschine abgestellt hatte, „es ist vielleicht doch besser, wenn ich wieder gehe.“
„Warum?“
Andreas wies auf die Stellung der Polizei hin und sagte dann: „Das würde schnell bei deinen Freunden die Runde machen. Ich möchte nicht, dass sie falsch von dir denken könnten.“
„Du meinst wegen der Touristenpolizei da?“, fragte sie. Als er leicht nickte, lächelte sie ihn an. „Ich habe sie schon heute früh bemerkt. Bist du dafür verantwortlich?“ Wieder nickte er.
„Es ist besser, wenn ich wieder gehe. Du hast allen Schutz, den du brauchst, für die Nacht. Und den Tag über werde ich dafür zuständig sein und Sebi wird mir dabei helfen.“ Damit verabschiedete er sich von ihr.
Nachdem sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte, trat er zu Fuß seinen Rückweg zum Hotel an. Dort angekommen, ging er mit seinem Rucksack, noch bevor er seinen Zimmerschlüssel an der Rezeption abgeholt hatte, in den Speisesaal. Erst nach dem Abendessen, welches er sich am Büfett ausgesucht hatte, holte er seinen Schlüssel ab und lief die Treppen nach oben, in den vierten Stock, wo sein Zimmer war.
Da er kein Licht im langen Gang gemacht hatte, bemerkte er sofort den Lichtschein, der ringsum aus den Spalten seiner nicht dicht abschließenden Zimmertür drang. Er wusste, dass er früh kein Licht angemacht, geschweige denn hat brennen lassen. Langsam näherte er sich der Tür, leise und vorsichtig steckte er den Schlüssel ins Schloss. Drehte ihn schnell herum und stürmte in sein Zimmer, keine Ecke zur Kontrolle auslassend.
Na Klasse, dachte er befreit aufatmend, da haben wohl die Zimmerboys vergessen, das Licht zu löschen, nachdem sie aufgeräumt und sauber gemacht hatten. Doch noch während er das dachte, quietschte leise die Balkontür.
Ein Mann trat ins Zimmer, grinste ihn an und sagte: „Du lässt nach, mein alter Freund. Hast den Balkon außer Acht gelassen.“
„Nicht ganz. Schau mal“, antwortete Andreas und wies, eben so grinsend, mit den Augen auf seine gezogene Pistole, die noch immer auf den Mann an der Balkontür gerichtet war.
„Okay, ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil“, meinte der Mann. „Pack die Bleispritze weg. Du weißt doch, ich reagiere immer so allergisch auf das Zeug.“ Andreas steckte die Waffe wieder zurück in die Tasche und begrüßte seinen alten Freund, Kampfgefährten und Vorgesetzten mit einem kräftigen Handschlag.
„Sieh da, sieh da. Flottillenadmiral Jens Arend höchstpersönlich. Was verschafft mit denn die Ehre? Oder ist es ein Kontrollbesuch?“ Die beiden Männer setzten sich bequem in die beiden Sessel, die in Andys Zimmer neben dem Balkonfenster standen.
Jens berichtete ihm, dass er gerade erst angekommen sei und noch Zeit hat, bis er zum Marinestützpunkt müsse. Und er einfach schon im Vorfeld die Zeit nutzen wollte, seinen Freund über die neusten Ereignisse zu informieren, und dabei etwas vom Stand seiner Ermittlung und Arbeit erfahren wollte.
„Was gibt es denn so Interessantes, dass dich die Ägypter auf ihren Stützpunkt einladen und noch dazu so schnell?“, wollte Andreas, neugierig geworden, wissen.
„Sie haben ein Boot aufgebracht, das heimlich im Süden über die Grenze gekommen ist. Nun glauben sie, dass es vielleicht etwas mit unserer Bande zu tun haben könnte, und haben mich herzlichst zum Verhör mit eingeladen“, erzählte Jens und sah in das nachdenkliche Gesicht seines Freundes.
„Das klingt sehr interessant, mein Alter“, gab Andreas noch immer überlegend zurück und fragte weiter: „Wann haben sie die erwischt?“
„Vorgestern Abend, kurz nachdem es dunkel war, haben sie es versucht ohne Positionslichter, und nur langsamer Fahrt. Die ägyptische Marine griff sie eher durch Zufall auf, als sie bereits zwei Seemeilen in ihrem Hoheitsgebiet waren. Mehr werde ich dann wohl morgen früh erfahren“, sagte Jens und fragte noch: „Aber warum interessiert dich das so?“
„Ich bin nicht davon überzeugt, dass es nur ein Zufall war. Vom südlichsten Zipfel bis hier her braucht so eine Nussschale schon etwas mehr als vierundzwanzig Stunden, schätze ich mal. Es würde also genau passen. Bitte bekomme auf jeden Fall raus, wer die Leute auf dem Boot waren und welche Absichten sie hatten. Vor allem die Bootsbesatzung interessiert mich dabei. Vielleicht haben wir es hier nur mit einem Köder und Ablenkungsmanöver zu tun“, gab Andreas noch immer nachdenklich zurück und erklärte dann. „Denn genau heute früh ist uns ein fremdes Boot aufgefallen, das artig in unserer Nähe blieb. Die Kerle haben bei einem anderen Kahn der Tauchbasis nach Annemarie Kamp gefragt und sich darüber informiert, auf welchem Boot sie zurzeit meist fährt. Ich denke nun, entweder sie haben zwei oder sogar mehr Schiffe losgeschickt in der Hoffnung, dass so viele wie möglich es schaffen sollen. Oder sie haben wirklich nur einen Köder ausgelegt, um die Gunst der Stunde zu nutzen, während die Marine noch mit dem anderen Boot beschäftigt war.“
Nun grübelte auch Jens nach und gab seinem Freund recht. „Sobald ich Näheres erfahren habe, rufe ich dich an oder spreche dir auf deine Mailbox. Und was gibt es sonst noch, was ich vielleicht wissen sollte?“ , fragte Jens.
„Ich denke, dass es etwas heiß werden könnte. Laut Aussage der Leute vom anderen Taucherboot, handelt es sich um zehn Mann plus drei Mann Besatzung, die durchaus auch zu denen gehören könnte. Da hätte ich schon gern etwas mehr Sicherheitsvorkehrungen für unseren Lockvogel, damit wir sie nicht verlieren“, gab Andreas zu bedenken.
