RoToll
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Es waren genau zwei Dinge, die das Leben von Thorben Hoffmann innerhalb weniger Augenblicke auf den Kopf stellten. Beide standen in Zusammenhang mit der Deutschen liebstem Kinde; dem Automobil. Zum einen gab es einen Batterieschaden am Wagen seines Kollegen. Zum anderen sorgte eine Massenkarambolage auf der Autobahn für deren Sperrung und diverse Umleitungen.
Leise säuselte die Klimaanlage und im Bistrobereich rührte die junge Frau in ihrem Kaffee, als Thorben Hoffmann den Telefonhörer zurück auf die Station neben der Registrierkasse legte. Die Tankstelle, in welcher der Endfünfziger als Aushilfe arbeitete, täte er an diesem Abend nicht pünktlich verlassen. Im Rahmen des kurzen Telefonates hatte ihm seine Ablösung, der Nachtkassierer Rolf Pätz, mitgeteilt, dass er später zur Arbeit käme. Die Batterie seines Peugeots sei wohl hinüber, er könne das Fahrzeug nicht starten und müsse nun mit dem Bus fahren. Etwa eine Stunde würde er sich verspäten. Viele, viele Male Entschuldigung! Thorben versicherte, dass alles kein Problem sei.
Obgleich Hoffmann mehr aus der Not heraus hier neben seiner Haupttätigkeit als Werkzeugmachermeister arbeitete, machte er den Job nicht ungern. Es gab wesentlich schlimmere Tätigkeiten.
Die junge Frau trank genussvoll ihren Kaffee und blickte hinauf zu dem Fernseher im Bistrobereich, der die stummen Bilder eines Nachrichtensenders zeigte. Dem Lauftext am unteren Bildrand zufolge war es auf einer nahen Autobahn zu einem Unfall mit über zwanzig Fahrzeugen gekommen. Die Strecke war nun gesperrt. Thorben setzte sich auf den Hocker hinter dem Verkaufstresen. Ihm ging wieder einmal die Geschichte durch den Kopf, warum er an einem Mittwochabend an einem Ort wie diesem Spätschicht schob.
Vor vielen Jahren war er als junger Mensch in der wunderschönen Hansestadt Hamburg, welche hunderte Kilometer nördlich von hier lag, ein wahrlich erfolgreicher Unternehmer gewesen. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Marko Seidel betrieb er einen angesagten Szeneclub für Elektromusik. Aus dem gesamten Umland kamen die Feierwütigen dorthin. Die Türsteher mussten um Eintritt Suchende fortschicken, weil der Club häufig ausgelastet war. Dann schlug Marko vor, den Club extrem zu erweitern und dafür ein eigenes Gebäude errichten zu lassen. Man müsse, sprach er, dafür lediglich einen Kredit aufnehmen. Thorben stimmte zu. Bei den schwarzen Zahlen, welche die Lokalität schrieb, standen die Banken sofort Gewehr bei Fuß. Das geliehene Geld, so sagte Marko weiter mit seinem unverkennbaren Lächeln auf dem Gesicht, habe man rasch wieder drin und dann würde der Rubel so richtig rollen. Die Yacht und die Villa an einem See in Tessin seien greifbar. Thorben vertraute seinem Partner voll und ganz. Schließlich besaß dieser einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund und war dazu noch ein guter Freund. Dann, eines Morgens, war Marko Seidel spurlos verschwunden mitsamt der Summe aus dem Kredit und allen finanziellen Rücklagen. Es dauerte lange, bis Thorben sich eingestehen musste, dass er einem gewaltigen Betrüger aufgesessen war. Ihm selbst blieben nur die Schulden und eine tiefe Enttäuschung, welche sich immer mehr und mehr in Hass verwandelte. Marko Seidel konnte nur beten, dass sich ihre Wege niemals wieder kreuzten. Immerhin zeigten die Gläubiger ein halbwegs menschliches Gesicht. Mit Thorben einigten sie sich auf eine Summe, die der Schuldner eventuell noch im Verlauf eins Arbeitslebens würde zurückzahlen können. Dann lernte er im Urlaub an der Ostsee eine Frau kennen und lieben. Sie lebte weit im Süden und anfänglich war es nur eine Wochenendbeziehung. Doch Thorben zog zu ihr hinab in die ruhige wie hübsche Stadt am großen Fluss und mit der Distanz zu Hamburg und der Kraft der Liebe flachte auch der Hass auf Marko Seidel ab. Er war in den Bund der Ehe getreten und die Eheleute hatten zwei Kinder bekommen, die mittlerweile zwanzig und siebzehn Jahre zählten. Hoffmann fragte sich manchmal, wohin all die Zeit so rasch geflossen sein mochte.
