Vergilbte Schönheit -Prolog

Steinchen

Mitglied
Ich lebte frei, von Angst und Pein
Das Land - denn es war mein,
Doch sah ich ferner noch ein Schiff
Ich hatte alles noch im Griff!

Am Anfang war ich nicht soweit
Stand verzweifelt im Tor der Zeit
Schwankte hin und schwankte her
Alles weg – mein Trost, ein Meer

In der Mitte stand ich anfangs stumm
Nichts zu glauben, was war ich dumm!
Hab mich gesehnt nach Geborgenheit
Doch was ich fand, war mein’ eigen Eitelkeit

Am Ende war ich nicht so schlau
Hab’ geglaubt, an die weiße Frau
Wurd’ nur gefoltert, geknechtet in meiner eigen Not
Doch was ich fand, war schlicht der Tod

Jetzt steh ich hier, am Meer der Zeit
Frei von Hass und mein eigen Eitelkeit
Doch seh ich ferner noch ein Schiff
Hab ich alles noch im Griff?​

Prolog



Ich stehe allein im Wald. Das Laub, das den Boden bedeckt, ist kalt und feucht und die verfärbten Blätter kitzeln meine nackten Füße. Der Herbstwind streift durch das Geäst und schüttelt die Kronen. Wie alte Könige aus längst vergangener Zeit ragen die Eichen, Fichten, Kiefern und Buchen in den wolkenbedeckten Himmel. Vögel fliehen vor dem nahenden Winter gen Süden in die wärmeren Gebiete, doch ich bleibe hier. Ich kann nicht vor meinen Problemen davonfliegen wie Schwäne, kann sie auch nicht von mir abschütteln wie die Bäume das Laub.

Wie schön wäre es doch, wenn ich noch in Ingmari wäre, dem Land, in dem das Leben erst beginnt. Dort bin ich frei und rein gewesen, wie ein Schwan, der dicht über dem See gleitet und seine Füße darin badet, wo jeden Monat die Bäume in voller Blüte gestanden haben und die Geschöpfe frei von Gewalt gewesen sind. Ingmari, das Land, in dem ich einst gelebt habe. In einem Haus auf einem Hügel mit wunderbarem Ausblick auf das Meer und dahinter befand sich ein endlos tiefer Wald. Gerüche von Zedern und Kiefern sind dort mit dem Wind bis zu mir getragen worden und von mir aus weiter auf die endlosen Fernen des Meeres. Möwen haben schon früh am Morgen geschrieen und sind sanft durch die Luft geglitten, haben nur selten mit ihren schneeweißen Flügeln geschlagen. Waldtiere haben auf Geräusche gelauscht, die sie erschrecken könnten, und wenn ich auf dem Vorsprung der Klippe gestanden bin, die nur einige Meter von meinem Haus entfernt gewesen ist und der Wind die Wellen gegen die Felsen branden ließ und ich gesehen habe, wie die weiße Gischt die Steine benetzt hat, dann habe ich immer gedacht wie schön es auch gewesen wäre, ein Fisch zu sein. Im tiefen, türkisblauen Meer zu schwimmen, die bunten Korallenriffe zu bestaunen und sich von der Strömung treiben zu lassen. Ja, das ist Ingmari gewesen, mit seiner Schönheit und seinem Zauber die Geschöpfe dort zu halten und nie habe ich gedacht, dass ich dieses Paradies je verlassen muss, dass die Menschen so grausam sein können, dies zu zerstören. Uns Íveen aus dem Land zu vertreiben und uns gezwungen haben, auf der Erde Schutz zu suchen.
Eigentlich bin ich nie böser Natur gewesen, doch als ich mit ansehen musste, wie dieses unreine Volk, welches sich Mensch nennt, die Schönheit des Landes geraubt hat, ist mir und meinem Volk nichts anderes übrig geblieben, als diese Rasse zu vertreiben und dem Ganzen ein Ende zu setzen. Aber wir haben keinen Krieg gewollt. Wir sind ein Volk gewesen, das sich nur in einer friedlichen Welt aufhalten wollte.