„Oh, gut, dass du das ansprichst. Ich hab dir etwas von unserem Spielzeug mitgebracht“, sagte Jens und holte eine Tasche vom Balkon, die er da versteckt hatte, als er seinen Freund überraschen wollte.
Als Andreas ihn fragend ansah, erklärte Jens: „Unter anderem, sind auch ein paar starke Minipeilsender drin, die nicht über die herkömmlichen Frequenzen laufen. Die Gefahr der Entdeckung ist damit geringer, aber leider nicht ausgeschlossen. Zwei der dazugehörigen Empfänger werde ich morgen unseren ägyptischen Freunden geben. Damit können sie jederzeit die Standorte von eurem Äppelkahn, den von unserem Lockvogel und wenn es möglich wäre, dem Boot der Kerle ausmachen und zugreifen, sobald es so weit ist. Eins behaltet ihr.“ Dann grinste er, „Was die anderen kleinen Spielereien angeht, lass dich überraschen. Ich denke, Gebrauchsanweisungen wirst du dafür nicht benötigen.“ Nach einer kurzen Pause erkundigte er sich nach Sebastian Rothe und Andreas berichtete ihm, dass er zu seinem Glück, da er jede Hilfe brauchen kann, voll mit eingestiegen und verdammt gut in Form ist. Er informierte seinen Vorgesetzten und Freund auch darüber, dass er Anne so gut wie alles gesagt hatte und sie sich sehr gut hielt.
„Ich kenne Romana persönlich ja nicht so gut wie du. Sondern hauptsächlich nur die schon fast nervenden Schwärmerei von Ralf, als wir alle noch eine Truppe waren und die Berichte über euren Einsatz. Aber ich glaube, Anne ist ebenso stark und beherzt wie Romy. Sie möchte diese Kerle nicht entwischen lassen“, erklärte Andreas.
Jens überlegte kurz und schien in Gedanken ein paar Monate zurückzugehen. Er lächelte noch ganz versonnen, als er sagte: „Wenn sie wirklich auch nur halb so gut und mutig ist, wie unser Habicht damals war, dann kriegen wir die Kerle. Und zwar jeden Einzelnen von ihnen, noch bevor die Verhandlung in Deutschland beginnt.“ Dabei sah er auf seine Uhr. „Tut mir leid, Kleiner, aber ich muss wieder los. Ich will mir heute noch die ersten Aussagen durchlesen und nähere Infos einholen. Passt auf eure Ärsche auf und grüß den alten Haudegen Sebi von mir. Wenn ich etwas Zeit habe, schaue ich noch bei euch vorbei, bevor ich wieder zurückfliege.“ Damit stand er auf und die beiden Männer umarmten sich kumpelhaft zum Abschied.
„Ich melde mich bei dir, sobald ich Näheres weiß. Ansonsten die gehabte Nummer und ich bin an der Strippe“, sagte Jens, als er schon an der geöffneten Tür stand. Gerade als er sie hinter sich schließen wollte, sagte Andreas noch: „Bussard … danke für den Besuch und das Spielzeug.“
Jens lächelte ihm kurz zu. „Keine Ursache, Schneeeule.“ Dann schloss er die Tür hinter sich und Andreas war wieder allein in seinem Hotelzimmer. Er nahm sich ein gut gekühltes Bier aus der Minibar und trat auf den Balkon. Doch wenig später ging er zurück ins Zimmer und wählte die Nummer von Sebastian.
Andreas hatte einen neuen Plan.
„Hallo Kim“, grüßte er, als sich die Frau seines Freundes am Telefon meldete. „Hier ist Andy. Kannst du mir mal bitte deine schlechtere Hälfte geben? …Danke. .... Ja, Hallo, mein Großer. Viele Grüße von unserem Bussard. Er war gerade hier und hat paar Spielereien vorbeigebracht. Sag mal, weshalb ich eigentlich anrufe. Hättest du morgen Lust und Zeit auf einen Nachttauchgang? … Nein, mir wäre einfach mal danach. .... Klasse. Näheres erfährst du dann morgen von mir. … Nö, brauchst du nicht. Ich rufe sie gleich selbst noch an. Grüß deine bessere Hälfte von mir.“ Andreas trennte die Verbindung und wählte eine neue Nummer. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich, etwas außer Atem, eine Frauenstimme meldete.
„Hallo. Ana huna, Anne Kamp.“
„Hallo Anne, hier ist Andy. Sorry, wenn ich dich beim Schwimmen gestört habe“, sagte er in den Hörer. Eine Weile war Ruhe auf der anderen Seite, dann fragte Anne: „Woher weißt du, dass ich gerade schwimmen war?“
„Ach, hörte sich nur so an“, gab Andreas ausweichend zurück und musste lächeln. „Aber, weshalb ich anrufe. Ist es möglich, dass wir morgen auch einen Nachttauchgang mit einplanen können?“
„Klar, warum nicht? Du hast das Boot samt mir zur freien Verfügung. Was hast du vor?“, wollte Anne neugierig geworden von dem Mann an der anderen Seite der Leitung wissen.
„Nicht hier am Telefon, Anne. Ich erkläre es dir morgen in aller Ruhe auf dem Boot. Einverstanden?“
Sie war damit einverstanden. Beide wünschten sich noch eine gute Nacht, dann legte sie als Erste den Hörer auf und sprang kopfüber zurück ins Wasser, um noch ein paar Bahnen zu schwimmen.
Doch ihr ging dabei der Anruf von Andreas nicht mehr aus dem Kopf. Sie hätte zu gern gewusst, was er vorhatte, denn sie mochte Überraschungen nicht sonderlich.
Sosehr sie sich auch anstrengte und überlegte, sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was Andreas mit dem Nachttauchgang bezweckte.
Wenig später brach sie ihr Schwimmen mitten in Pool ab und paddelte mit nur wenigen, kräftigen Armschlägen zurück zum Rand, kletterte die Leiter hoch und zog sich ihren bereitliegenden Bademantel über. Immer und immer wieder gingen ihr zwei Fragen durch den Kopf.
Was hatte der Mann vor? Und, was bezweckte er damit?
