Vergessene Seelen

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Ruedipferd

Mitglied
Der Reisebus kommt aus Deutschland. Nach langsamer Stadtrundfahrt hält er schließlich auf dem Parkplatz vor der Skulptur an. Pawel Nowak hatte zu Beginn der Einfahrt in die Stadt noch versucht, dem jungen polnischen Reiseleiter zu zuhören. Doch seine eigenen Erinnerungen waren schnell stärker geworden und das, was er vor seinem inneren Auge sah, war nicht diese Stadt.
Die vielen Neubauten boten ihm ein völlig unbekanntes Bild von seinem Geburtsort. „Zu viel Zeit. Es ist einfach zu viel Zeit vergangen“, seufzt der Neunundsiebzigjährige. „Die Kinder haben es doch nur gut gemeint“, versucht Alwine Nowak ihren Mann zu beruhigen. Sie streicht über seine Hand. „Die Jungs wollten dir eine Freude machen. Du solltest deine polnische Heimat noch einmal wiedersehen und du hast ihnen doch so viel davon erzählt!“ Pawel brummt Unverständliches. Natürlich durfte er seinen beiden Söhnen nicht böse sein. Die Reise hatten sie den Eltern zu Weihnachten geschenkt. „Ihr habt ja keine Ahnung“, spricht er leise seine eben gedachten Worte aus. „Wir müssen aussteigen“, meint Alwine. Sie erhebt sich von ihrem Sitz, wie die anderen vierzig Reiseteilnehmer. Mit einem Seitenblick schaut sie ihren Mann etwas besorgt an.

Pawel ist nicht gesund. Das Herz macht ihm Kummer und der Blutdruck muss ständig mit Tabletten gesenkt werden. Vielleicht war die Reise doch nicht so eine gute Idee, überlegt Alwine. „Wenn es dir zu viel wird, setzt du dich einfach wieder in den Bus“, meint sie und hilft ihm in die Jacke, die sie aus dem Gepäckfach hervor geholt hat. Pawel sagt nichts. Er hat in all den Jahren versucht zu vergessen. Aber hat er das wirklich? Er dankt dem jungen Reiseleiter, der sich als Stanislaw vorgestellt hat, als ihm dieser die Hand reicht, damit Pawel die Stufen aus dem Bus hinunter steigen kann. Die Gruppe steht bereits vor der Skulptur. Stanislaw erzählt eine Geschichte dazu, aber sie klingt auswendig gelernt. Nichts Authentisches, wenn man das Grauen, das sich hinter dieser Skulptur verbirgt, überhaupt authentisch wieder geben kann.

Ein nacktes Kind vor einem zerbrochenen Herzen.

Pawel spürt den Schmerz, wie er ihn nicht einmal damals empfinden konnte, als der kleine Stanislaw vortrat. Sein bester Freund und Spielgefährte wurde nur zehn Jahre alt. Er und zwei andere Jungen hatten sie gewagt: Die Flucht. Sie waren nicht weit gekommen. Die Männer von der SS griffen sie nur wenige Kilometer entfernt in einer Scheune wieder auf. Den sechzehnjährigen Sohn des Lehrers, Marcin, erschossen sie gleich an Ort und Stelle. Stanislaw und Josef brachten sie ins Lager zurück. Nach zwei Tagen ohne Essen in Dunkelarrest, durften sie wieder in die Schlafbaracke zu den anderen. Alle dachten, sie hätten nun ihre Strafe bekommen. Sie durften auch wieder essen und stürzten sich auf die dünne Kartoffelsuppe. Die Aufseher grinsten.
Pawel musste mit seinen acht Jahren bereits zehn Stunden am Tag beim Ausbau des Lagers mitarbeiten.
Am folgenden Tag begleiteten auch Stanislaw und Josef die Gruppe von ungefähr fünfzig Jungen zwischen acht und vierzehn Jahren zu dem Rohbau, in dem später einmal die Schuhmacherei entstehen sollte. Um zwölf Uhr mussten alle dreihundert Jungen und Mädchen, die bis Mitte April 1943 in das Lager gebracht worden waren, antreten. Stanislaw und Josef wurden vom Lagerleiter namentlich aufgerufen. Sie traten ahnungslos hervor. Ein Mann nahm sie und führte sie zur Mitte des Platzes. Sie sollten niederknien. Dann schoss er jedem einmal ins Genick. Pawel hatte anfangs gar nicht begriffen, was geschehen war. Erst nach und nach verstand er, was der Lagerleiter ihnen nach der Aktion erklärte. Jeder von ihnen, egal wie alt er wäre, würde auf dieselbe Weise nach einem Fluchtversuch erschossen werden.

