Andreas betrat das Hotelzimmer und schloss hinter sich ab. Er warf den Rucksack aufs Bett, zog die schweren Vorhänge auf, öffnete die Balkontür und ließ sich erschöpft auf den weißen Plastikstuhl fallen.
Den ganzen Tag über hatte er sich nicht anmerken lassen, dass ihm die Schulter in Wirklichkeit noch unheimlich schmerzte und wie schwer es ihm fiel, den linken Arm zu bewegen. Jetzt aber zog er den Arm dicht an seinen Oberkörper und beugte sich nach vorn, in der Hoffnung dadurch etwas Linderung zu erfahren. Jeder einzelne Muskel seines Körpers schmerzte noch von den Krämpfen. Dazu waren die Beine zusätzlich von dem langen, kraftzehrenden Nachttauchgang betroffen. Aber das schlimmste war das wahnsinnige Brennen in seinem Körper. Schwerfällig rappelte er sich nach einiger Zeit wieder auf, hielt sich dabei an allem fest, was sich ihm bot. Aus dem Schrank holte er seinen braunen Koffer und legte ihn aufs Bett. Er stellte seine Geheimzahl ein und ließ die beiden silbernen Schlösser aufschnappen. In einer der kleinen Seitentaschen fand er, was er suchte. Er schleppte sich zum Kühlschrank, holte sich eine Flasche Wasser und ging damit auf den Balkon. Mit zitternden Fingern drückte er die Folie der Tablettenpackung ein und entnahm sich daraus zwei Kapseln, steckte sie in den Mund und spülte mit reichlich Wasser nach. Nun brauchte er nur noch auf die Wirkung dieses starken Schmerzmittels warten. Was sich damit, wie es ihm schien, verdammt lange Zeit ließ. Er entschied, eine dritte Kapsel zu nehmen. Er musste morgen wieder bei klarem Verstand und topfit sein, durfte sich weder einen Durchhänger geschweige denn einen Fehler leisten. Anne verließ sich auf ihn. Auch seinen Freund wollte er keiner unnötigen Gefahr aussetzen. Er hoffte nur, dass wenn es brenzlig wurde, er dann die richtigen Entscheidungen treffen würde und die Marine sowie der Küstenschutz der Ägypter schnell genug da sein konnten, um mit einzugreifen. Er wünschte, die >Amun Re< hätte einen um vieles leistungsstärkeren Motor, um das andere Boot verfolgen zu können, sollte er selbst versagen und sein Plan nicht aufgehen. Er wusste, dass das Boot der Kerle gut doppelt so schnell wie die >Amun Re< war. Seine Gedanken kreisten immer wieder um Annes Worte, die sie ihm regelrecht um die Ohren gehauen hatte. Wohl war ihm auch nicht dabei. Er hatte Angst davor zu versagen. Angst, das wusste er, konnte der beste Freund sein, weil sie wachsamer macht. Sie konnte aber ebenso, wenn sie sich auf andere geliebte Personen bezog, lähmend wirken oder zu impulsiven und unüberlegten Handlungen führen. Genau das durfte auf keinen Fall passieren. Er hatte Angst, große Angst, Anne zu verlieren, bevor er sie überhaupt erst richtig gefunden hatte.
Endlich spürte er, wie die Wirkung des Schmerzmittels einsetzte, atmete erleichtert durch, zündete sich eine Zigarette an, inhalierte den Rauch und blies ihn durch Mund und Nase wieder aus. „Scheiße, dabei will ich damit aufhören“, tadelte er sich selbst. Sofort drückte er die halb gerauchte Zigarette aus und trank seine angefangene Flasche Wasser leer. Kurz darauf ging er ins Zimmer zurück, schaltete das Licht an und betrachtete sich im Spiegel. Verärgert stellte er fest, dass der Schulterverband unter seinem weißen T-Shirt unvorteilhaft auftrug. Er zog das Shirt aus und besah sich den Verband näher. So geht das nicht, war ihm klar. Er durchforstete seinen Kleiderschrank nach größeren, dickeren und dunkleren Shirts. Probierte eines nach dem anderen an. Die Bandage trug zu sehr auf, war einfach zu auffällig. Warum hatte er nicht eher dran gedacht. Er hätte es dem Doc sagen müssen, vielleicht hätte er da etwas zaubern können. Ob er ihn anrufen und darum jetzt noch bitten konnte? Er war nicht in der Lage einen solchen Druckverband bei sich selbst anzulegen. Er war gelenkig aber so gelenkig dann doch nicht. Außerdem bräuchte er dafür neues Verbandsmaterial.
Fragen kostet nichts, dachte er. Ein Nein hat man immer schon in der Tasche, es kann nur ein Ja daraus werden.
Also wählte er die Nummer, die auf dem Kärtchen von Doktor Mechier stand.
Wenig später erklang die förmliche Stimme vom Doc im Hörer: „Allo, Doktor Abdul Mechier“, meldete sich der Arzt.
„Hadha ´ana, Andreas. Masa al hayri, Doc. - Ich bin es, Andreas. Guten Abend, Doc“, begrüßte er ihn auf Arabisch und sprach auch so weiter. Höflich fragte er, ob er eventuell heute noch einmal Zeit hätte in seinem Hotel vorbeizukommen. Er hätte ein Problem wegen des Verbandes und ob es vielleicht bei ihnen im Militärkrankenhaus auch so was wie hautfarbenes Verbandsmaterial gäbe. Dann bat er ihn noch darum, dass er nicht mit einem Marinefahrzeug vorfahren solle, da es nicht unbedingt jeder sehen müsse.
Nach einer kurzen Pause antwortete der Arzt, dass er sofort zu ihm kommen würde, er hätte momentan etwas Zeit. Andreas wies ihn schnell darauf hin, dass es kein Notfall, aber doch wichtig wäre. Er hatte den Arzt eigentlich noch nie in Uniform gesehen, bat ihn jedoch trotzdem vorsichtshalber, in Zivil zu kommen.
„Narakum qariba - Bis gleich“, verabschiedeten sich beide Männer voneinander.
Nachdem Andreas aufgelegt hatte, ging er die wenigen Schritte bis ins Bad, machte sich etwas frisch und kämmte sich sein Haar, das er sich im Nacken wieder zu einem Zopf zusammenband. Mit den Fingern fuhr er sich gedankenversunken über die Narben auf seiner Brust. Er wusste aus der Beschreibung der beiden Tauchlehrer, dass zwei der Kerle, die ihm die zugefügt hatten und dabei die Brutalsten waren, mit auf diesem fremden Boot waren. Auf sie würde er besonders achten müssen, ebenso wie auf diesen Schießwütigen mit den präparierten Harpunenpfeilen. Er konnte nur hoffen, dass nicht jeder der Kerle mit solchen Harpunen ausgerüstet war.
Fakt war, sie brauchten Anne lebend, zumindest bis sie eine Videoaufzeichnung mit ihr gemacht hatten, wo sie um ihr Leben flehte. Sie würden ihr bis dahin nicht ernstlich etwas tun. Doch so weit wollte es Andreas eh nicht kommen lassen.
Leider war er aber zum Warten verurteilt, bis die Kerle den ersten Schritt machten. Danach könnte er eh nur improvisieren, bis Hilfe kam. Ein gutes Gefühl hatte er dabei schon von Anfang an nicht gehabt.
All das schoss ihm durch den Kopf, während er vor dem Spiegel stand. Es klopfte an der Tür. Er öffnet. „Wow, Doc, sind Sie geflogen?“, begrüßte er den Arzt, ließ ihn ein und schaute dann noch einmal prüfend auf den Gang hinaus, bevor er die Tür wieder schloss.
„Oh, habe ich die Modenschau verpasst?“, fragte Dr. Mechier, als er die auf dem Bett durcheinander herumliegenden Kleidungsstücke sah.
„Ja, genau, deshalb habe ich Sie angerufen.“
„Wieso, wollen Sie mich zu ihrem persönlichen Modeberater machen? Dafür wäre bestimmt Frau Anne Kamp besser geeignet.“
„Nein, Doc, das bekomme ich eigentlich noch ganz gut allein in den Griff“, antwortete Andreas. „Aber fällt Ihnen hier was auf?“ Dabei zeigte er auf seine linke Schulter.
„Ja, der Verband sitzt korrekt. Also was haben Sie für ein Problem?“
„Bingo Doc! Sie haben erkannt, dass der Verband korrekt sitzt. Aber genau das sollte man nicht sehen.“
„Wie meinen Sie das, Andy?“, fragte der Ägypter ihn nicht ganz verstehend.
Andreas bat den Arzt, mit ihm an dem kleinen Tisch in der Zimmerecke Platz zu nehmen. Dort erklärte er ihm geduldig, dass dieser Verband, egal was er überzog, immer zu sehen war, er das aber für seinen Auftrag und Plan ganz und gar nicht gebrauchen konnte. Er sagte ihm, dass kein Nichteingeweihter etwas von dieser Verletzung sehen dürfe, da er vorgegeben hatte, die zwei Tage auf Wüstensafari gewesen zu sein. Am Ende schloss er damit: „Fazit vom Ganzen, mein lieber Doc, der Verband muss wesentlich dünner sein und nach Möglichkeit auch nicht gerade weiß leuchten und damit weit hin sichtbar sein, wenn ich das Shirt ausziehe, um mich fürs Tauchen fertig zu machen. Und ich allein bekomme das nicht hin. Auf der >Amun Re< wird das erneute Verbinden dann Sebi übernehmen. Er kann das. Nur erstens ist er nicht hier und zweitens bleibt die Farbe des Verbandes immer noch weiß. Ja und Annes Marke Up, wird für die große Fläche nicht ganz reichen, sollte sie so etwas überhaupt besitzen. Ergo, sind Sie meine letzte Hoffnung.“
Jetzt verstand Doktor Mechier, was der Mann meinte und nickte lächelnd. Wieder zog er einen Plastikbeutel aus seiner altertümlichen Arzttasche, die gut und gerne mal Mary Poppins gehört haben könnte, und reichte die Tüte seinem lieb gewonnenen Patienten.
Andreas warf einen Blick in den Beutel und nickte dem Arzt zufrieden zu. „Sie sind klasse, Doc“, stellte er fest und lächelte ihn dankbar an. „Das ist genau das, was mir vorschwebte.“
„Entschuldigen Sie, Andy, bevor wir zur Verschönerung Ihres Körpers schreiten, wäre es vermessen, wenn ich draußen auf ihrem Balkon meine Pfeife rauchen könnte? Sie haben doch noch etwas Zeit, oder? In der Klinik darf ich das ja leider nicht.“ Dann lächelte er verlegen und meinte: „Ein Laster, was ich mir in Ihrem Land während des Studiums zugelegt habe. Ist besser als jede Shisha bei uns hier.“
Andreas zeigte ihm tadelnd den erhobenen Zeigefinger, lächelte dabei aber freundlich. Als sie auf den Balkon traten, bemerkte Abdul Mechier die Schachtel Zigaretten auf dem Tisch und tadelte ebenso lächelnd zurück. Nachdem sie sich gesetzt hatten, der Arzt seine schon gestopfte Pfeife angepafft, Andreas eine Zigarette angezündet hatte und beide den ersten Zug genossen, fiel Doktor Mechier eine angebrochene Tablettenpackung auf, aus der bereits drei Kapseln fehlten. Er nahm sich die Packung, las den Namen des Medikaments und überflog schnell die Zusammensetzung. „Das also ist Ihr Geheimnis. Hydromorphen zu je 16 mg und die andere Schachtel da sind sogar 32 mg. Die Dinger sind verdammt stark. Demnach müssen sie große Schmerzen haben“, stellte der Arzt fest. „Wenn sie tauchen wollen, dann sind die zu gefährlich.“
„Ich weiß Doc. Aber ganz so stimmt es auch nicht. Ich habe erst vorhin zwei Kapseln und dann noch eine genommen. Nur die Sechzehner. Den Tag über nicht eine. Doch plötzlich konnte ich es nicht mehr aushalten und den Schmerz weiter unterdrücken“, gestand Andreas.
„Weil Ihr Körper durch die ständig unterdrückten Schmerzen zu angespannt und dadurch zusätzlich geschwächt ist“, erklärte der Arzt. „Und wenn Sie gleich drei genommen haben, ich aber davon ausgehe, dass Sie ihren Körper und das Mittel hier sehr gut kennen, dann geht es Ihnen verdammt dreckig.“
„Könnte man so sagen“, gab Andreas zu.
„Und warum haben Sie mir das nicht gesagt?“, wollte der Arzt wissen.
„Weil es Anne und mein Freund nicht wissen dürfen. Ich will sie nicht verunsichern.“
Doktor Mechier verstand, aber wies ihn noch einmal darauf hin, dass er unter dem Einfluss dieses Medikaments morgen auf keinen Fall tauchen dürfe.
Andreas wusste es und sagte es ihm auch.
Doktor Mechier wollte wissen, wie er es denn da schaffen wolle seinen Auftrag auszuführen, wenn ihn mitten im Einsatz solch eine Schwäche überfallen würde, wie vorhin gerade.
„Genau das ist meine Sorge, Doc. Ich weiß, dass es Mittel gibt, die fürs Tauchen unbedenklich sind, keine Nebenwirkungen dabei zeigen und die Reaktionsfähigkeit nicht vermindern. Wir haben sie auch bei unserer Sondereinheit im Gepäck. Nur habe ich, dumm wie ich war, keine davon zu meinem Tauchzeug in die Notausrüstung gepackt.“
„Ja, das war wohl sehr dumm“, gab Doktor Mechier lächelnd zu und zog wieder an seiner Pfeife, wovon ein feiner Duft von Vanille in Andreas´ Nase stieg.
Dann fragte der Arzt neugierig, was denn in dem eingeschweißten Päckchen von Mister Jens Arend drin war, welches er ihm übergeben hatte. Bereitwillig antwortete Andreas, dass es kleine Ballonspritzen enthielt mit verschiedensten Impfstoffen zur unterschiedlichsten Anwendung, die sowohl unter Wasser als auch an Land injiziert werden könnten, selbst von Laien, immer vorausgesetzt, sie wissen, was darin ist und welche Wirkung es hat. Er erklärte ihm, dass die Ballons deshalb auch verschiedene Farben haben, um sie sicher auseinanderhalten und anwenden zu können, ohne lange hinschauen oder das Kleingedruckte lesen zu müssen. Dass die Sondereinheiten darin ausgebildet sind, sich selbst und anderen schnell damit helfen zu können. Er berichtete ihm, dass auch Sebastian ihn bei der Ersten Hilfe damit versorgt hatte.
Als der Arzt fragte, warum er diese Ballonspritzen nicht gleich bei sich, noch im Wasser angewendet hatte, erzählte ihm Andreas die Geschichte von dem verletzten Delfin. Und dass er dafür zwei Spritzen seiner Ration, eben das Blutgerinnungsmittel als auch das starke Schmerzmittel aufgebraucht hatte.
„Ein großer Fehler. Aber eine gute Tat. Andy, Sie steigen immer mehr in meiner Achtung. Und ich bin bestimmt kein Mensch, der leichtfertig damit umgeht“, sagte der Arzt lächelnd. „Aber nun lassen Sie uns hineingehen und ich werde mich mal daran versuchen, Ihnen eine zweite Haut zu verpassen, damit Sie bei der Hitze nicht in dicker Jacke herumlaufen müssen.“
Als der Arzt die Schulterverletzung erneut, aber dieses Mal mit einer hautfarbenen Elastikbinde verband, wurde er wieder neugierig und fragte nur vorsichtig, nach den vielen anderen Narben auf seinem Körper.
Auch das erzählte ihm Andreas bereitwillig. Er hatte Vertrauen in den Mann gefasst und mochte ihn. Bei der Erzählung zog der Arzt ab und an eine schmerzverzerrte Grimasse. Wenig später schüttelte er wieder mit dem Kopf. Wie er dann von Andreas erfuhr, dass zwei seiner schlimmsten Peiniger von damals höchstwahrscheinlich mit da draußen an Bord des fremden Bootes waren, versetzte es dem Arzt solch einen Schrecken, dass er den letzten Rest der Verbandsrolle fallen ließ. Und sich der schon angebrachte Verband wieder zu lösen begann. Betroffen sah er in die blauen Augen des großen Mannes, der da vor ihm saß. „Und Sie wollen … unsere Anne … diesen Kerlen in die Hände geben und sich selbst mit dazu?“, fragte der Arzt ungläubig, zutiefst erschüttert.
„Nein, Doc, nicht direkt. Ich bin hier, um das zu vermeiden. Aber zugleich wollen wir die Kerle auch überführen können, damit ihnen für immer und ewig das Handwerk gelegt werden kann“, erklärte Andreas mit fester Stimme.
„Und Sie haben keine Angst, den Männern wieder zu begegnen? Die haben Sie immerhin halb totgeschlagen?“
„Doch Doc, ich habe Angst. Aber noch viel mehr um Anne, meinen Freund und all die anderen Menschen, die sie noch in ihre brutalen Hände kriegen könnten. Genau deshalb muss ich zu hundert Prozent fit sein und funktionieren.“
Der Arzt nickte verstehend und begann damit, den Verband erneut anzulegen. Dabei dachte er über den Mann und seine Beweggründe nach. „Was empfinden Sie für ihren Freund und für Anne?“, wollte er wissen.
„Sebastian war mein Waffenkamerad und ist mein bester Freund, der schon wahnsinnig viel für mich getan hat und da meine ich nicht nur die letzten Tage. Doc, Sie wissen bestimmt selbst, echte Freunde sind sehr selten und das kostbarste Gut, was ein Mensch, neben seinem Leben und seiner Familie besitzen kann und dass man es beschützen muss. Dieser Mann ist ein solcher Freund.“ Dann, etwas leiser, sagte er: „Und Anne? … Anne liebe ich aus tiefstem Herzen.“
„Und was halten Sie von uns? Ich meine von meinen Landsleuten?“, forschte der Arzt weiter nach und sah in das Gesicht des Mannes, der da vor ihm saß. Er beobachtete, wie Andreas ein sanftes Lächeln übers Gesicht huschte und er in Gedanken nicht mehr in diesem Raum zu sein schien.
„Ich war schon in einigen arabischen Ländern, doch hier wurde ich das erste Mal mit offenen Armen empfangen. Dank Anne habe ich bereits viele Freunde gefunden, die ich wirklich als solche bezeichnen kann. Ja, Doc, ich liebe die Leute hier“, gab Andreas offen zu und sah den Arzt mit strahlenden Augen an.
Doktor Mechier lächelte zurück. „Das ist gut, Andy. Doch Ihre neuen Freunde haben Sie sich hier ganz allein gemacht. Ich bin zwar im Militärkrankenhaus, aber ich lebe auch hier. Da spricht sich vieles rum. Sie haben die Herzen der Leute hier im Sturm erobert. ... So, der Verband ist fertig, ich hoffe, er gefällt Ihnen. Probieren Sie es doch mal mit einem T-Shirt“, schlug er vor und reichte dem Mann wahllos eines vom Bett. Schnell zog Andreas das Shirt über, trat vor den großen Spiegel und betrachtete sich von allen Seiten.