In dieser Nacht schlief Annemarie Kamp sehr unruhig.
10
„Mach keinen Blödsinn Miekosch“, ermahnte sie ihren Kater, während sie ihren schwarzen Helm aufsetzte und der kleine Kerl ihr zum Abschied um die Beine schlich. Wenig später verschloss sie die Haustür, setzte sich auf den Roller und startete ihn.
Als sie am Hotel von Andreas vorbeifuhr, sah sie ihn, bereits auf seinen Pick-up wartend, auf den Stufen sitzen. Sie bremste ab und winkte ihm zu, während sie ihr Handy aus der Tasche holte, um Ali anzurufen, damit er nicht umsonst zum Hotel fuhr. Schnell kam der Mann mit seinem voll bepackten Rucksack auf die andere Straßenseite gelaufen und fragte Anne fröhlich gelaunt: „Fahren sie zufällig Richtung Red Sea Dive Resort und könnten mich ein Stück mitnehmen?“
„Ja, das ist gerade meine Strecke“, gab Anne eben so fröhlich und höflich zurück. Doch dann drängte sie: „Nun steig schon endlich auf, ich bin etwas spät dran.“
Schnell setzte sich Andreas hinter sie, zog seine Kappe tiefer ins Gesicht, damit sie nicht vom Fahrtwind weggeweht werden konnte. Und schon reihte sich Anne in den morgendlichen Straßenverkehr ein, wo sie ordentlich Gas gab und sich laut hupend Platz verschaffte.
„Du weißt schon, dass du mit solch einer Fahrweise in Deutschland keine Fahrprüfung bestehen würdest“, schrie Andreas gegen den Fahrtwind ankämpfend zu Anne nach vorn.
„Ich weiß“, gab sie zurück, „deshalb fahre ich ja auch hier.“ Dabei betätigte sie wieder ihre Hupe, während sie einen Kleinbus überholte, der sie abdrängen wollte. „Aber glaub mir, wer hier fahren kann, kann es auf der ganzen Welt. Doch ich kann dich beruhigen, ich habe meinen Führerschein in Deutschland gemacht und fahre da auch ganz gesittet.“ Sie lachte wieder und schwenkte gekonnt um einen tiefer liegenden Gullydeckel herum. Dabei merkte sie, wie Andreas alle Bewegungen der Maschine geschmeidig mitmachte und sich nicht dagegen lehnte. Das beruhigte sie sehr und sie gab noch etwas mehr Gas. Schon wenig später bogen sie nach links zur Tauchbasis ein. Sie setzte ihren Fahrgast ab und startete dann, mit durchdrehendem Hinterrad, was ihr viel Spaß zu machen schien, in einer engen Kurve, in der sie ordentlich Sand aufwirbelte, Richtung Hafen. Schon nach weiteren fünfzehn Minuten stellte sie ihren Roller auf dem Parkplatz hinter der Basis ab. Noch während sie ihren Helm absetzte, lief sie ins Office, um für ihr Boot die Ganztagsausfahrt plus Nachttauchgang umzumelden. Das war wichtig, damit genügend Stahlflaschen mit Nitrox an Bord gebracht werden konnten und sie sich im Büro keine Sorgen machen musste, wenn die >Amun Re< nicht am Nachmittag mit den anderen Booten zurück sein würde.
„Warum bist du denn so schnell zum Hafen gefahren?“, fragte Andreas sie ganz verdutzt, als sie auf die Terrasse zurückkam. Anne erklärte ihm, dass sie Ahmed und Rashid Bescheid gesagt hatte, dass sie etwas mehr zu Essen einplanen müssen, damit sie auch am Abend keine knurrenden Mägen haben brauchen. Dann habe sie noch mit organisiert, dass die Mannschaften der anderen Boote etwas mit von ihren Vorräten, die meist sehr reichlich bemessen waren, abgaben. Denn für gewöhnlich würden sonst die Jungs bereits am Abend zuvor, wenn sie zur Nacht mit rausfahren, dafür vorsorglich einkaufen. Es aber in diesem Fall schon zu spät gewesen war. Andreas entschuldigte sich daraufhin bei Anne und versprach, so etwas in Zukunft eher kundzutun.
Auf dem nächsten Pick-up, der an der Basis hielt, erkannten die beiden Freunde Sebastian sofort und winkten ihm zu, damit er sie nicht lange suchen musste.
„Hallo ihr zwei Süßen“, begrüßte er sie fröhlich, als er zu ihnen trat und sich mit auf die bequeme Bank fläzte. „Schon gesehen? Das Meer ist glatt wie ein Spiegel. Da werden wir super Tauchgänge haben.“ Während Andreas ihm eben so fröhlich beipflichtete, schaute Anne Sebastian eher skeptisch an.
„Du weißt wohl noch nicht, dass Andy auch einen Nachttauchgang für heute geplant hat?“, fragte sie.
„Doch“, antwortete ihr Kollege immer noch lächelnd, „und ich bin schon sehr gespannt darauf, wo er was vorhat. Irgendetwas wird sich dieser Schwachkopf schon ausgedacht haben.“
„Ja. … Das beruhigt mich dann ja wirklich ungemein“, gab Anne unsicher zurück. Daraufhin nahm Sebastian die Frau sanft in den Arm und flüsterte ihr ins Ohr: „Vertrau ihm nur einfach, meine Kleene.“
„Eh!“ Wehrte sie sich lachend. „Du musst nicht immer auf meinem sächsischen Dialekt rumhacken! Ich spreche auch Hochdeutsch, wenn ich es will!“ Dabei löste sie sich mit gespielter Empörung von Sebastian. „Braucht doch nicht jeder wissen, dass ich aus dem tiefsten Sachsen komme.“
„Wieso? Schämst du dich etwa dafür?“, wollte Andreas wissen.