Pawel begriff damals eigentlich gar nichts. Eine Gruppe deutscher SS Männer war am 30. März 1943 in sein Elternhaus gestürmt und hatte seinen Vater und seine Mutter herausgeholt und auf einen LKW geladen. Die Familie saß gerade beim Abendessen. Die Wohnungstür wurde aufgestoßen und dann waren Pawel und seine vierjährige Schwester Milena plötzlich allein im Haus. Apathisch starrte er auf seinen Teller. Es war totenstill in der ärmlichen kleinen Küche geworden. Der Vater verdingte sich als Tagelöhner auf dem Gutshof. Der wenige Verdienst reichte kaum aus, um jeden Tag satt zu werden. Als Pawel aus dem Haus zu den Nachbarn lief, sah er, dass auch diese auf den LKW steigen mussten. Stanislaw, dessen kleiner Bruder Jan und all die anderen Kinder wurden dann ebenfalls abgeholt und ins Lager gebracht. Das hatte man neben dem alten jüdischen Friedhof im Ghetto eingerichtet. Er kam in einen Block zu den Jungen. Melina wurde in die Mädchenbaracke geführt.

Pawel steht vor dem Mahnmal. Es ist alles wieder da. Er begreift. Jetzt, als Erwachsener, versteht er, was damals mit ihm und den anderen Kindern in diesem Lager geschehen war. Stanislaw starb auf bestialische Weise vor seinen großen Kinderaugen, die fassungslos ins Leere starrten. Sein Gehirn versuchte dann diese Zeit auszublenden. Hätte es das nicht geschafft, wäre Pawel sicher nie so alt geworden. Doch nun ist es wieder allgegenwärtig. Er sieht sich auf dem Platz stehen. Um ihn herum die anderen Jungen. Einige feixten, weil sie dachten, Stanislaw und Josef würden vielleicht, wie üblich, doch noch ein paar Stockschläge erhalten. Und dann lagen sie vor ihnen auf dem Boden. Blut war aus ihren Köpfen gespritzt und hatte den Sand rot gefärbt. Herr Voge, der Lagerleiter, sprach etwas zu ihnen. Pawels Gehirn sah damals das Massaker vor ihm nicht mehr. Wie hypnotisiert stand er vor seinem toten Freund und eine Stimme in ihm sagte, dass er Stanislaw nie wieder sehen würde.

Alwine bringt ihren Mann zur Bank, die man neben dem Mahnmal aufgestellt hat. Pawel ist blass. Der Schmerz in seinem Herzen will nicht enden. Das nackte Kind vor dem geteilten Herzen, das ist er selbst. Er hatte all die Jahre dieses nackte Grauen verdrängt. Vergessen hat er nie, aber verdrängt. Er atmet schwer. Stanislaw, der Reiseleiter, eilt besorgt herbei. Ob er versteht? Nein, wie könnte er auch, denkt Pawel und sieht ihm in die Augen. „Geht’s, wieder?“, fragt Stanislaw. „Soll ich einen Arzt rufen?“
Pawels Augen füllen sich mit Tränen. Die Skulptur wurde erst 1971 auf gestellt. Das hatte Stanislaw eben erzählt und bis 1964 wusste man gar nichts mehr vom Lager. Die Kinder, die vielen tausend Seelen kleiner unschuldiger Engel, die hier bis zum 18. Januar 1945 ihr Leben verloren, waren fast von der Menschheit vergessen worden. Melina starb unter ihrer Aufseherin, schon ein paar Monate, nachdem sie ins Lager gekommen war. Angeblich an Tuberkulose. Aber Pawel erinnert sich. Melina hatte ins Bett gemacht und die Aufseherin schlug ihr solange mit der Peitsche auf den nackten Rücken, bis sich ihr kleiner ausgemergelter Körper nicht mehr rührte.
Später erfuhr er, dass man die Eltern nach Deutschland verschleppt hatte und sie dort in einer großen Maschinenfabrik Zwangsarbeit leisten mussten. Die Rote Armee kam 1945 und befreite das Lager. Viele waren sie nicht mehr. Er hatte als einziger von den ersten Kindern, die man dort inhaftierte, überlebt. Pawel weint.

