Verstoßen und Vergessen

Verstoßen und Vergessen

Die Hand brannte wie Feuer auf ihrem Gesicht.
Lina hatte den Schlag kommen sehen, doch wie so oft war die Zeit zu einer Reaktion zu kurz. Benommen von der Härte sackte sie zusammen. Wie ein Kind wimmernd krümmte sie sich, Brotkrumen und Staubflocken ignorierend am Boden.
Irgendwie hatte sie es geschafft, die Hände zu heben. Die rechte Wange und das Kinn schützend gruben sich schlanke Finger in das kastanienbraune Haar. Angst und Verzweiflung füllten ihre Augen mit Tränen. Sie hielt den Kopf gesenkt und hoffte, dass auch diesmal der Schmerz schnell nachlassen würde. Noch immer fühlte sie die Hand des Elfenprinzen auf ihrer Wange. Welche Kraft erst in diesen Armen stecken musste, wenn Beregrend ihr Herr mit voller Wucht aus Schultern und Rücken zugeschlagen hätte. Bislang hatte er sie stets verschont. Nur der Handrücken, nicht die Faust war in ihrem Gesicht gelandet.
Lina wusste, dass sie schön war. Selbst die schiefe Nase, die gebrochen und nicht richtig verheilt war, mochte sie nicht zu entstellen. Wie es in ihrem Volk Sitte war, so trug auch sie die eine Hälfte ihrer Haarpracht abrasiert, während an der anderen Seite Locken weit hinab bis zu ihren Hüften fielen. Sie betonten die dunklen Augen, aus denen sie Beregrend verstohlen musterte. Nur einen Spalt hatte sie ihre Finger gespreizt. Sie spähte nach oben, gewappnet für einen Tritt, der nun, da sie am Boden lag, die nächste Demütigung des Elfenprinzen sein musste, die ihr blühte.
Ein weiterer Schmerz blieb aus. Das Brennen auf ihrer Wange und in den Augen ebbte ab.
Jetzt, da sie notgedrungen die Welt vom aus Dielen gezimmerten Fußboden betrachtete, kam ihr Beregrend größer vor als je zuvor. Hochgewachsen trohnte der Elf über ihr. Oft hatte sie seine Launen erduldet, viel zu oft hatte sie die Lüsternheit befriedigt, die ihr schlanker Körper in ihm erweckt hatte. Jahrelang hatte sie die Arroganz des Adels erduldet, als Gefangene und Sklavin dem altehrwürdigen Geschlecht der Elfen-Herren gedient, doch noch nie war sie Zeuge der Wut geworden, die ihr nun aus den Augen des Prinzen entgegenschlug.
»Geh mir bloß aus den Augen!« Beregrends Stimme war höher als sonst.
Lina krümmte sich noch weiter zusammen, doch der weiche Tonfall, mit dem sie der Elf bedacht hatte, war ihr nicht entgangen. Es war wohl sicher, dass nicht sie es war, die ihren Herren so erzürnt hatte.
Erst jetzt spürte sie das leichte Ziehen an ihrem Mundwinkel. Die Lippe musste durch den Schlag mit dem Handrücken aufgeplatzt sein. Der metallische Geschmack von Blut sammelte sich in ihrem Mund. Sie beschloss, den leichten Schmerz zu ignorieren, und schluckte die widerliche, speichelgetränkte Flüssigkeit hinunter.
Sie war wohl außer Gefahr, denn der Elf wandte sich ab. Gekleidet in die vornehmen waldgrünen Kleider des Adels wirkte er fast wie ein göttliches Wesen. Viele Elfen achteten besonders auf ihr Äußeres und auch Beregrend kannte die Vorzüge sauberer und nobler Kleidung nur zu gut. Sie hatte sich schon oft gefragt, warum er immer wieder nach ihr rufen ließ.
Als elfischer Herr wäre es ihm ein Leichtes, sich jeden Tag aufs Neue die Zeit mit einer anderen Sklavin zu vertreiben. Seit dem Tag des Auszugs war der Krieg nie zum Erliegen gekommen. Große Heerzüge brachten hohe Verluste und einen niemals endenden Nachschub gefangener Widersacher. Versklavte Dunkel-Elfen, die bis zum Ende ihres Lebens die Gelüste der elfischen Herren bedienten. Doch stets war sie es, nach der der Elfenprinz spätabends rufen ließ.

Ein Klopfzeichen riss Lina aus ihren Gedanken. Kurz darauf öffnete sich die Tür zu Beregrends Kammer und ein Wachsoldat in glänzender Rüstung und Uniform der königlichen Garde trat unaufgefordert ein. Die elfische Wache führte keinen Bogen mit sich, doch der Griff eines Wolfsmessers, die bevorzugte Waffe kampferprobter Elfen, ruhte in der aus Ebenholz geschnitzten Scheide an seiner Seite.
Lina kannte die Wache nicht, doch zweifelsohne begleitete sie ein hoher Rang und sie stand hoch in der Gunst des Herrschers. Beregrends Vater umgab sich nur mit wenigen Vertrauten und dieser Kriegsveteran strahlte eine Würde aus, die ihn unweigerlich als direkte Gefolgschaft des Königs auszeichnete. Niemand sonst hätte es gewagt, einfach so in die Gemächer des Elfenprinzen einzudringen.

