Unter den Zedern

MarieNade

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Der Geruch der abgefallenen Nadeln, die in der heißen Julisonne geröstet wurden, war auch noch nach der Rückkehr immer noch in meiner Nase. Ich atmete ein und aus um mich beständig daran zu erinnern, den Geruch dieser Nadelbäume nie zu vergessen, sie nicht zu vergessen. Sie, die Verena hieß und mir der ich sooft es ging in den letzten zwei Wochen unter den Zedern auf dem Hügel saß. In der Hitze des Junis am Mittelmeer, irgendwo auf einer griechischen Insel. Sie, mit ihren goldbraunen Haaren, die offen in der leichten Meeresbrise wehten, sie...

"Magda, kommst du essen?", rief meine Mutter und riss mich auch meiner Erinnerung.

"Ja, gleich", rief ich zurück.

Ich ging zum Fenster in meinem Zimmer und versuchte irgendwo in den Hinterhöfen und Gärten eine Zeder zu entdecken. Aber da ich nur die aus dem Urlaub in Griechenland kannte und ehrlich gesagt auch nicht so genau betrachtet hatte, nur ihr Geruch und das sie da waren blieb mir stark im Gedächtnis, wusste ich nicht, wie ich eine erkennen sollte. Ich nahm mir vor das zu lernen, schließlich waren mir Zedern jetzt wichtig. Wegen Verena.
Ich ging in die Küche, wo schon meine beiden Brüder, mein Vater und meine Mutter am Tisch saßen.

"Magda, trödel nicht immer so rum, sonst wird das Essen noch kalt, bist du da bist. Man soll pünktlich sein", nörgelte meine Mutter. Das tat sie oft. Zwar auch mit meinen Brüdern, aber vor allem bei mir.

"Ach Ilsa, warst du anders?", fragte mein Vater sie.

"Jetzt fall mir nicht in den Rücken, Gregor", entgegnete sie mit einem strengen Blick zurück.

"Ich fang schon mal an ok", gab einer meiner Brüder, Tom, von sich, "sonst wirds noch kalt, Mama."

Er blickte sie an, mit einer Augenbraue hochgezogen, dann streckte sie ihre Zunge heraus. Auch so etwas machte sie öfter.

"Ist ja gut", sagte Tom zurückschreckend.

Auch wenn meine Mutter ständig an mir nörgelte, bewunderte ich sie dennoch. Sie war oft ernst, konnte aber ebenso mit Humor zurückschlagen. Tom war zwei Jahre älter als ich, 18. Er war nicht mit in Griechenland, schon letztes Jahr war er nicht dabei. Ich wusste, dass er Partys feierte, wenn der Rest der Familie im Urlaub war.

"Magda, jetzt bist 16, willst du da wirklich noch mit?", fragte er mich im Winter, als die Urlaubsplanung anstand.

"Ich mag Griechenland. Da ists schön warm und Mama und Papa zahlen mir alles", gab ich ehrlich zurück, auch wenn ich durchaus die Schwächen meiner Argumentation erkannte.

"Ach komm, du bist jetzt alt genug. Wenn du hier bleibst, darfst du mitfeiern. Darfst auch mittrinken, ich sags den beiden auch nicht."

Das Angebot war verlockend und ich weiß nicht, was passiert wäre, hätte ich ja gesagt. Was hätte ich erlebt? Hätte ich mich betrunken, hätte ich was geraucht, hätte ich wen im Arm gehabt oder gar geküsst? Zumindest hätte ich Verena nicht kennengelernt.

"Na dann aber nächste Jahr ok?", fragte er fast schon flehend.

"Ok, ok. Nächstes Jahr bin ich dabei", antwortete ich.