Nein, er will keinen Arzt. Er braucht keinen. Was er jetzt will, ist nur das Wort. Langsam steht er von der Bank auf.
„Setzt euch alle hierher. Ich will euch erzählen, was damals geschah und was es mit dem Kinder KZ Litzmannstadt, im Südwesten Warschaus, auf sich hat. Man nannte es auch Jugendschutzlager Ost. Aber Schutz fand hier niemand. Ich habe es überlebt. Ich war acht Jahre alt, im März 1943…



Pawel Nowak kehrt mit neunundsiebzig Jahren an den Ort zurück, an dem seine Kindheit einst begann und endete. Die Geschichte der Figur ist erfunden. Der kurze Text als Einleitung für alle gedacht, sich mit einem Thema zu beschäftigen, welches kaum bekannt ist und einen viel zu niedrigen Stellenwert in unserer Gesellschaft findet. Warum?
Liegt es daran, dass auch für die tausende Seelen der vergessenen Engel heute Entschädigungszahlungen fällig wären? Und wie sollte man das Leid dieser Kinder überhaupt entschädigen? Macht euch selbst Gedanken und ladet eure Freunde dazu ein. Es gibt Facebook und Twitter. Und vielleicht gibt es auch Journalisten, die sich trauen, dieses Thema einmal anzusprechen.
 
U

USch

Gast
Hallo Ruedipferd,
eine sehr eindringliche, betroffen machende Geschichte. Sehr authentisch klingend und gut geschrieben. Ein schweres Thema, das nicht verdrängt werden sollte.
LG USch
 

molly

Mitglied
Hallo Manuel,

Deine Geschichte ist sehr eindringlich erzählt und macht betroffen. Ein wichtiges Thema, sehr fesselnd
geschrieben.

Was mich zuerst etwas irritierte: der Freund Pavels und der junge Reiseleiter haben den gleichen Namen.

"Die Kinder haben es[strike] doch [/strike]nur gut gemeint"
..." du hast ihnen [strike]doch[/strike] soviel erzählt"...
Diese beiden könntest Du, wenn du magst, noch streichen.

Trotz Betroffenheit gerne gelesen! :)

Herzliche Grüße
molly
 

Ruedipferd

Mitglied
Der Reisebus kommt aus Deutschland. Nach langsamer Stadtrundfahrt hält er schließlich auf dem Parkplatz vor der Skulptur an. Pawel Nowak hatte zu Beginn der Einfahrt in die Stadt noch versucht, dem jungen polnischen Reiseleiter zu zuhören. Doch seine eigenen Erinnerungen waren schnell stärker geworden und das, was er vor seinem inneren Auge sah, war nicht diese Stadt.
Die vielen Neubauten boten ihm ein völlig unbekanntes Bild von seinem Geburtsort. „Zu viel Zeit. Es ist einfach zu viel Zeit vergangen“, seufzt der Neunundsiebzigjährige. „Die Kinder haben es gut gemeint“, versucht Alwine Nowak ihren Mann zu beruhigen. Sie streicht über seine Hand. „Die Jungs wollten dir eine Freude machen. Du solltest deine polnische Heimat noch einmal wiedersehen und du hast ihnen so viel davon erzählt!“ Pawel brummt Unverständliches. Natürlich durfte er seinen beiden Söhnen nicht böse sein. Die Reise hatten sie den Eltern zu Weihnachten geschenkt. „Ihr habt ja keine Ahnung“, spricht er leise seine eben gedachten Worte aus. „Wir müssen aussteigen“, meint Alwine. Sie erhebt sich von ihrem Sitz, wie die anderen vierzig Reiseteilnehmer. Mit einem Seitenblick schaut sie ihren Mann etwas besorgt an.