Die Frau aus dem Bistrobereich brachte artig die Tasse zum Tresen zurück und wünschte eine angenehme Nacht, bevor sie wieder ihres Weges zog. Thorben schrieb per WhatsApp seiner Gattin, dass er etwas später käme wegen der defekten Batterie des Kollegen. Sie antwortete mit einem Kusssmiley: Dann hast Du heute eine verspätete Spätschicht.
Auch das Geld aus der Überstunde würde direkt an die Gläubiger gehen. Alle Einnahmen der Nebentätigkeit wanderten direkt an die Bankhäuser. Daher sah er immer, wenn er hier den Dienst tat, Marko Seidels unverkennbares Lächeln vor dem inneren Auge. So verhielt er es auch heute, als er die Kühlung auffüllte und dabei auf Rolf Pätz wartete; das unverkennbare Lächeln des Marko Seidels, welches die jungen weiblichen (und auch einige männliche) Clubgäste reihenweise hatte dahinschmelzen lassen. Jenes Lächeln, welches in Thorben tiefes Vertrauen erzeugt hatte. Es war jedoch ein Lächeln voller Falschheit gewesen und es hatte Thorben bis zum bitteren Erwachen stetig getäuscht. Über den Tag seines Todes hinaus würde Thorben Hoffmann dieses Lächeln nicht vergessen. Soviel stand unverrückbar fest!
Ein junger Kerl kam und kaufte eine Packung Zigaretten. Er verschwand so schnell in der Nacht, wie er gekommen war. Thorben setzte sich wieder auf den Hocker. schrieb mit seiner Frau und wartete weiter auf Rolf Pätz.
Das Paar, welches fünf Minuten, bevor der verspätete Nachtkassierer eintraf, den Laden der Station betrat, hätte dieses unter normalen Umständen nicht getan. Wäre die Massenkarambolage auf der nahen Autobahn nicht gewesen, hätte es nicht der Umleitung folgen müssen und ihren Weg ganz normal fortgesetzt. Niemals wäre es an diese Tankstelle gelangt, sondern hätte anderswo Super Benzin nachgefüllt. Und wäre die Batterie von Rolfs Peugeot intakt geblieben, tja, auch dann hätten sich die Wege von Thorben und ihnen niemals gekreuzt.
Thorben beobachtete sie lediglich flüchtig beim Tanken und wie sie sich später vor der Kühlung mit den Softdrinks positionierten, um Getränke auszuwählen. Sein Hauptaugenmerk galt dem Display des Smartphones und dem Chatverlauf mit seiner Gattin.
„Guten Abend. Einmal Säule 8 bitte und die Flasche Wasser hier“, sagte die Frau, als das Paar an den Verkaufstresen trat.
Nun betrachtete Thorben die Kunden zum ersten Mal richtig, wenn auch nicht mit einer solchen Intensität, mit der er etwa seine Kinder oder seine Ehefrau beobachtete.
Das Paar befand sich ungefähr in seinem Alter. Die Frau trug lange, rot gefärbte Haare und sah aus, als würde sie an einer alternativen Schule unterrichten. Selbstredend hatten die verstrichenen Dekaden Marko Seidel verändert. Die Körperfülle war deutlich gestiegen, die Haare arg geschwunden und sicherlich hatte er eines längst vergangenen Tages etwas durch plastische Chirurgie an seinem Gesicht machen lassen. Vielleicht hätte ihn Thorben Hoffmann in dem kurzen Moment des Bezahlvorganges gar nicht wiedererkannt. Aber der Kunde lächelte und genau das markante Lächeln verriet den Betrüger. An dieser Mimik hatten weder der Zahn der Zeit noch das Skalpell des Arztes etwas ändern können.