Manchmal fragte ich mich, warum sich Tom so sehr um mich kümmerte. Doch dann dachte ich über mich selbst nach und mir wurde klar warum. Ich war kein typisches Mädchen für das Alter von 16. Ich hatte noch nie einen Freund, trank und rauchte nicht, war nur ein, zweimal auf Partys von Klassenkameraden. Ich hatte nicht wirklich Freunde. Es gab Leute in meiner Klasse, mit denen ich gut auskam und ab und an was zusammen machte, aber das war es auch. Sonst interessierte ich mich für nordische Mythologie und das Weltall. Deshalb kannte ich mich auch ziemlich am Sternenhimmel aus. Verena gefiel das, wenn ich ihr im klaren Abendhimmel des Mittelmeers die verschiedenen Sternbilder erklärte, die sie noch nie gehört hatte: Orion, Kassiopeia, den Luchs, den Andromedanebel. Ich nahm ihre Hand und fuhr die Bilder mit ihr zusammen am Himmel ab. Der Gedanke an die Berührung ihrer weichen Finger mit dem violetten Nagellack, an den Ärmel des schwarzen Strickjäckchens, das sie umgelegt hatte, ließ meinen Bauch kribbeln.
Mein Teller war voller Linsen, Spätzle und Würstchen, doch ich starrte diesen nur an.

"Magda, hast du überhaupt Hunger?", fragte mich mein Vater.

"Äh, ja, klar, schon", antwortete ich und begann zu löffeln.

"Meggi ist bestimmt verliebt," stichelte Paul, mein kleiner Bruder.

"Was? Stimmt doch gar nicht", stammelte ich mit einem vollen Mund und wurde rot.

Er war 12 und und typisch besserwisserisch und ehrlich für sein Alter. Und er war natürlich mit im Urlaub gewesen. Und zu allem Überfluss wusste er von Verena. Nicht, was wir gemacht oder wie wir füreinander empfunden hatten, aber mit seinen 12 Jahren ging es da auch nicht drum. Hauptsache was sagen.

"Hast du etwa einen kennen gelernt im Urlaub?", fragte Tom, dem ich glaubte, dass er im Gegensatz zu Paul wirklich daran interessiert war.

"Nee. Lasst mich jetzt mal essen," sagte ich genervt und schlang meinen Teller hinunter, während alle anderen noch bei der Hälfte waren.

"Ich steh schon auf", sagte ich während dem Aufstehen und nachdem fertig sein mit den Linsen und war, bevor meine Mutter wieder nörgeln konnte, man bleibe am Tisch, bis alle fertig seien, schon auf meinem Zimmer.

Wäre ich 12 gewesen wie Paul, hätte sie das nicht so leicht durchgehen lassen, aber meine sich langsam aufbauende Autorität als "selbständig werdende Sechzehnjährige", konnte sich das dann schon erlauben. Verena war 15. Zumindest noch, aber nicht mehr lange. Am 10. Oktober habe sie Geburtstag, hatte sie mir erzählt. Ich hatte mich nicht getraut, es direkt in meinen Kalender zu schreiben, also machte ich ein "x". Danach fragte zumindest niemand. Es war der 19. Juli und wir waren seit drei Tagen wieder zurück in Deutschland. Ich war ziemlich braun geworden, vor allem durch die Mittags- und Abendstunden mit ihr auf dem Hügel unter den Zedern.
Mein Vater sah ebenfalls aus wie mit Milchschokolade überzogen. Im Gegensatz zu Paul und meiner Mutter, die nur rot wurden aber sonst weiß blieben, den ganzen Sommer über. Verena dagegen schien so in der Mitte zu liegen. Ihre Haut bräunte sich zwar, aber wurde lange nicht so dunkel wie meine. Jeden Tag verglichen wir unsere Arme miteinander.

"Wie cool, dass du so braun wärst, das hätte ich auch gern. Ich bin immer so blass, das gefällt mir echt nicht", beschwerte sie sich bei mir.

"Vielleicht ist das auch eine Trainingssache. Wenn wir jedes Jahr hier herkommen würden, auf diesen Hügel unter den Zedern, vielleicht würdest du dann auch dunkler werden", reimte ich mir zusammen.

"Oh ja, das wäre cool. Vielleicht kommen meine Eltern wieder nächstes Jahr hierher. Sie wissen es noch nicht genau. Aber auf jeden Fall ans Mittelmeer. Da ist der Sommer schöner als in Hamburg."