„Perfekt, Doc, Sie sind ein Meister Ihres Faches“, lobte er Doktor Mechier. „Ich weiß nicht, wie ich das je wiedergutmachen kann.“
„Oh, ich schicke die Rechnung an ihre Regierung“, scherzte der Arzt, kramte noch einmal in seiner Tasche herum, holte eine Medikamentenschachtel hervor und drückte sie dem Mann in die Hand. „Diese Tabletten können Sie auch nehmen, wenn Sie tauchen müssen. Ich schlage vor, dass Sie nicht erst auf den Schmerz warten, denn dann brauchen auch diese Tabletten eine Weile, bis sie wirken, die Sie aber vielleicht gerade da nicht haben werden. Also nehmen Sie bei den starken Schmerzen, die Sie noch haben, gleich früh nach dem Essen zwei und dann über den Tag verteilt immer eine, sobald Sie merken, dass die Wirkung nachlässt. Warten Sie nicht erst darauf, dass die Wirkung ganz weg ist. Nicht so lange Sie persönlich nicht sicher sein können, dass Sie ihren Auftrag zu hundert Prozent erfüllt haben. Auch ich möchte diese Kerle hinter Schloss und Riegel wissen. Und wir alle wollen unsere Anne so wie ihren Freund und Sie, sowie die Besatzung der >Amun Re<, wohlbehalten zurückhaben. …Welchen Dienstrang bekleiden Sie eigentlich?“
„Korvettenkapitän, was beim Heer dem Dienstgrad eines Majors entspricht, Sir.“
„Gut Korvettenkapitän Wildner, dann machen wir es offiziell, denn das jetzt gerade war der Befehl von einem Generalmajor“, sagte der Ägypter und stellte sich als „Generalstabsarzt Professor Doktor Abdul Mechier“, vor.
Erschrocken sah Andreas den kleineren Mann an.
„Oh entschuldigen Sie bitte, Generalstabsarzt, dass ich Sie immer nur mit Doc angesprochen habe. Aber ich wusste doch nicht …“
„Das ist schon in Ordnung. Doc find ich gut. Hat mir bisher sehr gefallen. Sie können auch gern einfach nur Abdul zu mir sagen“, bot der Generalstabsarzt an und reichte Andreas freundschaftlich die Hand.
„Dann aber auch Du. Natürlich, nur wenn Sie nichts dagegen haben, Doc Abdul“, meinte Andreas gewinnend lächelnd und die Männer bekräftigten ihre Freundschaft mit einem festen Händedruck.
„Andy, ich bin sehr froh und glücklich, Sie … oh nein dich, zu meinen Freunden und nicht zu meinen Feinden zählen zu dürfen.“ Nach einem tiefen Atemzug setzte der Arzt noch hinzu: „Denn ich glaube, dann könnte ich nie wieder ruhig schlafen und es würde mir sehr schlecht bekommen.“
Zum Abschied umarmten sich beide freundschaftlich, dabei drückte Abdul ihm den Harpunenpfeil in die Hand. Der Arzt sah ihn noch einmal streng an, als er sagte: „Was auch immer da draußen passieren mag, scheue dich nicht, mich anzurufen. Ich werde da sein, so schnell ich kann.“
Andreas nickte ihm dankbar zu und wünschte sich selbst, dass es hoffentlich nicht nötig sein würde. Dann schloss er seine Zimmertür und war wieder allein.
Er hielt noch eine ganze Weile wie geistesabwesend den Pfeil fest in der Hand. Dann raffte er sich auf, legte ihn auf den kleinen Tisch und begann damit seine T-Shirts zusammenzulegen und wieder ordentlich in den Schrank zu räumen.
Die Klimaanlage ließ er an diesem späten Abend aus. Er legte sich ins Bett, deckte sich nur mit einem dünnen Laken zu und schlief schnell ein.
Um seine Augen zeichneten sich noch immer dunkele Ringe ab. Vorsichtshalber legte er seine Sonnenbrille gleich neben seine Sachen, um nicht zu vergessen, sie aufzusetzen, wenn er sein Zimmer verließ. Er packte die Tabletten vom Doc für einen schnellen Zugriff in die Vordertasche und steckte alles andere in das geräumige Fach seines Rucksacks. Er zog sich an und begutachtete sich danach kritisch im Spiegel.
Nein, von dem Verband war wirklich absolut nichts zu sehen, stellte er zufrieden fest. Noch einmal sah er sich im Zimmer um, ob er auch alles hatte, nahm sein Basecap in die Hand, warf seinen Rucksack über die gesunde Schulter und setzte seine Sonnenbrille auf.
Dieses mal zog er es vor, doch lieber mit dem Fahrstuhl nach unten zu fahren und nicht wie sonst die Treppe zu nehmen. Er brauchte nicht lange auf das bequeme Beförderungsmittel zu warten. Mit einem leisen Gongschlag öffnet sich die Fahrstuhltür und Andreas drückte auf das große E. Mit einem leichten Ruck setzte sich der Lift in Bewegung und stoppte erst wieder im Erdgeschoss des Hotels. Gerade als er aus dem Lift heraustreten wollte, schoss es ihm wie ein Blitz durch den Kopf. Er hatte das Ortungsgerät auf dem Zimmer liegen lassen. Er trat zurück, drückte auf die 4 und fuhr wieder nach oben.
„Na klasse“, tadelte er sich selbst, „der Tag fängt ja gut an!“ Schnell lief er den Korridor entlang und schloss die Zimmertür wieder auf.
Nur wo war das Gerät? Wo hatte er es gestern hingelegt? Schon fast in Panik durchsuchte er den gesamten Raum.
„Nichts“, stellte er verwirrt fest und setzte sich ratlos auf sein Bett. Er bemerkte, wie die Schulter wieder stärker schmerzte und ihm die Muskeln regelrecht zu brennen begannen, doch er zwang sich dazu, es zu ignorieren.
Anne. Das Gerät war noch bei Anne. Ich habe es vergessen einzupacken, weil ich mich nur noch darauf konzentriert habe, dass sie nichts von meinen Schmerzen bemerkt, schoss es ihm wie eine Eingebung durch den Kopf. Schnell griff er zu seinem Handy und wählte ihre Nummer. Es dauerte eine Weile, ehe sie sich meldete.
„Hallo Anne. Hast du das Ortungsgerät bei dir?“
„Oh, dir auch einen guten Morgen.“
„Ja, sorry. Guten Morgen. Hast du es nun oder nicht?“, wollte Andreas leicht nervös geworden wissen.
„Was für ein Ortungsgerät?“, fragte sie gespielt unwissend. Erst nach einer langen Pause sprach sie weiter: „Ach, du meinst das Teil mit den lustig blinkenden, bunten Pünktchen … Ja, nur keine Sorge, Andy. Das habe ich schon in meine Tasche gesteckt“, beruhigte sie ihn und lachte, als sie sein erlösendes Ausatmen am Telefon hörte.
Andreas fiel ein Stein vom Herzen. „Mach so was nie wieder mit mir“, gab er zurück. „Mir ist gerade das Herz in die Hose gerutscht vor Schreck. Und bitte, trage mir doch nicht mehr die Sache im Flieger so nach. Du bist zwar blond und wunderschön, aber ganz bestimmt nicht blöd. Das kann ich beschwören. Wir sehen uns dann.“ Damit beendete er die Verbindung. Zufrieden steckte er das Handy wieder in die Seitentasche seines Rucksacks zurück und machte sich von neuen auf den Weg zum Speisesaal, um ein schnelles Frühstück zu sich zunehmen.
Nach dem Essen nahm er schon die ersten zwei Tabletten und spülte sie mit ein paar Schlucken Kaffee hinunter.
Nun muss das Zeug nur noch verdammt schnell wirken, Doc. Ich hoffe, das ist so gut, wie du versprochen hast, dachte er noch, als er durch die großen Fenster des Speiseraums schaute und da bereits den bekannten roten Toyota der Tauchbasis kommen sah. Andreas wollte wie sonst auch die Wasserflaschen auf seine Zimmerrechnung setzen lassen, die ihm der Kellner gebracht hatte. Doch der wollte nichts davon wissen und sagte nur: „Schon bezahlt.“
Andreas lächelte ihm dankbar zu, zog seine Sonnenbrille vor die Augen und lief so schnell, wie es seine Schmerzen zuließen, an der Rezeption vorbei aus dem Hotel. Er überquerte die Straße und begrüßte Ali fröhlich wie immer, als er zu ihm ins Fahrerhaus stieg.
Ali musterte den Mann von oben bis unten mit weit aufgerissenen Augen. „Das seien nicht du. Du unmöglich Andy.“
„Warum nicht?“
„Ich haben Andy fahren zu Krankehaus von Militär. Andy waren sehr schwer kaputt. Ich haben sehen das. Das sein nicht du.“
„Ali mein Freund, sieh mich an“, forderte Andreas, dabei zog er seine Sonnenbrille nach oben. „Ich bin es wirklich und bestimmt kein Geist.“
Der kleine Ägypter sah ganz genau in das Gesicht des Mannes neben sich und konnte darin sehr viel lesen, mehr, als Andreas lieb war.
„Du doch Andy“, meinte der Mann dann, lächelte ihn an und startete den Motor des Wagens, um sich wie die Tage zuvor, laut hupend in den Verkehr einzureihen.
Während der Fahrt zur Tauchbasis bedankte sich Andreas auf Arabisch bei Ali für seine Hilfe. Ihm war klar, dass er damit auch vor dem Fahrer einen Teil seiner Tarnung aufgab. Doch er wusste bereits, dass Ali auch die Geschehnisse der Nacht für sich behalten hatte, also vertraute er ihm.
Ali sah Andreas kurz verblüfft an, dann begann er so richtig lauthals und frech zu feixen. „Ich haben wusste du können meine Sprache. Habe in Gefühl habt. Bitte trotzdem sprechen deutsch mit mich. Ich wollen lernen. Viel ich lernen Deutsch“, sagte Ali noch immer lachend in seinem gebrochenen Deutsch.
„Okay Ali, das bekommen wir beide hin“, gab Andreas zurück und legte eine Hand freundschaftlich auf seine Schulter. „Nur sag es bitte noch keinem.“
Ali nickte verstehend. „Du kann verlassen dich auf mir.“
Andreas wusste, dass er sich auch wirklich auf diesen Mann und sein Schweigen verlassen konnte, wie auf all seine Landsleute, die er bisher kennengelernt hatte. Dabei war er doch erst den zehnten Tag in diesem Land.
Plötzlich, nachdem Ali eine Bodenwelle etwas zu zügig überfahren hatte, drückte Andreas mit der rechten Hand seinen linken Oberarm an den Körper.
Es war eine von den in den Straßenbelag eingelassenen Schwellen, die immer vor den Hoteleingängen, quer über die gesamte Breite der Fahrbahn lagen, um schnelles Fahren an diesen Stellen zu unterbinden. Der kleine Ägypter bemerkte die Reaktion seines Fahrgastes, schaltete einen Gang runter und verminderte die Geschwindigkeit.
„So sein besser, Andy?“, fragte er besorgt.
„Ja danke, Ali. Viel besser.“
Nur noch langsam, jedem Schlagloch ausweichend und immer wieder besorgt zu Andreas schauend, fuhr er dann auf den unbefestigten Weg zur Tauchbasis ein.
„Ali, tue mir einen großen Gefallen und fahre den Rest der Strecke, wenn wir um die Kurve dort herum kommen, mit der sonst üblichen Geschwindigkeit und schau dabei nicht nach mir. Okay?“, bat ihn Andreas, kurz bevor sie da waren. Der Fahrer beschleunigte wieder und hielt wenig später vor der Terrasse der Tauchbasis. Andreas zwinkerte ihm dankbar über den Brillenrand zu, nachdem er seinen Rucksack von der Ladefläche geholt hatte. Ali lächelte ihn verschwörerisch an und fuhr nach einer engen Wende wieder zurück, um weitere Tauchgäste von ihren näher gelegenen Hotels abzuholen.
Freundlich begrüßte Andreas die Tauchlehrer und Guides, die bereits alle versammelt waren. Er stellte seinen Rucksack auf einen der Stühle und setzte sich auf die Bank daneben. Dabei lächelte er vor sich hin. Während er in Wirklichkeit die ganze Zeit Anne genau beobachtete, die noch mit ihren Kolleginnen und Kollegen zusammen stand und sich mit ihnen unterhielt. Als sie Farid kommen sah, klinkte sie sich aus der Gruppe aus, winkte kurz Andreas zu und ging auf den Ägypter zu. Zu dritt steuerten sie den kleinen Behandlungsraum auf der Rückseite der Basis an.
Anne entfernte sacht Farids Verband, während Andreas sich noch die Hände wusch. Er streifte sich gerade die Gummihandschuhe über, als er sich schon die Wunde ansah. Vorsichtig betastete er die Wundränder, bevor er sie desinfizierte.
„Gut Farid“, sagte er und lächelte den Mann an, „heute können wir schon die ersten Fäden ziehen. Ich werde aber noch nicht alle ziehen, um die Wunde nicht gleich in zu große Spannung zu versetzen“, erklärte er ruhig und Anne übersetzte es dem Mann. Vorsichtig hob Andreas den ersten Knoten mit einer Pinzette ein kleines Stück an und kappte mit einem Skalpell den Faden unterhalb des Knotens, um ihn dann herauszuziehen. So zog er drei der Fäden und ließ aber vier noch intakt, um die Wunde weiter fest zusammenzuhalten und den Heilungsprozess nicht zu unterbrechen. Danach versorgte er erneut die Wundränder und verband das Bein des Ägypters, damit kein Schmutz oder Sand an die Wunde geraten konnte.
„Okay Farid, noch drei Tage und du kannst wieder das Tanzbein ohne Sorge und Schmerzen schwingen“, sagte Andreas lächelnd zu dem Mann. Der Ägypter bedankte sich herzlich und ging an seine Arbeit am Hafen zurück, um die Pressluftflaschen der Tauchtouristen mit an Bord der Boote zu bringen und ihnen dann bei ihrem Gepäck zu helfen.
Nachdem Anne und Andreas zurück auf der Terrasse der Tauchbasis waren, hielten sie Ausschau nach ihrem Freund. Aber sie konnten Sebastian nirgends sehen, obwohl er doch schon da sein sollte. Ein Boot nach dem anderen wurde aufgerufen und die Leute schwangen sich auf die Pick-ups, um bequem zum Hafen und zu ihrem Boot zu gelangen. Dabei war doch geplant gewesen, dass sie mit der >Amun Re< als Erste den Hafen verlassen wollten.
„Vielleicht hätten wir lieber Sebi so eine Funkbohne an den Hintern heften sollen, anstatt dir eine zu geben“, meinte Andreas verärgert. Worüber aber Anne leise kichern musste. Nach dem bereits das letzte Boot, außer der >Amun Re< ausgelaufen war, zückte Andreas genervt sein Handy und wählte Sebastians Nummer. Schon nach nur einem Rufzeichen meldete er sich. „Na Kleiner, Sehnsucht nach dem Papa?“
„Klar du Spaßvogel. Ich habe schon krumme Beine vom Rumstehen und tauge nun deshalb nicht mehr als Torwart der Nationalelf, weil der Ball bequem durchpasst. Wo steckst du Hirni?“
„War nur noch schnell auf dem Flughafen, aber bin gleich bei euch.“
„Wieso? Wolltest du verduften und sie haben dich nicht durch die Gesichtskontrolle gelassen?“
„Ja, so ähnlich. Bin gleich da. Alles Weitere auf dem Boot.“ Damit unterbrach Sebastian die Verbindung.
Andreas guckte noch kurz verdutzt sein Handy an, bevor er es zurück in die Seitentasche seines Rucksacks steckte. Dann sagte er zu Anne ganz selbstverständlich, als hätte er es schon immer gewusst: „Er ist gleich da.“
Eine riesige Staubwolke hinter sich aufwirbelnd, bremste der silberne Ford und rutschte förmlich um 180 Grad, um dann gerade in der äußeren Parklücke an der Stirnseite der Basis neben dem Mercedes der Chefs zum Stehen zu kommen.
„Du hättest vielleicht besser Formel 1-Fahrer werden sollen und nicht Tauchbasenbesitzer“, gab Andreas seinen Kommentar ab, noch bevor sein Freund etwas sagen konnte.
Als sie Annes Tauchgepäck aufgeladen hatten und alle sicher auf der seitlichen Rückwand saßen, klopfte sie auf das Fahrerdach. „Jalla, jalla“, rief sie fröhlich. Worauf hin Ali den Motor startete, aber dann doch etwas langsamer und vorsichtiger, einigen Schlaglöchern ausweichend zum Hafen fuhr, wo er sie direkt vor der >Amun Re< absetzte.
„Euer Zeug ist bereits alles schon wieder auf dem Boot“, informierte Anne kurz, während sie von der Ladefläche des Wagens sprang und ihre Ausrüstung herunterzog. „Die Jungs waren auch so nett und haben eure Anzüge gespült und getrocknet, so dass alles wieder in einem super Zustand ist. Nur Andys Tropenanzug ist in den Müll gewandert. Da war nichts zu retten.“
„Schade, dabei wollte ich doch den unteren Teil noch abschneiden und als Badehose nutzen“, kommentierte das Andreas nicht ernst gemeint.
Doch Sebastian griff das gleich auf, um seinen Kommentar dazuzugeben: „Wieso, wolltest du das olle Ding noch als Sackwärmer? So kalt ist das Wasser hier nicht.“
„Selten so gelacht du Stumpelnutsch. Halte dich lieber raus, wenn Erwachsen miteinander reden“, konterte Andreas mit einem frechen Grinsen, das bis zu den Ohren reichte.
Ahmed und Rashid begrüßten ihre Freunde ganz herzlich. Aber ganz besonders Andreas, wobei sie acht gaben nicht an seine linke Schulter zu kommen und ihm dabei halfen an Bord zu springen, da das Deck des Bootes wesentlich tiefer als die Kaimauer lag.
Schnell waren die Leinen losgemacht und die >Amun Re< stach nach zwei Tagen Pause wieder in See.
Von Anne erfuhr Andreas, dass Rolle, wie Rolf Wagner, der Tauchlehrerkollege, liebevoll genannt wurde, den Männern auf dem fremden Boot völlig unbewusst die Auskunft gegeben hat, wie erhofft. Nämlich dass die beiden Kunden, welche die >Amun Re< samt Tauchguide gemietet haben, für zwei Tage auf Wüstensafari sind und somit die Crew frei hatte.
„Was nicht hätte besser klappen können“, meinte Andreas zufrieden. Dann nahm er sich seinen Freund Sebastian zur Brust und wollte wissen, warum er so spät gekommen war und was er so früh am Flughafen zu suchen hatte.
Sebastian berichtete, dass ihn gestern noch Jens Arend angerufen hätte, weil er Andreas noch etwas Ruhe gönnen wollte. Er sagte ihm, dass dem Piloten der Maschine heute früh, aus Frankfurt/Main kommend, ein Päckchen für sie mitgegeben wurde, welches er doch bitte abholen solle. Was er auch getan hat.
„Und was ist drin?“, wollte Andreas wissen.
„Ballonspritzen“, sagte er und zeigte eine davon lächelnd hoch.
