Ich bin interessiert an einer Detailanalyse. Du kannst auch gern einen der Verse umschreiben,
um mir ein Beispiel vor Augen zu führen.
Hey Heinrich!
Ah - das freut mich! Bei der LeLu wird Textarbeit ja groß geschrieben (wie sich das DWDS-gemäß gehört).

Ich fang mal mit der ersten Strophe an, dann merkst Du auch, ob Dir der Input irgendwas bringt und wir können dann entweder weitermachen oder es gut sein lassen.
Deine Original-Fassung:
Geboren in die Welt hinein,
die Jugend lacht uns an.
Existenz ist auserkoren,
Freude, dass man leben kann.
Die ersten Zeile find ich ganz schön; "in etwas hineingeboren werden" ist eine Formulierung, die ganz gut ausdrückt, dass das Leben etwas ist, das uns passiert und wir weniger Spiel-Räume in den Lebensnotwendigkeiten haben als uns lieb sein kein. Diese erste Zeile gibt darüber hinaus schon so einiges Formales vor: Es ist ein ganz regelmäßig gebauter vierhebiger Jambus und somit erwartet man nach dem Lesen dieser Zeile, dass es entweder in dieser Art irgendwie weiter geht oder zumindest mögliche metrische Irregularitäten irgend eine "Bedeutung" im Gedichtkontext haben.
Die nächste Zeile unterstreicht den formalen Aspekt, weil auch diese Zeile metrisch klar alternierend gebaut ist, allerdings mit einem dreihebigen Jambus gegenüber dem vierhebigen der ersten Zeile. Jetzt erwarte ich, dass diese Regel im Fortgang mehr oder weniger "durchgezogen" wird, also abwechselnd vier- und dreihebige Jamben, was allerdings, damit dies gelingt, dem Verfasser einiges an Schreiberfahrung oder angeborenem Talent abverlangt. Ich würde empfehlen, die formale Hürde nicht ganz so hoch zu legen und vielleicht eher mit durchgängig vierhebigen Jamben mein Glück zu versuchen (ggf. plus kleinere Variationen, wenn man will).
Was mich an Zeile zwei inhaltlich stört, ist die etwas platte Sichtweise auf die "anlachende Jugend"; das ist schon sehr schematisch gedacht. Vorredner*innen haben hier inhaltlichen Protest eingelegt (und ich habe ja schon drauf hingewiesen, dass der mehr oder auch weniger latente "Belehrungston" des Gedichts ein mitdenkendes Lese-Gemüt zu Protest einlädt). Die Jugend ist, bereits mit dem Geburtstrauma angefangen, eine Kette von Frustrationen und Grenzerfahrungen und daher keineswegs so rosarot eingefärbt. Erst im Rückblick kann es passieren, dass ein lächelndes Alters-Ego (sic) die Dramen der Jugend als recht belanglos einstuft angesichts der existenziellen Anfechtungen die das "Alter" dann mit sich bringt. Diese mögliche Sichtweise von der Warte des Lebensherbstes ist aber, naja, ein bisschen simpel und platt.
Jetzt kann ich natürlich schlecht inhaltliche Vorschläge machen, ohne Dein Gedicht komplett zu "kapern"; ich mach das mal trotzdem zur Veranschaulichung, aber von diesen inhaltlichen Vorschlägen kannst Du Dich ja gerne abstoßen, wie der Schwimmer vom Beckenrand.
Geboren in die Welt hinein:
Die Jugend lacht uns aus und an.
Jetzt ist die Zeile 2 auch vierhebig wie die erste und die Jugend ist jetzt eine etwas zwiespältigere Angelegenheit geworden, was beim Lesen (womöglich) Denkräume eröffnet.
Die dritte Zeile ist jetzt die erste, die metrisch (und rhythmisch) völlig aus dem Rahmen fällt. Diese Zeile kann man eigentlich gar nicht "melodisch" lesen und sie wirkt ganz und gar Prosa-artig.
Und sprachlich ist dieses "auserkoren" meines Erachtens irgendwie "drüber"; das klingt für mich im Vergleich zu den sonstigen Sprachebenen gestelzt und unnötig gravitätisch.
Außerdem ist es inhaltlich ein Widerspruch zur Grundhaltung des Gedichts und ergibt auch keinen wirklichen Sinn. "Auserkoren" meint so viel wie "auserwählt" - aber wer soll den (wessen) Existenz auserwählen? Wenn hier irgend ein Existenzialphilosophischer oder religiöser Gedanke anmoderiert werden soll, dann müsste der deutlich besser und differenzierter "rübergebracht" werden, um hier nicht dem Vorwurf von "Schlagwort-artigem Gerede" und "viel heißer Luft" Tür und Tor zu öffnen.