"Also, meine kommen auf jeden Fall wieder, das weiß ich", antwortete ich.

"Das wäre schön, sich nächstes Jahr wieder hier zu treffen. Ich mag das hier,", sagte ich weiter.

"Ich auch."

Sie nickte lächelnd.

"Darf ich reinkommen?", fragte Tom vom Gang aus, an meine Zimmertür klopfend. Ich ließ das Kalenderblatt von Juli los. Nun verdeckte es wieder den Oktober.

"Ja, klar, komm rein."

Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich aufs Bett.

"Du Magda, sorry für eben. Ich wollt nicht so neugierig sein. Und Paul...du weißt ja wie er ist. Und außerdem halt erst 12", entschuldigte er sich.

"Schon ok," antwortete ich knapp und setzte mich an meinen Schreibtischstuhl.

"Das war blöd von mir das vor Mama und Papa und vor Paul zu fragen", entschuldigte er sich weiter.

"Ja", nickte ich ihn leicht böse anschauend.

"Aber hey, du kannst mir alles erzählen. Du hast doch jemanden kennen gelernt oder?"

Ich blieb stumm. Hätte ich "nein" gesagt, wäre es ebenfalls als "ja" durchgegangen. Nichts was ich in diesem Moment kommuniziert hätte, hätte einen anderen Schluss zugelassen.

"Warum fragst du?", wollte ich wissen. Einerseits was es mir zwar unangenehm, die ganze Fragerei um etwas so persönliches, aber andererseits war ich auch ein wenig froh, das Tom das tat. In einer Art und Weise wollte ich mich jemandem anvertrauen. Und wenn dieser jemand das war, dann Tom. Ich war schon immer beeindruckt von ihm. Er war groß und beliebt, spielte erfolgreich Volleyball, hatte schon einige Freundinnen gehabt und trotzdem kümmerte er sich um mich, ärgerte mich nie. Manchmal stichelten wir uns, aber das war das übliche Geschwistergetue. Warum war er immer so lieb und aufmerksam zu mir? Ich war introvertiert und schüchtern, machte mir nichts aus Make Up, Parties und Freunden. Er war das völlige Gegenteil. Ich hatte Angst zu einer Art Zielscheibe zu werden, obwohl ich ganz genau wusste, dass Tom nicht so war, dass er mir wirklich helfen und mich verstehen wollte.

"Du bist meine Schwester. Und du bist zwei Jahre jünger. Das was du durchgemacht hast, hab ich schon hinter mir."

"Ja und?"

"Was, ja und? Ich will halt nicht, dass du genauso strugglst wie ich. Ich hatte niemanden zum Reden. Obwohl ich so beliebt bin. Ich weiß das. Aber grade dann ists schwer richtige Freundschaft oder Liebe zu finden. Mir gehts nicht so viel anders wie dir."

Ich begann ihn zu verstehen. Auch er war einsam. Und das, obwohl er im Gegensatz zu mir sehr viele Leute kannte und sehr oft etwas unternahm.

"Also, du hast jemanden kennengelernt. So viel ist schon mal klar."

Er lächelte mich an und so musste ich auch grinsen und ich nickte.

"So, jetzt zu den Facts. Wie heißt er? Ist er von Griechenland?"