Pawel ist nicht gesund. Das Herz macht ihm Kummer und der Blutdruck muss ständig mit Tabletten gesenkt werden. Vielleicht war die Reise doch nicht so eine gute Idee, überlegt Alwine. „Wenn es dir zu viel wird, setzt du dich einfach wieder in den Bus“, meint sie und hilft ihm in die Jacke, die sie aus dem Gepäckfach hervor geholt hat. Pawel sagt nichts. Er hat in all den Jahren versucht zu vergessen. Aber hat er das wirklich? Er dankt dem jungen Reiseleiter, der sich als Stanislaw vorgestellt hat, als ihm dieser die Hand reicht, damit Pawel die Stufen aus dem Bus hinunter steigen kann. Die Gruppe steht bereits vor der Skulptur. Stanislaw erzählt eine Geschichte dazu, aber sie klingt auswendig gelernt. Nichts Authentisches, wenn man das Grauen, das sich hinter dieser Skulptur verbirgt, überhaupt authentisch wieder geben kann.

Ein nacktes Kind vor einem zerbrochenen Herzen.

Pawel spürt den Schmerz, wie er ihn nicht einmal damals empfinden konnte, als der kleine Stanislaw vortrat. Sein bester Freund und Spielgefährte wurde nur zehn Jahre alt. Er und zwei andere Jungen hatten sie gewagt: Die Flucht. Sie waren nicht weit gekommen. Die Männer von der SS griffen sie nur wenige Kilometer entfernt in einer Scheune wieder auf. Den sechzehnjährigen Sohn des Lehrers, Marcin, erschossen sie gleich an Ort und Stelle. Stanislaw und Josef brachten sie ins Lager zurück. Nach zwei Tagen ohne Essen in Dunkelarrest, durften sie wieder in die Schlafbaracke zu den anderen. Alle dachten, sie hätten nun ihre Strafe bekommen. Sie durften auch wieder essen und stürzten sich auf die dünne Kartoffelsuppe. Die Aufseher grinsten.
Pawel musste mit seinen acht Jahren bereits zehn Stunden am Tag beim Ausbau des Lagers mitarbeiten.
Am folgenden Tag begleiteten auch Stanislaw und Josef die Gruppe von ungefähr fünfzig Jungen zwischen acht und vierzehn Jahren zu dem Rohbau, in dem später einmal die Schuhmacherei entstehen sollte. Um zwölf Uhr mussten alle dreihundert Jungen und Mädchen, die bis Mitte April 1943 in das Lager gebracht worden waren, antreten. Stanislaw und Josef wurden vom Lagerleiter namentlich aufgerufen. Sie traten ahnungslos hervor. Ein Mann nahm sie und führte sie zur Mitte des Platzes. Sie sollten niederknien. Dann schoss er jedem einmal ins Genick. Pawel hatte anfangs gar nicht begriffen, was geschehen war. Erst nach und nach verstand er, was der Lagerleiter ihnen nach der Aktion erklärte. Jeder von ihnen, egal wie alt er wäre, würde auf dieselbe Weise nach einem Fluchtversuch erschossen werden.

Pawel begriff damals eigentlich gar nichts. Eine Gruppe deutscher SS Männer war am 30. März 1943 in sein Elternhaus gestürmt und hatte seinen Vater und seine Mutter herausgeholt und auf einen LKW geladen. Die Familie saß gerade beim Abendessen. Die Wohnungstür wurde aufgestoßen und dann waren Pawel und seine vierjährige Schwester Milena plötzlich allein im Haus. Apathisch starrte er auf seinen Teller. Es war totenstill in der ärmlichen kleinen Küche geworden. Der Vater verdingte sich als Tagelöhner auf dem Gutshof. Der wenige Verdienst reichte kaum aus, um jeden Tag satt zu werden. Als Pawel aus dem Haus zu den Nachbarn lief, sah er, dass auch diese auf den LKW steigen mussten. Stanislaw, dessen kleiner Bruder Jan und all die anderen Kinder wurden dann ebenfalls abgeholt und ins Lager gebracht. Das hatte man neben dem alten jüdischen Friedhof im Ghetto eingerichtet. Er kam in einen Block zu den Jungen. Melina wurde in die Mädchenbaracke geführt.