Leise säuselte die Klimaanlage und im Bistrobereich rührte die junge Frau in ihrem Kaffee, als Thorben Hoffmann den Telefonhörer zurück auf die Station neben der Registrierkasse legte. Die Tankstelle, in welcher der Endfünfziger als Aushilfe arbeitete, täte er an diesem Abend nicht pünktlich verlassen. Im Rahmen des kurzen Telefonates hatte ihm seine Ablösung, der Nachtkassierer Rolf Pätz, mitgeteilt, dass er später zur Arbeit käme. Die Batterie seines Peugeots sei wohl hinüber, er könne das Fahrzeug nicht starten und müsse nun mit dem Bus fahren. Etwa eine Stunde würde er sich verspäten. Viele, viele Male Entschuldigung! Thorben versicherte, dass alles kein Problem sei.
Obgleich Hoffmann mehr aus der Not heraus hier neben seiner Haupttätigkeit als Werkzeugmachermeister arbeitete, machte er den Job nicht ungern. Es gab wesentlich schlimmere Tätigkeiten.
Die junge Frau trank genussvoll ihren Kaffee und blickte hinauf zu dem Fernseher im Bistrobereich, der die stummen Bilder eines Nachrichtensenders zeigte. Dem Lauftext am unteren Bildrand zufolge war es auf einer nahen Autobahn zu einem Unfall mit über zwanzig Fahrzeugen gekommen. Die Strecke war nun gesperrt. Thorben setzte sich auf den Hocker hinter dem Verkaufstresen. Ihm ging wieder einmal die Geschichte durch den Kopf, warum er an einem Mittwochabend an einem Ort wie diesem Spätschicht schob.
Vor vielen Jahren war er als junger Mensch in der wunderschönen Hansestadt Hamburg, welche hunderte Kilometer nördlich von hier lag, ein wahrlich erfolgreicher Unternehmer gewesen. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Marko Seidel betrieb er einen angesagten Szeneclub für Elektromusik. Aus dem gesamten Umland kamen die Feierwütigen dorthin. Die Türsteher mussten um Eintritt Suchende fortschicken, weil der Club häufig ausgelastet war. Dann schlug Marko vor, den Club extrem zu erweitern und dafür ein eigenes Gebäude errichten zu lassen. Man müsse, sprach er, dafür lediglich einen Kredit aufnehmen. Thorben stimmte zu. Bei den schwarzen Zahlen, welche die Lokalität schrieb, standen die Banken sofort Gewehr bei Fuß. Das geliehene Geld, so sagte Marko weiter mit seinem unverkennbaren Lächeln auf dem Gesicht, habe man rasch wieder drin und dann würde der Rubel so richtig rollen. Die Yacht und die Villa an einem See in Tessin seien greifbar. Thorben vertraute seinem Partner voll und ganz. Schließlich besaß dieser einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund und war dazu noch ein guter Freund. Dann, eines Morgens, war Marko Seidel spurlos verschwunden mitsamt der Summe aus dem Kredit und allen finanziellen Rücklagen. Es dauerte lange, bis Thorben sich eingestehen musste, dass er einem gewaltigen Betrüger aufgesessen war. Ihm selbst blieben nur die Schulden und eine tiefe Enttäuschung, welche sich immer mehr und mehr in Hass verwandelte. Marko Seidel konnte nur beten, dass sich ihre Wege niemals wieder kreuzten. Immerhin zeigten die Gläubiger ein halbwegs menschliches Gesicht. Mit Thorben einigten sie sich auf eine Summe, die der Schuldner eventuell noch im Verlauf eins Arbeitslebens würde zurückzahlen können. Dann lernte er im Urlaub an der Ostsee eine Frau kennen und lieben. Sie lebte weit im Süden und anfänglich war es nur eine Wochenendbeziehung. Doch Thorben zog zu ihr hinab in die ruhige wie hübsche Stadt am großen Fluss und mit der Distanz zu Hamburg und der Kraft der Liebe flachte auch der Hass auf Marko Seidel ab. Er war in den Bund der Ehe getreten und die Eheleute hatten zwei Kinder bekommen, die mittlerweile zwanzig und siebzehn Jahre zählten. Hoffmann fragte sich manchmal, wohin all die Zeit so rasch geflossen sein mochte.