Riesige Streitwagen haben das Land durchwälzt, tiefe Furchen in die Erde gegraben, die Blumen zermalmt, die unsere Großväter so schön gesäten hatten und haben die Tiere verscheucht, die das Gleichgewicht des Waldes aufrechterhalten haben. Haben manche überfahren oder sie ihres Fells wegen gejagt. Haben ihre Haut gegerbt und sie über ihre Füße gezogen. Haben so etwas Schuh genannt, und haben das Gefühl vergessen, wie es ist, wenn man barfuss über den Waldboden läuft. Sie haben das angenehme Kitzeln der Blätter vergessen, das Wasser, das am Strand die Füße umspült hat und den feinen Sand, der auf die Haut gerieselt ist.
Die Menschen haben ihre Köpfe mit Helmen bedeckt und dadurch die Sicht aufs Wesentliche verloren. Sie werden nie mehr den Sonnenuntergang sehen, wie wir ihn sehen, wenn die Sonne am Horizont in dem blauen Wasser versinkt und den Himmel blutrot färbt.
Blutrot haben die Menschen jedoch den Boden gefärbt, bei dem Krieg, den sie letztendlich mit uns angefangen haben. Sie sind uns weit überlegen gewesen, denn wir haben nur unsere Pfeile und Bögen gehabt, doch sie haben Pulver besessen, das nachtschwarz gewesen ist und bei der Berührung mit Feuer in die Luft gegangen ist.

Vor mir standen zwei Männer, mit bärtigen, vernarbten Gesichtern, in denen der Sieg schon geschrieben stand. Diese Motivation hatte ich bisher noch bei keinen anderen feststellen können. Mit festem Griff umklammerte ich den Schaft des Bogens. Er wurde aus jungem Eschenholz gefertigt und die Pfeile, die in meinem Köcher steckten, warteten schon darauf sich durch die Wucht meines Bogens in das Ziel rammen zu dürfen. Ich wollte ihnen diese Freude nicht nehmen und zog den ersten geschickt aus dem Lederköcher, legte ihn auf die Pfeilauflage und wartete einige Sekunden die Reaktion meiner Widersacher ab. Doch sie regten sich nicht, waren auch nicht sonderlich von meinem Bogen angetan, denn sie hatten riesige Schilder, die sie vor meinen Pfeilen schützen konnten und trugen schwere Kettenhemden. Ich konnte nur eine Lücke in der Rüstung ausmachen: der Hals.
Der wunde Punkt jeden Feindes und jeden Ívees. Ich hielt die Sehne fest mit meinen Finger umklammert, zog etwas daran und richtete die Spitze auf mein Ziel. Es war der Mann zu meiner Rechten, der das Schild schützend vor seine lebenswichtigen Organe hielt. Ich spannte etwas und ankerte meine Hand unter meinem Kiefer, hielt diese Position der völligen Körperspannung einige Sekunden und ließ dann meine Hand, die die Sehne hielt, nach hinten fallen. Der Pfeil raste auf meinen Kontrahenten zu, der den Hals unbeachtet ließ und durchbohrte ihn ohne große Mühe. Bevor der Mensch umkippte, drang ein sonderbares Röcheln aus seiner Kehle. Das waren die letzten Laute, die er ausstieß, dann starb er. Mitleid fühlte ich keines und obwohl wir viele Tausend Menschen umbrachten, verloren wir den Krieg.

Die Menschen haben unsere Dörfer überrannt, unsere Frauen und Kinder getötet und die Leichen in den Häusern verbrannt. Tagelang hing eine dicke Rauchwolke über dem einst so friedlichen Land. Warum sie so urplötzlich einen Krieg angefangen haben, hat niemand gewusst, doch wir haben geglaubt, dass Ingmari unschätzbare Rohstoffe und Schätze besessen hat. Schätze, die so kostbar gewesen sind, dass sogar der edelste Mensch gierig geworden ist und alles dafür gegeben hat, an solche Reichtümer zu gelangen. Nur sind wir, die Íveen, noch da gewesen. Eine Hürde, die überwindbar gewesen ist und so ist uns nichts anderes übrig geblieben, als das schöne Land zu verlassen.