„Nein, eigentlich bin ich stolz darauf, denn meine Heimat ist sehr schön“, gab Anne zurück. „Ich mag nur die maßlosen Übertreibungen meines Dialektes nicht, die ich immer wieder zu hören bekomme. Der bayrische Dialekt klingt auch nicht gerade gut in den Ohren, trotzdem macht man sich über ihn nicht so lustig wie über den meinen. Dabei bin ich aber stolz darauf und würde ihn nie unterdrücken und verleugnen.“
Andreas wusste aus ihrer Akte, dass Anne aus Dresden stammte. Er selbst war ebenso aus den neuen Bundesländern und verstand sehr gut ihren Stolz auf ihre Stadt und ihr Land. Eigentlich war es nichts anderes als der Stolz, den die Anderen auf ihre Region hatten, in der sie aufgewachsen waren und lebten. Doch für viele, die aus den Altbundesländern kamen, war der Dialekt eben neu und ungewohnt. Der sächsische Dialekt wurde in vielen alten Filmen, die aus der USA kamen und in den alten Bundesländern liefen, bei den Synchronarbeiten für die Nazideutschen verwandt. Was eigentlich völlig falsch war, aber die damalige Politik des Kalten Krieges gut widerspiegelte. Beispiele gab es da genug. Doch das brauchte Andreas hier keinem sagen. Sie wussten es beide. Es war schon früher oft genug Diskussionsthema zwischen seinen Kampfgefährten und Freunden bei der Sondereinheit.
Doch über die kleine Stichelei von Sebastian konnte er doch auch lachen. Wusste er doch ganz genau, dass sein Freund die Frau damit nur anstacheln, herausfordern und ablenken wollte. Was ihm auch sehr gut gelungen war, wie er ihm anerkennend zugestehen musste. Er selbst hätte es nicht so gut hinbekommen. Mit den Augen gab er seinem Freund ein Zeichen, welches dieser gleich zurückgab. Sebastian und Andreas hatten sich ohne Worte verstanden, wie schon zu vielen Einsätzen zuvor, bevor das mit Sebastians Bein passiert war. Beide wussten immer, dass dieses Geschoss, welches Sebastian abgefangen hatte, sonst als Nächstes Andreas getroffen hätte. Aber nie hatte es einer von beiden auch nur im Ansatz erwähnt. Sie wussten es einfach und verstanden sich blind. Allein das war es, was für sie immer zählte.
In der Zeit, während dies alles noch in Andreas´ Kopf herumging, war ihr Pick-up vorgefahren.
Kaum dass sie aus dem geschützten Hafen der Tauchbasis ausliefen, entdeckten sie das weiße Boot mit den gelben Aufbauten, wie sie es eigentlich nicht anders erwartet hatten. Beide waren sich im Klaren darüber, dass es schon auf sie wartete, um ihnen zu folgen.
„Rashid, lass uns bei dem schönen Wetter nach >El Fanadir Dacht< fahren“, sagte Sebastian auf Arabisch zum Kapitän und an Andreas gewandt auf Deutsch: „Ich will sehen, wie dreist die Kerle wirklich sind.“
Andreas wusste sofort, was Sebastian vorhatte und nickte ihm nur grinsend zu.
Sie begaben sich unter Deck in den Salon des Bootes, wo Anne schon saß und für die beiden Männer mit Tee aufgebrüht hatte.
„Und wohin fahren wir?“, wollte sie wissen.
„Och, ich denke, wir machen heute unsere Tauchgänge mal entlang von >El Fanadir<“ , antwortete Sebastian, nahm sich eins der Gläser mit dem heißen Getränk und setzte sich dann Anne gegenüber. Nacheinander sah sie sich die beiden Männer genau an.
„Jungs, was ist Sache? Entweder ihr lasst mich mitspielen oder ihr müsst allein damit zurechtkommen. Ich mag keine Geheimnisse. Schon gar nicht, wenn es mich als euren Lockvogel betrifft“, sagte sie dann.
Wieder sahen sich die beiden Freunde an.
Sebastian nickte seinem Freund auffordernd zu, da er selbst ziemlich gespannt auf seine Ausführungen war.
„Okay Anne“, begann Andreas etwas zögerlich und dabei auf seinen Freund blickend, der ihm wieder ermutigend zunickte. „Wir glauben das Boot mit den Kerlen, die uns interessieren, ausgemacht zu haben. Wenn sie uns heute, was ich schwer hoffe, nur ausspionieren wollen, um dann sichergehen zu können, möchte ich dem Boot heute …“ Dabei betonte er dann besonders an seinen Freund gewandt. „Und zwar ich allein, bei einem Nachttauchgang einen Peilsender anheften, der sowohl von uns, als auch von der ägyptischen Marine überwacht werden kann. Einen Peilsender wird auch unsere >Amun Re< bekommen, damit wir immer für unsere Freunde erkennbar sind.“ Er machte eine längere Pause, weil er nicht genau wusste, wie er es Anne erklären sollte. Doch die beiden Freunde lauschten weiter gespannt, sodass Andreas kurze Zeit später weiter sprach. „Uns würde aber die ganze Aktion nichts bringen, wenn sie dich, liebe Anne, nicht in ihre Hände bekommen könnten.“ Dabei sah er die Frau verzeihend lächelnd an und sprach schnell weiter. „Nur dadurch könnten wir ihnen eine Geiselnahme nachweisen und sie eben so verurteilen wie die anderen auch. Würden wir dich nur, in Anführungszeichen, beschützen, könnte der Prozess gegen die anderen zwar in Ruhe laufen, aber wir hätten den Rest der Bande nicht. Aber du, ebenso wie deine Freundin Kim und Sebi, hast dir gewünscht, dass wir sie kriegen sollen.“
Wieder sah er Anne an, die langsam ungeduldig wurde und auf ihrem Platz nervös hin und her zu rutschen begann. „Und was wird da im Klartext genau meine Aufgabe sein?“, fragte sie.
„Wir müssten zulassen, wenn auch nicht gleich freiwillig, um den Schein zu wahren, dass sie dich entführen können.“
„Das meint ihr nicht wirklich ernst?“, fragte Anne und sah abwechselnd zu Andreas und Sebastian. Jedoch nickten ihr beide Männer ernst als Antwort, zu.
„Anne“, sprach dann Andreas weiter auf sie ein, „es ist aber nicht so, dass du das lange bist. Auch da werden wir immer in unmittelbarer Nähe sein und eingreifen, noch bevor dir irgendetwas passieren kann.“
„Und wie wollt ihr das garantieren?“, wollte sie daraufhin wissen.