»Mein Prinz. Der König ist sehr erzürnt und nicht zu besänftigen. Eure Worte haben ihn schwer getroffen. Ich wurde ersucht, Euch eine Botschaft zu übermitteln.« Der Soldat wartete nicht ab, bis sich ihm Beregrend zuwandte. Laut und bestimmt hallte seine Stimme durch den Raum.
Lina erschauerte. Der Ton des Wachmannes gefiel ihr nicht.
Noch nie hatte sie jemanden so furchtlos mit ihrem Peiniger sprechen hören. Nur adlige Elfen waren magische Fähigkeiten zu eigen. Als Mitglied der königlichen Familie war Beregrend jederzeit dazu im Stande, diesen Mann in sekundenschnelle in grünem Feuer zu rösten. Sie selbst hatte schon erlebt, was passieren konnte, wenn der Zorn Beregrends geweckt wurde. Für gewöhnlich war genau das der Grund, warum Untergebene den Prinzen furchtsam und respektvoll behandelten. Doch Körperhaltung und Gesichtszüge des Neuankömmlings verrieten nicht den leisesten Verdacht einer Gefühlsregung. Keine Furcht zeichnete die nichtssagende Miene des Mannes.
Lina glaubte sogar fast, ein spöttisches Lächeln in den Augen des Soldaten zu erkennen. Was war heute nur für ein sonderbarer Tag? Von welchen Worten war die Rede? Und womit hatte Beregrend seinen Vater so erzürnt, dass dieser nicht selbst mit ihm sprach, sondern nur kurze Zeit nach einem offensichtlichen Streitgespräch diesen Mann entsendet hatte.
Linas Blick wanderte zu Beregrend. Seelenruhig stand der Elfenprinz in der Mitte des Raumes. Er machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen, und wandte dem eingetreten Elfensoldaten noch immer den Rücken zu.

»Eure Ankunft ist ein Zeichen von Schwäche. Ich rieche Feigheit. Mein Bedauern über dieses Treffen ist nicht gegen Euch gerichtet Heerführer. War es wirklich notwendig, Euch zu entsenden? Ist der Zorn des Königs, den ich heraufbeschworen habe, so groß, dass Ihr es sein müsst, der die Botschaft meiner Schande übermittelt? Lange Jahre haben wir beide dem König gedient. Schlachten haben wir gemeinsam geschlagen und immer wurde der Sieg errungen. Doch ist es nicht Eure Aufgabe, unliebsame Botschaften zu übermitteln. Ist des Königs Wille so schwach, dass er dies nicht selbst zu erledigen vermag?«

Lina verstand nicht. Zitternd lag sie nach wie vor am Boden und versuchte, so unsichtbar und unscheinbar zu wirken, wie es nur eben ging.
»Mein Prinz. Ich komme nur der Bitte des Königs nach, Euch zu ersuchen. Lasst uns nicht länger Zeit verschwenden. Das Rad der Zeit wird sich unweigerlich weiter drehen.«
Beregrend drehte sich um und sah dem Soldaten tief in die Augen. Lina wusste, dass jedes weitere Wort aus seinem Mund vergeudet war.
»So höret die Botschaft des Königs: Prinz Beregrend. Ihr seid angeklagt und schuldig schwerer Verbrechen gegen die Krone. Von nun an seid ihr verbannt aus dem Reich des altehrwürdigen Elfengeschlechts. Gehet nun und kehret niemals wieder.«
Lina entfuhr ein leises Wimmern. »Verbannt«, schoss es ihr durch den Kopf. Der Elfenprinz, ein Ausgestoßener aus dem Reich. Niemals mehr würde sie den Gelüsten Beregrends ausgeliefert sein.