Ich wollte schon auf das Schiff steigen, das uns an einen anderen Strand tragen sollte. Mit dem Gedanken, dass meine Frau tot sei, kehrte ich schließlich Ingmari den Rücken, als ich einen Schrei hörte. Nicht weit von mir entfernt und als ich mich umdrehte, erblickte ich meine Gattin.
Ihre schwarzen Harre flogen im Wind ihrer Schritte, ihr bräunliches Gesicht wies einige Kratzer einer tagelangen Flucht durch den Wald auf und ihr verschmutztes Kleid war zerrissen. Sie war schlank und immer wenn sie rannte, hielt sie ihre Hände zierlich in die Höhe. Ihr Gesicht war schreckensgezeichnet und ich reichte ihr die Hand in die Freiheit. Aus der Schreckensherrschaft heraus. Sie blieb einen Moment stehen und lächelte. Ihre strahlendes Lächeln erfüllte mein Herz mit Geborgenheit. Zuvor empfand ich darin tiefen Hass, gegen die Menschen. Ich glaubte meine Frau tot, durch deren Hand und ich war froh, als ich des Besseren belehrt wurde. Ich lächelte zurück und streckte meine Hand weiter zu ihr. In der Ferne hörte ich ein tiefes Grölen und ich drängte sie mit einem kurzen Wink. Sie zögerte. Auf was wartete sie? Mein Herz machte einen erneuten Freudensprung, als sie daraufhin wieder zu rennen begann. Es waren nur noch wenige Schritte bis zu mir, doch sie war noch nicht aus dem Wald. Ich vernahm ein lautes Knacken zu meiner Rechten und entdeckte eine Gestalt, die gebückt hinter einem Baum kauerte. Ich sah nur seine dunklen Kleider und erschrak. Für einen weiteren Schreckensmoment blieb mir mein Herz stehen und als ich sah, wie der Mann hervorstürzte. Er hatte ein bärtiges Gesicht, war dünn und groß, größer als meine Frau. Seine Haut war hell und noch bevor ich reagieren konnte, zückte er seinen Dolch. Er verspottete uns durch ein schiefes Grinsen und Wut brodelte in mir. Mit einer kurzen Bewegung stieß er ihr den Dolch in die Magengegend. Mein Herz zerbrach, meine Wut verflog auf der Stelle und der Schock kroch in meine Glieder. Einen Moment zitterte ich am ganzen Körper, dann vernahm ich das Surren eines Pfeiles.

Hätte ich meine Frau gerettet, könnte ich jetzt problemlos leben. Würde nie mit dem Gedanken leben müssen, meine Sorgen von mir zu schütteln wie ein Baum das Laub, müsste auch nicht fliehen wie ein Schwan vor dem Winter. Könnte unbeschwert mit meiner Frau hier leben, noch mal von vorne beginnen und die Vergangenheit ruhen lassen, doch der Tag wird kommen, an dem wir unser Ingmari zurückfordern. Es wird mehr Blut fließen, doch nicht das unsere, sondern das der Menschen, die so unverschämt waren, dem Land die Schönheit zu rauben – eine vergilbte Schönheit. Die Sonne wird nie mehr so scheinen wie bei uns.
Und bis der Tag kommt, muss ich mich mit meinen Gedanken begnügen, in Träumen zu schwelgen in denen ich wieder an der Küste stehe, die Möwen schreien höre und der Duft von Zeder und Kiefer vom Wind bis zu mir getragen wird und von mir aus weiter über die endlosen Weiten des Meeres.

Ich stehe allein im Wald. Das Laub, das den Boden bedeckt, ist kalt und feucht und die verfärbten Blätter kitzeln meine nackten Füße. Ich schaue auf und sehe, wie eine Frau mit dem Rücken zu mir steht. Langes, wallendes Haar, das bis zu ihrer Schulter reicht und Hände so zart wie der Duft von Zedern. Die Frau dreht sich um und ich erblicke ihr Gesicht. Erst erkenne ich sie nicht wieder, doch es ist meine Frau. Ich trete näher und will sie ergreifen, aber als meine Hand ihre berührt, fasse ich durch sie hindurch – es ist nur ein Trugbild meiner Sinne.
Die vergilbten Blätter peitschen mir, durch den Wind getragen, ins Gesicht. Die Laubbäume werden kahl und spiegeln meine Seele – einsam und verlassen. Die Blätter verlassen die Bäume und meine Frau verlässt mich. Warum konnte ich sie nicht halten wie eine Tanne ihre Nadeln? Dann wäre ich jetzt nicht so einsam, könnte mit ihr das nasse Laub unter den Füßen kitzeln spüren und wir könnten gemeinsam den Vögeln zusehen, wie sie im Frühling wieder herkommen, wie die Bäume blühen und ich wäre froh, dass wenigsten eine Person mich nicht verlassen hat. Sie wäre keine vergilbte Schönheit, sie wäre hier bei mir.
 



 
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