Mein Herz, dass die ganze Zeit schon unruhig war, begann nun heftig zu klopfen. Genauso, als ich am letzten Tag Verenas Hand hielt. Wir saßen auf der Decke und starrten aufs Meer, in einen gelb-rot-orangenen Sonnenuntergang. Ganz klischeehaft, wie im Film. Dann berührten sich unsere Finger. Erst schreckten sie zurück, aber nicht weit. Unsere Köpfe blickten weiter auf den Horizont hinaus, aber unsere Hände fanden sich wieder, berührten sich und hielten plötzlich einander. Mein Herz klopfte dabei genauso wie jetzt.
Ich bewegte meine Lippen und Tom merkte, dass ich etwas sagen wollte, aber ich bekam nichts heraus. Er lehnte sich zurück. Er bestand darauf, dass ich es ihm erzählte. Aber unsere Vorstellungen davon, was den "es", was denn die Begebenheit war, konnten nicht verschiedener sein. Aber davon wusste er nichts. Und so sehr mich drängte und ich ihn hätte hinauswerfen wollen aus meinem Zimmer, so sehr drängte es mich auch, mich ihm anzuvertrauen, ihm alles zu sagen. Ich hatte Angst. Ich war allein. Mit wem sollte ich den sonst reden? Ich wusste ja selbst noch nicht einmal wirklich, was mit mir los was. Wäre es dort ein "er" gewesen, wäre es mir leichter gefallen, darüber zu reden? Ich musste eine Entscheidung treffen: Schweigen, alles in mich hineinfressen, mich selbst enttäuschen. Das alles eine Geheimnis lassend, und dann noch das Vertrauen zu meinem Bruder, der fast schon unnatürlich unterstützend war, zu schädigen. Oder ich würde es ihm sagen. Und dann würde er mir helfen. Bestimmt. Dann hätte ich einen Verbündeten. Los Magda. Los, du...

"Wenn du nicht willst, ist ok. Ich will dich zu nichts zwingen...", fing er schon an, da enthuschte mir ein Wort, ein magisches Wort für mich:

"Sie."

Er schaute mich an und obwohl ich meinen Blick zum Boden gerichtet hatte, bemerkte ich, dass er mehrmals die Stirn runzelte und sich sein Lippen zu einem Lächeln formten.

"Sie? Also eine Griechin?", fragte er vorsichtig, aber sich scheinbar freuend.

"Ne. Also...'sie' schon. Aber von hier. Aus Hamburg", antwortete ich langsam.

"Schau mich mal an!", rief Tom plötzlich zu mir.

Ich schaute hoch und sah ihn mit ausgebreiteten Armen. Er war groß, aber ich war auch nicht gerade klein und nach einem kurzen "Na, komm schon her Schwesterlein" lag ich ihn seinen Armen und mir flossen ein paar Tränen über die Wangen. Er gab mir ein Taschentuch und wir setzten uns nebeneinander aufs Bett.

"Magda, ich will, dass du das nie vergisst: Du musst dich für nichts schämen, ok?"

Ich sah ihn an.

"Egal, wer du bist und wen du liebst, du bleibst immer du und niemand hat ein Recht dich danach zu beurteilen!"

Meine Unsicherheit verschwand und ich begann zu glucksen, wieder kamen mir Tränen.

"Danke", sagte ich ihm, während ich wieder mein Gesicht abwusch und danach schnäuzte.

"Tom?"

"Ja?"

"Warum hilfst du mir so?"

"Ach komm, Magda. Du bist mein Schwester und ich dein großer Bruder. Natürlich helfe ich dir, was für ne Frage. Ich will, dass es dir gut geht. Das es dir nicht so geht wie mir."

Ich war überrascht. 'Das es dir nicht so geht wie mir'?

"Warum? Was meinst du?", fragte ich.

"Weißt du Magda, als ich gesagt hab, mir gehts nicht so viel anders wie dir. Da hab ich schon was damit gemeint. Ich wusste lange nicht was mit mir los war. Du weißt ich hatte schon ein paar Freundinnen."

Ich blickte ihn grinsend an. Auf einmal verflogen meine Ängste kurzzeitig.

"Jetzt lach nicht", sagte er lachend zurück, "mit denen hab ichs ernst gemeint. Und ich hab sie geliebt. Naja zumindest 3/4 davon."

Nun mussten wir beide lachen.

"Aber da war halt noch mehr", fuhr er fort.

"Ich steh auf Frauen und ich es gibt welche, die ich geliebt hab und lieben kann, aber", er machte kurz eine Pause, "ich steh halt auch auf Männer. Ich bin bi."

Jetzt war ich überrascht und mein Mund öffnete sich leicht. Die ganzen Erinnerungen mit Toms Freundinnen kamen mir in den Sinn, Tanja, Kathi, Mira und noch ein paar, an deren Namen ich mich nicht erinnern konnte. Vor meinem inneren Auge standen sie in einer Schlange zu einem Haus, das aussah wie ein Herz und auf dem 'Tom' stand. Und nun standen hinter den Frauen nun auch Alexander, Jason, Maurice.