„Weiß-grün gestreift? Hatten wir ja noch nie. Was ist drin?“
Sofort klärte Sebastian seinen Freund darüber auf, dass Doktor Mechier die Laborergebnisse von dem Gift am Harpunenpfeil gleich nach dessen Ermittlung nach Deutschland gemailt hatte. Und die klugen Jungs in ihrem Labor sofort daran gegangen waren, ein Gegenserum zu entwickeln. „Und genau das ist das Ergebnis davon. Ziemlich schnell, findest du nicht auch? So schnell waren die Jungs schon sehr lange nicht mehr. Für Dich vielleicht etwas zu spät gekommen, aber nun doch recht nützlich. Wenn sie nicht noch anders Zeug da an Bord haben“, schloss Sebastian seinen Bericht.
„Und, was ist mit Nebenwirkungen und so nem Zeug?“, wollte Andreas wissen.
„Null Komma, gar nichts. Du kannst es dir auch spritzen, wenn du nur glaubst, dass es dich erwischt hat, ohne dass du dadurch ins Schleudern kommen könntest.“
„Aber getestet an null Objekten. Oder liege ich da falsch?“
„Na ja, dafür hatten sie nicht gerade viel Zeit. Aber laut unseren Leuten haben es die Laborratten gut vertragen“, antwortete Sebastian verlegen.
„Ja klar. Nur sind die kleinen Jungs mit Fell wahre Überlebenskünstler. Sie können sich wesentlich schneller an eine neue Situation anpassen. Die vertragen also auch manches Zeug besser als wir Menschen. In der Hinsicht wäre ich mir, was Nebenwirkungen angeht, nicht so sicher.“
„Stimmt mein Großer, deshalb haben sie auch die mehrfache Dosis gekriegt und bis jetzt gibt es noch keine negativen Anzeichen. … Ganz im Gegenteil, ihr Sexualtrieb hat sich wesentlich erhöht“, fügte Sebastian als Witz den letzten Satz an, während er erst Anne und dann Andreas herausfordernd angrinste.
Und schon hatte er von seinem besten Kumpel eine derbe Kopfnuss sicher. Die er aber lachend wegsteckte, da er sie selbst mit voller Absicht provoziert hatte.
Während Anne hoch zum Kapitän ans Steuer ging, um sich als Lockvogel zu zeigen, gingen die beiden Männer in den Salon, wo Sebastian für sich und Andreas einen Tee machte. Dann setzte er sich mit den beiden Gläsern neben ihn und fragte ernst: „Andy, klär mich mal auf. Woher wusstest du, dass der Pfeil präpariert war? Woran hast du das gemerkt?“
Andreas trank einen Schluck von dem starken Tee und schien geistig in der Zeit zurückzugehen. „Ich hatte schon nach kurzer Zeit gemerkt, wie es sich in meiner Schulter ausbreitete. Es war nicht wie sonst, wenn mich etwas traf oder verletzte. Es war, als würde ich von der Pfeilspitze aus in alle Richtungen verbrennen. Dazu bemerkte ich, dass ich ungewöhnlich viel Blut verlor, aber es sah im Wasser so dünn und hell aus, ohne dass es aufhören wollte. Also wusste ich, dass meine Blutgerinnung durcheinander geraten sein musste. Da ich aber den verletzten Delfin spielte, um die Tarnung aufrechtzuerhalten, musste ich weit aufs Meer raus. Und wie der Teufel es so wollte, hatte ich ein paar Tage zuvor mein halbes Injektionsset, samt dem Ballon für die Blutgerinnung, einem netten Delfin geschenkt, der es in dem Moment nötiger, als ich brauchte. Also paddelte ich in einem großen Bogen zur >Amun Re< zurück. Danke übrigens für das Knicklicht, sonst wäre ich glatt weg an euch vorbeigezogen. Durch die Aktion und dann den Schwenk aufs Meer hat der Flossenschlagzähltrick nämlich doch nicht so ganz funktioniert. Da sich das Brennen schon auf die gesamte Schulter und zum Teil auch auf den Oberkörper ausgebreitet hatte, blieb nichts anderes übrig, als wieder an Bord, den Pfeil rauszuziehen. Denn im Wasser wäre der Blutverlust tödlich gewesen. Na ja, irgendwie musste ich versuchen so viel wie möglich von dem Zeug noch aus der Wunde zu kriegen, in der Hoffnung, dass die Dosis die im Körper war, nicht schon zu hoch war. Also habe ich da noch etwas in der Wunde herumgestochert.“
„Und warum hast du Trottel mich nicht gleich gerufen, als du wieder an Bord warst?“, wollte Sebastian wissen.
„Weil es dunkel war und du Licht gemacht hättest und dann um mich rumgesprungen wärst wie Rumpelstilzchen ums Feuer. Ich konnte aber nicht zulassen, dass genau dadurch unsere Tarnung auffliegt, und ich mir völlig umsonst die Mühe gemacht hätte, als super Flipper durchzukommen.“
„Und warum hast du mir dann nichts von deiner Vermutung gesagt, als wir außer Sichtweite waren und ich dir geholfen habe?“, hakte Sebastian nach.
„Weil du mich einfach nicht hast zu Wort kommen lassen hast in der kurzen Zeit, wo ich mal bei klarem Verstand und nicht bewusstlos war, wenn du dich recht erinnerst. Außerdem hattest du ja alles voll im Griff und jede Injektion in der richtigen Reinfolge gesetzt. … Sag mal ... “, wurde es Andreas in diesem Moment erst richtig bewusst, „woher hattest du das Zeug überhaupt? Du bist schon so lange raus, da ist das Zeug doch total überlagert. Du hast mir doch nicht etwa ....“
„Nein, ich habe dir kein altes Zeug mit Schimmel drauf gespritzt. Es war sogar ziemlich neu und hätte noch gut und gerne fünf Jahre gehalten. Ich habe die Notpacks von Jens, Claus und dem ganzen Rest der Gruppe bekommen, weil sie ja gut aus Romanas Medizinköfferchen versorgt worden, waren. Das, was ich dir übrigens da reingedrückt habe, war das Zeug aus dem Pack von Steffen Körner, unserem Steinadler. Ich dachte mir, wenn er es schon nie mehr brauchen kann, dann wärst du die beste Alternative zu ihm, der hier gerade seinen Weg fortsetzt.“
In dem Moment ging es Andreas, wie schon den Tag zuvor, als Anne ihm ihre Meinung gegeigt, oder besser gesagt, offen ins Gesicht geschlagen hatte.
Sebastian wusste genau, was in diesem Moment in seinem Freund vorging. Er hätte es nicht extra erwähnt, wenn ihn nicht Anne am Abend noch angerufen und von seinem Rückzieher und den Zweifeln, die er plötzlich hatte, berichtet hätte.
Nach einer Weile brach Andreas das Schweigen. „Ist das wirklich wahr?“, wollte er wissen. „Es war Steffens Pack? Bist du sicher?“
„Ja Andy, das war es. Ich habe die aufgerissene Hülle noch hier. Sieh selbst, hier steht sein Name drauf “, gab Sebastian seinem Freund leise und ehrlich zur Antwort, zog eine leere Verpackung aus seiner Tasche und zeigte sie ihm.
Jetzt wusste Andreas genau, was er zu tun hatte. Jetzt stand es unwiderruflich fest.
Vorsichtig schaute Anne zur Salontür rein und dabei fragend auf Sebastian. Dieser nickte ihr unmerklich zu. Das Zeichen für sie, dass die Unterredung zwischen den beiden Männern beendet war. Wenn sie auch nicht wusste, worum es dabei gegangen war. Sie zog das Ortungsgerät aus ihrem Rucksack und legte es auf den Tisch. „Hier ist übrigens euer Spielzeug. Aber meiner Meinung nach braucht ihr das nicht, denn das Boot ist genau hinter uns“, sagte sie wie nebenbei und zeigte durch die offene Salontür zum Heck. Trotzdem schauten die beiden Männer auf den Monitor und erst danach richtete sich ihr Blick auf das Boot, welches direkt hinter ihnen fuhr.
„Jetzt gibt es drei Möglichkeiten“, stellte Andreas völlig kühl fest. „Entweder die Jungs haben es auf einmal verdammt eilig. Oder sie sind schon zutraulich geworden. Wobei ich eher darauf spekuliere, dass sie uns testen wollen.“
„Dann sollen sie doch mal sehen, wie doof wir kleinen Anfänger sind“, sagte Sebastian provozierend. „Also mir macht es immer wieder Spaß, mich als Volltrottel und vertrauensseligen Feigling zu präsentieren. Was meint ihr? Spielt ihr mit?“
„Klar doch immer“, gab Andreas zurück, setzte sein Basecap auf und schob die Sonnenbrille auf seine Nase. „Wohin fahren wir eigentlich?“
„Nach Süden. Lass dich überraschen. Du wirst begeistert sein“, gab Sebastian zurück und ging aus dem Salon, um aufs Oberdeck zu klettern. Anne und Andreas folgten ihm.
Anne saß vorn bei Rashid, während es sich die beiden Männer auf den Seitenbänken gemütlich machten, wie es auch andere Tauchtouristen gerne taten. Ahmed tat so, als hätte er an Deck einiges mit dem Saubermachen zutun. Also eine ganz normale Ausfahrt zu einem Tauchspot. Keiner interessierte sich für das Boot hinter ihnen. Zumindest nicht offensichtlich.
Nach einer Weile hielt es Andreas nicht mehr aus. Er stand auf und ging nach unten in den Salon.
Gerade als Anne ihm besorgt nachgehen wollte, hielt Sebastian sie am Arm zurück. „Nein, bitte nicht, Anne. Er braucht die Zeit allein, um sich konzentrieren zu können“, log er sie an. Denn eigentlich wusste er, dass Andreas in diesem Moment die Medikamente von Doktor Mechier einnahm. Der Arzt hatte ihn noch am Abend angerufen und berichtet, dass es seinem Freund doch nicht so gut ging. Er hatte ihn gebeten, mit auf ihn zu achten, dass er die Medikamente auch wirklich nimmt, sobald es nötig ist. Außerdem sollte Sebastian darauf Obacht geben, dass er sie heimlich nehmen kann, weil sein Freund nicht wollte, dass sich Anne und er verunsichert fühlten, wenn sie wüssten, dass er noch so starke Schmerzen hat.
Sebastian hatte den Arzt sehr gut verstanden, zumal er seinen Freund gut kannte.
„Sebi!“, schrie kurze Zeit später Andreas zum Oberdeck hoch. „Wie lange fahren wir noch?“
„Wenn es hochkommt, noch fünfzehn Minuten. Warum?“
„Dann komm mal runter. Ich komme hier allein nicht zurecht.“
„Bin schon unterwegs.“ Träge erhob sich Sebastian von seiner gepolsterten Bank, streckte sich demonstrativ in Richtung des anderen Bootes und stieg dann die Leiter, wie gelangweilt, nach unten. Als er aber im Salon ankam, konnte er sich bei dem Anblick seines Freundes kaum noch halten vor Lachen. Andreas hatte allein versucht, seinen Verband abzubekommen, sodass er ihn noch einmal benutzen konnte und sich dabei total darin verheddert.
„Ich glaube, ich will nie in meinem Leben sehen, wie du Krautrouladen wickelst“, meinte Sebastian. Doch dann kam er ihm schnell zu Hilfe. Vorsichtig verteilte er auch die Salbe vom Doc auf die Wundränder und klebte ihm das wasserdichte Pflaster auf. Wobei er noch einmal genau die Ränder untersuchte und überall darauf herumdrückte, bis er sicher war, dass nicht einmal ein Tropfen Salzwasser eindringen konnte. Andreas bedankte sich und zog dann schon sein weißes T-Shirt fürs Tauchen über. Denn er rechnete damit, dass sie beobachtet wurden, wenn sie sich fürs Tauchen fertig machten. „Sebi, wenn sie uns heute nicht nur testen wollen. Dann müssen wir verdammt schnell sein.“
„Ich weiß. Kannst dich auf mich verlassen. Und ehe du fragst. Ja, ich kenne noch alle Handzeichen. Was ich in dem Verein gelernt habe, werde ich nie vergessen. Glaube mir.“
Beide kletterten aufs Oberdeck zurück und setzten sich in die Sonne. Sie ließen das Boot, welches noch immer hinter ihnen fuhr, nicht aus den Augen und verfolgten jede Bewegung der Männer dort an Bord. Dann rief Anne sie auch schon zu sich. Sie war der Meinung, dass es nicht verkehrt wäre, das Briefing gleich durchzuführen, damit die Kerle da drüben gut sehen konnten, wo sie hin wollten. Extra groß hatte sie oben auf die Tafel „Carlsons Corner“ geschrieben. Etwas erschrocken schauten sich die beiden Freunde an. Doch Anne schien die richtige Taktik gewählt zu haben, denn wenig später drehte das fremde Boot ab und überholte sie in einem weiten Bogen. Anne war sogar noch so dreist und winkte ihnen fröhlich zu.
„Hey Jungs, dreht euch mal um und macht artig winke, winke“, sagte sie lächelnd, selbst noch immer winkend. „Die lieben Leute da auf dem Boot grüßen uns nämlich gerade ganz nett.“
„Jetzt ist sie total durchgedreht“, stellte Sebastian an Andreas gewandt fest und beide drehten sich nach dem anderen Boot um und winkten ihnen fröhlich zu.
Tatsächlich, ein paar dieser elenden Mistkerle standen da an der Steuerbordseite ihres Boots und winkten ihnen quietschvergnügt zu.
„Sorry Jungs, ich habe nicht damit angefangen“, entschuldigte sich Anne bei ihren Freunden. „Doch hätte ich nicht zurückgewunken, hätten sie eher Verdacht geschöpft, dass wir schon wissen, was sie vor haben.“
Andreas musste ihr Recht geben und fragte dann, wohin sie denn nun fahren würden.
„Es sieht so aus, als würden sie bei Sha´ab Abu Ramada Ost festmachen wollen“, antwortete Sebastian, als er dem Boot noch einmal nachschaute. „Von da aus können sie uns gut sehen, ohne uns zu nahe zu sein.“
„Na dann gehen wir uns mal anrödeln Jungs“, sagte Anne und ging als erste nach unten, um noch einmal auf der Toilette zu verschwinden. Sebastian steckte Andreas in der Zwischenzeit eines der Packs mit dem Gegenserum, welches er früh von einem Piloten der Lufthansa in Empfang genommen hatte, zu. Sogleich steckte er es zu dem anderen Pack in die hintere Tasche seines Taschengürtels, so wie sein Freund es auch gerade tat.
Sebastian half Andreas, den engen Neoprenanzug über seine verletzte Schulter zu ziehen. Dabei äußerte er seine Bedenken wegen des Jacketts, welches beladen mit Stahlflasche und Blei auf die Wunde drücken würde. Deshalb schlug er vor, das Aufgerödel erst mal zu lassen, sondern das Jackett erst im Wasser anzuziehen, was ihm damit Schmerzen ersparen könnte.
Andreas bedankte sich für die Fürsorge, doch er könne das leider nicht tun, da es die Kerle sehen und sich einen Reim darauf machen könnten. Denn kein normaler Anfänger würde das freiwillig im Wasser tun, auch wenn er es eigentlich schon im Tauchkurs gelernt bekommen hätte. Stattdessen holte er einen Schwamm aus seiner Tasche. Er drückte seinem Freund den Schwamm in die Hand und bat ihn darum, den unter den Anzug, vor die Wunde zu platzieren. Andreas erhoffte sich davon etwas Erleichterung. Vorsichtig, um ihm nicht zusätzlich Schmerzen zu bereiten, zog Sebastian das Oberteil noch einmal weit von der Schulter weg, um genügend Platz zu haben, den Schwamm vor die Wunde zu schieben. Dann zog er den Anzug sacht wieder darüber. „Und, geht’s?“, wollte er besorgt wissen, als Andreas gerade sein Equipment angelegt und damit von der Bank aufgestanden war. Andreas wackelte etwas mit dem Körper hin und her, dann nickte er, zufrieden mit dem Ergebnis seiner kleinen Erfindung, Sebi zu.
„Anne“, rief Sebastian. „Andy, geht schon mal ins Wasser und wartet da auf uns, damit das Jackett nicht zu lange auf seine Schulter drückt. Im Wasser wird es für ihn besser sein“, erklärte er und schickte dann seinen Freund los.
Nachdem Andreas im Wasser gelandet war, blies er sein Jackett etwas auf und schwamm langsam zur Seite an die Bleileine, die Ahmed bereits ins Wasser gelassen hatte. Er hielt sich an ihr fest, um nicht von der leichten Oberflächenströmung abgetrieben zu werden und unnötig gegen sie angehen zu müssen. Geduldig wartete er auf die beiden anderen. Dabei schaute er, nur den Schnorchel im Mund, nach unten und beobachtete so bereits die ersten Fische. Dann hörte er die Geräusche von Schiffsmotoren und sah, wie sich ihnen ein Boot näherte. Aber aus seinem Winkel konnte er es nicht gut sehen. Er musste sich darauf verlassen, dass Sebastian es unter die Lupe nahm, bevor er ins Wasser sprang. Er hatte das ungute Gefühl, dass die Kerle vom anderen Boot nicht allein agierten. Sondern noch ein oder zwei Boote hier in Reserve hatten. Schließlich ging es für diese Leute um eine ganze Menge. Und sein Instinkt hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Wenig später platschte Sebastian unbeholfen ins Wasser und schwamm mit zur Bleileine.
„Was ist das für ein Boot?“, wollte Andreas sofort von ihm wissen.
„Ein Safariboot. Es macht gerade neben uns fest.“
„Und, ist es dir oder Anne bekannt?“
„Ehrlich gesagt, nein. Aber da kommen immer mal welche. Ich kann sie nicht alle kennen.“ Dann sah Sebastian seinen Freund ernst an. „Du meinst doch nicht etwa?“
Andreas zuckte mit den Schultern und wiegte leicht den Kopf hin und her.
Sebastian hatte verstanden. Er rief Ahmed zur Reling. Als sich der junge Ägypter zu den beiden Tauchern herunterbeugte, bat er ihn leise auf Arabisch, dass er mal vorsichtig die Besatzung des anderen Bootes etwas ausfragen solle, wenn die Taucher von Bord waren. Ahmed nickte ihm zu und sein Kopf verschwand wieder.
Als Anne endlich zu ihnen kam, wünschte Andreas, dass sie ihre Handschuhe anziehen solle. Doch Anne hatte sie noch auf dem Schiff, also reichte er ihr seine.
„Du meinst doch nicht etwas …“, begann sie zu fragen, während sie sich die Handschuhe überzog und dabei Andreas ernst ansah.
„Ich weiß es nicht. Aber so als Vorsichtsmaßnahme bekommt es deinen Händen bestimmt besser“, antwortete er, noch bevor sie ihren Satz beenden konnte. Dabei lächelte er sie beruhigend an. Dann tauchten die drei Freunde ab.