Beregrend sagte nichts. Noch immer musterte er aus kalten Augen den Mann, den er als Heerführer bezeichnet hatte.
»Ich nehme an, es ist mir nicht gestattet, meine Besitztümer mitzunehmen?«, fragte er. »Obwohl ich mir die Frage stelle, wie Ihr mich daran hindern möchtet, Heerführer?«
Der Blick des Soldaten fiel auf den langen Bogen des Elfenprinzen, den dieser nun langsam aufnahm und fachmännisch an der Schulter befestigte. Das breite Wolfsmesser, das er ständig bei sich trug, ruhte bereits an seiner Seite.
»So sei es denn. Ich werde meine Heimat verlassen.«
»Und Ihr werdet niemals wiederkehren!« Der Wachsoldat trat einen Schritt zur Seite, um den Elfenprinzen ungehindert passieren zu lassen. Trotzdem war sich Lina sicher, dass der Heerführer Beregrend keine Sekunde aus den Augen ließ. Wachsam sah er zu, wie der Elfenprinz den Raum leichten Schrittes verließ.
An der Türschwelle angekommen blieb Beregrend stehen.
»Du kannst dich noch entscheiden, mit mir zu kommen. Ich bin sicher, der Heerführer hat nichts dagegen, wenn du dich mir anschließt.«
Lina brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass die Worte an sie selbst gerichtet waren. Sie verstand die Welt nicht mehr. Warum nur sollte sie der Tortur, die sie und ihn verband, noch länger ausgeliefert sein? Und doch hörte sie sein leises Flehen. Er hatte sanft gesprochen. Fast liebevolle Worte, die er noch nie an sie gerichtet hatte, wenn er seine Lust und Aggressionen an ihr befriedigte.
Niemals. Selbst wenn die Verbannung ihre Freiheit bedeutete. Niemals würde sie diese mit ihm teilen.

»Du schweigst still.« Beregrend entfuhr ein leiser Seufzer. Lina hörte, wie die Schritte des Elfenprinzen rasch verklangen. Befreit vom Schicksal, dass sie geteilt hatte, atmete sie erleichtert auf.
Sie spürte die Kraft endloser Schlachten in den Armen des Heerführers, als sie dieser auf die Beine zog. Willenlos stand sie vor ihm und wagte nicht, ihn anzusehen.
»Warum wurde er verbannt?« Die Frage kam zaghaft und fast stumm über ihre Lippen. Sie rechnete nicht mit einer Antwort, doch der elfische Soldat hob ihr Kinn, sodass er ihr tief in die Augen sehen konnte.
»Prinz Beregrend hat sich geweigert, die Anordnungen des Königs auszuführen, die zur Begehung des Reichsfesttages angesetzt worden waren.«
Lina verstand nicht. Hatte der Heerführer bislang teilnahmslos in ihre Augen geblickt, so sah sie nun eisige Kälte darin funkeln.
»Zehn Sklaven werden morgen in aller Öffentlichkeit hingerichtet. Du bist als eine davon auserwählt worden.« Ein grausiges Lächeln stahl sich auf die Züge des Heerführers.
»Du hättest das Angebot des edlen Herren nicht ausschlagen sollen. Der Prinz hat sich verweigert, die Hinrichtungen auszuführen. Er wollte, dass dieses bestialische Brauchtum der Vergangenheit angehört und in Vergessen gerät. Genau wie der König bin ich anderer Ansicht. Heute Nacht wirst du den Schrecken der Folter begegnen, der für Frauen deines Standes vorgesehen ist, und schon morgen werden die letzten Reste Blutes die Erde des Reiches tränken und dein Kopf aufgespießt auf einen Pfahl die Grenzen der Elfen sichern. Ein abschreckendes Beispiel für die widerwärtigen Kreaturen, die du zu deinem eigenen Volk zählst.«
Jegliche Farbe wich aus Linas Gesicht. Verzweifelt strampelnd, versuchte sie sich aus dem Griff des Heerführers zu befreien. Doch ihre Versuche waren vergeblich. Brutal und mit einem lüsternen Grinsen auf den Lippen zog er sie unaufhaltsam mit sich fort. Noch lange hörte man ihre Schreie.

ENDE
 

John Wein

Mitglied
Es ist ein Stoff, der mir gar nicht liegt, aber ich habe mich eingelesen und bin bis zum Ende dabeigeblieben, weil es mich interessierte

Keine Frage, ein beachtlicher Text, Neuland für mich und sicher Teil einer ganzen Geschichte, bei der ich die Zusammenhänge und das Genre besser verstehen würde.

Vielleicht hättest du die Absätze (räumlicher Abstand) insgesamt mehr gliedern sollen, der Übersichtlichkeit wegen.

Einen schönen Gruß, John
 
Hallo John, vielen Dank für Deinen Kommentar.
Die Kurzgeschichte ist tatsächlich während der Bearbeitung eines Romanprojekts entstanden. Deine Einschätzung ist daher sicher richtig.
Das Genre ist die Phantastik, wobei mein Schwerpunkt sicher im Bereich "Grimdark-Fantasy" eingeordnet werden könnte. Der Roman ist im eher
ausgefallenen Genre "Phantastischer Schauerroman" erschienen. Das ist sicher nicht für jede/n Leser*in das Richtige.

Du legst Deinen Finger in eine Wunde, denn ich muss gestehen, dass ich beim Schreiben gerade mit Absätzen Schwierigkeiten habe. Zweifelsohne eine
Thematik, an der ich noch etwas verbessern kann. Leider findet man gerade dazu recht wenige Informationen in schlauen "Schreibratgebern" und der endlosen
Weite des Internets. Für Ratschläge bzgl. allgemeiner Regeln zu diesem Thema wäre ich außerordentlich dankbar.

Freundliche Grüße

Derufin Denthor Heller
 



 
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