Die Frau aus dem Bistrobereich brachte artig die Tasse zum Tresen zurück und wünschte eine angenehme Nacht, bevor sie wieder ihres Weges zog. Thorben schrieb per WhatsApp seiner Gattin, dass er etwas später käme wegen der defekten Batterie des Kollegen. Sie antwortete mit einem Kusssmiley: Dann hast Du heute eine verspätete Spätschicht.
Auch das Geld aus der Überstunde würde direkt an die Gläubiger gehen. Alle Einnahmen der Nebentätigkeit wanderten direkt an die Bankhäuser. Daher sah er immer, wenn er hier den Dienst tat, Marko Seidels unverkennbares Lächeln vor dem inneren Auge. So verhielt er es auch heute, als er die Kühlung auffüllte und dabei auf Rolf Pätz wartete; das unverkennbare Lächeln des Marko Seidels, welches die jungen weiblichen (und auch einige männliche) Clubgäste reihenweise hatte dahinschmelzen lassen. Jenes Lächeln, welches in Thorben tiefes Vertrauen erzeugt hatte. Es war jedoch ein Lächeln voller Falschheit gewesen und es hatte Thorben bis zum bitteren Erwachen stetig getäuscht. Über den Tag seines Todes hinaus würde Thorben Hoffmann dieses Lächeln nicht vergessen. Soviel stand unverrückbar fest!
Ein junger Kerl kam und kaufte eine Packung Zigaretten. Er verschwand so schnell in der Nacht, wie er gekommen war. Thorben setzte sich wieder auf den Hocker. schrieb mit seiner Frau und wartete weiter auf Rolf Pätz.
Das Paar, welches fünf Minuten, bevor der verspätete Nachtkassierer eintraf, den Laden der Station betrat, hätte dieses unter normalen Umständen nicht getan. Wäre die Massenkarambolage auf der nahen Autobahn nicht gewesen, hätte es nicht der Umleitung folgen müssen und ihren Weg ganz normal fortgesetzt. Niemals wäre es an diese Tankstelle gelangt, sondern hätte anderswo Super Benzin nachgefüllt. Und wäre die Batterie von Rolfs Peugeot intakt geblieben, tja, auch dann hätten sich die Wege von Thorben und ihnen niemals gekreuzt.
Thorben beobachtete sie lediglich flüchtig beim Tanken und wie sie sich später vor der Kühlung mit den Softdrinks positionierten, um Getränke auszuwählen. Sein Hauptaugenmerk galt dem Display des Smartphones und dem Chatverlauf mit seiner Gattin.
„Guten Abend. Einmal Säule 8 bitte und die Flasche Wasser hier“, sagte die Frau, als das Paar an den Verkaufstresen trat.
Nun betrachtete Thorben die Kunden zum ersten Mal richtig, wenn auch nicht mit einer solchen Intensität, mit der er etwa seine Kinder oder seine Ehefrau beobachtete.
Das Paar befand sich ungefähr in seinem Alter. Die Frau trug lange, rot gefärbte Haare und sah aus, als würde sie an einer alternativen Schule unterrichten. Selbstredend hatten die verstrichenen Dekaden Marko Seidel verändert. Die Körperfülle war deutlich gestiegen, die Haare arg geschwunden und sicherlich hatte er eines längst vergangenen Tages etwas durch plastische Chirurgie an seinem Gesicht machen lassen. Vielleicht hätte ihn Thorben Hoffmann in dem kurzen Moment des Bezahlvorganges gar nicht wiedererkannt. Aber der Kunde lächelte und genau das markante Lächeln verriet den Betrüger. An dieser Mimik hatten weder der Zahn der Zeit noch das Skalpell des Arztes etwas ändern können.