"Wer hätte das gedacht", lachte er, "zwei Outings an einem Tag in einem Zimmer."

Ich seufzte erleichtert. Und nun war auch ich frage bedürftig.

"Hast du...dann schon mal was gehabt, mit einem Mann?", fragte ich, nun den Spieß umdrehend.

"Ja, aber mit keinen, die du kennst. Ne warte, doch. Kennst du noch Robert?"

"Was?!", entfuhr es mir ziemlich laut und ich schaute mich um. Aber niemand sonst im Haus schien das bemerkt zu haben.

"Ich seid doch zusammen in der Volleyballmannschaft?"

"Waren. Er ist raus", sagte er bedrückt.

"Wegen dir?"

"Nene. Er macht ein FSJ in Münster. Und das ist halt schon echt weit weg von Freiburg."

Ich nickte.

"Und wie?", wollte ich auf einmal wissen.

"Jetzt bist du ja voll neugierig, kleine Meggi," sagte er und kitzelte mich. Ich musste lachen. Immer wenn es um irgendetwas sehr familiäres ging, nannte er mich 'Meggi'.

"Alles gut", sagte er weiter, "ist ja ok. Ich erzähls dir. Ist ja nicht so, als ob dir sowas fremd wär."

Er zog eine Augenbraue hoch und grinste. Ich wurde rot.

"Danach will ich aber auch deine Geschichte hören, ok?"

Ich blickte ihn an, atmete durch und nickte.

"Naja", fing er an, "war ziemlich spontan. War nach dem Spiel gegen Karlsruhe, hier in Freiburg. Und wir hatten echt hart gespielt, aber knapp verloren. Das war bitter. Aber wir wussten, dass wir gekämpft hatten, deswegen war niemand so richtig down. Wir waren eher ausgelassen. Robert und ich waren die Letzen in der Kabine, weil wir noch das Netz in der Sporthalle abgebaut hatten. Dabei unterhielten wir uns über alles mögliche, die Punkte die wir gemacht hatten, die die wir kassiert hatten, dann kamen wir auf Volleybälle an sich und dann auf Brüste. Diese komischen Gedankengänge manchmal."

Ich pflichtete ihm schweigend aber den Kopf auf und ab bewegend bei.

"Als wir dann in die Kabine gingen und alleine waren, hat er gesagt: "Weißt du Tom, ich mag ja Brüste. Aber halt auch Körper ohne. Ich weiß dass kommt komisch, aber..." und dann schauten wir uns an und küssten uns."

Mit ihn anhimmelnden Augen schaute ich Tom ebenfalls an. Eben noch war ich in Gedanken bei meiner ersten gleichgeschlechtlichen Erfahrung vor ein paar Tagen, meiner ersten Erfahrung mit Liebe überhaupt und bei der Angst, sie nie mit jemand teilen zu können und mich immer verstecken zu müssen und nun sitzt mein großer Bruder vor mir, beliebt bei allen, ein Frauenschwarm und erzählt mir von einem Kuss mit einem Mann, auch noch aus seiner Volleyballmannschaft und gesteht mir, dass er bi ist? Das war so surreal. Noch vor dem Urlaub fühlte ich mich wie ein Kind, wie ein Mädchen, dass glücklich ist mit ihren Eltern und gerne an ihren Rockzipfeln hängt. Und innerhalb von drei Wochen passierte das alles, diese riesige Veränderung. Es schien so unwirklich. Aber es war völlig real und ich fühlte mich immer mehr wie sechzehn, durch die Ereignisse und dieses Gespräch, immer mehr erwachsen werdend.

"Ich bin ganz ehrlich, wir haben uns öfters getroffen und nicht nur geknutscht", sagte er weiter ohne Scheu.

"Jaja, ist ja gut", sagte ich abwinkend.

"Meggi, du bist sechzehn, sowas kann auch bald kommen", warf er ernst ein.

Wo er recht hat, hat er recht, dachte ich mir.