„Indem du diesen Sender hier, irgendwo versteckt an deinem Körper trägst, wo die Kerle ihn nicht finden können.“ Dabei hielt Andreas ein unscheinbares Teil zwischen den Fingern, welches sogar kleiner als eine normale Kopfschmerztablette war und zeigte es ihr. „Damit wüssten wir jederzeit, wo du bist und könnten immer nahe bei dir sein, um dir zu helfen, wenn es notwendig ist, noch bevor die ägyptische Küstenwache so weit wäre, um zuzuschlagen. … Es ist allein deine Entscheidung, ob du es machst oder nicht. Sagst du nein, dann blasen wir alles ab und wir nehmen dich quasi in Schutzhaft, bis die Gerichtsverhandlungen abgeschlossen sind. Es ist allein deine Entscheidung.“ Mit diesen Worten legte Andreas den Knopf vor Anne auf den Tisch, setzte sich auf die andere Seite, um seinen Tee zu trinken und ihre Entscheidung geduldig abzuwarten.
Nachdenklich drehte Anne den kleinen Knopf zwischen ihren Fingern hin und her und schaute ihn sich genau an. Plötzlich und unerwartet für die beiden Männer, fragte sie laut und mit fester Stimme. „Ist das Ding auch wasserdicht und so?“
„Ja ist es“, gab Andreas zurück.
Nach einer weiteren kurzen Pause, die Anne zum Nachdenken gebraucht hatte, stand sie entschlossen auf und verschwand mit dem Knopf in der Hand auf der Toilette.
Als sie nach einer Weile wieder zurück in den Salon kam, starrten sie die beiden Männer an.
„Was ist?“, fragte sie mit leicht rot werdendem Gesicht, „Ihr habt doch gesagt, dass ich das Ding verstecken soll. Und das Ganze dort, wo die es nicht finden können. Aber unter dem Neoprenanzug trage ich nun mal nur nen engen Badeanzug und den wechsele ich immer“, rechtfertigte sie sich etwas verlegen geworden.
„N...ne… nein, i… ist schon so okay“, brachte Andreas nur noch stotternd hervor, als er sich vorstellte, wo Anne den Peilsender versteckt haben könnte. Für ihn war nun endgültig klar, dass diese Frau in nichts einer Doktor Romana Veit nachstand, sondern ebenso mutig und zu allem entschlossen ist, wie sie es war.
In dem Moment wusste er endgültig, dass er Anne nicht nur achtete, sondern sehr mochte.
Doch er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sie bei El Fanadir Dacht anlegten.
Sebastian und er stiegen hoch zum Oberdeck, um zu sehen, wo sich das fremde Boot befand. Ahmed sagte ihnen, dass dieses fremde Schiff schon an ihnen vorbeigezogen war und gerade bei El Fanadir Foc fest machte.
Damit waren zwar beide Boote auf Blickkontakt, aber per Tauchen mit den normalen Pressluftflaschen in sicherer Entfernung zueinander. Wie die Freunde beruhigt feststellten.
„Willst du heute Abend wirklich allein da rüber gehen?“, wollte Sebastian, um seinen Freund besorgt, wissen.
„Ja, Sebi. Du kennst unsere Devise. So wenig Menschenleben wie möglich gefährden.“
Sebastian ergänzte etwas gelangweilt: „… um so viele wie möglich in der Rückhand zu haben. Ich weiß.“
„Du bist meine Rückhand, Kumpel. Mehr habe ich nicht“, meinte Andreas und lächelte ihn an.
Sebastian nickte ihm zu. „Kannst dich auf mich verlassen“, antwortete er. Dann lachte er kurz auf und meinte: „Sonst lässt mich Kim auch nicht mehr unter ihre Decke.“ Doch dann fügte er wieder ernst hinzu: „Es bedeutet ihr und mir sehr viel.“
Andreas wusste, was sein Freund meinte, nachdem er die Geschichte von Sebastians Frau erfahren hatte. Er trat zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter.
„Lass mal, wir werden es gemeinsam so hinbekommen, dass du wieder unter die Decke kriechen darfst.“ Beide sahen sich an und lachten laut los, als Anne gerade mit ihrer Briefingtafel auf dem Oberdeck auftauchte.
„Okay Jungs“, sagte sie, während sie sich mit dem Rücken zum Kapitän auf die Bank setzte, wo für gewöhnlich der Tauchlehrer zum Briefing saß. „Wie hättet ihr es denn zum ersten Tauchgang gerne?“
„Ja, ich denke mal“, begann Sebastian, „wir tun mal was, was vernünftige Taucher machen würden. Wir gehen den vielleicht bösen Buben aus dem Weg. Wir tauchen ganz artig, zuerst gegen die Strömung ums Riff rum und dann wieder mit der Strömung so zurück, das wir nach fünfundvierzig Minuten, wieder gut sichtbar für die Chorknaben, auf dem Boot zurück sind. Schließlich soll Andy, wenn es dunkel ist, noch die Chance bekommen, den Peilsender bei den Vögeln am Boot anzubringen. Also halten wir für ihn die Tauchzeit so kurz wie möglich.“
Sofort stimmten beide Sebastians Vorschlag zu. Doch um den Anschein zu wahren, zeigte Anne noch auf das Riff und die beiden Männer folgten, sichtlich interessiert, ihren weiteren Ausführungen über den Tauchplatz. Dann gingen sie nach unten, um ihre Tauchausrüstung anzulegen. Schon wenig später sprangen sie nacheinander mit einem großen Schritt ins Leere, ins Wasser. Wobei sich Sebastian mal wieder bemühte besonders blöd auszusehen, was ihm das Gelächter seiner Freunde einbrachte, aber hoffentlich auch eine Minderschätzung der heimlichen Beobachter an Bord des anderen Bootes. Schnell fasste es Andreas auf und spielte Ohrprobleme beim Druckausgleich vor, wonach er total hektisch aufzutauchen schien und ihn seine Tauchlehrerin Anne erst wieder beruhigen musste und sie dann gemeinsam, ganz langsam abtauchten. Wobei Anne ihn versuchte heftig zu schlagen, weil sie wirklich im ersten Moment selbst an seine Panik geglaubt hatte, bis sie seine vor Schalk grinsenden Augen hinter der Maske sah.
