steyrer
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Verdammt! Wo bin ich? Ich erinnere mich nicht. „Der Scheißaufzug steckt!“, ruft ein Unbekannter und trommelt gegen die Tür, nach ein paar Minuten beruhigt er sich und zündet eine Zigarette an. Ich bring kein Wort heraus; was sind eigentlich diese schwarzen Krümel? Am Boden, im Leuchtenschirm? Tote Fliegen? Muss sein. An der Rückwand pappen ein roter Kreis mit durchgestrichener Zigarette und ein Papierfetzen: „Gesundheit – empfindlich wie ein rohes Ei“. Der Alte wendet sich zu mir: „Was glotzt du? Das hängt seit zwanzig Jahren hier.“
Es ist ein Aufzug, schön, aber wer ist dieser Mensch?
„Und das an Großvaters Neunzigsten. Das wird eine Predigt geben: Was er an mir versäumt hat und dass er abkratzt bevor wir kommen. Pfui Teufel! Und wie siehst du überhaupt aus? Jeans und Pullover? Anzug und Krawatte und geh mal zum Friseur“. Er beugt sich zum Nottelefon unter den Liftknöpfen: „Mausetot. Hast du deines dabei? Ach, natürlich nicht. Ahnen hätt’ ich’s können, mit dir muss ja alles schiefgehen und mit deinem Lümmel auch. Angehängt habt ihr uns den eine Woche: nach Venedig mit deiner besoffenen Schachtel. ‚Aber Vati, der Bub ist wie ein Engel’, meinst du. Meine Alte hat mir dann was erzählt: Dein Engelchen schmeißt nämlich Kleiderständer um, beleidigt wildfremde Leute und kotzt in die Kabinen. Aus dem Geschäft schleichen haben sie sich dürfen, nun ja, das wäre ja nicht schlimm, aber erst hier drinnen: trainiert Kung-Fu – voll in meine Eier. Ich verpass ihm eine und scheiß’ ihn raus. Wer sonst? Du belohnst ihn auch noch.“
Ja genau, ein Zwanziger. Ich wollt’ ihm einen Zwanziger geben, wenn er mitkäme, aber „Vati“? Ob ich wirklich Vati gesagt habe? Vater fixiert mich: „Was ist los? Ist dir schlecht? Ja, sauf doch deine Dose aus!“
Red-Bull. Ex!
„Na also, geht doch. Aber sonst nichts. Am Weg hierher eine halbe Stunde hinter diesem Leichenwagen, verflucht knapp war’s schon und jetzt das. Wie dieser Bau schon heißt: ‚Seniorenheim Goldener Herbst’, quatsch, Mausoleum wäre besser. Wie spät ist es überhaupt? Er reißt meinen linken Arm hoch: „Im Arsch!“ Tatsächlich: sechs blinkende Nullen. Vater dämpft am Rauchen-verboten-Schild seinen Zigarettenstummel aus: „Verbrannt will er werden, weil wir uns nicht um sein Grab kümmern. Frechheit!“. Danach angelt er ein leeres Streichholzbriefchen aus der Sakkotasche: „Feuer hast du nicht?“ Nein, aber was ist das? Justus’ Zwanziger. Jetzt klappt der Leuchtenschirm herunter und Dreck und Fliegen rieseln heraus.
„Wir verschimmeln! Jetzt steh nicht dämlich herum, hilf mir.“ Nach endlosem Zerren und Schieben rutscht die Tür beiseite, aber die Kabine hängt zwischen zwei Etagen. Dumpfe Schritte nahen: Zwei bullige Gestalten schleppen eine Kiste hinunter.
„Gesindel“, stellt Vater fest. „Das sind die Typen die uns aufgehalten haben.“ Vater wird ohne Zigaretten noch gereizter, aber durch die offene Tür strömt Luft, sonst läge ich längst am Boden. Bald kehren die zwei Träger mit einer Leiter zurück. Der stiernackige Ältere wendet sich an den blonden Jüngling: „Bingo!“ Der Jüngling schiebt mit finsterem Blick die zusammengeklappte Leiter hinunter und während Vater hinaufkeucht, plaudert der Stiernacken: „Wissen\'s, immer wenn so was passiert, wetten wir um eine Kiste Bier wer drinnen steckt. Zu wem wollen sie denn? Wie? Warten Sie...“
„Keine Zeit!“, ruft Vater und stürzt die Stiege hinauf. Drei Stock höher, in Großvaters Zimmer, fällt er dunkelviolett angelaufen in einem Stuhl, aber keine Spur von Großvater. Dann hebt er ein Gasfeuerzeug von der Tischplatte auf und liest mechanisch: „Verein Die Fackel – hygienisch und modern“. Am Weg hinunter zündet er sich mit Opas Feuerzeug eine neue Zigarette an. Das Treppenhaus schwankt, ich könnte noch eine Dose brauchen. Durch eines der verschmierten Fenster fällt mein Blick auf den Vorplatz, wo der Leichenwagen eben abfährt. Eine kleine Gestalt läuft hinterher und wirft aus vollem Hals brüllend Äpfel auf die Heckscheibe. Während Vater im Foyer neue Zigaretten zieht, trete ich vor das Portal und streife den Schmutz und die Fliegen ab. Ich erinnere mich: Eine Amnesie hatte mich schon mal – auch bei so einem Besuch und sprechen geht noch immer nicht. Die kleine Gestalt von vorhin kommt auf mich zu: Ein recht verbummelter, ungefähr Zwölfjähriger, mit wirrem braunen Haarschopf: Justus? Muss sein. „Ich krieg jetzt aber den Zwanziger, der ist versprochen“. Er steckt ihn ein und zeigt zum Leichenwagen der eben um eine Ecke biegt: „Aber die spinnen total! Wen haben wir verpasst? Unseren Alten?“
Es ist ein Aufzug, schön, aber wer ist dieser Mensch?