"Außerdem kenn ich genug Frauenkörper, ich kann dir da auch ein paar Tricks zeigen..."

"Jetzt mach mal halblang", entgegnete ich.

"Ja, sorry. Ist ein bisschen mit mir durchgegangen gerade."

Er fuhr sich durch seine Haare.

"Auf jeden Fall kannst du mich alles fragen. Du siehst, ich hab schon einige Erfahrungen gemacht, ich glaub ich versteh dich. Aber jetzt will ich auch deine hören."

"Ok", fing ich an. Ich erzählte ihm von den Nachmittagen und Abenden, an denen wir zusammen auf dem Hügel saßen, während uns der Geruch des Meeres und der Zedern umwehte. Wie wir uns austauschten, uns über die Schule auskotzten und über unsere Musikgeschmäcker redeten. Wie ich ihr die Sterne zeigte und sie von ihrer Liebe zum Klavier spielen schwärmte. Und ich erzählte ihm vom letzten Abend, von den Händen, den Fingern, den Berührungen und wie großartig das für mich war.

"Und dann...als wir die Hände ineinander hielten, haben wir unsere Köpfe gedreht und uns dann...ge...küsst", sagte ich, die letzten Worte zögernd, obwohl längst klar war, das ich genau das zu sagen hatte.

"Ich...ich...es war so...wow...", stammelte ich vor mich hin und war fast wie in Trance mit dem Kopf immer noch unter den Zedern, ihren Atem spürend. Wie sich unsere Zungen berührten, während sich unsere Hände hielten und meine freien Finger ihren nackten Oberschenkel berührten, da ihr kurzes Sommerkleid ihn nicht ganz bedeckte. Und ihre freie Hand, die sich in meine langen schwarzen Haare gruben und meinen Kopf streichelten.

Das erzählte ich Tom nicht, aber ich war mir sicher, dass er sich vorstellen konnte, was während dem Kuss passierte.

"Oh, Meggi, wie cool! Meine Schwester und ihre erste Liebe!", bemerkte er.

"Ich freu mich voll für dich! Ich habt doch hoffentlich Nummern ausgetauscht, oder?"

"Ja, natürlich", antwortete ich in einem Tonfall, dass ich so weltfremd nun auch wieder nicht sei, dass ich das bei sowas vergessen würde.

"Aber warte", fuhr er fort, "du hast gesagt, sie kommt aus Hamburg?"

"Ja, leider", sagte ich und senkte den Kopf.

"Freiburg und Hamburg. Könnt halt nicht weiter auseinander sein", fügte er hinzu.

"Aber du Magda, weißt du was?", fing er an.

Ich schaute erwartungsvoll zu ihm hoch.

"Ich hab ja jetzt bald meinen Führerschein und mein Lover wohnt in Münster. Gut, ich weiß zwar nicht ob wir dann noch zusammen sind, aber ich muss dahin und das klären. Papa hat auch schon gesagt, ich kann das Auto gerne haben um ihn zu besuchen. Er weiß, dass ich mich mit Robert "sehr gut verstehe" und wir zusammen im Volleyballteam waren, aber mehr muss er ja auch nicht wissen", sagte er grinsend.

"Und von Münster ist es auch nicht mehr so weit nach Hamburg. Ich mein, wenn ich schon mal da bin. Beziehungsweise, wenn 'wir' schon mal da sind?"

Mein Mund öffnete sich wieder.

"Was hältst du davon? Nur wir zwei alleine, ohne Eltern, ohne Bruder, nach Münster zu Robert, und dann weiter nach Hamburg zu...", er stoppte.

"Wie heißt sie eigentlich?"

"Verena", sagte ich und nickte heftig zustimmend mit einem so breiten Grinsen, dass mir die Backen weh taten.

"Verena", wiederholte er leise, "ein schöner Name."

"Vielleicht gibts in Hamburg ja Zedern", fügte er mit einem Lächeln hinzu.
 