Da ich an dem Punkt inhaltlich etwas ratlos bin, was Du uns eigentlich mitteilen möchtest, springe ich mal zur vierten Zeile und versuche dann vor der vierten Zeile nochmal rückwärts springend einen Inhalt für die dritte Zeile zu finden.
Also "Freude, dass man leben kann". Hm. Eigentlich sind wir in der ersten Strophe ja noch beim Thema Jugend und da passt diese altersweise "Freude, dass man (noch) leben kann" irgendwie überhaupt nicht. In der Licht-und-Schatten-reichen Zeit jugendlicher Entwicklungssprünge gibt es sicher auch allerlei Freuden, aber eine so basale wie die, dass man überhaupt am Leben ist, gehört hier nicht so richtig hin.
Und um zurück zum Thema Metrum zu hüpfen: Jetzt ist das Metrum ein regelhaft gebauter vierhebiger Trochäus. Also nochmal eine andere Hausnummer nach dem vierhebigen Jambus (Zeile 1), dem dreihebigen Jambus (Zeile 2) und dem völlig "ungebundenen" Duktus der Zeile 3.
Natürlich ist es auch bei einem Endreimgedicht statthaft, auf ein regelhaftes Versmaß zu pfeifen, aber ich würde mich doch irgendwie um eine Art "Rhythmizität" im weitesten Sinn bemühen. Und wenn keine klassische Sanglichkeit angestrebt wird, dann könnte man irgend eine andere formale Regel beherzigen. Du könntest z. B. eine Zeitreise vor den Beginn der "üblichen" neuzeitlichen Poetik unternehmen und das Gedicht in Form klassischer Knittelverse verfassen, dann wirkt es natürlich irgendwie auf eine sperrige Weise "volkstümlich" - musst Du wissen, ob Du so was willst. Oder Du baust längere rhythmische Bögen, die über die Einzelzeile hinausweisen. Oder Du setzt auf das Prinzip der Füllungsfreiheit. Viele Möglichkeiten - und vielleicht deutet sich jetzt an, dass auf der handwerklichen Seite einiges an Theorie im Hintergrund "dräut", die man natürlich leichtsinnig ignorieren kann, deren Missachtung aber häufig zu sehr "anfängerhaft" wirkenden Gedichten führt.
Ich bleibe jetzt bei meinen Vorschlägen mal bei einem (mehr oder weniger) durchgängigen vierhebigen Jambus (ich habe die metrische Stringenz dabei leicht aufgeraut, weil es mir angesichts Deiner Zeilen so vorkommt, als ob Dir nicht an einem gleichmäßigen Metrum gelegen ist).
Und ich versuche der letzten Zeile mal den "Alterston" auszutreiben und dann einen möglichen Anschluss von der dritten Zeile her zu finden.
Nochmal: Das ist kein verbindlicher Vorschlag (wäre ja noch schöner) - nur ein Startpunkt für weiterführende Überlegungen.
Geboren in die Welt hinein:
Die Jugend lacht uns aus und an.
Im Proberaum der Existenz
aufs Spiel gesetzt. Wer kann, der kann!
Die konkreten Formulierungen werden Dir jetzt eher im Weg stehen. "Proberaum der Existenz" solltest Du auf keinen Fall einfach übernehmen, dann ist es nicht mehr Dein Gedicht. Aber die Wendung zeigt an, dass vielleicht der ein oder andere bildliche Ausdruck nicht schaden könnte (bei meinem Beispiel ist es eine klassische Genitivmetapher, ein recht altmodisches, aber immer noch genutztes Mittel uneigentlichen Redens in der Lyrik).
Außerdem habe ich den "Satz" der dritten Zeile über die Zeilengrenze in die vierte Zeile weiterlaufen lassen (by the way: es ist ja als reine Partizipialkonstruktion kein wirklich vollständiger Satz - aber in Gedichten ist sowas "erlaubt") - solche Formulierungen, die über Zeilengrenzen hinweglaufen, machen ein Gedicht flüssiger und in gewisser Weise "eingängiger". Eine häufige Konsequenz solcher sogenannter "Enjambements" (siehe Wikipedia) ist, dass in einer Folgezeile ein Punkt mitten in der Zeile auftaucht, so wie auch hier im Beispiel in Zeile 4. Solche Punkte sind rhythmische Weckrufe, weil sie zu einer kleinen Sprechpause mitten in der Zeile einladen und das wirkt so wie bei der Bereitung eines Eintopfs die Hinzufügung einiger Chiliflöckchen: Bringt ein bisschen Leben in die Bude.
LG!
S.