Vergeblich - aber nicht umsonst

Zeder

Administrator
Teammitglied
Vergeblich - aber nicht umsonst
(oder: Sanitärstraße Ecke Ausbaustraße)

„Schatzi, meinst Du, dass wir wirklich die rote Haustürklinke bestellen sollen? Ich denke, der Verkäufer hat Recht, wenn er sagt, dass die braune sich harmonischer in unsere Fassade einfügt!“
Die stoische Ruhe des Verkäufers am Infostand des Baumarktes war bewundernswert. Er wandte seinen Blick nicht von dem Pärchen, das – der Mann mit einem schlafenden Baby im Tragetuch - über die Farbe der anzuschaffenden Türklinke diskutierte.
Das dahinter stehende typisch deutsche Ein-Hund-Ehepaar ignorierte er vollkommen.
„Hallo, Sie, Herr Verkäufer, ich wollte nur mal wissen, wann ich endlich dran komme. Ich warte schon seit zehn Minuten, das ist verdammt lange!“ Und – zu seiner Frau gewandt – fügte der Mann hinzu: „Schließlich habe ich noch Wichtigeres zu tun, nicht wahr!“
„Soll ich jetzt den Bestellzettel für die braune Türklinke schreiben? Oder für die rote?“
Das Baby machte die Augen auf.

„Ja, Du hast Recht, Liebling, ich denke, wir nehmen die braune Türklinke. Oder doch lieber die rote?“
„Schade, Schatzi, dass der Akku von deinem Handy leer ist, sonst könnten wir Mama noch schnell anrufen.“
„Hören Sie, Herr Verkäufer, wenn die zwei wissen, was sie wollen, können sie ja wiederkommen.“ Und zu seiner Frau: „Jetzt bin ich dran!“
Der Mann, der zum zweiten Mal laut und eindringlich seinen Willen äußerte, fixierte den Verkäufer mit drohendem Blick. Sein Hund, ein Pudel, der bis dahin ruhig zwischen ihm und seiner Frau gesessen hatte, sprang auf und wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz.
Das Baby fing an zu weinen.
„Liebling, Mama würde auch die braune Türklinke nehmen. Schließlich ist ihre Haustürklinke auch braun.“
„Gut“, sagte Herr Ich-bin-die-Ruhe-in-Person-Verkäufer, „dann brauche ich jetzt Ihren Namen, Adresse und Telefon.“
„Meinen Namen?“
„Ja, Schatzi, Deinen Namen.“
„Ach so, natürlich. Ich buchstabiere: P e t e r“.

Gong – gong – gong.
“Achtung, eine Durchsage. Es ist jetzt 15.45 Uhr. Unser Baumarkt schließt in fünfzehn Minuten.“
Gong – gong – gong.

„Ich will jetzt sofort bedient werden. Sofort!“
Das Baby brüllte.
Der Hund schnupperte intensiv an dem Hosenbein des Vaters.
„Könnten Sie mir jetzt noch Ihre Telefonnummer geben?“
„Ja... welche denn? Meine oder Deine, Liebling?“
„Am besten meine, Schatzi. Ich bin doch den ganzen Tag zu Hause.“
„Gut, das ist dann...ach, Mäuschen, warum schreist Du denn so laut? Ich kann ja mein eigenes Wort nicht mehr verstehen! Papa singt mal was, ja? Kommt ein Vogel geflogen....“
„Ähm, Ihre Telefonnummer?“, fragte Herr Mich-kann-nichts-erschüttern-Verkäufer.

„Entweder werde ich jetzt sofort bedient – oder ich beschwere mich bei der Geschäftsleitung!“ Zu seiner Frau: „Das ist hier ja das reinste Irrenhaus!“
Das Baby brüllte immer noch.
Der Hund saß wieder zwischen Herrchen und Frauchen. Auf dem unteren Hosenbein des Vaters war ein größerer dunkler Fleck erkennbar. Sein Ende zierte eine Pfütze auf dem Fußboden.
„Gib mir mal die Kleine, Liebling, und sag dem Herrn Verkäufer meine Telefonnummer, wir müssen nach Hause, unser Mäuschen hat Hunger.“
Der wütende Mann atmete hörbar auf. Der Hund fing an zu knurren.
„Ruhig, Max, wir sind jetzt gleich dran“, sagte er zu ihm, bückte sich und zupfte die rote Schleife zurecht, die den Kopf des Pudels zierte. Sein Blick fiel zufällig auf das nasse Hosenbein des Vaters und die darunter befindliche Pfütze. Dann – nachdenklich – zurück auf seinen Hund, dann auf seine Frau.

Gong – gong – gong.
“Achtung, eine Durchsage. Es ist jetzt 15.55 Uhr. Unser Baumarkt schließt in fünf Minuten. Bitte gehen sie zügig zu den Kassen und Ausgängen. Wir wünschen Ihnen ein schönes Wochenende.“
Gong – gong – gong.

“Wie kann ich Ihnen helfen?”
Herr In-fünf-Minuten-ist-alles-vorbei-Verkäufer schaute mich mit gelangweilten Augen an.
„Wieso mir?“ stammelte ich erschrocken, soeben bemerkend, dass der Film anscheinend zu Ende war, aber die Schauspieler vergessen hatten sich zu verabschieden.
„Weil Sie hier alleine vor mir stehen.“
Schatzi, Liebling und Mäuschen mit dem Bestellzettel für eine braune, harmonisch in die Fassade eingefügte Türklinke befanden sich auf dem Weg zur Kasse, Pudel und Anhang waren spurlos verschwunden.
„Ich habe diesen Wasserhahn aus dem Regal genommen“, begann ich meine Frage.
„Es war der letzte. Ich brauche aber zwei. Haben Sie vielleicht noch einen im Lager?“
Klappern auf der Computertastatur.
„Ja, haben wir.“
„Dann hätte ich gerne noch einen.“
Herr So-oder-so-ist-das Leben-Verkäufer antwortete mit einem Blick auf seine Armbanduhr:
„Tut mir leid, unser Lagerarbeiter ist wegen einer Familienfeier heute schon um 15.30 Uhr nach Hause gegangen.“
 
S

Sanne Benz

Gast
Müller-Lüdenscheidt..

Liebe Zeder,
hat mich auch zum lachen gebracht..
dabei dachte ich an..an..
Loriot..genau! :)
lG
schönen Abend
Sanne
 

Frieda

Mitglied
Liebe Zeder,

warst Du etwa in demselben Baumarkt wie ich? Mein Hundchen hat sich aber besser benommen und nicht gleich die Kundschaft angepinkelt. Aber mal im Ernst, ich finde Deine Geschichte total gelungen. Solche Typen sind wohl jedem schon einmal über den Weg gelaufen. Und daß zum Schluß der letzte Kunde ganz unverhofft dran kam, obwohl er sich wohl kaum noch Chancen ausgerechnet hatte, das ist mir tatsächlich auch schon passiert. Damals war ich so verdattert, daß ich gar nicht mehr wußte, was ich eigentlich fragen wollte.

Liebe Grüße
von Frieda
 

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Zeder!

Du hast die Situation gut beschrieben. Hat mir gefallen. Jeder kennt solche Leute. Ich muss da immer aufpassen, dass ich die Beherrschung nicht verliere.
Und diese Zeitdurchsagen immer, dass sie gleich schließen. Wird Zeit, dass sich bei den Ladenöffnungszeiten was tut.

Tschüssie, hera
 



 
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