Pawel steht vor dem Mahnmal. Es ist alles wieder da. Er begreift. Jetzt, als Erwachsener, versteht er, was damals mit ihm und den anderen Kindern in diesem Lager geschehen war. Stanislaw starb auf bestialische Weise vor seinen großen Kinderaugen, die fassungslos ins Leere starrten. Sein Gehirn versuchte dann diese Zeit auszublenden. Hätte es das nicht geschafft, wäre Pawel sicher nie so alt geworden. Doch nun ist es wieder allgegenwärtig. Er sieht sich auf dem Platz stehen. Um ihn herum die anderen Jungen. Einige feixten, weil sie dachten, Stanislaw und Josef würden vielleicht, wie üblich, doch noch ein paar Stockschläge erhalten. Und dann lagen sie vor ihnen auf dem Boden. Blut war aus ihren Köpfen gespritzt und hatte den Sand rot gefärbt. Herr Voge, der Lagerleiter, sprach etwas zu ihnen. Pawels Gehirn sah damals das Massaker vor ihm nicht mehr. Wie hypnotisiert stand er vor seinem toten Freund und eine Stimme in ihm sagte, dass er Stanislaw nie wieder sehen würde.

Alwine bringt ihren Mann zur Bank, die man neben dem Mahnmal aufgestellt hat. Pawel ist blass. Der Schmerz in seinem Herzen will nicht enden. Das nackte Kind vor dem geteilten Herzen, das ist er selbst. Er hatte all die Jahre dieses nackte Grauen verdrängt. Vergessen hat er nie, aber verdrängt. Er atmet schwer. Stanislaw, der Reiseleiter, eilt besorgt herbei. Ob er versteht? Nein, wie könnte er auch, denkt Pawel und sieht ihm in die Augen. „Geht’s, wieder?“, fragt Stanislaw. „Soll ich einen Arzt rufen?“
Pawels Augen füllen sich mit Tränen. Die Skulptur wurde erst 1971 auf gestellt. Das hatte Stanislaw eben erzählt und bis 1964 wusste man gar nichts mehr vom Lager. Die Kinder, die vielen tausend Seelen kleiner unschuldiger Engel, die hier bis zum 18. Januar 1945 ihr Leben verloren, waren fast von der Menschheit vergessen worden. Melina starb unter ihrer Aufseherin, schon ein paar Monate, nachdem sie ins Lager gekommen war. Angeblich an Tuberkulose. Aber Pawel erinnert sich. Melina hatte ins Bett gemacht und die Aufseherin schlug ihr solange mit der Peitsche auf den nackten Rücken, bis sich ihr kleiner ausgemergelter Körper nicht mehr rührte.
Später erfuhr er, dass man die Eltern nach Deutschland verschleppt hatte und sie dort in einer großen Maschinenfabrik Zwangsarbeit leisten mussten. Die Rote Armee kam 1945 und befreite das Lager. Viele waren sie nicht mehr. Er hatte als einziger von den ersten Kindern, die man dort inhaftierte, überlebt. Pawel weint.

Nein, er will keinen Arzt. Er braucht keinen. Was er jetzt will, ist nur das Wort. Langsam steht er von der Bank auf.
„Setzt euch alle hierher. Ich will euch erzählen, was damals geschah und was es mit dem Kinder KZ Litzmannstadt, im Südwesten Warschaus, auf sich hat. Man nannte es auch Jugendschutzlager Ost. Aber Schutz fand hier niemand. Ich habe es überlebt. Ich war acht Jahre alt, im März 1943…



Pawel Nowak kehrt mit neunundsiebzig Jahren an den Ort zurück, an dem seine Kindheit einst begann und endete. Die Geschichte der Figur ist erfunden. Der kurze Text als Einleitung für alle gedacht, sich mit einem Thema zu beschäftigen, welches kaum bekannt ist und einen viel zu niedrigen Stellenwert in unserer Gesellschaft findet. Warum?
Liegt es daran, dass auch für die tausende Seelen der vergessenen Engel heute Entschädigungszahlungen fällig wären? Und wie sollte man das Leid dieser Kinder überhaupt entschädigen? Macht euch selbst Gedanken und ladet eure Freunde dazu ein. Es gibt Facebook und Twitter. Und vielleicht gibt es auch Journalisten, die sich trauen, dieses Thema einmal anzusprechen.
 



 
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