Hey James,
also da kann ich mich dem allgemeinen Lobgesang gerne anschließen - ich mag die ganz zarte Andeutung an den Goethe-Sang, den Du ja im Klapperthread zitiert hast.

Hier wird also aus dem Blümchen ein Ömchen - schöner Einfall.

Ob der Geheimrat die Idee auch goutiert hätte, da bin ich mir nicht so sicher (ich glaub, der Alte konnte recht humorlos sein, wenn es ihn selbst betraf); aber ich mag das wirklich sehr.
Auch die gegenüber dem Goethegedicht nochmal um eine Überdrehung weiter betriebene, geradezu anakreontische Diminutivballung find ich sehr witzig.
Ein paar minimale Formulierungs-Bedenkungen könnten sich ggf. noch lohnen.
Erstmal eine kleine ausdrucksmäßige Stolperstelle, bei der ich aber kein Gegenmittel weiß und die ich daher eher als "komischen Effekt" verbuchen und stehen lassen würde (oder hat da noch vielleicht noch jemand eine zündende Idee?):
"ein Ömchen weckte meinen Sinn
und meine Lust zu zanken."
=> Diese beiden Zeilen kann man sich als zwei mit und beigeordnete "Sätze" vorstellen (beim zweiten "Satz" ist dann natürlich sowohl das Subjekt als auch das konjugierte Verb eingespart worden oder man kann sich das als ein Haupt-Neben-Satzgefüge vorstellen,
also entweder:
ein Ömchen weckte meinen Sinn
und [dieses Ömchen] [weckte auch] meine Lust zu zanken
oder:
ein Ömchen weckte meinen Sinn [zu zanken] und [auch] meine Lust zu zanken.
In beiden Lesarten ergeben sich gewisse Ausdrucks-Probleme:
Ein abgeschlossener Hauptsatz im Sinn von: "Ein Ömchen weckte meinen Sinn." (das ergäbe sich bei der ersten Lesart) ist zwar grammatisch irgendwie schon vollständig, endet aber inhaltlich etwas abortiv.
Hingegen ist der Ausdruck "Ein Ömchen weckte meinen Sinn zu zanken" (zweite Lesart) zumindest unkonventionell.
Aber wie gesagt, hab hier keine Lösung und es ist wahrscheinlich auch nicht so dringlich reparaturbedürftig. Oder?
Ansonsten:
"Das Mütterchen schien hochbetagt,
doch rege noch im Gange,
da habe ich es dreist gefragt,
ob's noch zum Laufen lange."
=> Hier kommt mir die Formulierung mit "da habe ich es dreist... " noch suboptimal vor. Erstens wiederholt sich das "da" als Zeileneinstieg später nochmal und etwa Abwechslung könnte nicht schaden und zweitens knüpft "da" eine (entweder kausal oder zeitlich) sehr eng an den vorausgehenden Satz an und von der Handlung her ist diese enge Verbindung, des regen Gangbildes mit der dreisten Frage nicht ganz "logisch". Was das Kausale angeht, besteht ja zwischen Gangbild und Frage eher eine Antikausalität ("trotzdem habe ich sie gefragt"). Und wenn man dem Problem aus dem Weg gehen wollte und sich
rein auf die zeitliche Abfolge bezieht, ergibt sich etwa wie: Erst schien das Gangbild rege und dann habe ich dreist gefragt. Aber das Gangbild dürfte auch im Anschluss an die Frage mutmaßlich noch genauso rege erschienen sein und insofern passt auch diese zeitliche Staffelung nicht so perfekt.
Vorschlag:
"doch rege noch im Gange
und neckend hab ich Schelm gefragt,"
Dann hier noch eine Kleinigkeit:
"Es blickte kurz zu mir herauf"
=> Zu jemandem "heraufblicken" ist m. E für ein mitmenschliches Wesen, selbst wenn ein gewisser Größenunterschied besteht, eher stilistisch etwas seltsam.
Er/sie/es blickt "herauf" - da stelle ich mir eher vor, dass besagte(r) Blicker*in am Fuße eines Berges o. ä. steht und der talseitig beigesellte Beobachter (also ich) registriert, wie der Blick mühsam die Baumgrenze überwindet.
Vorschlag:
"Es blickte kurz vom Pfade auf"
Und - gleich geschafft - letzter Punkt:
"So habe ich ihm mitgeteilt:
'Solch Kummer lohnt mitnichten –"
=> "ihm" ist hier natürlich das versächlichte Ömchen/Mütterchen, die (bzw. das) aber in ausgeschriebener Form relativ weit entfernt vom Pronomen steht und zwischen das Mütterchen und das "ihm" drängen sich diverse sächliche oder männliche Hauptwörter, auf die sich rein grammatisch betrachtet das "ihm" auch beziehen könnte. Ich sage damit nicht, dass hier der Sinn unklar oder gar missverständlich wäre, denn inhaltlich ist das Mütterchen das einzige Hauptwort, auf das sich das "ihm" sinnvollerweise beziehen kann. Ich empfinde aber Wendungen, die auch grammatisch keine Mehrdeutigkeiten zulassen (häufig) als etwas klarer und daher schnittiger (wenn in einem Text denn an Klarheit etwas gelegen ist).
Vorschlag:
"Ich hab der Alten mitgeteilt:"
oder (wenn die Alte zu barsch erscheint):
"Ich der Greisin mitgeteilt:"
Uff. Geschafft! Und neben diesen ganzen Kleinigkeiten hab ich absolut keine großen Beanstandungspunkte gefunden. Also: Freude, Freude, Freude!
LG!
S.
P.S.:
Sterne-mäßig würd ich dennoch ganz unbenommen von allem Obigen einen ganz subjektiven Kleinst-Abzug vornehmen, weil für meine persönlichen Lesebedürfnisse der Text bei gleichem "Gehalt" etwas kürzer hätte ausfallen dürfen; aber vier Sterne meint bei mir: Piffpaff - prima Schreibe!