Liebe Vera-Lena,
wie schön, nach einer Lupenpause so ein wunderbares Gedicht von Dir zu lesen! Ich lese es als Liebesgedicht, aber auf der anderen Seite könnte es auch ein religiöses Gedicht sein, denn diese Idee der Verwandlung
Was draußen war, jetzt lebt es innen
ist sehr weitreichend.
Ein paar Anmerkungen:
Dein Lächeln strahlt durch Fensterscheiben.
Den Atemhauch erahne ich.
Bei Schnee bist du des Schnees Treiben,
beim Geigenspiel der Bogenstrich.
Sehr schön, wie hier Elemente des Wetters - Sonne, Wind, Schnee - zusammengefügt werden. Allerdings finde ich
des Schnees Treiben nicht ideal, denn die Dreisilbigkeit ist bemüht. Vielleicht:
Bei Schnee bist du der Flocken Treiben? Oder:
Bei Schnee bist du das weiße Treiben? Auch stört mich - aus grammatisch unerklärlichen Gründen - das
m im
beim.
Spätabends bist du aufgestiegen.
Am Himmel blinkt ein neuer Stern?
Als Schleier möcht ich bei dir liegen
nur ein paar Lichtjahre noch fern.
Ich fände
Frühabends besser, wenn man die Zeitangabe metaphorisch betrachtet; denn das Lyri braucht Zeit, um zur Erkenntnis der Verwandlung zu gelangen. Die Frage in V6 finde ich aufgrund der Satzform etwas seltsam. Also entweder das Lyri weiß, dass dort ein neuer Stern blinkt, dann fällt das Fragezeichen weg. Oder das Lyri ist überrascht / entzückt, dann wäre eine Frageform passender wie:
Blinkt nicht dort oben noch ein Stern? Nach meinem Gefühl benutzt man Fragen, die den Satzbau einer Aussage haben, nur dann, wenn man etwas, was jemand anders bereits gesagt hat, verwundert wiederholt. Hmm, aber vielleicht meinst du es ja auch so, dass LyrDu das Lyri hat wissen lassen, dass er jetzt als Stern vom Himmel blinkt, und Lyri wiederholt es? ... V8 fällt aus dem Rhytmus, vielleicht: E
in Lichtjahr oder zwei noch/nur fern? Bei
Schleier dachte ich übrigens nicht an Wolken, sondern an diese Bilder, die man von Galaxien und Sternhaufen kennt
.
Du hast dich mir zurückgelassen.
Im Garten weht noch dein Gebet.
Die Blumen können es erfassen,
weil es als Licht zu ihnen geht.
Ja, hier habe ich wirklich nichts zu meckern - meine Lieblingsstrophe. Toll, wie du die Motive aus der ersten Strophe (Wind, Sonne) wieder aufgreifst!
Mir bist du Lied in meinen Sinnen,
ein Brausen auch wie Orgellaut.
Was draußen war, jetzt lebt es innen,
gefühlt, gehört, verzückt geschaut.
In V13 finde ich sehr gelungen, dass du von
Sinnen sprichst, nicht bloß von Ohren. Das sind so diese kleinen Details, die wirklich gute und eher mittelmäßige Gedichte unterscheiden. V14 allerdings gefällt mir nicht, insbesondere das
auch, aber auch der
-laut. Für mich macht
Orgellied Sinn, oder
Orgelklang, aber (ein einzelner)
Orgellaut, der alleine alleine für sich braust, und auch noch ohne Artikel..
naja.. Mir fällt spontan was ein, auch wenn es unsauber ist (aber an einer entscheidenden Stelle!):
Mir bist du Lied in meinen Sinnen,
ein Brausen wie ein Orgellied. / du braust durch mich als Orgellied
Was draußen war, jetzt lebt es innen,
gefühlt, gehört, geschaut, geliebt.
Nur so ein paar Gedanken...
Lg Julia