Direkt vor sich sahen sie den großen Korallenblock, der ihnen als Orientierung beim Rückweg zum Boot dienen sollte. Sie umrundeten ihn und tauchten weiter in Richtung des kleinen Riffs. Andreas wollte unbedingt die Röhrenaale einmal sehen, von denen es hier in der Nähe ein regelrechtes Sandfeld voll geben sollte. Er konnte es sich einfach nicht vorstellen. Langsam schwenkten die drei Taucher nach Westen ab. Wenig später wurde Anne langsamer und wies auf eine große Sandfläche, der sie sich nur vorsichtig näherten. Da die Sicht an diesem Tag sehr gut war, entdeckten die drei Freunde schon von weitem, wie ziemlich eng beieinander viele Spazierstöcke im Sand zu stecken schienen. Als sie bemerkten, wie die ersten dieser vermeintlichen Stöcke blitzartig in den Boden verschwanden, stoppten sie, tarierten sich aus und beobachteten eine ganze Weile die Röhrenaale, die Andreas sehr putzig fand. Sonst hatte er noch nie die Gelegenheit gehabt, welche zu sehen. Denn selbst wenn er wirklich mal in der Nähe einer solchen Sandfläche gewesen sein sollte, hatte er eine Mission zu erfüllen und keine Zeit für Beobachtungen der Meerestiere. In einem weiten Bogen, um die Tiere nicht unnötig zu stören, tauchten sie um das Sandfeld herum und gelangten zurück zur Riffkante. In vierzehn Metern Tiefe tauchten sie über einen wunderschönen Korallengarten. Sie entdeckten eine Gelbmaulmoräne und einen träge im Sand liegenden Krokodilsfisch. Ein großer Napoleonfisch mit seinem unverkennbaren Höcker auf der Stirn kreuzte ihren Weg und sie beobachteten den zwei Meter zwanzig großen Fisch mit seinem Kussmund, wie Anne sein Maul immer nannte, noch eine Weile.
Gerade, als sie über dem Wrack eines alten Fischerbootes waren, tauchten die ersten Taucher des Safaribootes auf. Andreas und Sebastian ließen sich ein Stück von Anne zurückfallen und taten so, als wären sie unheimlich mit sich selbst und ihrer Tarierung beschäftigt. Doch in Wirklichkeit waren ihre Muskeln gespannt, um auf alles gefasst zu sein. Sie ließen keinen der kleinen Gruppe auch nur einen Moment aus den Augen. Als einer der Taucher ausscherte und für Sebastians Begriffe, Anne zu nahe kam, machte er etwas Tempo und schupste sie, sich dabei mit einer unbeholfenen Geste entschuldigend, fast gegen die Riffwand. Dann fuchtelte er wild mit den Armen herum, als hätte er ein Problem, die Richtung zu halten. Er spielte ungeschickt an seinem Inflator, blies sein Jackett wie in Panik auf und ließ sich, Anne aber dabei angrinsend, von ihr wieder auf den „Rechten Weg“ bringen. Er ließ sich dann wie einen Ballon von ihr mit sich ziehen.
Andreas beobachtete in der Zwischenzeit genau die Reaktionen des fremden Tauchers, jederzeit auf dem Sprung nach vorn. Dieser Kerl scheint doch tatsächlich zu grinsen, dachte er bei sich.
Im nächsten Moment stellte er fest, dass sich die andere Tauchgruppe bereits wieder von hinten zu nähern begann. Sofort ließ er sich zurückfallen und wandte sich, einen Wadenkrampf vortäuschend, in dem er kräftig die rechte Flosse mit den Händen an sich heranzog, zu der Gruppe von vier Tauchern um, die sich von hinten schnell näherte. Welch ein Zufall, genau in dem Moment, als die Taucher an ihm vorbeigezogen waren, hatte sich auch sein Krampf wieder gelöst und er schwamm ein ganzes Stück neben ihnen her, bis er Anne und seinen Buddy erreicht hatte. Unbemerkt für die anderen gab er Sebastian ein Zeichen, dass sie an dieser Stelle bleiben wollen, bis die Gruppe weit genug weg ist. Anne bemerkte, dass sich Sebastian auf einmal kein Stück mehr vorwärts bewegen ließ, obwohl sie nicht erkennen konnte, wie er das eigentlich bewerkstelligte. Sie schaute zurück zu Andreas und bekam im ersten Moment einen Schreck, weil es so aussah, als wäre er an einer der Steinkorallen hängen geblieben. Seltsamerweise ließ sich Sebastian, den sie noch immer an seiner Weste festhielt, ganz leicht in diese Richtung ziehen. Als sie näher kam, sah sie deutlich, dass Andreas nirgends fest hing, er sie aber dafür breit angrinste. Nachdem er festgestellt hatte, dass die anderen Taucher aus seinem Blickfeld verschwunden waren, löste er sich aus der Riffwand, gab sein Okayzeichen, schlug schräg seine unteren Handkanten aneinander, was in der Tauchersprache hieß, zum Boot zurückzukehren. Wieder an dem großen Korallenstock angekommen, tauchten sie zu dritt zur unter ihrem Boot hängenden Bleileine und machten dort ihren Sicherheitsstopp, während Sebastian und Andreas sich in alle Richtungen nach den anderen Tauchern umsahen. Dann hörten sie über sich einen Motor anspringen, blickten nach oben und sahen, wie die Schraube des fremden Safaribootes anlief, das Ruder einschlug und sich das Schiff langsam zu entfernen begann. Kurz darauf tauchten sie auf und bliesen ihre Jacketts auf. Einer nach dem anderen schwammen sie zur Leiter, zogen noch im Wasser ihre Flossen aus und reichten sie zu Ahmed hoch, der sie ihnen abnahm und in die dafür vorgesehene Halterungen steckte. Dann trennte er, kaum dass die Taucher auf dem Deck angekommen waren, die Stahlflasche von der ersten Stufe und nahm ihnen die schweren Flaschen ab. Keiner von ihnen sprach ein Wort, bis sie wieder alle drei auf dem Hauptdeck ihres Bootes standen.
„Was war das denn für eine theaterreife Vorstellung?“, wollte Anne wissen. Doch die beiden Männer blickten sie nur fragend und verständnislos grinsend an, als wüssten sie nicht, was sie meinte. Sowohl Andreas als auch Sebastian hatten sehr schnell erkannt, dass die anderen Taucher bis an die Zähne bewaffnet waren. Doch sie waren sich nach kurzem Blickkontakt einig, ihr davon nichts zu sagen.
Während Anne und Sebastian sich selbst abrödelten, hatte sich Andreas auf die Bank gesetzt und ließ sich von Ahmed und Rashid helfen. Vorsichtig zog er sich den Schwamm, der ihm gute Dienste geleistet hatte, unter seinem geöffneten Neoprenanzug hervor und Ahmed sowie auch Sebastian halfen ihm dabei den Anzug über seine Schultern und die Arme zuziehen. Den Rest würde Andreas dann allein schaffen.
Sebastian bemerkte, dass sein Freund etwas Mühe hatte seinen Tauchanzug auf den Bügel zu hängen. Doch er ließ sich nichts davon anmerken, sondern tat so, als hätte er nichts gesehen und noch etwas an seinem Equipment zu basteln, als Andreas schon den Salon ansteuerte. Er ließ ihm so die Gelegenheit, eine Weile allein zu sein, damit er wieder heimlich eine der Tabletten vom Doc schlucken konnte.
Ihm geht es noch verdammt dreckig, stellte er dabei besorgt fest. Nach einer Weile betrat auch er den Salon.
Andreas schraubte gerade seine Wasserflasche zu und stellte sie zurück neben den Rucksack. Dann zog er das nasse Shirt über den Kopf, schmiss es einfach durch die offene Tür nach draußen aufs Deck und holte den Beutel mit dem Verbandsmaterial aus seinem Rucksack. Vorsichtig begann er das wasserdichte Pflaster abzuziehen, bis Sebastian dazu kam und ihm half.
„Die waren mir einfach zu schnell da und wieder weg. Was meinst du dazu?“, fragte Andreas leise, damit es Anne, die sich gerade auf der Toilette umzog, nicht hören konnte.
„Ich meine, das waren schwere Jungs. Dein Instinkt hat wieder einmal perfekt funktioniert.“
„Nur können und dürfen wir denen nicht einmal die Chance eines Versuches geben, an Anne heranzukommen. Die haben keinen Peilsender von uns, sodass wir das nicht riskieren können“, flüsterte Andreas.
Sebastian nickte, während er die Wundränder an der Schulter seines Freundes mit der Salbe vom Doc versorgte.
„Ich hoffe, das war wirklich nur ein Test für die Vögel, um festzustellen, wie blöd wir sind und dass von uns keine Gefahr für sie ausgeht. Sonst hätten wir schlechte Karten, alter Junge. Ich weiß nicht. Aber es sah so aus, als hätten sie den Angriff geübt oder zumindest eins der möglichen Szenarien durchgespielt“, meinte Andreas.
„Na, die Schulter sieht ja schon wieder richtig gut aus, mein Kleiner“, sagte Sebastian laut und Andreas wusste damit, dass Anne den Salon betreten hatte.
„Nenne mich nicht immer Kleiner, du Wicht, dem gut zwanzig Zentimeter fehlen, um mir überhaupt auf die Nasenspitze gucken zu können“, reagierte Andreas gereizt.
„Ihr könnt komische Freunde sein“, stellte Anne fest, während sie ihr Haar abrubbelte. „Wann immer ihr könnt, zerfleischt ihr euch fast in der Luft.“
Beide Männer drehten sich zu ihr um, sahen sie scheinheilig an und sagten im Chor: „Wir doch nicht. Wir sind ein Herz und eine Seele.“ Dabei lehnten sie, wie verliebt ihr Köpfe aneinander, sodass Anne laut lachen musste.
Nachdem sie kurze Zeit später hoch aufs Oberdeck gegangen war, kam Ahmed zu den beiden Männern in den Salon. Er berichtete ihnen, was er von der Crew des anderen Bootes herausbekommen hatte. Beide fragten nach weiteren Einzelheiten und ob sich Ahmed den Namen des Bootes gemerkt habe.
„Der Bootsname war >King IV<, aber ich habe gesehen, dass darunter mit Farbe überdeckt der arabische Name > Aintiqam< stand.“
„So, so. ›Rache‹ also“, stellte Andreas trocken fest. „Ja, das passt zu den Brüdern.“
Sie bedankten sich bei Ahmed, der daraufhin in der Kombüse verschwand. Sebastian hatte in der Zwischenzeit bei Andreas den Verband fertig angelegt, sodass er ein frisches T-Shirt überziehen konnte. Er hob dann sein nasses Shirt auf und hängte es zum trocken auf einen freien Bügel an Deck auf. Gemeinsam stiegen die Männer zum Oberdeck hoch und ließen sich von Rashid zeigen, wo die >King IV< hingefahren war.
Der Kapitän berichtete ihnen, dass sie kurz an dem fremden Boot Halt gemacht hätten und dann Richtung Norden weitergefahren waren. Vielsagend sahen sich die Freunde an. Dann legten sie sich zu Anne in die Sonne, um sich noch etwas aufzuwärmen. Schon nach wenigen Minuten rief Ahmed zum Essen.
Sebastian musste laut lachen. „Ja, wir können uns eben beherrschen und sind nicht so willensschwach und verfressen wie du.“
Dabei stiegen die beiden wieder zum Oberdeck hoch, um sich noch etwas hinzulegen und der Besatzung als auch Anne dafür den Salon zu überlassen. Kaum auf dem Oberdeck angekommen, machten sie sofort auf dem Hacken kehrt, sprangen nacheinander von der Leiter und liefen in den Salon zurück. Andreas zog schnell das Ortungsgerät aus seiner Tasche, schaltete es ein und die beiden Männer schauten gebannt darauf. Das fremde Boot, mit dem gelben Aufbau, hatte sich von seinem letzten Ankerplatz entfernt und entfernte sich zusehends immer weiter, bis das rot blinkende Licht ganz am Rand des Monitors war und kurz darauf verschwand. Die Freunde sahen sich fragend an. Dann liefen sie bewaffnet mit ihren Ferngläsern wieder aufs Oberdeck und suchten das Meer gründlich ab. Doch sie konnten weder das fremde Taucherboot noch dieses neu aufgetauchte Safariboot irgendwo ausmachen.
„Was ist jetzt los?“, fragte Sebastian erstaunt guckend.
„Tja, entweder sie halten uns für ungefährlich und warten nun den Zugriffstermin ab oder wir haben ein neues Problem“, überlegte Andreas.
„Und wie verhalten wir uns nun?“
„Normal. Wir machen Tauchurlaub und warten ab.“
„Oh, ich mag es, wenn du so eiskalt und ruhig bist. Deine Arschleckmentalität möchte ich auch gern haben“, meinte Sebastian und grinste seinen Freund herausfordernd an.
„Ich schätze mal, mein Handy wird schon bald klingeln. Vielleicht wissen wir dann mehr.“ Gerade als Andreas sich umdrehen wollte, um sein Handy aus dem Salon zu holen, war Sebastian schon unterwegs.
„Bleib hier, ich bring dir deinen Quasselkasten. Wie immer in der Seitentasche?“
„Genau. In der Linken. Bringst du gleich noch ne Flasche Wasser mit. Danke“, rief ihm Andreas noch nach. „Ist schon lustig“, meinte er, als Sebastian wieder auf dem Deck erschien. „Zwei Invaliden wollen böse Buben fangen, die auf einmal vor ihnen abhauen.“ Beide brachen in Gelächter aus. Trotzdem war ihnen der Ernst der Lage durchaus bewusst.
Als das Handy klingelte, sah Andreas zuerst auf das Display und ein breites Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. „Na, hab ich es dir nicht gesagt.“ Dann klappte er das Handy auf und stellte damit die Verbindung her.
„Hier Schneeeule bei der Arbeit“, meldete er sich. „Ja, das haben wir auch schon bemerkt, nur haben wir sie auch nicht mehr auf unserer Ortung“, antwortete er und dann an Sebastian gewandt: „Es ist unser Bussard.“ Dann wieder ins Telefon, fragte er: „Sag mal, wo steckst du eigentlich? Ich frage mich nämlich, woher du das schon wieder weißt.“
„Ich bin hier bei unseren Freunden, auf einem der Boote der Küstenwache“, antwortete Jens. „Wir haben die Kerle noch im Blick. Was habt ihr mit denen gemacht, dass sie sich so weit von euch entfernt haben?“, wollte er dann wissen.
Andreas erzählte ihm von der Begegnung mit den Tauchern eines Safaribootes und gab ihm die beiden Namen durch, die sie von Ahmed erfahren hatten. Er hielt auch nicht mit seiner Vermutung hinterm Berg. Dann gab er eine genaue Beschreibung des zweiten Bootes, so wie es ihnen Ahmed und Rashid beschrieben hatten.
„Wir kümmern uns darum und werden es mal von weiten unter die Lupe nehmen, wenn wir es finden. Vielleicht kommen ja auch die Taucher der Marine ran, damit sie ihnen einen unserer Peilsender verpassen können. Ich hoffe, die haben nicht noch mehr Boote, sonst wird es schwer für euch den Überblick zu behalten.“
„Das hoffen wir auch.“
„Und wie geht es dir? Aber ehrlich.“
„Danke, es wird schon wieder. Kennst mich doch.“
„Eben, das macht mir ja Sorgen. Dann nutz jetzt die Zeit, spiel etwas Urlaub und ruhe dich aus. Grüß Sebi von mir. Er soll auf dich aufpassen. Und tue mir einen Gefallen, bringe dabei seinen Arsch nicht in Gefahr. Ich melde mich, wenn unsere Freunde hier was haben. Bussard Ende.“ Damit war die Verbindung auch schon wieder getrennt.
Andreas legte das Handy neben sich und sagte dann zu seinem Freund: „Ich soll dich lieb grüßen. Wir sollen etwas Urlaub spielen. Er meldet sich wieder. Schippert draußen auf einem der Patrouillenboote von der hiesigen Küstenwache mit rum und passt auf uns auf.“ Als er bemerkte, dass ihn Sebastian weiterhin skeptisch und fragend ansah, berichtigte er sich und sagte: „Ja, ich gebe es zu, er hat gesagt, ich soll auf deinen Arsch achten.“ Als Sebastian aber immer noch so guckte, sagte er wie genervt: „Okay … wir sollen auf uns aufpassen.“
Damit gab sich Sebastian vorerst zufrieden und lehnte sich bequem zurück. Nach einer Weile sagte er, noch immer die Augen geschlossen: „Andy, wenn das das Angriff-Szenario der Kerle war und sie es tatsächlich so durchziehen sollten, dann hätte es einer von uns gleich mit vier von den Brüdern zu tun, während der andere sich um einen und Anne kümmern müsste.“
„Oder aber wir kümmern uns um die vier und sehen dann zu, wie wir mit auf das Boot zu Anne kommen, bevor sie abhauen können“, gab Andreas zurück.
„So oder so, es könnte verdammt knapp werden“, meinte Sebastian.
„Ja, so wie immer, wenn die uns für so nen Job haben wollen und brauchen.“
„Nur dass ich nicht mehr bei euch bin. Wie hättest du das allein schaffen wollen?“, fragte Sebastian.
Andreas setzte sich auf, sah Sebastian direkt an und lächelte ihn verschmitzt an, als er sagte: „Ich hatte einen zweiten Mann. Ein Greenhorn, wenn auch zugegeben ein gutes. Aber ich wollte ihn nicht.“
Nun setzte sich auch Sebastian auf. „Warum nicht?“
„Weil ich dich wollte“, antwortete Andreas sehr ernst. „Weil wir schon immer gut miteinander zurechtgekommen sind und uns blind verstehen. Weil du der Beste warst und trotz der Prothese noch immer bist. Weil ich wusste, dass du mal wieder Action brauchst und schon darauf gebrannt hast. Weil ich hundertprozentig weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann und du nicht kneifst. Wo ich mir beim Greenhorn aber nicht sicher war, mir dieser Einsatz aber zu wichtig ist, um das erst dabei herauszufinden. Einfach gesagt, weil du mein bester Freund bist. ... Und nun lasse dir das ja aber nicht gleich zu Kopfe steigen. Hast mich nur mal in ner schwachen Minute erwischt, in der ich nicht voll zurechnungsfähig war. Klar?“, sagte Andreas, legte sich wieder zurück und schloss die Augen.
Doch Sebi wusste genau, dass er ihn noch durch einen winzig offenen Augenspalt beobachtete. Also hob er stolz den Kopf, strich sich würdevoll über seinen Bürstenhaarschnitt als er meinte: „Wurde ja Zeit, dass endlich mal einer mein wahres Genie und das Talent eines wahren Helden in mir erkannt hat.“
Ein kurzes zufriedenes Lächeln zog über Andreas´ Gesicht.