„Das Weib begleitet zwei Vollpfosten“, meldete sich der Mann, der die >Amun Re< die ganze Zeit beobachtete. „Boss, warum wollen wir nicht schon heute, jetzt gleich, zuschlagen und uns die Alte holen? Die Kerle da drüben sind, wie es aussieht, sogar zu blöd zum Scheißen.“
Der Mann mit dem pockennarbigen Gesicht riss ihm wütend das Fernglas aus der Hand und schrie: „Hier geht es nicht nach dir, du Kleinhirn! Ich will auf Nummer sichergehen. Wir dürfen dabei nichts verpatzen. Mehr als eine Chance haben wir nicht. Wir machen es so, wie ich es sagte und nicht anders. Ich hoffe, das ist allen hier klar!“, schrie er dann sehr aggressiv auch alle anderen Männer an Bord des Bootes an. „Wir warten ab!“
11
Pünktlich, wie vereinbart, erreichten die drei Freunde am Heck ihres Bootes wieder die Wasseroberfläche, wo sie Ahmed sofort darüber informierte, dass die Männer auf dem anderen Boot nicht tauchen waren, aber die >Amun Re< sehr genau beobachteten. Das nutzte Sebastian gleich noch einmal aus, um total tapsig von der kleinen Leiter zurück ins Wasser zu fallen. Als er sie als letzter der Gruppe ersteigen wollte. Wieder hatte er alle Lacher an Bord auf seiner Seite, aber auch jeglich erdenkliche Hilfe, um als Tollpatsch der Nation wieder heil an Bord zu kommen. „Ich hoffe, die Blödmänner da drüben kaufen mir meine Schauspielkunst ab und ich habe wenigstens dort ein würdigeres Publikum und nicht nur solche Ignoranten wie ihr“, sagte Sebastian und spielte den Beleidigten, während alle an Bord sich noch den Bauch vor Lachen hielten.
Andreas suchte sich eine Ecke des Bootes, von wo aus er nicht von den Männern auf dem fremden Boot gesehen werden konnte. Ahmed half ihm schnell beim Abstreifen seines Anzugs. In der Zwischenzeit zogen auch Anne und Sebastian mit Unterstützung von Rashid ihre Anzüge aus und halfen sich gegenseitig. Dabei täuschen sie geschäftiges Treiben auf dem Deck vor, bis sie ihre Anzüge auf die Kleiderbügel gehängt und ihre Westen an den neuen, vollen Flaschen angeschlossen hatten.
Beim Mittagessen, welches wieder die drei Freunde gemeinsam mit der Schiffsbesatzung einnahmen, fragte Andreas Ahmed, ob er auch tauchen könne.
Der Junge sah nur kurz Anne an und sagte dann: „Ja, Anne hat es mir heimlich beigebracht. Aber ich habe keinen Schein dafür.“
Dann wandte Andreas sich an Anne und Sebastian. „Wie sieht es aus, könntet ihr Ahmed, nur bitte ohne jedes Risiko, an meiner statt heute Abend mit zum Nachttauchgang runternehmen? Von mir aus hängt ihn einfach nur die ganze Zeit unters Boot. Aber die Kerle müssen drei Leute rein, mit Lampen rumfuchteln und wieder rauskommen sehen. Ist das zu machen?“ Forschend sah er seine Freunde an. Auch Sebastians Blick heftete sich nun fragend auf Anne.
„Ahmed ist ein guter Taucher“, antwortete sie sicher. Aber fragte dann auch etwas besorgt: „An wie lange hattest du denn gedacht, dass wir unten bleiben sollen?“
„Ich denke mal, fünfundvierzig Minuten als Ablenkung würden mir reichen, auch wenn ich länger dafür brauchen werde. Wichtig ist dabei nur, dass sie das Licht eurer Lampen so lange wie möglich am Riff sehen, ohne dass sie merken, dass ihr Profis seid. Ist das machbar?“
„Klar, ist es das“, antwortete Sebi schnell, „zur Not bekommt Ahmed Luft von uns und wir werden mit den Lampen rumfuchteln, bis ihnen der Saft ausgeht, was eh in dieser Zeitspanne bei den normalen Dingern passieren wird. Kein Problem.“
„Gut“, stellte Andreas zufrieden fest, „dann machen wir den zweiten Tauchgang wie normale Tauchanfänger, um die Gegend für den Nachttauchgang kennenzulernen. Ich schlage vor, ihr nehmt da Ahmed zu seiner Sicherheit schon mit. Aber seht zu, dass ihr ihn immer etwas mit euren Körpern verdeckt, da er ja leider nicht meine Größe hat. Er soll dabei meinen Anzug tragen. Er wird schon irgendwie reinpassen. Ich habe für mich dann noch einen dünnen drei Millimeteranzug. Der wird mir reichen. Was meint ihr?“
Anne und Sebastian sahen sich kurz an und nickten ihm zu. Dann erzählten sie Ahmed, was sie vorhatten und fragten ihn, ob er bereit dafür wäre. Freudig nickte der Junge.
Nach dem Essen zog sich Andreas aber seinen Freund zur Seite und machte ihn darauf aufmerksam, dass er beim zweiten Tauchgang nicht nur Anne, sondern auch den Jungen zu beschützen hatte. Sollten die Kerle unerwartet doch eher angreifen als vermutet, würde es eine Weile dauern, bis er selbst vor Ort wäre, um zu helfen. Doch Sebastian beruhigte seinen Freund, dass er sich dessen sehr wohl bewusst war. Mehr Worte bedurfte es zwischen den beiden nicht. Andreas wusste genau, dass Sebastian alles in seiner Macht Stehende für diese zwei Menschen tun würde, so wie auch er.
Nach dem Essen bekam Ahmed das Basecap, die Sonnenbrille und ein weißes T-Shirt von Andreas an, wo er eigentlich zweimal hineinpasste.
