(v)erkannt

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Walther

Mitglied
(v)erkannt


der mensch vergleicht sich gern mit göttern statt
mit tieren denkt er wäre aus der herren
der ober klasse spiegel die verzerren
hat er um sich gestellt geschliffen hat
sie der der mit dem bocks bein hinkt der schwefelt
der eine stimme hat wie samt & seim
& honig süßes träufelt das als leim
an den sich heftet der im handeln frevelt
da geht der mensch & eilt zum ende
der herr der ding der sich im himmel wähnt
nur blend werk falscher träume in der hand
er hofft es gibt für reue eine wende
& sieht dann wie der teufel listig gähnt
jetzt fällt die maske er hat sich erkannt
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Gedicht hat eine interessante Struktur. Ich habe es schon mehrmals gelesen.

Es vereint drei Strukturen:
1. die globale Struktur des Sonetts. (14 Verse, Reimstruktur, Rhythmik, inhaltliche Struktur.)
2. Versstruktur: diese wird durch die Zäsuren am Zeilenende bestimmt - und durch die oben bereits genannte Rhythmik.

3. Eine Zeilenübergreifende lokale überlappende Satzstruktur, diese ist selten verwendet und zwei- oder mehrdeutig. Sie durchbricht zugleich den Aufbau und bringt mehrere Gedichte in einem unter.

Die Satzstruktur ist nicht gekennzeichnet und die Wörter sind gebrochen.

1. Teil:
Lesarten:

der mensch vergleicht sich gern mit göttern statt mit tieren
denkt er wäre
aus der herren der ober klasse spiegel
die verzerren
hat er um sich gestellt


der mensch vergleicht sich gern
mit göttern statt mit tieren denkt er wäre aus der herren
der ober klasse
spiegel die verzerren
hat er um sich gestellt
geschliffen ...

Während des Lesens kippt das Gedicht, dass sich zugleich in sich spiegelt, wie der Spiegel meiner Mutter, der zwei Flügel hat und ein Mittelteil, wenn man hineinschaut, wird man vielfach reflektiert.

Und zum Schluss spiegelt sich der Herr im Teufel ...und hat sich erkannt.

Und der Mensch.
 

Walther

Mitglied
(v)erkannt


der mensch vergleicht sich gern mit göttern statt
mit tieren denkt er wäre aus der herren
der ober klasse spiegel die verzerren
hat er um sich gestellt geschliffen hat
sie der der mit dem bocks bein hinkt der schwefelt
der eine stimme hat wie samt & seim
& honig süßes träufelt das als leim
an den sich heftet der im handeln frevelt
da geht der mensch & eilt schnur stracks zum ende
der herr der ding der sich im himmel wähnt
nur blend werk falscher träume in der hand
er hofft es gibt für reue eine wende
& sieht dann wie der teufel listig gähnt
jetzt fällt die maske er hat sich erkannt
 

Walther

Mitglied
hi bernd,

danke für deine ausführliche widmung mit diesem gedicht. ich habe eine zeitlang eher ungewöhnliche gedichte in die lupe gestellt, auch sonette sind darunter. leider scheine ich damit den geschmack der leserschaft nicht zu treffen. kann man nichts machen. :(

es geht dabei darum, mehrere ziele zu erreichen:

(1) die sprache in die form fließen zu lassen, so daß am ende die form faktisch einfach "da" ist, aber nicht den sprachfluß dominiert
(2) durch die worttrennung eine ambivalenz zu schaffen, die weitere bedeutungsräume erschließt und den leser zum langsamen und nachdenklichen lesen anstiftet
(3) durch den widerspruch zwischen quasi "alter sprach- und bilderwelt" mit neuer form und überraschendem ende der form einen modernen inhalt zu geben

letztlich soll also - neben der message oder der moral von der geschicht - auch noch weiteres durch form und gedankenstränge erreicht werden. du hast vieles davon dankenswerterweise ans licht gehoben.

in diesem sinne danke ich dir, werde aber wohl aufhören, weiterhin solche texte in der lupe außerhalb des "experimentellen" zu posten.

lg w.
 



 
Oben Unten