Den ganzen Tag über hatte er sich nicht anmerken lassen, dass ihm die Schulter in Wirklichkeit noch unheimlich schmerzte und wie schwer es ihm fiel, den linken Arm zu bewegen. Jetzt aber zog er den Arm dicht an seinen Oberkörper und beugte sich nach vorn, in der Hoffnung dadurch etwas Linderung zu erfahren. Jeder einzelne Muskel seines Körpers schmerzte noch von den Krämpfen. Dazu waren die Beine zusätzlich von dem langen, kraftzehrenden Nachttauchgang betroffen. Aber das schlimmste war das wahnsinnige Brennen in seinem Körper. Schwerfällig rappelte er sich nach einiger Zeit wieder auf, hielt sich dabei an allem fest, was sich ihm bot. Aus dem Schrank holte er seinen braunen Koffer und legte ihn aufs Bett. Er stellte seine Geheimzahl ein und ließ die beiden silbernen Schlösser aufschnappen. In einer der kleinen Seitentaschen fand er, was er suchte. Er schleppte sich zum Kühlschrank, holte sich eine Flasche Wasser und ging damit auf den Balkon. Mit zitternden Fingern drückte er die Folie der Tablettenpackung ein und entnahm sich daraus zwei Kapseln, steckte sie in den Mund und spülte mit reichlich Wasser nach. Nun brauchte er nur noch auf die Wirkung dieses starken Schmerzmittels warten. Was sich damit, wie es ihm schien, verdammt lange Zeit ließ. Er entschied, eine dritte Kapsel zu nehmen. Er musste morgen wieder bei klarem Verstand und topfit sein, durfte sich weder einen Durchhänger geschweige denn einen Fehler leisten. Anne verließ sich auf ihn. Auch seinen Freund wollte er keiner unnötigen Gefahr aussetzen. Er hoffte nur, dass wenn es brenzlig wurde, er dann die richtigen Entscheidungen treffen würde und die Marine sowie der Küstenschutz der Ägypter schnell genug da sein konnten, um mit einzugreifen. Er wünschte, die >Amun Re< hätte einen um vieles leistungsstärkeren Motor, um das andere Boot verfolgen zu können, sollte er selbst versagen und sein Plan nicht aufgehen. Er wusste, dass das Boot der Kerle gut doppelt so schnell wie die >Amun Re< war. Seine Gedanken kreisten immer wieder um Annes Worte, die sie ihm regelrecht um die Ohren gehauen hatte. Wohl war ihm auch nicht dabei. Er hatte Angst davor zu versagen. Angst, das wusste er, konnte der beste Freund sein, weil sie wachsamer macht. Sie konnte aber ebenso, wenn sie sich auf andere geliebte Personen bezog, lähmend wirken oder zu impulsiven und unüberlegten Handlungen führen. Genau das durfte auf keinen Fall passieren. Er hatte Angst, große Angst, Anne zu verlieren, bevor er sie überhaupt erst richtig gefunden hatte.
Endlich spürte er, wie die Wirkung des Schmerzmittels einsetzte, atmete erleichtert durch, zündete sich eine Zigarette an, inhalierte den Rauch und blies ihn durch Mund und Nase wieder aus. „Scheiße, dabei will ich damit aufhören“, tadelte er sich selbst. Sofort drückte er die halb gerauchte Zigarette aus und trank seine angefangene Flasche Wasser leer. Kurz darauf ging er ins Zimmer zurück, schaltete das Licht an und betrachtete sich im Spiegel. Verärgert stellte er fest, dass der Schulterverband unter seinem weißen T-Shirt unvorteilhaft auftrug. Er zog das Shirt aus und besah sich den Verband näher. So geht das nicht, war ihm klar. Er durchforstete seinen Kleiderschrank nach größeren, dickeren und dunkleren Shirts. Probierte eines nach dem anderen an. Die Bandage trug zu sehr auf, war einfach zu auffällig. Warum hatte er nicht eher dran gedacht. Er hätte es dem Doc sagen müssen, vielleicht hätte er da etwas zaubern können. Ob er ihn anrufen und darum jetzt noch bitten konnte? Er war nicht in der Lage einen solchen Druckverband bei sich selbst anzulegen. Er war gelenkig aber so gelenkig dann doch nicht. Außerdem bräuchte er dafür neues Verbandsmaterial.
Fragen kostet nichts, dachte er. Ein Nein hat man immer schon in der Tasche, es kann nur ein Ja daraus werden.
Also wählte er die Nummer, die auf dem Kärtchen von Doktor Mechier stand.
Wenig später erklang die förmliche Stimme vom Doc im Hörer: „Allo, Doktor Abdul Mechier“, meldete sich der Arzt.
„Hadha ´ana, Andreas. Masa al hayri, Doc. - Ich bin es, Andreas. Guten Abend, Doc“, begrüßte er ihn auf Arabisch und sprach auch so weiter. Höflich fragte er, ob er eventuell heute noch einmal Zeit hätte in seinem Hotel vorbeizukommen. Er hätte ein Problem wegen des Verbandes und ob es vielleicht bei ihnen im Militärkrankenhaus auch so was wie hautfarbenes Verbandsmaterial gäbe. Dann bat er ihn noch darum, dass er nicht mit einem Marinefahrzeug vorfahren solle, da es nicht unbedingt jeder sehen müsse.
Nach einer kurzen Pause antwortete der Arzt, dass er sofort zu ihm kommen würde, er hätte momentan etwas Zeit. Andreas wies ihn schnell darauf hin, dass es kein Notfall, aber doch wichtig wäre. Er hatte den Arzt eigentlich noch nie in Uniform gesehen, bat ihn jedoch trotzdem vorsichtshalber, in Zivil zu kommen.
„Narakum qariba - Bis gleich“, verabschiedeten sich beide Männer voneinander.
Nachdem Andreas aufgelegt hatte, ging er die wenigen Schritte bis ins Bad, machte sich etwas frisch und kämmte sich sein Haar, das er sich im Nacken wieder zu einem Zopf zusammenband. Mit den Fingern fuhr er sich gedankenversunken über die Narben auf seiner Brust. Er wusste aus der Beschreibung der beiden Tauchlehrer, dass zwei der Kerle, die ihm die zugefügt hatten und dabei die Brutalsten waren, mit auf diesem fremden Boot waren. Auf sie würde er besonders achten müssen, ebenso wie auf diesen Schießwütigen mit den präparierten Harpunenpfeilen. Er konnte nur hoffen, dass nicht jeder der Kerle mit solchen Harpunen ausgerüstet war.
Fakt war, sie brauchten Anne lebend, zumindest bis sie eine Videoaufzeichnung mit ihr gemacht hatten, wo sie um ihr Leben flehte. Sie würden ihr bis dahin nicht ernstlich etwas tun. Doch so weit wollte es Andreas eh nicht kommen lassen.
Leider war er aber zum Warten verurteilt, bis die Kerle den ersten Schritt machten. Danach könnte er eh nur improvisieren, bis Hilfe kam. Ein gutes Gefühl hatte er dabei schon von Anfang an nicht gehabt.
All das schoss ihm durch den Kopf, während er vor dem Spiegel stand. Es klopfte an der Tür. Er öffnet. „Wow, Doc, sind Sie geflogen?“, begrüßte er den Arzt, ließ ihn ein und schaute dann noch einmal prüfend auf den Gang hinaus, bevor er die Tür wieder schloss.
„Oh, habe ich die Modenschau verpasst?“, fragte Dr. Mechier, als er die auf dem Bett durcheinander herumliegenden Kleidungsstücke sah.
„Ja, genau, deshalb habe ich Sie angerufen.“
„Wieso, wollen Sie mich zu ihrem persönlichen Modeberater machen? Dafür wäre bestimmt Frau Anne Kamp besser geeignet.“
„Nein, Doc, das bekomme ich eigentlich noch ganz gut allein in den Griff“, antwortete Andreas. „Aber fällt Ihnen hier was auf?“ Dabei zeigte er auf seine linke Schulter.
„Ja, der Verband sitzt korrekt. Also was haben Sie für ein Problem?“
„Bingo Doc! Sie haben erkannt, dass der Verband korrekt sitzt. Aber genau das sollte man nicht sehen.“
„Wie meinen Sie das, Andy?“, fragte der Ägypter ihn nicht ganz verstehend.
Andreas bat den Arzt, mit ihm an dem kleinen Tisch in der Zimmerecke Platz zu nehmen. Dort erklärte er ihm geduldig, dass dieser Verband, egal was er überzog, immer zu sehen war, er das aber für seinen Auftrag und Plan ganz und gar nicht gebrauchen konnte. Er sagte ihm, dass kein Nichteingeweihter etwas von dieser Verletzung sehen dürfe, da er vorgegeben hatte, die zwei Tage auf Wüstensafari gewesen zu sein. Am Ende schloss er damit: „Fazit vom Ganzen, mein lieber Doc, der Verband muss wesentlich dünner sein und nach Möglichkeit auch nicht gerade weiß leuchten und damit weit hin sichtbar sein, wenn ich das Shirt ausziehe, um mich fürs Tauchen fertig zu machen. Und ich allein bekomme das nicht hin. Auf der >Amun Re< wird das erneute Verbinden dann Sebi übernehmen. Er kann das. Nur erstens ist er nicht hier und zweitens bleibt die Farbe des Verbandes immer noch weiß. Ja und Annes Marke Up, wird für die große Fläche nicht ganz reichen, sollte sie so etwas überhaupt besitzen. Ergo, sind Sie meine letzte Hoffnung.“
Jetzt verstand Doktor Mechier, was der Mann meinte und nickte lächelnd. Wieder zog er einen Plastikbeutel aus seiner altertümlichen Arzttasche, die gut und gerne mal Mary Poppins gehört haben könnte, und reichte die Tüte seinem lieb gewonnenen Patienten.
Andreas warf einen Blick in den Beutel und nickte dem Arzt zufrieden zu. „Sie sind klasse, Doc“, stellte er fest und lächelte ihn dankbar an. „Das ist genau das, was mir vorschwebte.“
„Entschuldigen Sie, Andy, bevor wir zur Verschönerung Ihres Körpers schreiten, wäre es vermessen, wenn ich draußen auf ihrem Balkon meine Pfeife rauchen könnte? Sie haben doch noch etwas Zeit, oder? In der Klinik darf ich das ja leider nicht.“ Dann lächelte er verlegen und meinte: „Ein Laster, was ich mir in Ihrem Land während des Studiums zugelegt habe. Ist besser als jede Shisha bei uns hier.“
Andreas zeigte ihm tadelnd den erhobenen Zeigefinger, lächelte dabei aber freundlich. Als sie auf den Balkon traten, bemerkte Abdul Mechier die Schachtel Zigaretten auf dem Tisch und tadelte ebenso lächelnd zurück. Nachdem sie sich gesetzt hatten, der Arzt seine schon gestopfte Pfeife angepafft, Andreas eine Zigarette angezündet hatte und beide den ersten Zug genossen, fiel Doktor Mechier eine angebrochene Tablettenpackung auf, aus der bereits drei Kapseln fehlten. Er nahm sich die Packung, las den Namen des Medikaments und überflog schnell die Zusammensetzung. „Das also ist Ihr Geheimnis. Hydromorphen zu je 16 mg und die andere Schachtel da sind sogar 32 mg. Die Dinger sind verdammt stark. Demnach müssen sie große Schmerzen haben“, stellte der Arzt fest. „Wenn sie tauchen wollen, dann sind die zu gefährlich.“
„Ich weiß Doc. Aber ganz so stimmt es auch nicht. Ich habe erst vorhin zwei Kapseln und dann noch eine genommen. Nur die Sechzehner. Den Tag über nicht eine. Doch plötzlich konnte ich es nicht mehr aushalten und den Schmerz weiter unterdrücken“, gestand Andreas.
„Weil Ihr Körper durch die ständig unterdrückten Schmerzen zu angespannt und dadurch zusätzlich geschwächt ist“, erklärte der Arzt. „Und wenn Sie gleich drei genommen haben, ich aber davon ausgehe, dass Sie ihren Körper und das Mittel hier sehr gut kennen, dann geht es Ihnen verdammt dreckig.“
„Könnte man so sagen“, gab Andreas zu.
„Und warum haben Sie mir das nicht gesagt?“, wollte der Arzt wissen.
„Weil es Anne und mein Freund nicht wissen dürfen. Ich will sie nicht verunsichern.“
Doktor Mechier verstand, aber wies ihn noch einmal darauf hin, dass er unter dem Einfluss dieses Medikaments morgen auf keinen Fall tauchen dürfe.
Andreas wusste es und sagte es ihm auch.
Doktor Mechier wollte wissen, wie er es denn da schaffen wolle seinen Auftrag auszuführen, wenn ihn mitten im Einsatz solch eine Schwäche überfallen würde, wie vorhin gerade.
„Genau das ist meine Sorge, Doc. Ich weiß, dass es Mittel gibt, die fürs Tauchen unbedenklich sind, keine Nebenwirkungen dabei zeigen und die Reaktionsfähigkeit nicht vermindern. Wir haben sie auch bei unserer Sondereinheit im Gepäck. Nur habe ich, dumm wie ich war, keine davon zu meinem Tauchzeug in die Notausrüstung gepackt.“
„Ja, das war wohl sehr dumm“, gab Doktor Mechier lächelnd zu und zog wieder an seiner Pfeife, wovon ein feiner Duft von Vanille in Andreas´ Nase stieg.
Dann fragte der Arzt neugierig, was denn in dem eingeschweißten Päckchen von Mister Jens Arend drin war, welches er ihm übergeben hatte. Bereitwillig antwortete Andreas, dass es kleine Ballonspritzen enthielt mit verschiedensten Impfstoffen zur unterschiedlichsten Anwendung, die sowohl unter Wasser als auch an Land injiziert werden könnten, selbst von Laien, immer vorausgesetzt, sie wissen, was darin ist und welche Wirkung es hat. Er erklärte ihm, dass die Ballons deshalb auch verschiedene Farben haben, um sie sicher auseinanderhalten und anwenden zu können, ohne lange hinschauen oder das Kleingedruckte lesen zu müssen. Dass die Sondereinheiten darin ausgebildet sind, sich selbst und anderen schnell damit helfen zu können. Er berichtete ihm, dass auch Sebastian ihn bei der Ersten Hilfe damit versorgt hatte.
Als der Arzt fragte, warum er diese Ballonspritzen nicht gleich bei sich, noch im Wasser angewendet hatte, erzählte ihm Andreas die Geschichte von dem verletzten Delfin. Und dass er dafür zwei Spritzen seiner Ration, eben das Blutgerinnungsmittel als auch das starke Schmerzmittel aufgebraucht hatte.
„Ein großer Fehler. Aber eine gute Tat. Andy, Sie steigen immer mehr in meiner Achtung. Und ich bin bestimmt kein Mensch, der leichtfertig damit umgeht“, sagte der Arzt lächelnd. „Aber nun lassen Sie uns hineingehen und ich werde mich mal daran versuchen, Ihnen eine zweite Haut zu verpassen, damit Sie bei der Hitze nicht in dicker Jacke herumlaufen müssen.“
Als der Arzt die Schulterverletzung erneut, aber dieses Mal mit einer hautfarbenen Elastikbinde verband, wurde er wieder neugierig und fragte nur vorsichtig, nach den vielen anderen Narben auf seinem Körper.
Auch das erzählte ihm Andreas bereitwillig. Er hatte Vertrauen in den Mann gefasst und mochte ihn. Bei der Erzählung zog der Arzt ab und an eine schmerzverzerrte Grimasse. Wenig später schüttelte er wieder mit dem Kopf. Wie er dann von Andreas erfuhr, dass zwei seiner schlimmsten Peiniger von damals höchstwahrscheinlich mit da draußen an Bord des fremden Bootes waren, versetzte es dem Arzt solch einen Schrecken, dass er den letzten Rest der Verbandsrolle fallen ließ. Und sich der schon angebrachte Verband wieder zu lösen begann. Betroffen sah er in die blauen Augen des großen Mannes, der da vor ihm saß. „Und Sie wollen … unsere Anne … diesen Kerlen in die Hände geben und sich selbst mit dazu?“, fragte der Arzt ungläubig, zutiefst erschüttert.
„Nein, Doc, nicht direkt. Ich bin hier, um das zu vermeiden. Aber zugleich wollen wir die Kerle auch überführen können, damit ihnen für immer und ewig das Handwerk gelegt werden kann“, erklärte Andreas mit fester Stimme.
„Und Sie haben keine Angst, den Männern wieder zu begegnen? Die haben Sie immerhin halb totgeschlagen?“
„Doch Doc, ich habe Angst. Aber noch viel mehr um Anne, meinen Freund und all die anderen Menschen, die sie noch in ihre brutalen Hände kriegen könnten. Genau deshalb muss ich zu hundert Prozent fit sein und funktionieren.“
Der Arzt nickte verstehend und begann damit, den Verband erneut anzulegen. Dabei dachte er über den Mann und seine Beweggründe nach. „Was empfinden Sie für ihren Freund und für Anne?“, wollte er wissen.
„Sebastian war mein Waffenkamerad und ist mein bester Freund, der schon wahnsinnig viel für mich getan hat und da meine ich nicht nur die letzten Tage. Doc, Sie wissen bestimmt selbst, echte Freunde sind sehr selten und das kostbarste Gut, was ein Mensch, neben seinem Leben und seiner Familie besitzen kann und dass man es beschützen muss. Dieser Mann ist ein solcher Freund.“ Dann, etwas leiser, sagte er: „Und Anne? … Anne liebe ich aus tiefstem Herzen.“
„Und was halten Sie von uns? Ich meine von meinen Landsleuten?“, forschte der Arzt weiter nach und sah in das Gesicht des Mannes, der da vor ihm saß. Er beobachtete, wie Andreas ein sanftes Lächeln übers Gesicht huschte und er in Gedanken nicht mehr in diesem Raum zu sein schien.
„Ich war schon in einigen arabischen Ländern, doch hier wurde ich das erste Mal mit offenen Armen empfangen. Dank Anne habe ich bereits viele Freunde gefunden, die ich wirklich als solche bezeichnen kann. Ja, Doc, ich liebe die Leute hier“, gab Andreas offen zu und sah den Arzt mit strahlenden Augen an.
Doktor Mechier lächelte zurück. „Das ist gut, Andy. Doch Ihre neuen Freunde haben Sie sich hier ganz allein gemacht. Ich bin zwar im Militärkrankenhaus, aber ich lebe auch hier. Da spricht sich vieles rum. Sie haben die Herzen der Leute hier im Sturm erobert. ... So, der Verband ist fertig, ich hoffe, er gefällt Ihnen. Probieren Sie es doch mal mit einem T-Shirt“, schlug er vor und reichte dem Mann wahllos eines vom Bett. Schnell zog Andreas das Shirt über, trat vor den großen Spiegel und betrachtete sich von allen Seiten.
„Perfekt, Doc, Sie sind ein Meister Ihres Faches“, lobte er Doktor Mechier. „Ich weiß nicht, wie ich das je wiedergutmachen kann.“
„Oh, ich schicke die Rechnung an ihre Regierung“, scherzte der Arzt, kramte noch einmal in seiner Tasche herum, holte eine Medikamentenschachtel hervor und drückte sie dem Mann in die Hand. „Diese Tabletten können Sie auch nehmen, wenn Sie tauchen müssen. Ich schlage vor, dass Sie nicht erst auf den Schmerz warten, denn dann brauchen auch diese Tabletten eine Weile, bis sie wirken, die Sie aber vielleicht gerade da nicht haben werden. Also nehmen Sie bei den starken Schmerzen, die Sie noch haben, gleich früh nach dem Essen zwei und dann über den Tag verteilt immer eine, sobald Sie merken, dass die Wirkung nachlässt. Warten Sie nicht erst darauf, dass die Wirkung ganz weg ist. Nicht so lange Sie persönlich nicht sicher sein können, dass Sie ihren Auftrag zu hundert Prozent erfüllt haben. Auch ich möchte diese Kerle hinter Schloss und Riegel wissen. Und wir alle wollen unsere Anne so wie ihren Freund und Sie, sowie die Besatzung der >Amun Re<, wohlbehalten zurückhaben. …Welchen Dienstrang bekleiden Sie eigentlich?“
„Korvettenkapitän, was beim Heer dem Dienstgrad eines Majors entspricht, Sir.“
„Gut Korvettenkapitän Wildner, dann machen wir es offiziell, denn das jetzt gerade war der Befehl von einem Generalmajor“, sagte der Ägypter und stellte sich als „Generalstabsarzt Professor Doktor Abdul Mechier“, vor.
