Versuch über das Weinen

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Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die „gelungene Poesie“ schöpft ihre Inspiration aus dem Quell der unvergossenen Tränen. Sie vermag nur einen Vorgeschmack des Weinens und der Krise zu geben. Aber die unvergossenen Tränen sind wahrhaft die Echtesten. Ja, das Ungeweinte und das Unweinbare sind wirklich der „heilige Geist“ unseres Lebens und Ursprung der Melancholie und der Seligkeit. Indem es uns der Dichter überlässt dem Ursprung seines Schluchzens beizuwohnen, macht er uns zum Freund seiner Empfindungen und negativen, wie positiven, Ekstasen, zieht er uns in einen Wirbel und – einziges Kriterium – lässt uns in seinen Worten untergehen. Nur das Ungeweinte (– oder das hilflose Gute, die Quelle des Zynismus und des Sarkasmus - ) rettet die Worte vor ihrer schamlosen Direktheit. Über den Wert eines Wortes entscheidet die Menge an Tränen, die beim Aussprechen des Wortes zurückgehalten wurde.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Patrick,

Du schreibst ja selbst 'Versuch' ... ich tu mich schwer mit solchen Kategorisierungen - erst recht, wenn Du dann auch noch eine Quantität hinzunimmts.

Ganz sicher ist Empfindsamkeit eine Voraussetzung für 'gute Posie' - und wer den Schaden hat, wird eher dazu aufgelegt sein, diesen Schmerz in bewegende Verse zu fassen, als derjenige, der sein Glück genießt.

Zum Weinen und nicht Weinen habe ich noch eine andere Perspektive.
Wer kennt nicht Situationen, in denen Betrunkene anfangen zu weinen, weil sie anders an ihr Herzeleid nicht rankommen. Im nüchternen Zustand halten sie sich selbst in der Spur und verdrängen. Das passt nicht dazu, dass sie jetzt nach Deiner Sichtweise in einem besonderen Stadium wären, und wenn sie sie fließen lassen, sind die Tränen weniger wert?
Oder geht es gar nicht um 'die' Tränen, sondern 'den Dichter'? Das wäre dann für meinen Geschmack zu viel Nabelschau.

Ich glaube auch nicht, dass es etwas wie Unweinbares gibt qua definitionem, sondern nur nach individuellen Maßstäben, und da sind wir wieder bei einem Einwand, der einer Kategorisierung widerspricht - und bei der Nabelschau landen.

Selbst das stille Einverständnis zwischen Dichter und Leser lässt sich in kein Schema ordnen und ob die Tränen geweint oder ungeweint sind, kann der Leser nicht wissen.

Mir kommt auch der Text vor wie aus der Romantik.
Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich keinen Wert darauf lege, durch Poesie in Exkstase zu geraten, was wiederum daran liegen kann, dass ich als junger Mensch recht oft das Gefühl hatte, emotional außer mir zu sein und es mir als das Erstrebenswerteste erschien, bei mir zu sein.

Liebe Grüße
Petra
 
"... Situationen, in denen Betrunkene anfangen zu weinen ..."
Ich würde diese "unvergossenen" Tränen als poetischen Treibstoff eher als metaphorische verstehen.
(Während der Katzenjammer des Betrunkenen ja ein wörtlicher, wenn nicht sprichwörtlicher ist. )
Vielleicht meinte Freud Ähnliches mit dem Begriff "Sublimierung".

Das Bild gefällt mir.

MfG,
Binsenbrecher
 



 
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