Hallo MarieNade,

obwohl ich die Idee für die Geschichte nicht schlecht finde, springt für mich die Handlung zu sehr hin und her. Was möchtest du eigentlich erzählen, frage ich mich, eine Liebesgeschichte zwischen zwei Mädchen, das Outing eines Teenagers, dessen Bruder zufällig dasselbe „Problem" hat? Hier ist zuviel Durcheinander und zuviel in die Geschichte hineingemixt und zu ausufernd erzählt. Es würde sich lohnen, sie zu überarbeiten.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 
Hallo @MarieNade

ich schließe mich SilberneDelfine an.

Wenn du überarbeiten möchtest ... Ich hab da noch ein paar Sachen

Sie, die Verena hieß und mir (MIT) der ich sooft es ging in den letzten zwei Wochen unter den Zedern auf dem Hügel saß.
Keep it simple:
Sie, Verena, mit der

sie ... (Leerzeichen, wenn das Wort komplett ist)

Aber da ich nur die aus dem Urlaub in Griechenland kannte und ehrlich gesagt auch nicht so genau betrachtet hatte, nur ihr Geruch und das sie da waren blieb mir stark im Gedächtnis, wusste ich nicht, wie ich eine erkennen sollte.
Musste ich zweimal lesen, sehr umständlich.

betrachtet hatte, nur ihr Geruch (den Geruch betrachtet?)
und das --> und dass ... waren (KOMMA)

"Ich fang schon mal an ok",
an, okay?
oder: an, O. K.?

weiter nach Hamburg zu...",
zu ...

Wünsche dir noch einen tollen Sonntag.
LG, Franklyn Francis
 

MarieNade

Mitglied
Hallo MarieNade,

obwohl ich die Idee für die Geschichte nicht schlecht finde, springt für mich die Handlung zu sehr hin und her. Was möchtest du eigentlich erzählen, frage ich mich, eine Liebesgeschichte zwischen zwei Mädchen, das Outing eines Teenagers, dessen Bruder zufällig dasselbe „Problem" hat? Hier ist zuviel Durcheinander und zuviel in die Geschichte hineingemixt und zu ausufernd erzählt. Es würde sich lohnen, sie zu überarbeiten.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
Hallo Silberne Delfine,

und erst mal danke für deinen Kommentar!
Nun ja, was ich genau erzählen möchte, ist das, was du auf den Punkt gebracht hast, nämlich: " eine Liebesgeschichte zwischen zwei Mädchen, das Outing eines Teenagers, dessen Bruder zufällig dasselbe „Problem" hat?"
Denn es geht ja um Madga und ihre Liebesgeschichte mit einem Mädchen, die zu dem Outing vor dem Bruder führt, durch das Gespräch am Esstisch. Und das Outing von Magda führt dann zum Outing ihres Bruders, Tom, da er ihr beistehen will und ihr somit Unterstützung gibt. Das habe ich extra nacheinander und aufeinander aufbauend strukturiert. Denn das hängt ja alles thematisch zusammen, das ist der rote Faden der Geschichte.
Natürlich wirkt das für mich so, ich hab die Geschichte ja auch geschrieben, das ist mir klar. ;-)
Aber mich würde wirklich interessieren, was für dich "zu durcheinander", "zu hineingemixt" und "zu ausufernd" erzählt ist, denn ich würde deine Kritik gern besser verstehen.

Viele Grüße,
MarieNade
 

MarieNade

Mitglied
Hallo @MarieNade

ich schließe mich SilberneDelfine an.

Wenn du überarbeiten möchtest ... Ich hab da noch ein paar Sachen


Keep it simple:
Sie, Verena, mit der


sie ... (Leerzeichen, wenn das Wort komplett ist)


Musste ich zweimal lesen, sehr umständlich.

betrachtet hatte, nur ihr Geruch (den Geruch betrachtet?)
und das --> und dass ... waren (KOMMA)


an, okay?
oder: an, O. K.?


zu ...