Erschrocken sah Andreas den kleineren Mann an.
„Oh entschuldigen Sie bitte, Generalstabsarzt, dass ich Sie immer nur mit Doc angesprochen habe. Aber ich wusste doch nicht …“
„Das ist schon in Ordnung. Doc find ich gut. Hat mir bisher sehr gefallen. Sie können auch gern einfach nur Abdul zu mir sagen“, bot der Generalstabsarzt an und reichte Andreas freundschaftlich die Hand.
„Dann aber auch Du. Natürlich, nur wenn Sie nichts dagegen haben, Doc Abdul“, meinte Andreas gewinnend lächelnd und die Männer bekräftigten ihre Freundschaft mit einem festen Händedruck.
„Andy, ich bin sehr froh und glücklich, Sie … oh nein dich, zu meinen Freunden und nicht zu meinen Feinden zählen zu dürfen.“ Nach einem tiefen Atemzug setzte der Arzt noch hinzu: „Denn ich glaube, dann könnte ich nie wieder ruhig schlafen und es würde mir sehr schlecht bekommen.“
Zum Abschied umarmten sich beide freundschaftlich, dabei drückte Abdul ihm den Harpunenpfeil in die Hand. Der Arzt sah ihn noch einmal streng an, als er sagte: „Was auch immer da draußen passieren mag, scheue dich nicht, mich anzurufen. Ich werde da sein, so schnell ich kann.“
Andreas nickte ihm dankbar zu und wünschte sich selbst, dass es hoffentlich nicht nötig sein würde. Dann schloss er seine Zimmertür und war wieder allein.
Er hielt noch eine ganze Weile wie geistesabwesend den Pfeil fest in der Hand. Dann raffte er sich auf, legte ihn auf den kleinen Tisch und begann damit seine T-Shirts zusammenzulegen und wieder ordentlich in den Schrank zu räumen.
Die Klimaanlage ließ er an diesem späten Abend aus. Er legte sich ins Bett, deckte sich nur mit einem dünnen Laken zu und schlief schnell ein.
19
Noch vor dem Klingeln seines Weckers wurde Andreas durch Schmerzen in der Schulter, die bis in Arm und Brust ausstrahlten, geweckt. Eigentlich wollte er sich gerade unter die Dusche stellen, als ihm wieder einfiel, dass dies wegen seines Verbandes nicht möglich war. Er hätte sich eine Rolle der Frischhaltefolie von Sebastian mitnehmen sollen, um damit den Verband beim Duschen schützen zu können. Leise fluchte er vor sich hin und begnügte sich mit einer „Katzenwäsche“, wie er es selbst nannte, wenn er sich nur am Waschbecken waschen konnte. „Selber schuld“, murmelte er vor sich hin.Um seine Augen zeichneten sich noch immer dunkele Ringe ab. Vorsichtshalber legte er seine Sonnenbrille gleich neben seine Sachen, um nicht zu vergessen, sie aufzusetzen, wenn er sein Zimmer verließ. Er packte die Tabletten vom Doc für einen schnellen Zugriff in die Vordertasche und steckte alles andere in das geräumige Fach seines Rucksacks. Er zog sich an und begutachtete sich danach kritisch im Spiegel.
Nein, von dem Verband war wirklich absolut nichts zu sehen, stellte er zufrieden fest. Noch einmal sah er sich im Zimmer um, ob er auch alles hatte, nahm sein Basecap in die Hand, warf seinen Rucksack über die gesunde Schulter und setzte seine Sonnenbrille auf.
Dieses mal zog er es vor, doch lieber mit dem Fahrstuhl nach unten zu fahren und nicht wie sonst die Treppe zu nehmen. Er brauchte nicht lange auf das bequeme Beförderungsmittel zu warten. Mit einem leisen Gongschlag öffnet sich die Fahrstuhltür und Andreas drückte auf das große E. Mit einem leichten Ruck setzte sich der Lift in Bewegung und stoppte erst wieder im Erdgeschoss des Hotels. Gerade als er aus dem Lift heraustreten wollte, schoss es ihm wie ein Blitz durch den Kopf. Er hatte das Ortungsgerät auf dem Zimmer liegen lassen. Er trat zurück, drückte auf die 4 und fuhr wieder nach oben.
„Na klasse“, tadelte er sich selbst, „der Tag fängt ja gut an!“ Schnell lief er den Korridor entlang und schloss die Zimmertür wieder auf.
Nur wo war das Gerät? Wo hatte er es gestern hingelegt? Schon fast in Panik durchsuchte er den gesamten Raum.
„Nichts“, stellte er verwirrt fest und setzte sich ratlos auf sein Bett. Er bemerkte, wie die Schulter wieder stärker schmerzte und ihm die Muskeln regelrecht zu brennen begannen, doch er zwang sich dazu, es zu ignorieren.
Anne. Das Gerät war noch bei Anne. Ich habe es vergessen einzupacken, weil ich mich nur noch darauf konzentriert habe, dass sie nichts von meinen Schmerzen bemerkt, schoss es ihm wie eine Eingebung durch den Kopf. Schnell griff er zu seinem Handy und wählte ihre Nummer. Es dauerte eine Weile, ehe sie sich meldete.
„Hallo Anne. Hast du das Ortungsgerät bei dir?“
„Oh, dir auch einen guten Morgen.“
„Ja, sorry. Guten Morgen. Hast du es nun oder nicht?“, wollte Andreas leicht nervös geworden wissen.
„Was für ein Ortungsgerät?“, fragte sie gespielt unwissend. Erst nach einer langen Pause sprach sie weiter: „Ach, du meinst das Teil mit den lustig blinkenden, bunten Pünktchen … Ja, nur keine Sorge, Andy. Das habe ich schon in meine Tasche gesteckt“, beruhigte sie ihn und lachte, als sie sein erlösendes Ausatmen am Telefon hörte.
Andreas fiel ein Stein vom Herzen. „Mach so was nie wieder mit mir“, gab er zurück. „Mir ist gerade das Herz in die Hose gerutscht vor Schreck. Und bitte, trage mir doch nicht mehr die Sache im Flieger so nach. Du bist zwar blond und wunderschön, aber ganz bestimmt nicht blöd. Das kann ich beschwören. Wir sehen uns dann.“ Damit beendete er die Verbindung. Zufrieden steckte er das Handy wieder in die Seitentasche seines Rucksacks zurück und machte sich von neuen auf den Weg zum Speisesaal, um ein schnelles Frühstück zu sich zunehmen.
Nach dem Essen nahm er schon die ersten zwei Tabletten und spülte sie mit ein paar Schlucken Kaffee hinunter.
Nun muss das Zeug nur noch verdammt schnell wirken, Doc. Ich hoffe, das ist so gut, wie du versprochen hast, dachte er noch, als er durch die großen Fenster des Speiseraums schaute und da bereits den bekannten roten Toyota der Tauchbasis kommen sah. Andreas wollte wie sonst auch die Wasserflaschen auf seine Zimmerrechnung setzen lassen, die ihm der Kellner gebracht hatte. Doch der wollte nichts davon wissen und sagte nur: „Schon bezahlt.“
Andreas lächelte ihm dankbar zu, zog seine Sonnenbrille vor die Augen und lief so schnell, wie es seine Schmerzen zuließen, an der Rezeption vorbei aus dem Hotel. Er überquerte die Straße und begrüßte Ali fröhlich wie immer, als er zu ihm ins Fahrerhaus stieg.
Ali musterte den Mann von oben bis unten mit weit aufgerissenen Augen. „Das seien nicht du. Du unmöglich Andy.“
„Warum nicht?“
„Ich haben Andy fahren zu Krankehaus von Militär. Andy waren sehr schwer kaputt. Ich haben sehen das. Das sein nicht du.“
„Ali mein Freund, sieh mich an“, forderte Andreas, dabei zog er seine Sonnenbrille nach oben. „Ich bin es wirklich und bestimmt kein Geist.“
Der kleine Ägypter sah ganz genau in das Gesicht des Mannes neben sich und konnte darin sehr viel lesen, mehr, als Andreas lieb war.
„Du doch Andy“, meinte der Mann dann, lächelte ihn an und startete den Motor des Wagens, um sich wie die Tage zuvor, laut hupend in den Verkehr einzureihen.
Während der Fahrt zur Tauchbasis bedankte sich Andreas auf Arabisch bei Ali für seine Hilfe. Ihm war klar, dass er damit auch vor dem Fahrer einen Teil seiner Tarnung aufgab. Doch er wusste bereits, dass Ali auch die Geschehnisse der Nacht für sich behalten hatte, also vertraute er ihm.
Ali sah Andreas kurz verblüfft an, dann begann er so richtig lauthals und frech zu feixen. „Ich haben wusste du können meine Sprache. Habe in Gefühl habt. Bitte trotzdem sprechen deutsch mit mich. Ich wollen lernen. Viel ich lernen Deutsch“, sagte Ali noch immer lachend in seinem gebrochenen Deutsch.
„Okay Ali, das bekommen wir beide hin“, gab Andreas zurück und legte eine Hand freundschaftlich auf seine Schulter. „Nur sag es bitte noch keinem.“
Ali nickte verstehend. „Du kann verlassen dich auf mir.“
Andreas wusste, dass er sich auch wirklich auf diesen Mann und sein Schweigen verlassen konnte, wie auf all seine Landsleute, die er bisher kennengelernt hatte. Dabei war er doch erst den zehnten Tag in diesem Land.
Plötzlich, nachdem Ali eine Bodenwelle etwas zu zügig überfahren hatte, drückte Andreas mit der rechten Hand seinen linken Oberarm an den Körper.
Es war eine von den in den Straßenbelag eingelassenen Schwellen, die immer vor den Hoteleingängen, quer über die gesamte Breite der Fahrbahn lagen, um schnelles Fahren an diesen Stellen zu unterbinden. Der kleine Ägypter bemerkte die Reaktion seines Fahrgastes, schaltete einen Gang runter und verminderte die Geschwindigkeit.
„So sein besser, Andy?“, fragte er besorgt.
„Ja danke, Ali. Viel besser.“
Nur noch langsam, jedem Schlagloch ausweichend und immer wieder besorgt zu Andreas schauend, fuhr er dann auf den unbefestigten Weg zur Tauchbasis ein.
„Ali, tue mir einen großen Gefallen und fahre den Rest der Strecke, wenn wir um die Kurve dort herum kommen, mit der sonst üblichen Geschwindigkeit und schau dabei nicht nach mir. Okay?“, bat ihn Andreas, kurz bevor sie da waren. Der Fahrer beschleunigte wieder und hielt wenig später vor der Terrasse der Tauchbasis. Andreas zwinkerte ihm dankbar über den Brillenrand zu, nachdem er seinen Rucksack von der Ladefläche geholt hatte. Ali lächelte ihn verschwörerisch an und fuhr nach einer engen Wende wieder zurück, um weitere Tauchgäste von ihren näher gelegenen Hotels abzuholen.
Freundlich begrüßte Andreas die Tauchlehrer und Guides, die bereits alle versammelt waren. Er stellte seinen Rucksack auf einen der Stühle und setzte sich auf die Bank daneben. Dabei lächelte er vor sich hin. Während er in Wirklichkeit die ganze Zeit Anne genau beobachtete, die noch mit ihren Kolleginnen und Kollegen zusammen stand und sich mit ihnen unterhielt. Als sie Farid kommen sah, klinkte sie sich aus der Gruppe aus, winkte kurz Andreas zu und ging auf den Ägypter zu. Zu dritt steuerten sie den kleinen Behandlungsraum auf der Rückseite der Basis an.
Anne entfernte sacht Farids Verband, während Andreas sich noch die Hände wusch. Er streifte sich gerade die Gummihandschuhe über, als er sich schon die Wunde ansah. Vorsichtig betastete er die Wundränder, bevor er sie desinfizierte.
„Gut Farid“, sagte er und lächelte den Mann an, „heute können wir schon die ersten Fäden ziehen. Ich werde aber noch nicht alle ziehen, um die Wunde nicht gleich in zu große Spannung zu versetzen“, erklärte er ruhig und Anne übersetzte es dem Mann. Vorsichtig hob Andreas den ersten Knoten mit einer Pinzette ein kleines Stück an und kappte mit einem Skalpell den Faden unterhalb des Knotens, um ihn dann herauszuziehen. So zog er drei der Fäden und ließ aber vier noch intakt, um die Wunde weiter fest zusammenzuhalten und den Heilungsprozess nicht zu unterbrechen. Danach versorgte er erneut die Wundränder und verband das Bein des Ägypters, damit kein Schmutz oder Sand an die Wunde geraten konnte.
„Okay Farid, noch drei Tage und du kannst wieder das Tanzbein ohne Sorge und Schmerzen schwingen“, sagte Andreas lächelnd zu dem Mann. Der Ägypter bedankte sich herzlich und ging an seine Arbeit am Hafen zurück, um die Pressluftflaschen der Tauchtouristen mit an Bord der Boote zu bringen und ihnen dann bei ihrem Gepäck zu helfen.
Nachdem Anne und Andreas zurück auf der Terrasse der Tauchbasis waren, hielten sie Ausschau nach ihrem Freund. Aber sie konnten Sebastian nirgends sehen, obwohl er doch schon da sein sollte. Ein Boot nach dem anderen wurde aufgerufen und die Leute schwangen sich auf die Pick-ups, um bequem zum Hafen und zu ihrem Boot zu gelangen. Dabei war doch geplant gewesen, dass sie mit der >Amun Re< als Erste den Hafen verlassen wollten.
„Vielleicht hätten wir lieber Sebi so eine Funkbohne an den Hintern heften sollen, anstatt dir eine zu geben“, meinte Andreas verärgert. Worüber aber Anne leise kichern musste. Nach dem bereits das letzte Boot, außer der >Amun Re< ausgelaufen war, zückte Andreas genervt sein Handy und wählte Sebastians Nummer. Schon nach nur einem Rufzeichen meldete er sich. „Na Kleiner, Sehnsucht nach dem Papa?“
„Klar du Spaßvogel. Ich habe schon krumme Beine vom Rumstehen und tauge nun deshalb nicht mehr als Torwart der Nationalelf, weil der Ball bequem durchpasst. Wo steckst du Hirni?“
„War nur noch schnell auf dem Flughafen, aber bin gleich bei euch.“
„Wieso? Wolltest du verduften und sie haben dich nicht durch die Gesichtskontrolle gelassen?“
„Ja, so ähnlich. Bin gleich da. Alles Weitere auf dem Boot.“ Damit unterbrach Sebastian die Verbindung.
Andreas guckte noch kurz verdutzt sein Handy an, bevor er es zurück in die Seitentasche seines Rucksacks steckte. Dann sagte er zu Anne ganz selbstverständlich, als hätte er es schon immer gewusst: „Er ist gleich da.“
Eine riesige Staubwolke hinter sich aufwirbelnd, bremste der silberne Ford und rutschte förmlich um 180 Grad, um dann gerade in der äußeren Parklücke an der Stirnseite der Basis neben dem Mercedes der Chefs zum Stehen zu kommen.
„Du hättest vielleicht besser Formel 1-Fahrer werden sollen und nicht Tauchbasenbesitzer“, gab Andreas seinen Kommentar ab, noch bevor sein Freund etwas sagen konnte.
Als sie Annes Tauchgepäck aufgeladen hatten und alle sicher auf der seitlichen Rückwand saßen, klopfte sie auf das Fahrerdach. „Jalla, jalla“, rief sie fröhlich. Worauf hin Ali den Motor startete, aber dann doch etwas langsamer und vorsichtiger, einigen Schlaglöchern ausweichend zum Hafen fuhr, wo er sie direkt vor der >Amun Re< absetzte.
„Euer Zeug ist bereits alles schon wieder auf dem Boot“, informierte Anne kurz, während sie von der Ladefläche des Wagens sprang und ihre Ausrüstung herunterzog. „Die Jungs waren auch so nett und haben eure Anzüge gespült und getrocknet, so dass alles wieder in einem super Zustand ist. Nur Andys Tropenanzug ist in den Müll gewandert. Da war nichts zu retten.“
„Schade, dabei wollte ich doch den unteren Teil noch abschneiden und als Badehose nutzen“, kommentierte das Andreas nicht ernst gemeint.
Doch Sebastian griff das gleich auf, um seinen Kommentar dazuzugeben: „Wieso, wolltest du das olle Ding noch als Sackwärmer? So kalt ist das Wasser hier nicht.“
„Selten so gelacht du Stumpelnutsch. Halte dich lieber raus, wenn Erwachsen miteinander reden“, konterte Andreas mit einem frechen Grinsen, das bis zu den Ohren reichte.
Ahmed und Rashid begrüßten ihre Freunde ganz herzlich. Aber ganz besonders Andreas, wobei sie acht gaben nicht an seine linke Schulter zu kommen und ihm dabei halfen an Bord zu springen, da das Deck des Bootes wesentlich tiefer als die Kaimauer lag.
Schnell waren die Leinen losgemacht und die >Amun Re< stach nach zwei Tagen Pause wieder in See.
Von Anne erfuhr Andreas, dass Rolle, wie Rolf Wagner, der Tauchlehrerkollege, liebevoll genannt wurde, den Männern auf dem fremden Boot völlig unbewusst die Auskunft gegeben hat, wie erhofft. Nämlich dass die beiden Kunden, welche die >Amun Re< samt Tauchguide gemietet haben, für zwei Tage auf Wüstensafari sind und somit die Crew frei hatte.
„Was nicht hätte besser klappen können“, meinte Andreas zufrieden. Dann nahm er sich seinen Freund Sebastian zur Brust und wollte wissen, warum er so spät gekommen war und was er so früh am Flughafen zu suchen hatte.
Sebastian berichtete, dass ihn gestern noch Jens Arend angerufen hätte, weil er Andreas noch etwas Ruhe gönnen wollte. Er sagte ihm, dass dem Piloten der Maschine heute früh, aus Frankfurt/Main kommend, ein Päckchen für sie mitgegeben wurde, welches er doch bitte abholen solle. Was er auch getan hat.
„Und was ist drin?“, wollte Andreas wissen.
„Ballonspritzen“, sagte er und zeigte eine davon lächelnd hoch.
