"Version 3.2, Erlebe realsten Sex"

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lexor

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Das Blinken dieses ausgelutschten Spruches lässt mich nächtelang nicht schlafen. «Version 3.2, Erlebe realsten Sex». Das tote Licht der Reklame dringt durch die kaputten, halboffenen Jalousien und verwandelt meine Einzimmerwohnung in ein Gefängnis.

Aber vielleicht gibt es andere Gründe für meine Schlaflosigkeit? Natürlich gibt es die! Wütend stosse ich Jessica (oder war es Jennifer?) von meinem Bett, sie sackt am Boden zusammen, wohl keine Energie mehr, "die Pizza kommt bald, reiss dich zusammen."

Vielleicht liegt die Schlaflosigkeit daran, dass ich in einem scheiss Junkie-Block mitten in dieser versifften Stadt lebe. Ein kurzer Aufschrei richtet meine Aufmerksamkeit zu Brad.
Unter der neusten Reklame liegt die von Rissen infizierte Strasse und unter meinem anderen Fenster ist die verkümmerte Gasse, die zum Eingang führt. Dort liegt Brad, dieser elende Crackhead, wahrscheinlich hat er wieder einen seiner Anfälle. Es ist mir ein Rätsel, wie der noch lebt. Dieser rückenkrümmende Herbst hatte vor drei Jahren begonnen und die Wolken haben sich seither nicht mehr zurückgezogen, aber Brad, der bleibt bei seinem Platz unten in der Gasse neben dem automatisierten Müllcontainer.

Was rede ich da, welche Wolken? Es ist der giftige Smog, der uns alle langsam umbringt. Er dringt durch die Fenster und erfüllt den Raum mit seinem Geruch von frisch angezündeten Streichhölzern. So wie der Lärm dieser Idioten, die jeden Tag in die Arbeit fuhren, denselben Scheiss erledigten, um dann abends ein Hup-Concerto anzustimmen.

Ich drehe mich auf die andere Seite. Der Regen, der gegen das Dach und die Fenster prasselt, vervielfacht den Slogan zu vielen kleinen, verzerrten Werbungen. Er leuchtet auf, ein letzter Huper des heutigen Concertos erklingt, das Licht verschwindet wieder und mein Zimmer taucht in die Finsternis. Schon leuchtet es wieder auf. «Version 3.2, Erlebe realsten Sex». Der neuste Batch an Sexrobotern, es wird stets Realität gepriesen und doch erkenne ich sie immer sofort als Roboter.
Keine Ahnung, wer sich so einen Schrott kauft. Auf jeden Fall nicht Brad, der es sich einfach selbst macht, wenn er gerade keinen Schuss parat hat und Madame Grychon sieht. Diese Franzosin, die glaubt, sie sei eine Jazzsängerin aus dem Paris der 1920er und ihre verrunzelten Lippen immer noch rot färbt, obwohl schon längst jede Jugend aus ihnen gewichen ist. Ihre Hängetitten unterstützt sie auch nie mit einem BH. Stattdessen wirft sie sich ihren Schal und Mantel um, damit sie teuer aussieht und geht an ihren Arbeitsplatz. Unseren Arbeitsplatz. Kein besonders ehrenhafter oder prestigeträchtiger Job, aber einiges spannender und lukrativer als mein früherer.

Zwanzig Jahre ist es bereits her. Noch heute würde ich den dreckigen Arbeitsplatz und Brad dem früheren Job und den Schnöseln von damals vorziehen!

Damals zog ich einfach nur den lieben langen Tag meinem Bekanntenkreis das Geld aus den Taschen. «Glaube mir, du wirst es brauchen. Ich meine, was machst du, wenn dein Handy eben doch Feuer fängt und dein Haus gleich mitgeht? Ja, natürlich übernimmt das deine Sachversicherung, aber wir geben dir bei einem solchen Fall nochmal die Hälfte von dem Betrag der Sachversicherung als eine Entschädigung und einen Gutschein zum teuersten Restaurant in Uptown. Du musst nur einen Platz reservieren!»
Weder das brennende Haus noch die Entschädigung interessierte sie. Es war der Platz im Restaurant «L’ilot», das sie in mein Netz schwimmen liess. Ich wusste zwar, die Chance, dass ihr Handy brennt und das Haus ansteckt, ist gleich null und auch wenn, sie würden niemals eine Reservierung tätigen können, aber das interessierte mich nicht. Ich wollte meine mickrigen fünfzig Dollar kassieren.

Tja, als dann meine Frau entschied, dass sie den mickrig verdienenden Ehemann mit einem reichen ersetzen will, solange sie noch kinderlos sind (aus kinderlos wurde nichts: Pech gehabt!), musste ich den Beruf wechseln, denn ihr Vater liess mich natürlich auch sofort fallen. Meine Tochter habe ich nie mehr gesehen, wie auch, man lässt mich gar nicht mehr in den bewachten Teil der Stadt.

Wenigstens konnte ich nach vier Jahren Fabrikarbeit meinen Kindheitstraum ausleben: Ich wurde DJ!
Es ist nicht die Location, die ich mir in meinen Wunschträumen vorgestellt habe, aber der Stripclub zahlt nun mal das dreifache von einem Club und es ist gar nicht so verschieden. In beiden findet sich ein halbnackter Mischmasch von allen Geschlechtern verschiedenen Grades und die Roboter der letzten Generation tanzen wie die Wilden um die Leidenschaft ihres begehrten Gegenübers. Der einzige Unterschied ist, dass im Stripclub Madame Grychon war und die Tanzenden mit Geld beschmissen wurden.

