Unvergessen - Kapitel 2: Geschwisterliebe

Kunstbanause

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Draußen schüttet es immer noch wie aus Badewannen, aber es ist sehr viel wärmer, als in diesen kahlen Gemäuern, in denen Katia derzeit verweilen muss. Der Stadtpark liegt nicht unweit des Untersuchungsgefängnisses, mit meinem Smart bin ich in fünf Minuten dort angekommen.

Auf einer hölzernen Parkbank sitzt ein Mädchen, das einen durchsichtigen Regenschirm mit bunten Blumenmustern hält. Sie trägt Jeans, eine offene lila Sweatshirt-Jacke, darunter ein schwarz-weiß gestreiftes T-Shirt. Ihr langes blondes Haar ist zu einem Zopf gebunden, welcher ihr bis zur Hüfte reicht.
Als ich vor dem Parkeingang halte, steht sie abrupt auf und rennt auf mich zu, wobei ihre weißen Sneakers durch die Schlammpfützen in Mitleidenschaft gezogen werden. Außer ihren braunen Augen hat sie nicht sehr viel Ähnlichkeit mit ihrer Schwester, denn Luna ist weder dick noch klein. Sie pfeffert die rechte Autotür zu.

"Tut mir leid, dass es so-"
"Wie geht es meiner Schwester!?" Aus der Nähe betrachtet ähnelt sie Frau Neverknow plötzlich sehr viel mehr, denn auch ihr stehen Müdigkeit und Verzweiflung ins Gesicht geschrieben.
"Also ich glau-"
"Was denken Sie? Wie hoch sind ihre Chancen morgen frei gesprochen zu werden?"
"Wow, wow, wow. Ganz langsam meine Liebe." Lächelnd lege ich meine Hände auf ihre Schultern.
"Katia geht es den Umständen entsprechend gut." Ich will sie nicht unnötig beunruhigen, also erspare ich ihr besser die Details, vor allem was Schminke angeht. "Es bringt nichts zu lügen, momentan scheint ein Freispruch in weiter Ferne. Die Polizei ist von ihrer Schuld überzeugt."
"Oh, verstehe." Bedrückt wendet Luna sich von mir ab und betrachtet die Regentropfen auf der Windschutzscheibe, wie sie langsam aber stetig hinab gleiten. "Das dachte ich mir bereits."
"Keine Sorge, noch ist alles offen." Es tut mir in der Seele weh, sie so enttäuscht zu sehen. Ich möchte sie aufheitern.
"Ich werde jetzt den Tatort untersuchen. Es gibt in diesem Fall einfach zu viele Ungereimtheiten, als dass bereits ein Urteil gefällt werden könnte, weshalb ich mir sicher bin, dass die Polizei etwas übersehen hat. Und genau dort", ich starte den Motor, "führst du mich jetzt hin, in Ordnung?"
Ein Grinsen macht sich auf ihrem zarten Gesicht breit. Mit einem Mal wirkt sie motiviert. "Natürlich, Sie können auf mich zählen!"

Wir fahren durch die gefluteten Straßen Frankfurts, vorbei an Hochhäusern, auf dem Weg zu der von Luna beschriebenen Adresse. Ich möchte gerne mehr über sie erfahren.
"Wie alt bist du eigentlich?"
"Ich bin 16."
"Du gehst noch zur Schule, oder?"
"Ja, in die 11. Klasse."
"Bist du gut?" Herausfordernd hebe ich eine Augenbraue.
"Nun, ich würde nicht sagen, dass ich schlecht bin."
Ich muss lachen. "Du klingst ganz schön selbstbewusst. Weißt du schon, was du mal werden willst?"
"Nein... leider nicht. Das muss ich erst noch herausfinden, schätze ich."
"Naja du hast ja noch etwas Zeit." Drohend hebe ich einen Finger. "Aber versprich mir, dass du dir rechtzeitig etwas einfallen lässt!"
"Versprochen."

Für eine Weile herrscht Stille. Nur das Rauschen der Autos, die durch Pfützen flitzen, ist zu vernehmen. Inzwischen sehe ich weniger Wolkenkratzer und mehr Wohnhäuser.
"Luna, warum hast du gerade mich um Hilfe gebeten?", möchte ich wissen. "Wie kommst du auf mich? Es gibt zahlreiche Anwälte und weit bekanntere als mich in dieser Stadt."
Luna zögert, dann sagt sie: "Ich habe sämtliche Rechtsanwälte der Stadt abgeklappert. Doch Niemand sah eine Chance für Katia oder nahm mich einfach nicht ernst, was ich irgendwie verstehen kann."
Ich bin erstaunt über den Aufwand, den Luna betrieben hat. "Du und Katia steht euch wohl sehr nahe", stelle ich fest.
"Das stimmt. Ich würde alles für meine Schwester tun."
Mit ernster Miene starrt sie aus dem Seitenfenster. "Niemals könnte sie jemanden verletzen. Ich weiß, dass sie ein guter Mensch ist."
"Das glaube ich auch. Ist das das Haus?" Ich deute auf ein großes, weißes Gebäude. Luna folgt meinem Finger. "Ja, wir sind da."
"Sieht aber sehr luxuriös aus." Vor dem Anwesen erheben sich mächtige tiefgrüne Hecken. Lediglich durch ein silbernes Gartentor mit verschnörkeltem Rosenmuster gelangt man auf das Grundstück, auf dem Springbrunnen und kunterbunte Flora aller Art gerade zu aus dem Boden zu sprießen scheinen. Die Neverknows sind wohl ziemlich gut betucht.

Ich parke an der gegenüberliegenden Straßenseite, die Auffahrt ist voll mit Polizeiwagen. Aus dem Haus gehen ständig Polizisten hektisch ein und aus.
"Willst du wirklich mitkommen? Ich weiß nicht, ob das etwas für kleine Schulmädchen wie dich ist." Luna plustert empört ihre Backen auf.
"Pff, na hören Sie mal! Natürlich komme ich mit. Ich will meiner Schwester auf jeden Fall helfen!"
"Haha, das dachte ich mir schon. Also gut, dann wollen wir mal."
 

jon

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Teammitglied
Eine 16-Jährige engagiert eine Anwältin???

Wenn Luna so lange suchte, also Katia schon ein Weilchenin Haft sitzt, warum gab es da bisher keinen Pflichtverteidiger?

Nicht die Polizei muss überzeugt sein, die Staatsanwaltschaft muss es sein und zwar muss sie zudem auch die Beweise für ausreichend halten.

Wieso spielt Yuri sich als Mutter-Ersatz (ein Du-Du beim Thema Berufswahl?) auf? Was ist mit Lunas Eltern? Wieso fragt Yuri jetzt erst nach dem Grund für ihr Engagiertwerden?

Wieso herrscht jetzt noch – ein Tag vor Prozessbeginn – so hektische Betriebsamkeit am Tatort?? Und wieso ist das so normal, dass Yuri sich nicht im Mindesten wundert???
 



 
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