„Weiß-grün gestreift? Hatten wir ja noch nie. Was ist drin?“
Sofort klärte Sebastian seinen Freund darüber auf, dass Doktor Mechier die Laborergebnisse von dem Gift am Harpunenpfeil gleich nach dessen Ermittlung nach Deutschland gemailt hatte. Und die klugen Jungs in ihrem Labor sofort daran gegangen waren, ein Gegenserum zu entwickeln. „Und genau das ist das Ergebnis davon. Ziemlich schnell, findest du nicht auch? So schnell waren die Jungs schon sehr lange nicht mehr. Für Dich vielleicht etwas zu spät gekommen, aber nun doch recht nützlich. Wenn sie nicht noch anders Zeug da an Bord haben“, schloss Sebastian seinen Bericht.
„Und, was ist mit Nebenwirkungen und so nem Zeug?“, wollte Andreas wissen.
„Null Komma, gar nichts. Du kannst es dir auch spritzen, wenn du nur glaubst, dass es dich erwischt hat, ohne dass du dadurch ins Schleudern kommen könntest.“
„Aber getestet an null Objekten. Oder liege ich da falsch?“
„Na ja, dafür hatten sie nicht gerade viel Zeit. Aber laut unseren Leuten haben es die Laborratten gut vertragen“, antwortete Sebastian verlegen.
„Ja klar. Nur sind die kleinen Jungs mit Fell wahre Überlebenskünstler. Sie können sich wesentlich schneller an eine neue Situation anpassen. Die vertragen also auch manches Zeug besser als wir Menschen. In der Hinsicht wäre ich mir, was Nebenwirkungen angeht, nicht so sicher.“
„Stimmt mein Großer, deshalb haben sie auch die mehrfache Dosis gekriegt und bis jetzt gibt es noch keine negativen Anzeichen. … Ganz im Gegenteil, ihr Sexualtrieb hat sich wesentlich erhöht“, fügte Sebastian als Witz den letzten Satz an, während er erst Anne und dann Andreas herausfordernd angrinste.
Und schon hatte er von seinem besten Kumpel eine derbe Kopfnuss sicher. Die er aber lachend wegsteckte, da er sie selbst mit voller Absicht provoziert hatte.
Während Anne hoch zum Kapitän ans Steuer ging, um sich als Lockvogel zu zeigen, gingen die beiden Männer in den Salon, wo Sebastian für sich und Andreas einen Tee machte. Dann setzte er sich mit den beiden Gläsern neben ihn und fragte ernst: „Andy, klär mich mal auf. Woher wusstest du, dass der Pfeil präpariert war? Woran hast du das gemerkt?“
Andreas trank einen Schluck von dem starken Tee und schien geistig in der Zeit zurückzugehen. „Ich hatte schon nach kurzer Zeit gemerkt, wie es sich in meiner Schulter ausbreitete. Es war nicht wie sonst, wenn mich etwas traf oder verletzte. Es war, als würde ich von der Pfeilspitze aus in alle Richtungen verbrennen. Dazu bemerkte ich, dass ich ungewöhnlich viel Blut verlor, aber es sah im Wasser so dünn und hell aus, ohne dass es aufhören wollte. Also wusste ich, dass meine Blutgerinnung durcheinander geraten sein musste. Da ich aber den verletzten Delfin spielte, um die Tarnung aufrechtzuerhalten, musste ich weit aufs Meer raus. Und wie der Teufel es so wollte, hatte ich ein paar Tage zuvor mein halbes Injektionsset, samt dem Ballon für die Blutgerinnung, einem netten Delfin geschenkt, der es in dem Moment nötiger, als ich brauchte. Also paddelte ich in einem großen Bogen zur >Amun Re< zurück. Danke übrigens für das Knicklicht, sonst wäre ich glatt weg an euch vorbeigezogen. Durch die Aktion und dann den Schwenk aufs Meer hat der Flossenschlagzähltrick nämlich doch nicht so ganz funktioniert. Da sich das Brennen schon auf die gesamte Schulter und zum Teil auch auf den Oberkörper ausgebreitet hatte, blieb nichts anderes übrig, als wieder an Bord, den Pfeil rauszuziehen. Denn im Wasser wäre der Blutverlust tödlich gewesen. Na ja, irgendwie musste ich versuchen so viel wie möglich von dem Zeug noch aus der Wunde zu kriegen, in der Hoffnung, dass die Dosis die im Körper war, nicht schon zu hoch war. Also habe ich da noch etwas in der Wunde herumgestochert.“
„Und warum hast du Trottel mich nicht gleich gerufen, als du wieder an Bord warst?“, wollte Sebastian wissen.
„Weil es dunkel war und du Licht gemacht hättest und dann um mich rumgesprungen wärst wie Rumpelstilzchen ums Feuer. Ich konnte aber nicht zulassen, dass genau dadurch unsere Tarnung auffliegt, und ich mir völlig umsonst die Mühe gemacht hätte, als super Flipper durchzukommen.“
„Und warum hast du mir dann nichts von deiner Vermutung gesagt, als wir außer Sichtweite waren und ich dir geholfen habe?“, hakte Sebastian nach.
„Weil du mich einfach nicht hast zu Wort kommen lassen hast in der kurzen Zeit, wo ich mal bei klarem Verstand und nicht bewusstlos war, wenn du dich recht erinnerst. Außerdem hattest du ja alles voll im Griff und jede Injektion in der richtigen Reinfolge gesetzt. … Sag mal ... “, wurde es Andreas in diesem Moment erst richtig bewusst, „woher hattest du das Zeug überhaupt? Du bist schon so lange raus, da ist das Zeug doch total überlagert. Du hast mir doch nicht etwa ....“
„Nein, ich habe dir kein altes Zeug mit Schimmel drauf gespritzt. Es war sogar ziemlich neu und hätte noch gut und gerne fünf Jahre gehalten. Ich habe die Notpacks von Jens, Claus und dem ganzen Rest der Gruppe bekommen, weil sie ja gut aus Romanas Medizinköfferchen versorgt worden, waren. Das, was ich dir übrigens da reingedrückt habe, war das Zeug aus dem Pack von Steffen Körner, unserem Steinadler. Ich dachte mir, wenn er es schon nie mehr brauchen kann, dann wärst du die beste Alternative zu ihm, der hier gerade seinen Weg fortsetzt.“
In dem Moment ging es Andreas, wie schon den Tag zuvor, als Anne ihm ihre Meinung gegeigt, oder besser gesagt, offen ins Gesicht geschlagen hatte.
Sebastian wusste genau, was in diesem Moment in seinem Freund vorging. Er hätte es nicht extra erwähnt, wenn ihn nicht Anne am Abend noch angerufen und von seinem Rückzieher und den Zweifeln, die er plötzlich hatte, berichtet hätte.
Nach einer Weile brach Andreas das Schweigen. „Ist das wirklich wahr?“, wollte er wissen. „Es war Steffens Pack? Bist du sicher?“
„Ja Andy, das war es. Ich habe die aufgerissene Hülle noch hier. Sieh selbst, hier steht sein Name drauf “, gab Sebastian seinem Freund leise und ehrlich zur Antwort, zog eine leere Verpackung aus seiner Tasche und zeigte sie ihm.
Jetzt wusste Andreas genau, was er zu tun hatte. Jetzt stand es unwiderruflich fest.
Vorsichtig schaute Anne zur Salontür rein und dabei fragend auf Sebastian. Dieser nickte ihr unmerklich zu. Das Zeichen für sie, dass die Unterredung zwischen den beiden Männern beendet war. Wenn sie auch nicht wusste, worum es dabei gegangen war. Sie zog das Ortungsgerät aus ihrem Rucksack und legte es auf den Tisch. „Hier ist übrigens euer Spielzeug. Aber meiner Meinung nach braucht ihr das nicht, denn das Boot ist genau hinter uns“, sagte sie wie nebenbei und zeigte durch die offene Salontür zum Heck. Trotzdem schauten die beiden Männer auf den Monitor und erst danach richtete sich ihr Blick auf das Boot, welches direkt hinter ihnen fuhr.
„Jetzt gibt es drei Möglichkeiten“, stellte Andreas völlig kühl fest. „Entweder die Jungs haben es auf einmal verdammt eilig. Oder sie sind schon zutraulich geworden. Wobei ich eher darauf spekuliere, dass sie uns testen wollen.“
„Dann sollen sie doch mal sehen, wie doof wir kleinen Anfänger sind“, sagte Sebastian provozierend. „Also mir macht es immer wieder Spaß, mich als Volltrottel und vertrauensseligen Feigling zu präsentieren. Was meint ihr? Spielt ihr mit?“
„Klar doch immer“, gab Andreas zurück, setzte sein Basecap auf und schob die Sonnenbrille auf seine Nase. „Wohin fahren wir eigentlich?“
„Nach Süden. Lass dich überraschen. Du wirst begeistert sein“, gab Sebastian zurück und ging aus dem Salon, um aufs Oberdeck zu klettern. Anne und Andreas folgten ihm.
20
So ein großes Meer und doch schien es an diesem Tag wie ein Spiegel zu sein. Alles, was sie spürten, war der leichte Fahrtwind. Die einzigen Wellen waren die vom Bug des Schiffes, der das Wasser teilte. Und jene am Heck, die von der Schraube aufgewirbelt wurden und sich wie aufeinander folgende Linien im gleichen Winkel vom Boot entfernten und weit hin über das Wasser sichtbar waren. Doch an der Steuerbordseite wurden sie in einiger Entfernung unterbrochen und von dem anderen Boot durcheinandergebracht. Anne saß vorn bei Rashid, während es sich die beiden Männer auf den Seitenbänken gemütlich machten, wie es auch andere Tauchtouristen gerne taten. Ahmed tat so, als hätte er an Deck einiges mit dem Saubermachen zutun. Also eine ganz normale Ausfahrt zu einem Tauchspot. Keiner interessierte sich für das Boot hinter ihnen. Zumindest nicht offensichtlich.
Nach einer Weile hielt es Andreas nicht mehr aus. Er stand auf und ging nach unten in den Salon.
Gerade als Anne ihm besorgt nachgehen wollte, hielt Sebastian sie am Arm zurück. „Nein, bitte nicht, Anne. Er braucht die Zeit allein, um sich konzentrieren zu können“, log er sie an. Denn eigentlich wusste er, dass Andreas in diesem Moment die Medikamente von Doktor Mechier einnahm. Der Arzt hatte ihn noch am Abend angerufen und berichtet, dass es seinem Freund doch nicht so gut ging. Er hatte ihn gebeten, mit auf ihn zu achten, dass er die Medikamente auch wirklich nimmt, sobald es nötig ist. Außerdem sollte Sebastian darauf Obacht geben, dass er sie heimlich nehmen kann, weil sein Freund nicht wollte, dass sich Anne und er verunsichert fühlten, wenn sie wüssten, dass er noch so starke Schmerzen hat.
Sebastian hatte den Arzt sehr gut verstanden, zumal er seinen Freund gut kannte.
„Sebi!“, schrie kurze Zeit später Andreas zum Oberdeck hoch. „Wie lange fahren wir noch?“
„Wenn es hochkommt, noch fünfzehn Minuten. Warum?“
„Dann komm mal runter. Ich komme hier allein nicht zurecht.“
„Bin schon unterwegs.“ Träge erhob sich Sebastian von seiner gepolsterten Bank, streckte sich demonstrativ in Richtung des anderen Bootes und stieg dann die Leiter, wie gelangweilt, nach unten. Als er aber im Salon ankam, konnte er sich bei dem Anblick seines Freundes kaum noch halten vor Lachen. Andreas hatte allein versucht, seinen Verband abzubekommen, sodass er ihn noch einmal benutzen konnte und sich dabei total darin verheddert.
„Ich glaube, ich will nie in meinem Leben sehen, wie du Krautrouladen wickelst“, meinte Sebastian. Doch dann kam er ihm schnell zu Hilfe. Vorsichtig verteilte er auch die Salbe vom Doc auf die Wundränder und klebte ihm das wasserdichte Pflaster auf. Wobei er noch einmal genau die Ränder untersuchte und überall darauf herumdrückte, bis er sicher war, dass nicht einmal ein Tropfen Salzwasser eindringen konnte. Andreas bedankte sich und zog dann schon sein weißes T-Shirt fürs Tauchen über. Denn er rechnete damit, dass sie beobachtet wurden, wenn sie sich fürs Tauchen fertig machten. „Sebi, wenn sie uns heute nicht nur testen wollen. Dann müssen wir verdammt schnell sein.“
„Ich weiß. Kannst dich auf mich verlassen. Und ehe du fragst. Ja, ich kenne noch alle Handzeichen. Was ich in dem Verein gelernt habe, werde ich nie vergessen. Glaube mir.“
Beide kletterten aufs Oberdeck zurück und setzten sich in die Sonne. Sie ließen das Boot, welches noch immer hinter ihnen fuhr, nicht aus den Augen und verfolgten jede Bewegung der Männer dort an Bord. Dann rief Anne sie auch schon zu sich. Sie war der Meinung, dass es nicht verkehrt wäre, das Briefing gleich durchzuführen, damit die Kerle da drüben gut sehen konnten, wo sie hin wollten. Extra groß hatte sie oben auf die Tafel „Carlsons Corner“ geschrieben. Etwas erschrocken schauten sich die beiden Freunde an. Doch Anne schien die richtige Taktik gewählt zu haben, denn wenig später drehte das fremde Boot ab und überholte sie in einem weiten Bogen. Anne war sogar noch so dreist und winkte ihnen fröhlich zu.
„Hey Jungs, dreht euch mal um und macht artig winke, winke“, sagte sie lächelnd, selbst noch immer winkend. „Die lieben Leute da auf dem Boot grüßen uns nämlich gerade ganz nett.“
„Jetzt ist sie total durchgedreht“, stellte Sebastian an Andreas gewandt fest und beide drehten sich nach dem anderen Boot um und winkten ihnen fröhlich zu.
Tatsächlich, ein paar dieser elenden Mistkerle standen da an der Steuerbordseite ihres Boots und winkten ihnen quietschvergnügt zu.
„Sorry Jungs, ich habe nicht damit angefangen“, entschuldigte sich Anne bei ihren Freunden. „Doch hätte ich nicht zurückgewunken, hätten sie eher Verdacht geschöpft, dass wir schon wissen, was sie vor haben.“
Andreas musste ihr Recht geben und fragte dann, wohin sie denn nun fahren würden.
„Es sieht so aus, als würden sie bei Sha´ab Abu Ramada Ost festmachen wollen“, antwortete Sebastian, als er dem Boot noch einmal nachschaute. „Von da aus können sie uns gut sehen, ohne uns zu nahe zu sein.“
„Na dann gehen wir uns mal anrödeln Jungs“, sagte Anne und ging als erste nach unten, um noch einmal auf der Toilette zu verschwinden. Sebastian steckte Andreas in der Zwischenzeit eines der Packs mit dem Gegenserum, welches er früh von einem Piloten der Lufthansa in Empfang genommen hatte, zu. Sogleich steckte er es zu dem anderen Pack in die hintere Tasche seines Taschengürtels, so wie sein Freund es auch gerade tat.
Sebastian half Andreas, den engen Neoprenanzug über seine verletzte Schulter zu ziehen. Dabei äußerte er seine Bedenken wegen des Jacketts, welches beladen mit Stahlflasche und Blei auf die Wunde drücken würde. Deshalb schlug er vor, das Aufgerödel erst mal zu lassen, sondern das Jackett erst im Wasser anzuziehen, was ihm damit Schmerzen ersparen könnte.
Andreas bedankte sich für die Fürsorge, doch er könne das leider nicht tun, da es die Kerle sehen und sich einen Reim darauf machen könnten. Denn kein normaler Anfänger würde das freiwillig im Wasser tun, auch wenn er es eigentlich schon im Tauchkurs gelernt bekommen hätte. Stattdessen holte er einen Schwamm aus seiner Tasche. Er drückte seinem Freund den Schwamm in die Hand und bat ihn darum, den unter den Anzug, vor die Wunde zu platzieren. Andreas erhoffte sich davon etwas Erleichterung. Vorsichtig, um ihm nicht zusätzlich Schmerzen zu bereiten, zog Sebastian das Oberteil noch einmal weit von der Schulter weg, um genügend Platz zu haben, den Schwamm vor die Wunde zu schieben. Dann zog er den Anzug sacht wieder darüber. „Und, geht’s?“, wollte er besorgt wissen, als Andreas gerade sein Equipment angelegt und damit von der Bank aufgestanden war. Andreas wackelte etwas mit dem Körper hin und her, dann nickte er, zufrieden mit dem Ergebnis seiner kleinen Erfindung, Sebi zu.
„Anne“, rief Sebastian. „Andy, geht schon mal ins Wasser und wartet da auf uns, damit das Jackett nicht zu lange auf seine Schulter drückt. Im Wasser wird es für ihn besser sein“, erklärte er und schickte dann seinen Freund los.
Nachdem Andreas im Wasser gelandet war, blies er sein Jackett etwas auf und schwamm langsam zur Seite an die Bleileine, die Ahmed bereits ins Wasser gelassen hatte. Er hielt sich an ihr fest, um nicht von der leichten Oberflächenströmung abgetrieben zu werden und unnötig gegen sie angehen zu müssen. Geduldig wartete er auf die beiden anderen. Dabei schaute er, nur den Schnorchel im Mund, nach unten und beobachtete so bereits die ersten Fische. Dann hörte er die Geräusche von Schiffsmotoren und sah, wie sich ihnen ein Boot näherte. Aber aus seinem Winkel konnte er es nicht gut sehen. Er musste sich darauf verlassen, dass Sebastian es unter die Lupe nahm, bevor er ins Wasser sprang. Er hatte das ungute Gefühl, dass die Kerle vom anderen Boot nicht allein agierten. Sondern noch ein oder zwei Boote hier in Reserve hatten. Schließlich ging es für diese Leute um eine ganze Menge. Und sein Instinkt hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Wenig später platschte Sebastian unbeholfen ins Wasser und schwamm mit zur Bleileine.
„Was ist das für ein Boot?“, wollte Andreas sofort von ihm wissen.
„Ein Safariboot. Es macht gerade neben uns fest.“
„Und, ist es dir oder Anne bekannt?“
„Ehrlich gesagt, nein. Aber da kommen immer mal welche. Ich kann sie nicht alle kennen.“ Dann sah Sebastian seinen Freund ernst an. „Du meinst doch nicht etwa?“
Andreas zuckte mit den Schultern und wiegte leicht den Kopf hin und her.
Sebastian hatte verstanden. Er rief Ahmed zur Reling. Als sich der junge Ägypter zu den beiden Tauchern herunterbeugte, bat er ihn leise auf Arabisch, dass er mal vorsichtig die Besatzung des anderen Bootes etwas ausfragen solle, wenn die Taucher von Bord waren. Ahmed nickte ihm zu und sein Kopf verschwand wieder.
Als Anne endlich zu ihnen kam, wünschte Andreas, dass sie ihre Handschuhe anziehen solle. Doch Anne hatte sie noch auf dem Schiff, also reichte er ihr seine.
„Du meinst doch nicht etwas …“, begann sie zu fragen, während sie sich die Handschuhe überzog und dabei Andreas ernst ansah.
„Ich weiß es nicht. Aber so als Vorsichtsmaßnahme bekommt es deinen Händen bestimmt besser“, antwortete er, noch bevor sie ihren Satz beenden konnte. Dabei lächelte er sie beruhigend an. Dann tauchten die drei Freunde ab.