Aber vielleicht liegt meine Schlaflosigkeit auch daran, dass mich die leeren Augen von Jennifer vorwurfsvoll anstarren.
Ich dachte, es fühlte sich so echt an, weil ich eines der neuen Modelle erwischt hatte! Fuck, Jennifer!
Erst der Geruch und das Blut aus dem nachträglichen Schnitt in ihren beim Sex gebrochenen Nacken, löschten jeden Zweifel aus: Ein Mensch, kein Roboter. Das vierte Mal schon, wieso passiert mir das? Diese Menschen sind einfach viel zu sehr wie Roboter, es war nicht meine Schuld!

Madame Grychon verlangt wieder Geld für ihr Schweigen und Brad kapiert nicht, was ich in den Container schmeisse, schreit nur ab und zu hysterisch.

Der Wecker reisst mich aus meinen Gedanken. Woran sollte er mich erinnern?

Ach ja! Heute wird mich meine vermeintliche Tochter zum ersten Mal besuchen. Sie wollte unbedingt ihren leiblichen Vater kennenlernen, jetzt, wo sie alt genug für eigene Entscheidungen war.

Meine Frau und ihr Neuer denken wohl, sie können mich verarschen. Aber ich mache mit, tue so, als würde ich ihnen glauben. “Natürlich.”, sagte ich, “du kannst kommen, wann du möchtest!”. Ich erkenne einen Roboter sofort, auch die neue Version! Die werden staunen. Ein zögerliches Klopfen an der Tür, sie muss es sein.
“Meine geliebte Tochter! Aber was machst du in diesem Aufzug?” Ich umarme sie fest und nehme ihr die Pizzaschachtel aus der Hand. Sie schaut mich verwirrt an, ich nehme Ihr Gesicht in meine Hände, sehe sie voller Liebe an, der Ruck fühlt sich an wie gewohnt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo lexor,

eine krasse Geschichte. Aber sag mal, was macht dieser Typ für Sachen beim Sex, dass er die vermeintlichen Roboter "kaputtmacht"?
Das Ende ist brutal, passt aber natürlich ins Bild.

Ein paar Kleinigkeiten:
Was rede ich da, welche Wolken Fragezeichen
Ich drehe mich auf die andere Seite Punkt Der Regen ...
... es wird immer stets Realität gepriesen und doch erkenne ich sie immer sofort als Roboter. Sonst haben wir zweimal 'immer' ...
... eine Jazzsängerin aus dem Paris der 1920er ...
... dass sie in mein Netz schwimmen ließ.
Der einzige Unterschied ist, dass im Stripclub Madamme Grychon ...
Madamme Grychon verlangt ...

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

lexor

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Hallo Rainer,

Vielen Dank für deine Kritik!

Es freut mich sehr, dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Text zu lesen und zu kritisieren.

Hmm, meinst du mit krass übertrieben? Das kann gut sein, ich habe den Hang dazu, zu übertreiben, insbesondere mit Gewalt. Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, dass es sonst nicht stark genug ist (was natürlich Unsinn ist, daran muss ich arbeiten).

Was er mit denen macht ist der Fantasie des Lesers überlassen. Es geht wohl in Richtung BDSM, nur kann man es bei "Robotern" ohne schlechtes Gewissen bis an die Spitze treiben.

Danke dir auch für die Hinweise auf meine Fehler. Ich habe gemerkt, dass meine Grammatik und Rechtschreibung bei weitem nicht so gut sind, wie ich gedacht habe. Das ist mir zwar peinlich, aber ich arbeite daran.
Wäre es nicht "der sie in mein Netz schwimmen liess"? Der Platz bei L'ilot liess sie in mein Netz schwimmen, oder?

Das Doppel-S wird in der Schweiz nicht verwendet, deswegen fehlt es bei mir.

Liebe Grüsse
Lexor
 
Hallo lexor,

solange das mit dem Übertreiben nur in der Fiktion gilt und nicht im echten Leben ... ;)
Peinlich muss Dir das nicht sein. Ich sehe das so: in der Leselupe kannst Du etwas lernen, die Textarbeit steht hier an erster Stelle. Da habe ich auch einige Dinge gelernt.
Oh, ja, natürlich muss es heißen: "der sie in mein Netz schwimmen ließ". Das Doppel-s ist hier allerdings falsch. Ach, oder bezeichnest Du das "ß" als Doppel-s, welches nicht auf Deiner Tastatur vorhanden ist? Dann darfst Du natürlich das kleine "s" verdoppeln.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

lexor

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Hallo lexor,

solange das mit dem Übertreiben nur in der Fiktion gilt und nicht im echten Leben ... ;)
Peinlich muss Dir das nicht sein. Ich sehe das so: in der Leselupe kannst Du etwas lernen, die Textarbeit steht hier an erster Stelle. Da habe ich auch einige Dinge gelernt.
Oh, ja, natürlich muss es heißen: "der sie in mein Netz schwimmen ließ". Das Doppel-s ist hier allerdings falsch. Ach, oder bezeichnest Du das "ß" als Doppel-s, welches nicht auf Deiner Tastatur vorhanden ist? Dann darfst Du natürlich das kleine "s" verdoppeln.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
Hahah ja da hast du wohl recht.

Ich meinte das "ß" :)

Danke für die Rückmeldung und liebe Grüsse
Lexor
 



 
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