Unvergessen - Kapitel 9: Pommes-Schranke

Kunstbanause

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Je mehr die Dämmerung voranschreitet, desto heller wirken die roten und grünen Verkehrslichter, welche auf meinem Armaturenbrett glitzern. Justin hat sich wieder gefasst und die Polizisten beordert, das Sofa zu inspizieren. Ohne zu zögern hat er mich und meine Assistentin aus dem Anwesen gedrängt, um die polizeilichen Ermittlungen nicht zu stören. Ich will Luna nach Hause fahren, da es leider nicht möglich gewesen ist, Katia heute noch zu sprechen.

"Das war ziemlich beeindruckend Yuri. Woher hast du das nur gewusst?"
"Ach, ich hatte einfach nur Glück. Und auf die Idee hast du mich doch gebracht, schon vergessen? Ich bin viel eher von dir beeindruckt. Hast du mal in Erwägung gezogen, Jura zu studieren? Du könntest wirklich meine Assistentin werden." Obwohl solch detektivische Fähigkeiten ehrlich gesagt wenig mit dem Beruf eines Anwalts gemein haben...
"Oh, ich weiß nicht. Meinst du, ich hätte das Zeug dazu?"
"Na klar! Du bist klug, optimistisch und ausdauernd. Du wärst eine Spitzenanwältin." Luna wird rot und starrt beschämt auf die Fußmatte unter ihren Schuhen. "I-Ich werde mal darüber nachdenken."
"Tu das."
Es herrscht kurz Stille, ich vernehme eine Hupe aus der Ferne. "Herr Sunsweet sah ziemlich geschockt aus", wechselt Luna das Thema.
"Haha, ja, so wie ich ihn kenne, ärgert er sich bestimmt gerade, nicht selbst darauf gekommen zu sein."
"Jetzt sag' schon." Sie beugt sich unangenehm nahe zu meinem Gesicht und beäugt mich kritisch. "Woher kennst du ihn? Wie habt ihr euch kennengelernt?"

"Ich blicke herausfordernd in den Rückspiegel. "Du lässt nicht locker was? Hatten wir nicht eine Abmachung? Erst wenn deine Schwester freigesprochen wurde." Stöhnend lässt sie sich in den Autositz fallen. "Ach komm schon! Immerhin hast du durch meinen Hinweis die Mordwaffe entdeckt!" Zugegebenermaßen ist es mir etwas unangenehm, aber ich denke sie hat recht.
"Also gut. Ich will mal nicht so sein. Ich sage nur: Pommes."
Luna setzt sich abrupt auf, ihre verwirrte Miene lässt mich schmunzeln. "Hä? Wie Pommes? Ihr habt euch bei einer Pommesbude kennengelernt?"
"Haha, ja. Ich hatte noch etwas Zeit vor der nächsten Vorlesung und bin mit dem Fahrrad zu einem Imbissstand in der Nähe der Uni gefahren. An diesem Tag waren viele Studenten dort, aber nur einer hatte ebenfalls eine Pommes-Schranke bestellt."
"Pommes-Schranke?" Ungläubig runzle ich die Stirn. Ist dieses Mädchen denn noch nie in den unvergleichlichen Genuss einer Schranke gekommen!?
"Du weißt schon, mit Mayo und Ketschup, rot-weiß eben."
"Und dieser Jemand war Herr Sunsweet?"
"Haha, genau. So sind wir ins Gespräch gekommen. Seitdem war rot-weiß so etwas wie unsere persönliche Farbe. Nicht sehr romantisch, was?" Luna zieht enttäuscht eine Schnute, während sie ihren rechten Ellenbogen am Fenster abstützt und mit der Hand ihren Kopf hält. "Naja, ich habe mir das schon etwas... romantischer vorgestellt. Aber es ist okay."
"Ja, Justin war auch nie ein Romantiker gewesen. Doch gerade deshalb habe ich ihn ja auch so gemocht, wir waren schon ziemlich verliebt während unseres Studiums. Und wir haben uns nicht ausschließlich von Pommes ernährt, falls du das jetzt denkst!", füge ich schnell hinzu.
"Ihr wart verliebt? Was ist denn passiert, damit ihr euch getrennt habt?"
"Hey, langsam mit den jungen Pferden. Schon vergessen? Ich bin eine Anwältin, also musst du mit mir verhandeln." Jetzt ist die Gelegenheit! "Info gegen Info, sage ich nur." Verdutzt sieht mich Luna an.

"Hä? Aber was willst du denn wissen? Ich habe dir nichts verschwiegen."
"Oho, sehr gerissen junge Dame, aber ich habe dich durchschaut. Als ich dich zum ersten Mal traf und dich gefragt habe, wie du bei allen Anwälten Frankfurts auf mich kommst, hast du vor deiner Antwort kurz gezögert. Und vorhin im Gespräch mit Justin habe ich genau gesehen, welchen Blick er dir zugeworfen hat. Etwa wie 'Du hältst dicht, kapiert?' Also sag' schon, was du zu verbergen hast." Rasch schaut sie aus dem Fenster, doch ihr überraschtes Gesicht spiegelt sich darin.
"Mein Gott, du hast ja eine unheimliche Beobachtungsgabe. Schön, ich gebe es zu. Ich habe mich nicht durch Zufall an dich gewendet. Ich musste Justin versprechen, nichts zu sagen." Aha! Also doch! Dabei habe ich in Wahrheit nur eine Vermutung gehabt. Manchmal lohnt es sich einfach zu bluffen.
"Lass mich raten: Justin hat dir gesagt, dass du zu mir kommen sollst?" Sie wendet sich mir wieder zu.
"Richtig. Nachdem meine Schwester festgenommen wurde, wollte ich sofort alle möglichen Anwälte für sie abklappern. Aber ich musste gar nicht erst suchen, Herr Sunsweet kam auf mich zu und sagte, ich sollte mich unbedingt an eine Frau Starling wenden. Sie wäre die beste Anwältin, die er kenne. Im Gegenzug für seinen Rat wollte er mein Versprechen, dass ich dir nichts erzähle. Inzwischen habe ich auch verstanden, warum er nicht wollte, dass du es weißt... hihi."
Justin, du kleiner Schlingel! Unfassbar... Hat er sich deshalb hierher versetzen lassen? Weil er mich zurück will? Etwa weil er mich... noch liebt?
Mein Herz setzt kurz aus. Aber was denkt er sich dabei? Weiß er nicht, dass ich jetzt mit Robin zusammen bin?
"Also gut, jetzt bist du dran!" Meine Liebesgedanken verflüchtigen sich rapide. "Wie seid ihr auseinander gekommen? Ihr harmoniert doch so gut!"
"Wie? Ach so, das. Tut mir leid Luna, aber das muss warten."
"Was?" Empört schießt sie in die Höhe, doch ihr Gurt bremst sie unsanft aus. "Warum denn das? Ich habe dir doch deine Information gegeben!"
"Richtig und dafür bin ich dir auch dankbar. Aber wir sind jetzt da." Zum Glück, sonst wäre es noch unangenehmer geworden. "Ein andermal okay?" Ich halte vor Lunas Haus.
"Na schön." Sie steigt aus dem Wagen. "Aber ohne Gegenleistung!"
"Versprochen", lache ich. Drohend hebt sie den Finger und wirft mir einen ermahnenden Blick zu. "Ich nehme dich beim Wort!" Dann schlägt sie die Autotür zu, ich höre sie nur noch stumpf kichern. "Pommesbude, unglaublich."
 



 
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