Direkt vor sich sahen sie den großen Korallenblock, der ihnen als Orientierung beim Rückweg zum Boot dienen sollte. Sie umrundeten ihn und tauchten weiter in Richtung des kleinen Riffs. Andreas wollte unbedingt die Röhrenaale einmal sehen, von denen es hier in der Nähe ein regelrechtes Sandfeld voll geben sollte. Er konnte es sich einfach nicht vorstellen. Langsam schwenkten die drei Taucher nach Westen ab. Wenig später wurde Anne langsamer und wies auf eine große Sandfläche, der sie sich nur vorsichtig näherten. Da die Sicht an diesem Tag sehr gut war, entdeckten die drei Freunde schon von weitem, wie ziemlich eng beieinander viele Spazierstöcke im Sand zu stecken schienen. Als sie bemerkten, wie die ersten dieser vermeintlichen Stöcke blitzartig in den Boden verschwanden, stoppten sie, tarierten sich aus und beobachteten eine ganze Weile die Röhrenaale, die Andreas sehr putzig fand. Sonst hatte er noch nie die Gelegenheit gehabt, welche zu sehen. Denn selbst wenn er wirklich mal in der Nähe einer solchen Sandfläche gewesen sein sollte, hatte er eine Mission zu erfüllen und keine Zeit für Beobachtungen der Meerestiere. In einem weiten Bogen, um die Tiere nicht unnötig zu stören, tauchten sie um das Sandfeld herum und gelangten zurück zur Riffkante. In vierzehn Metern Tiefe tauchten sie über einen wunderschönen Korallengarten. Sie entdeckten eine Gelbmaulmoräne und einen träge im Sand liegenden Krokodilsfisch. Ein großer Napoleonfisch mit seinem unverkennbaren Höcker auf der Stirn kreuzte ihren Weg und sie beobachteten den zwei Meter zwanzig großen Fisch mit seinem Kussmund, wie Anne sein Maul immer nannte, noch eine Weile.
Gerade, als sie über dem Wrack eines alten Fischerbootes waren, tauchten die ersten Taucher des Safaribootes auf. Andreas und Sebastian ließen sich ein Stück von Anne zurückfallen und taten so, als wären sie unheimlich mit sich selbst und ihrer Tarierung beschäftigt. Doch in Wirklichkeit waren ihre Muskeln gespannt, um auf alles gefasst zu sein. Sie ließen keinen der kleinen Gruppe auch nur einen Moment aus den Augen. Als einer der Taucher ausscherte und für Sebastians Begriffe, Anne zu nahe kam, machte er etwas Tempo und schupste sie, sich dabei mit einer unbeholfenen Geste entschuldigend, fast gegen die Riffwand. Dann fuchtelte er wild mit den Armen herum, als hätte er ein Problem, die Richtung zu halten. Er spielte ungeschickt an seinem Inflator, blies sein Jackett wie in Panik auf und ließ sich, Anne aber dabei angrinsend, von ihr wieder auf den „Rechten Weg“ bringen. Er ließ sich dann wie einen Ballon von ihr mit sich ziehen.
Andreas beobachtete in der Zwischenzeit genau die Reaktionen des fremden Tauchers, jederzeit auf dem Sprung nach vorn. Dieser Kerl scheint doch tatsächlich zu grinsen, dachte er bei sich.
Im nächsten Moment stellte er fest, dass sich die andere Tauchgruppe bereits wieder von hinten zu nähern begann. Sofort ließ er sich zurückfallen und wandte sich, einen Wadenkrampf vortäuschend, in dem er kräftig die rechte Flosse mit den Händen an sich heranzog, zu der Gruppe von vier Tauchern um, die sich von hinten schnell näherte. Welch ein Zufall, genau in dem Moment, als die Taucher an ihm vorbeigezogen waren, hatte sich auch sein Krampf wieder gelöst und er schwamm ein ganzes Stück neben ihnen her, bis er Anne und seinen Buddy erreicht hatte. Unbemerkt für die anderen gab er Sebastian ein Zeichen, dass sie an dieser Stelle bleiben wollen, bis die Gruppe weit genug weg ist. Anne bemerkte, dass sich Sebastian auf einmal kein Stück mehr vorwärts bewegen ließ, obwohl sie nicht erkennen konnte, wie er das eigentlich bewerkstelligte. Sie schaute zurück zu Andreas und bekam im ersten Moment einen Schreck, weil es so aussah, als wäre er an einer der Steinkorallen hängen geblieben. Seltsamerweise ließ sich Sebastian, den sie noch immer an seiner Weste festhielt, ganz leicht in diese Richtung ziehen. Als sie näher kam, sah sie deutlich, dass Andreas nirgends fest hing, er sie aber dafür breit angrinste. Nachdem er festgestellt hatte, dass die anderen Taucher aus seinem Blickfeld verschwunden waren, löste er sich aus der Riffwand, gab sein Okayzeichen, schlug schräg seine unteren Handkanten aneinander, was in der Tauchersprache hieß, zum Boot zurückzukehren. Wieder an dem großen Korallenstock angekommen, tauchten sie zu dritt zur unter ihrem Boot hängenden Bleileine und machten dort ihren Sicherheitsstopp, während Sebastian und Andreas sich in alle Richtungen nach den anderen Tauchern umsahen. Dann hörten sie über sich einen Motor anspringen, blickten nach oben und sahen, wie die Schraube des fremden Safaribootes anlief, das Ruder einschlug und sich das Schiff langsam zu entfernen begann. Kurz darauf tauchten sie auf und bliesen ihre Jacketts auf. Einer nach dem anderen schwammen sie zur Leiter, zogen noch im Wasser ihre Flossen aus und reichten sie zu Ahmed hoch, der sie ihnen abnahm und in die dafür vorgesehene Halterungen steckte. Dann trennte er, kaum dass die Taucher auf dem Deck angekommen waren, die Stahlflasche von der ersten Stufe und nahm ihnen die schweren Flaschen ab. Keiner von ihnen sprach ein Wort, bis sie wieder alle drei auf dem Hauptdeck ihres Bootes standen.
„Was war das denn für eine theaterreife Vorstellung?“, wollte Anne wissen. Doch die beiden Männer blickten sie nur fragend und verständnislos grinsend an, als wüssten sie nicht, was sie meinte. Sowohl Andreas als auch Sebastian hatten sehr schnell erkannt, dass die anderen Taucher bis an die Zähne bewaffnet waren. Doch sie waren sich nach kurzem Blickkontakt einig, ihr davon nichts zu sagen.
Während Anne und Sebastian sich selbst abrödelten, hatte sich Andreas auf die Bank gesetzt und ließ sich von Ahmed und Rashid helfen. Vorsichtig zog er sich den Schwamm, der ihm gute Dienste geleistet hatte, unter seinem geöffneten Neoprenanzug hervor und Ahmed sowie auch Sebastian halfen ihm dabei den Anzug über seine Schultern und die Arme zuziehen. Den Rest würde Andreas dann allein schaffen.
Sebastian bemerkte, dass sein Freund etwas Mühe hatte seinen Tauchanzug auf den Bügel zu hängen. Doch er ließ sich nichts davon anmerken, sondern tat so, als hätte er nichts gesehen und noch etwas an seinem Equipment zu basteln, als Andreas schon den Salon ansteuerte. Er ließ ihm so die Gelegenheit, eine Weile allein zu sein, damit er wieder heimlich eine der Tabletten vom Doc schlucken konnte.
Ihm geht es noch verdammt dreckig, stellte er dabei besorgt fest. Nach einer Weile betrat auch er den Salon.
Andreas schraubte gerade seine Wasserflasche zu und stellte sie zurück neben den Rucksack. Dann zog er das nasse Shirt über den Kopf, schmiss es einfach durch die offene Tür nach draußen aufs Deck und holte den Beutel mit dem Verbandsmaterial aus seinem Rucksack. Vorsichtig begann er das wasserdichte Pflaster abzuziehen, bis Sebastian dazu kam und ihm half.
„Die waren mir einfach zu schnell da und wieder weg. Was meinst du dazu?“, fragte Andreas leise, damit es Anne, die sich gerade auf der Toilette umzog, nicht hören konnte.
„Ich meine, das waren schwere Jungs. Dein Instinkt hat wieder einmal perfekt funktioniert.“
„Nur können und dürfen wir denen nicht einmal die Chance eines Versuches geben, an Anne heranzukommen. Die haben keinen Peilsender von uns, sodass wir das nicht riskieren können“, flüsterte Andreas.
Sebastian nickte, während er die Wundränder an der Schulter seines Freundes mit der Salbe vom Doc versorgte.
„Ich hoffe, das war wirklich nur ein Test für die Vögel, um festzustellen, wie blöd wir sind und dass von uns keine Gefahr für sie ausgeht. Sonst hätten wir schlechte Karten, alter Junge. Ich weiß nicht. Aber es sah so aus, als hätten sie den Angriff geübt oder zumindest eins der möglichen Szenarien durchgespielt“, meinte Andreas.
„Na, die Schulter sieht ja schon wieder richtig gut aus, mein Kleiner“, sagte Sebastian laut und Andreas wusste damit, dass Anne den Salon betreten hatte.
„Nenne mich nicht immer Kleiner, du Wicht, dem gut zwanzig Zentimeter fehlen, um mir überhaupt auf die Nasenspitze gucken zu können“, reagierte Andreas gereizt.
„Ihr könnt komische Freunde sein“, stellte Anne fest, während sie ihr Haar abrubbelte. „Wann immer ihr könnt, zerfleischt ihr euch fast in der Luft.“
Beide Männer drehten sich zu ihr um, sahen sie scheinheilig an und sagten im Chor: „Wir doch nicht. Wir sind ein Herz und eine Seele.“ Dabei lehnten sie, wie verliebt ihr Köpfe aneinander, sodass Anne laut lachen musste.
Nachdem sie kurze Zeit später hoch aufs Oberdeck gegangen war, kam Ahmed zu den beiden Männern in den Salon. Er berichtete ihnen, was er von der Crew des anderen Bootes herausbekommen hatte. Beide fragten nach weiteren Einzelheiten und ob sich Ahmed den Namen des Bootes gemerkt habe.
„Der Bootsname war >King IV<, aber ich habe gesehen, dass darunter mit Farbe überdeckt der arabische Name > Aintiqam< stand.“
„So, so. ›Rache‹ also“, stellte Andreas trocken fest. „Ja, das passt zu den Brüdern.“
Sie bedankten sich bei Ahmed, der daraufhin in der Kombüse verschwand. Sebastian hatte in der Zwischenzeit bei Andreas den Verband fertig angelegt, sodass er ein frisches T-Shirt überziehen konnte. Er hob dann sein nasses Shirt auf und hängte es zum trocken auf einen freien Bügel an Deck auf. Gemeinsam stiegen die Männer zum Oberdeck hoch und ließen sich von Rashid zeigen, wo die >King IV< hingefahren war.
Der Kapitän berichtete ihnen, dass sie kurz an dem fremden Boot Halt gemacht hätten und dann Richtung Norden weitergefahren waren. Vielsagend sahen sich die Freunde an. Dann legten sie sich zu Anne in die Sonne, um sich noch etwas aufzuwärmen. Schon nach wenigen Minuten rief Ahmed zum Essen.
21
„Ich bin voll“, stellte Andreas zufrieden fest und hielt sich den Bauch, während er mit seinem Freund aus dem Salon aufs Deck trat. „Jedes Mal nehme ich mir vor, nicht so viel zu essen, doch dann muss ich einfach von allem kosten und es ist alles so unheimlich lecker, was Ahmed da immer zaubert. Wie haltet ihr das nur jeden Tag aus, ohne dick und rund zu werden?“Sebastian musste laut lachen. „Ja, wir können uns eben beherrschen und sind nicht so willensschwach und verfressen wie du.“
Dabei stiegen die beiden wieder zum Oberdeck hoch, um sich noch etwas hinzulegen und der Besatzung als auch Anne dafür den Salon zu überlassen. Kaum auf dem Oberdeck angekommen, machten sie sofort auf dem Hacken kehrt, sprangen nacheinander von der Leiter und liefen in den Salon zurück. Andreas zog schnell das Ortungsgerät aus seiner Tasche, schaltete es ein und die beiden Männer schauten gebannt darauf. Das fremde Boot, mit dem gelben Aufbau, hatte sich von seinem letzten Ankerplatz entfernt und entfernte sich zusehends immer weiter, bis das rot blinkende Licht ganz am Rand des Monitors war und kurz darauf verschwand. Die Freunde sahen sich fragend an. Dann liefen sie bewaffnet mit ihren Ferngläsern wieder aufs Oberdeck und suchten das Meer gründlich ab. Doch sie konnten weder das fremde Taucherboot noch dieses neu aufgetauchte Safariboot irgendwo ausmachen.
„Was ist jetzt los?“, fragte Sebastian erstaunt guckend.
„Tja, entweder sie halten uns für ungefährlich und warten nun den Zugriffstermin ab oder wir haben ein neues Problem“, überlegte Andreas.
„Und wie verhalten wir uns nun?“
„Normal. Wir machen Tauchurlaub und warten ab.“
„Oh, ich mag es, wenn du so eiskalt und ruhig bist. Deine Arschleckmentalität möchte ich auch gern haben“, meinte Sebastian und grinste seinen Freund herausfordernd an.
„Ich schätze mal, mein Handy wird schon bald klingeln. Vielleicht wissen wir dann mehr.“ Gerade als Andreas sich umdrehen wollte, um sein Handy aus dem Salon zu holen, war Sebastian schon unterwegs.
„Bleib hier, ich bring dir deinen Quasselkasten. Wie immer in der Seitentasche?“
„Genau. In der Linken. Bringst du gleich noch ne Flasche Wasser mit. Danke“, rief ihm Andreas noch nach. „Ist schon lustig“, meinte er, als Sebastian wieder auf dem Deck erschien. „Zwei Invaliden wollen böse Buben fangen, die auf einmal vor ihnen abhauen.“ Beide brachen in Gelächter aus. Trotzdem war ihnen der Ernst der Lage durchaus bewusst.
Als das Handy klingelte, sah Andreas zuerst auf das Display und ein breites Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. „Na, hab ich es dir nicht gesagt.“ Dann klappte er das Handy auf und stellte damit die Verbindung her.
„Hier Schneeeule bei der Arbeit“, meldete er sich. „Ja, das haben wir auch schon bemerkt, nur haben wir sie auch nicht mehr auf unserer Ortung“, antwortete er und dann an Sebastian gewandt: „Es ist unser Bussard.“ Dann wieder ins Telefon, fragte er: „Sag mal, wo steckst du eigentlich? Ich frage mich nämlich, woher du das schon wieder weißt.“
„Ich bin hier bei unseren Freunden, auf einem der Boote der Küstenwache“, antwortete Jens. „Wir haben die Kerle noch im Blick. Was habt ihr mit denen gemacht, dass sie sich so weit von euch entfernt haben?“, wollte er dann wissen.
Andreas erzählte ihm von der Begegnung mit den Tauchern eines Safaribootes und gab ihm die beiden Namen durch, die sie von Ahmed erfahren hatten. Er hielt auch nicht mit seiner Vermutung hinterm Berg. Dann gab er eine genaue Beschreibung des zweiten Bootes, so wie es ihnen Ahmed und Rashid beschrieben hatten.
„Wir kümmern uns darum und werden es mal von weiten unter die Lupe nehmen, wenn wir es finden. Vielleicht kommen ja auch die Taucher der Marine ran, damit sie ihnen einen unserer Peilsender verpassen können. Ich hoffe, die haben nicht noch mehr Boote, sonst wird es schwer für euch den Überblick zu behalten.“
„Das hoffen wir auch.“
„Und wie geht es dir? Aber ehrlich.“
„Danke, es wird schon wieder. Kennst mich doch.“
„Eben, das macht mir ja Sorgen. Dann nutz jetzt die Zeit, spiel etwas Urlaub und ruhe dich aus. Grüß Sebi von mir. Er soll auf dich aufpassen. Und tue mir einen Gefallen, bringe dabei seinen Arsch nicht in Gefahr. Ich melde mich, wenn unsere Freunde hier was haben. Bussard Ende.“ Damit war die Verbindung auch schon wieder getrennt.
Andreas legte das Handy neben sich und sagte dann zu seinem Freund: „Ich soll dich lieb grüßen. Wir sollen etwas Urlaub spielen. Er meldet sich wieder. Schippert draußen auf einem der Patrouillenboote von der hiesigen Küstenwache mit rum und passt auf uns auf.“ Als er bemerkte, dass ihn Sebastian weiterhin skeptisch und fragend ansah, berichtigte er sich und sagte: „Ja, ich gebe es zu, er hat gesagt, ich soll auf deinen Arsch achten.“ Als Sebastian aber immer noch so guckte, sagte er wie genervt: „Okay … wir sollen auf uns aufpassen.“
Damit gab sich Sebastian vorerst zufrieden und lehnte sich bequem zurück. Nach einer Weile sagte er, noch immer die Augen geschlossen: „Andy, wenn das das Angriff-Szenario der Kerle war und sie es tatsächlich so durchziehen sollten, dann hätte es einer von uns gleich mit vier von den Brüdern zu tun, während der andere sich um einen und Anne kümmern müsste.“
„Oder aber wir kümmern uns um die vier und sehen dann zu, wie wir mit auf das Boot zu Anne kommen, bevor sie abhauen können“, gab Andreas zurück.
„So oder so, es könnte verdammt knapp werden“, meinte Sebastian.
„Ja, so wie immer, wenn die uns für so nen Job haben wollen und brauchen.“
„Nur dass ich nicht mehr bei euch bin. Wie hättest du das allein schaffen wollen?“, fragte Sebastian.
Andreas setzte sich auf, sah Sebastian direkt an und lächelte ihn verschmitzt an, als er sagte: „Ich hatte einen zweiten Mann. Ein Greenhorn, wenn auch zugegeben ein gutes. Aber ich wollte ihn nicht.“
Nun setzte sich auch Sebastian auf. „Warum nicht?“
„Weil ich dich wollte“, antwortete Andreas sehr ernst. „Weil wir schon immer gut miteinander zurechtgekommen sind und uns blind verstehen. Weil du der Beste warst und trotz der Prothese noch immer bist. Weil ich wusste, dass du mal wieder Action brauchst und schon darauf gebrannt hast. Weil ich hundertprozentig weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann und du nicht kneifst. Wo ich mir beim Greenhorn aber nicht sicher war, mir dieser Einsatz aber zu wichtig ist, um das erst dabei herauszufinden. Einfach gesagt, weil du mein bester Freund bist. ... Und nun lasse dir das ja aber nicht gleich zu Kopfe steigen. Hast mich nur mal in ner schwachen Minute erwischt, in der ich nicht voll zurechnungsfähig war. Klar?“, sagte Andreas, legte sich wieder zurück und schloss die Augen.
Doch Sebi wusste genau, dass er ihn noch durch einen winzig offenen Augenspalt beobachtete. Also hob er stolz den Kopf, strich sich würdevoll über seinen Bürstenhaarschnitt als er meinte: „Wurde ja Zeit, dass endlich mal einer mein wahres Genie und das Talent eines wahren Helden in mir erkannt hat.“
Ein kurzes zufriedenes Lächeln zog über Andreas´ Gesicht.
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