„Und das an Großvaters Neunzigsten. Das wird eine Predigt geben: Was er an mir versäumt hat und dass er abkratzt bevor wir kommen. Pfui Teufel! Und wie siehst du überhaupt aus? Jeans und Pullover? Anzug und Krawatte und geh mal zum Friseur“. Er beugt sich zum Nottelefon unter den Liftknöpfen: „Mausetot. Hast du deines dabei? Ach, natürlich nicht. Ahnen hätt’ ich’s können, mit dir muss ja alles schiefgehen und mit deinem Lümmel auch. Angehängt habt ihr uns den eine Woche: nach Venedig mit deiner besoffenen Schachtel. ‚Aber Vati, der Bub ist wie ein Engel’, meinst du. Meine Alte hat mir dann was erzählt: Dein Engelchen schmeißt nämlich Kleiderständer um, beleidigt wildfremde Leute und kotzt in die Kabinen. Aus dem Geschäft schleichen haben sie sich dürfen, nun ja, das wäre ja nicht schlimm, aber erst hier drinnen: trainiert Kung-Fu – voll in meine Eier. Ich verpass ihm eine und scheiß’ ihn raus. Wer sonst? Du belohnst ihn auch noch.“
Ja genau, ein Zwanziger. Ich wollt’ ihm einen Zwanziger geben, wenn er mitkäme, aber „Vati“? Ob ich wirklich Vati gesagt habe? Vater fixiert mich: „Was ist los? Ist dir schlecht? Ja, sauf doch deine Dose aus!“
Red-Bull. Ex!
„Na also, geht doch. Aber sonst nichts. Am Weg hierher eine halbe Stunde hinter diesem Leichenwagen, verflucht knapp war’s schon und jetzt das. Wie dieser Bau schon heißt: ‚Seniorenheim Goldener Herbst’, quatsch, Mausoleum wäre besser. Wie spät ist es überhaupt? Er reißt meinen linken Arm hoch: „Im Arsch!“ Tatsächlich: sechs blinkende Nullen. Vater dämpft am Rauchen-verboten-Schild seinen Zigarettenstummel aus: „Verbrannt will er werden, weil wir uns nicht um sein Grab kümmern. Frechheit!“. Danach angelt er ein leeres Streichholzbriefchen aus der Sakkotasche: „Feuer hast du nicht?“ Nein, aber was ist das? Justus’ Zwanziger. Jetzt klappt der Leuchtenschirm herunter und Dreck und Fliegen rieseln heraus.
„Wir verschimmeln! Jetzt steh nicht dämlich herum, hilf mir.“ Nach endlosem Zerren und Schieben rutscht die Tür beiseite, aber die Kabine hängt zwischen zwei Etagen. Dumpfe Schritte nahen: Zwei bullige Gestalten schleppen eine Kiste hinunter.
„Gesindel“, stellt Vater fest. „Das sind die Typen die uns aufgehalten haben.“ Vater wird ohne Zigaretten noch gereizter, aber durch die offene Tür strömt Luft, sonst läge ich längst am Boden. Bald kehren die zwei Träger mit einer Leiter zurück. Der stiernackige Ältere wendet sich an den blonden Jüngling: „Bingo!“ Der Jüngling schiebt mit finsterem Blick die zusammengeklappte Leiter hinunter und während Vater hinaufkeucht, plaudert der Stiernacken: „Wissen\'s, immer wenn so was passiert, wetten wir um eine Kiste Bier wer drinnen steckt. Zu wem wollen sie denn? Wie? Warten Sie...“
„Keine Zeit!“, ruft Vater und stürzt die Stiege hinauf. Drei Stock höher, in Großvaters Zimmer, fällt er dunkelviolett angelaufen in einem Stuhl, aber keine Spur von Großvater. Dann hebt er ein Gasfeuerzeug von der Tischplatte auf und liest mechanisch: „Verein Die Fackel – hygienisch und modern“. Am Weg hinunter zündet er sich mit Opas Feuerzeug eine neue Zigarette an. Das Treppenhaus schwankt, ich könnte noch eine Dose brauchen. Durch eines der verschmierten Fenster fällt mein Blick auf den Vorplatz, wo der Leichenwagen eben abfährt. Eine kleine Gestalt läuft hinterher und wirft aus vollem Hals brüllend Äpfel auf die Heckscheibe. Während Vater im Foyer neue Zigaretten zieht, trete ich vor das Portal und streife den Schmutz und die Fliegen ab. Ich erinnere mich: Eine Amnesie hatte mich schon mal – auch bei so einem Besuch und sprechen geht noch immer nicht. Die kleine Gestalt von vorhin kommt auf mich zu: Ein recht verbummelter, ungefähr Zwölfjähriger, mit wirrem braunen Haarschopf: Justus? Muss sein. „Ich krieg jetzt aber den Zwanziger, der ist versprochen“. Er steckt ihn ein und zeigt zum Leichenwagen der eben um eine Ecke biegt: „Aber die spinnen total! Wen haben wir verpasst? Unseren Alten?“