Wünsche dir noch einen tollen Sonntag.
LG, Franklyn Francis
Hallo Frankly Francis,

danke für den Kommentar und die Korrekturen, da werde ich mich drum kümmern! ;-)
Aber auch an dich, da du geschrieben hast, du würdest dich Silberne Delfines Kritik anschließen: Was findest du zu durcheinander? Und wenn, hättest du dazu Vorschläge?
Ich hatte ihr schon geantwortet und im Kommentar etwas dazu erläutert. Vielleicht hilft das schon mal weiter.

Viele Grüße,
MarieNade
 
Hallo MarieNade,

du versuchst, zuviel in eine Kurzgeschichte zu quetschen. Ich fände es besser, sich auf zwei oder drei Personen zu fokussieren und die Geschichte straffer zu strukturieren.

Das hier z. B.:


Ich ging in die Küche, wo schon meine beiden Brüder, mein Vater und meine Mutter am Tisch saßen.

"Magda, trödel nicht immer so rum, sonst wird das Essen noch kalt, bist du da bist. Man soll pünktlich sein", nörgelte meine Mutter. Das tat sie oft. Zwar auch mit meinen Brüdern, aber vor allem bei mir.

"Ach Ilsa, warst du anders?", fragte mein Vater sie.

"Jetzt fall mir nicht in den Rücken, Gregor", entgegnete sie mit einem strengen Blick zurück.

"Ich fang schon mal an ok", gab einer meiner Brüder, Tom, von sich, "sonst wirds noch kalt, Mama."

Er blickte sie an, mit einer Augenbraue hochgezogen, dann streckte sie ihre Zunge heraus. Auch so etwas machte sie öfter.

"Ist ja gut", sagte Tom zurückschreckend.

Auch wenn meine Mutter ständig an mir nörgelte, bewunderte ich sie dennoch. Sie war oft ernst, konnte aber ebenso mit Humor zurückschlagen. Tom war zwei Jahre älter als ich, 18. Er war nicht mit in Griechenland, schon letztes Jahr war er nicht dabei. Ich wusste, dass er Partys feierte, wenn der Rest der Familie im Urlaub war.

"Magda, jetzt bist 16, willst du da wirklich noch mit?", fragte er mich im Winter, als die Urlaubsplanung anstand.

"Ich mag Griechenland. Da ists schön warm und Mama und Papa zahlen mir alles", gab ich ehrlich zurück, auch wenn ich durchaus die Schwächen meiner Argumentation erkannte.

"Ach komm, du bist jetzt alt genug. Wenn du hier bleibst, darfst du mitfeiern. Darfst auch mittrinken, ich sags den beiden auch nicht."

Das Angebot war verlockend und ich weiß nicht, was passiert wäre, hätte ich ja gesagt. Was hätte ich erlebt? Hätte ich mich betrunken, hätte ich was geraucht, hätte ich wen im Arm gehabt oder gar geküsst? Zumindest hätte ich Verena nicht kennengelernt.

"Na dann aber nächste Jahr ok?", fragte er fast schon flehend.

"Ok, ok. Nächstes Jahr bin ich dabei", antwortete ich.

Manchmal fragte ich mich, warum sich Tom so sehr um mich kümmerte. Doch dann dachte ich über mich selbst nach und mir wurde klar warum. Ich war kein typisches Mädchen für das Alter von 16. Ich hatte noch nie einen Freund, trank und rauchte nicht, war nur ein, zweimal auf Partys von Klassenkameraden.
kann alles weg, das ist für die Geschichte völlig unwichtig. Der eine Bruder mit dem Outing reicht, die Eltern und der andere Bruder brauchen gar nicht erwähnt zu werden, zumindest nicht so ausführlich.

Wichtig sind: nicht zu viele Personen, eine straffe Handlung und nicht zu viele Erklärungen.

Denn es geht ja um Madga und ihre Liebesgeschichte mit einem Mädchen, die zu dem Outing vor dem Bruder führt, durch das Gespräch am Esstisch
Was ist dir denn für die Geschichte wichtiger:
- die Liebesgeschichte zwischen den beiden Mädchen
- der Bruder
- die Outings?

Ich würde mir überlegen, was ich davon in den Fokus setzen will und die Geschichte darauf zugeschnitten schreiben.
Natürlich musst du das nicht genauso sehen.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 
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