Andreas begann langsam damit die ersten Vorbereitungen für seinen nächtlichen Tauchgang zu treffen, als plötzlich, aber für ihn nicht ganz unerwartet, sein Handy klingelte. Er nahm es schnell aus der Seitentasche seines Rucksacks und meldete sich. Auf der anderen Seite der Leitung war Jens Arend, der Bussard, zu hören. Er informierte ihn darüber, dass die Leute auf dem Boot hauptsächlich Frauen und Kinder waren, die auf einer Schnorcheltour waren. Die Bootsmannschaft hatte aber gestanden, dass sie ihnen Schlafmittel verabreicht hatten, um mit ihnen heimlich in ägyptische Hoheitsgewässer gelangen zu können. Das Zeug dafür hatten sie von zwei Männern, die sie nicht kannten, aber als pockennarbigen Hünen und den anderen als asiatischen, schlitzäugigen Teufel beschrieben, erhalten. Sie hatten ihnen versprochen, für ihre Familien zu sorgen, egal ob sie es über die Grenze schafften oder nicht. Eine Frau und zwei Kinder lägen noch im Koma, weil die Dosis der verabreichten Mittel viel zu hoch war.
„Die Beschreibungen kommen mir irgendwie verdammt vertraut und bekannt vor“, gab Andreas kurz seinen Kommentar dazu ab und fragte weiter: „Und, haben die Familien der Besatzung das versprochene Geld schon erhalten?“
„Nein, so weit wie wir von den Behörden des Nachbarlands wissen, nicht einen Cent“, gab Jens etwas irritiert zurück.
„Das dachte ich mir. Diese Schweine!“, sagte Andreas, dabei hatte er sich kaum noch in der Gewalt. „Die armen Schlucker, die daran geglaubt haben, gehen in den Knast und ihre Familien, Frauen mit Kindern den Bach runter, ohne etwas dafür zu können. Ihnen wurde der einzige Ernährer genommen. Jens, sehe zu, ob du da vielleicht mit Hilfe von unserem Superanwalt Rainer, unserem Nachtfalken, was deichseln kannst. Ich habe was dagegen, wenn unschuldige Menschen unter solchen Parasiten leiden müssen. Egal, ob sie durch das Geld verführt wurden. Es sind nur arme Schlucker, die für ihre Familien einen kleinen Ausweg gesucht haben. Straft nicht auch noch deren Frauen und Kinder.“
So kannte Jens seinen Freund gar nicht. Für gewöhnlich brachte dieser seine Bedenken immer erst nach einer abgeschlossenen Operation an. Aber er versprach ihm alles ihm Mögliche für die Besatzungsmitglieder des aufgebrachten Bootes und deren Familienmitglieder im Sudan zu tun. Dann erkundigte er sich nach der laufenden Mission. Wenig später verabschiedeten sich die Männer wieder.
Zum nächsten Briefing verzog sich Andreas in den Salon, denn an seiner Stelle nahm nun Ahmed daran teil. Wobei die beiden Freunde immer bemüht waren, ihn mit ihren Körpern etwas vor den neugierigen Blicken der Männer auf dem anderen Boot zu verdecken.
Andreas beobachtete derweil versteckt die Männer auf dem Boot. Sofort machte er zwei Beobachtungsposten aus, welche die >Amun Re< in ihrem Fernglasvisier hatten. Aber es beruhigte ihn, dass keiner sich dort an Bord für einen Tauchgang vorzubereiten schien. Was er seinen drei Leuten gleich mitteilte, als die sich zum Tauchen fertig machten. Etwas musste er dabei schmunzeln, weil Ahmed sein Anzug zu weit und viel zu groß war und sie Ärmel und Hosenbeine mehrmals umschlagen mussten. Doch selbst Ahmed störte sich nicht daran, sondern grinste breit übers ganze Gesicht. Er winkte Andreas noch kurz zu, bevor er als zweiter der kleinen Gruppe ins Wasser sprang.
Nachdem die drei aus seinem Sichtfeld verschwunden waren, schaute er noch einmal zu dem anderen Boot, was eigentlich in sicherer Entfernung für normale Taucher lag. Er war erleichtert, dass von ihnen keine Aktivitäten ausgingen, sondern sie sich nur auf die Beobachtungen der Taucher und Besatzung, der >Amun Re< konzentrierten. Leise kam Rashid in den Salon und hielt wenig später für Andreas und sich ein Glas heißen Tee bereit.
„Oh danke Rashid“, sagte Andreas lächelnd auf Arabisch, „du weiß, was ein Mann in solch einem Moment braucht.“ Dankend nahm er ihm das eine Glas ab. Dann setzten sie sich beide schweigend nebeneinander und schlürften immer wieder von dem heißen Getränk.
„Du magst Anne sehr“, begann der alte Kapitän das Gespräch, „warum also gehst du nicht zu ihr und sagst ihr das?“
„Ach alter Freund“, erwiderte Andreas sichtlich bedrückt zu Rashid, „wenn das doch so einfach wäre.“
„Es ist einfach“, gab der alte Mann nicht nach, „Anne mag dich sehr. Vielleicht wartet sie ja nur darauf, dass du es ihr sagst.“ Dabei lächelte er Andreas herausfordernd an.
„Das mag sein, Rashid.“ Andreas legte freundschaftlich seinen Arm auf die Schulter des alten Mannes und sprach dann weiter: „Aber im Moment kann und darf ich mir keine Gefühle leisten, wenn wir alle gesund hier rauskommen und dabei unser Ziel erreichen wollen.“
Rashid verstand, was der Mann meinte.
Dann schwiegen beide wieder und tranken ihren Tee, wobei jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.
Die von Rashid kreisten um Andreas und Anne. Doch die von Andreas kreisten um seinen nächtlichen Einsatz, bei dem nichts, aber auch gar nichts, schiefgehen durfte, um Annes Leben und die Chance eines fairen Prozesses gegen hochrangige Waffenschieber in Deutschland und anderen Teilen der Welt zu sichern.
Gerade als der Kapitän zurück aufs Oberdeck gehen wollte, tauchten die drei Freunde am Heck des Bootes wieder auf und kletterten nacheinander nach oben.
„Und, wie ist es gelaufen?“, wollte Andreas wissen.
„Oh, Anne hat ganze Arbeit bei Ahmed geleistet“, antwortete Sebastian anerkennend und rubbelte dem jungen Ägypter freundschaftlich über den Kopf. „Er taucht wie ein kleiner Fisch.“
„Dann dürfte also bei eurem Nachttauchgang nichts schiefgehen“, stellte Andreas zufrieden fest und half erst Anne und dann seinem Freund aus dem Neoprenanzug, während bei Ahmed der zu große Anzug, wie von selbst herunterrutschte. Worüber alle fünf lachen mussten.
Der Schiffsjunge verzog sich in die Kombüse und die drei Freunde stiegen aufs Oberdeck, um sich noch etwas in die Sonne zu legen. Andreas lag gleich neben Sebastian und wollte von ihm wissen, wann sie für gewöhnlich zu Nachttauchgängen starten. Sebastian erklärte ihm, dass sich die meisten kurz nach dem Sonnenuntergang fertig machen würden.
„Aber wenn es dir lieber ist, können wir auch später starten“, schlug er dann vor und sah Andreas fragend an.
„Nein, wir machen es so, wie es hier auf den Booten üblich ist. Ich will die da drüben“, antwortete er, dabei wies er leicht mit dem Kopf zu dem anderen Schiff, „nicht auf uns aufmerksam machen. Reicht schon zu, dass sie immer zwei zu unserer Beobachtung abstellen.“ Dann erklärte er weiter, dass er vorhabe, mindestens eine halbe Stunde vor ihnen ins Wasser zu gehen, damit die Wachen dann, wenn er in die Nähe ihres Bootes kommt, durch den Tauchgang seiner Freunde abgelenkt sind.
„Ich hoffe, ich habe mich da mit der Strecke nicht verschätzt. Es ist schon ein ganzes Stück bis dahin. Doch die Zeit, plus eure vierzig Minuten dürften mir reichen, um gerade dort anzukommen, wenn ihr wieder aus dem Wasser kommt und ein wenig Rabatz macht“, sagte Andreas, noch etwas nachdenklich.
„Ja, die Zeit müsste reichen, um bis dort hinzukommen“, gab ihm sein Freund zurück. „Du stehst doch voll im Training und ich glaube nicht, dass die Strömung noch zunehmen wird. Wenn aber doch, dann könnte es knapp werden.“
„Das will ich nicht hoffen. Seht zu, dass ihr, wenn ihr wieder draußen seid, nicht vergesst, das Licht an der Plattform und dem Hauptdeck zu löschen, damit ich unbemerkt rauskommen kann. Ich habe keine Lust, die Bordwand hochklettern zu müssen. Ich denke, dafür wäre ich dann zu ausgepowert. Setzt euch aufs Oberdeck und macht ruhig etwas lauter und bewegt euch viel, vor allem während wir ablegen.“
„Klar doch, großer Bruder, das kriegen wir hin“, meinte Sebastian und grinste Andreas breit an. „So lange bin ich ja nun auch noch nicht aus dem Geschäft, dass ich nichts mehr von Ablenkungsmanövern verstehen würde.“
„Na dann bin ich ja beruhigt. Ich will nur nicht, dass sie stutzig werden und im nächsten Moment ihren Bootsrumpf absuchen, unseren kleinen Informanten finden und kaputt machen.“
Ahmed kam mit einem großen Teller voller Kuchen und einem Tablett mit saftigen, roten Wassermelonenscheiben die Stufen zum Oberdeck hoch balanciert, stellte alles auf eine Bank und verschwand noch einmal, um wenig später mit fünf Gläsern Cappuccino zurückzukehren. Alle fünf setzten sich gemütlich in einem Kreis auf den Boden des Decks und aßen gemeinsam. Dabei scherzten und lachten sie, wie schon die Tage zuvor.
Andreas verzog sich wenig später nach unten in den Salon. Er holte seinen schwarzen, 3 mm dünnen, langen Tropentauchanzug aus seiner Tasche. Dazu die schwarzen Dacor Longblade Flossen, die ihm ein schnelleres Vorwärtskommen ermöglichen sollten.
„Wow, mit den langen, harten Brettern willst du tauchen?“, fragte Anne ungläubig, als sie in den Salon kam und eine Flosse in die Hand genommen hatte, um sie sich genau anzusehen. „Da brauchst du ja mehr als nur etwas Kraft. Ich hoffe, du bekommst da keinen Krampf in den Waden.“
Andreas lächelte sie verschmitzt und herausfordernd an und meinte: „Kannst mir ja vorher die Waden massieren.“ Dann kramte er in seiner Tasche und holte eine Tube Salbe hervor. „Ich hoffe, keinen Krampf zu bekommen, und genau dafür nehme ich diese Salbe und reibe mir kurz vorher die Beine damit ein. Ist so eine Art Wundermittelchen, welches die Muskeln im Vorfeld schon mal etwas aufheizt. Dazu eine Magnesiumtablette und es dürfte funktionieren. Außerdem bin ich dafür ausgebildet“, erklärte Andreas ihr.
„Trotzdem ein sehr weiter Weg“, meinte Anne besorgt.
„Ja, das stimmt schon“, gab er zu, „aber sehe es mal positiv, danach kann ich super gut schlafen.“
„Ja, und wir haben morgen was zu lachen, wenn du vor Muskelkater kaum noch laufen kannst“, stichelte Anne.
Sie sah zu, wie Sebastian seinem Freund die Salbe auf den Beinen verteilte und einmassierte, dabei sprach keiner der beiden Männer ein Wort. Andreas schluckte noch eine zweite Magnesiumtablette und trank eine halbe Flasche Wasser in nur einem Zug aus.
Als er fertig angezogen war, half ihm sein Freund beim Anlegen der Tarierweste mit dem Kreislaufgerät, welches ihn unter Wasser nicht durch aufsteigende Luftblasen verraten konnte. Andreas befestigte den Taschengurt um seine Taille und bat Anne, ihm, wenn er im Wasser ist, die Flossen zu reichen.
Den Schutz der Aufbauten nutzend, kletterte er über die Reling an Backbord. Er brauchte alle Kraft, um sich, mit dem Gewicht des gesamten Equipments, langsam an der Bordwand ins Wasser gleiten zu lassen, damit er keine lauten Geräusche dabei machte. Denn ein Sprung ins Wasser wäre bei dem ruhigen, spiegelglatten Meer weithin zu hören gewesen. Anne reichte ihm die Flossen zu und wünschte ihm viel Glück.
Gerade als Andreas abtauchte, stand die Sonne schon über dem Gebirge im Westen und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie dahinter verschwand.
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