Verzeihen

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Dr Time

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Erläuterung

Das Gedicht ist eine Assoziation zu einem Bild von Sigmar Polke (Titel: Weißes Kästchen) und entstand im Rahmen eines Schreib-Workshops im Museum für Gegenwartskunst in Siegen. Nur so nebenbei erwähnt.

LG - Stephan
 

Dr Time

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Verzeihen.

Ein Kasten voller Kindheit
verblieben aus der Zeit,
als alles gut war und doch schlimm.
Sie hat mich viel gelehrt.

Ein Kasten voller Kindheit
mit all der Liebe - all dem Leid
mit all dem Blut, das unsre Schuld
durchdrungen hat wie Muttererd‘.

Es fließt davon, es fließt davon
wie Tränen meiner Kinder.
Ich schreib ein Wort und mach ganz leis‘
einen Punkt dahinter.
 

Walther

Mitglied
hi dr time,

leider kann ich mit diesem text nichts anfangen, weil er ohne das bild wohl nicht verstanden werden kann. das passiert vielen solcher texte. eine bildinterpretation steht selten ohne den bezug auf den anlaß ihres entstehens für sich alleine.

auch sonst macht der text auf mich einen eher gequälten, unbefreiten eindruck. gute lyrik fließt einfach. diese hier ist für mich sehr bemüht, irgendetwas aus den nichtvorhandenen gegenbild herauszuquetschen bzw. sich abzuringen.

vielleicht ist die belletristik eher dein ding, wer weiß.

lg w.
 

Dr Time

Mitglied
Hallo Walther,
Interessanterweise habe ich die gleiche Diskussion bezüglich des Bildes mit der Leiterin des Workshops geführt. Ich war der Meinung, dass man mit einigen Bildern nichts anfangen könne, weil man ja gar nicht weiß, welche Absichten der Maler hatte. Zudem nennt er das Bild dann auch noch „Weißes Kästchen“. Na toll. Sehe ich selber - dachte ich. Ein Käschen, aus dem Blut über eine vergilbte 70er-Jahre Tapete läuft. Daneben ein Punkt. WAS SOLL DAS?

Die Seminarleiterin meinte aber, erst wenn man sich mit dem Künstler, seiner Biografie, seinem Gesamtwerk befasst, wird klar in welchem Kontext das alles steht. Aber ein Kunstwerk könne auch ohne die Kenntnisse über den Künstler funktionieren. Gute Kunst wecke nämlich bei jedem Betrachter andere Assoziationen.

Also habe ich mich nochmal vor das Bild gesetzt. Und siehe da. Auch ohne Hintergrundwissen passierte plötzlich etwas in meinem Kopf. Setz dich also ruhig nochmal vor MEIN (Wort-)Bild. Vielleicht passiert ja doch noch was. Wenn nicht, ist auch nicht schlimm. Wir sind unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Vorgeschichten.

Ich sehe das so: Prosa ist das fast fertige Bild. Lyrik darf auch mal nur Skizze sein. Das ist für mich sehr spannend und ich wehre mich vehement davor zu sagen: Ist wohl nicht mein Ding. Wenn du sagst gute Lyrik muss fließen, klingt das fast wie ein Lehrsatz. Für mich ist das zumindest fragwürdig. Lyrik darf auch verstörend wirken, und ganz im Geheimen habe ich mich sogar gefreut, dass es für dich nicht floss. Denn in meinen Gefühlen fließt nichts, wenn ich an meine Kindheit denke und das sollte sich dann auch nicht in einem Gedicht wiederspiegeln. So habe ich zum Beispiel am Schluss mit Absicht nicht geschrieben: dann einen Punkt dahinter. Dies hätte besser ins Metrum gepasst. Aber mein Weg zum Verzeihen(.) war holprig und das musste zum Ausdruck kommen.

Trotzdem ist es interessant, zu sehen, wie das Gedicht auf dich gewirkt hat. Nur das mit der Belletristik nehme ich fast ein bisschen übel. Wenn du übrigens den exakten Hintergrund für meine Interpretation des Bildes wissen möchtest, sende ich dir gerne eine Erklärung für den Text in einer PM.

LG - Stephan
 

Dr Time

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Verzeihen.

Ein Kasten voller Kindheit
verblieben aus der Zeit,
als alles gut war und doch schlimm.
Sie hat mich viel gelehrt.

Ein Kasten voller Kindheit
mit all der Liebe - all dem Leid
mit all dem Blut, das deine Schuld
durchdrungen hat wie Muttererd‘.

Es fließt davon, es fließt davon
wie Tränen meiner Kinder.
Ich schreib ein Wort und mach ganz leis‘
einen Punkt dahinter.
 

ENachtigall

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Hallo Stephan

Der kleine Kasten lässt mich denken an die "Schatzkiste", in der die liebsten Dinge aufbewahrt werden. Wenn man sie nach Jahren wieder zur Hand nimmt, geht ein innerer Vorhang auf ...

In der letzten Zeile schreibe vielleicht "den kleinen Punkt dahinter". Das klingt schöner.

Ich finde es gelungen.

LG,

Elke
 

Dr Time

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Verzeihen?

Ein Kasten voller Kindheit
verblieben aus der Zeit,
als alles gut war und doch schlimm.
Sie hat mich viel gelehrt.

Ein Kasten voller Kindheit
mit all der Liebe - all dem Leid
mit all dem Blut, das deine Schuld
durchdrungen hat wie Muttererd‘.

Es fließt davon, es fließt davon
wie Tränen meiner Kinder.
Ich schreib ein Wort und mach ganz leis‘
Nun einen Punkt dahinter.

Verzeihen.
 

Dr Time

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Hallo Elke, da auch dir die Rhythmik des Satzes negativ auffiel, habe ich doch nochmal was geändert. Fein, dass es dir ansonsten gefällt.
Nachdem ich lange über das Metrum und die letzte Zeile nachgedacht habe, habe ich aber auch etwas an der Überschrift geändert und das Schlusswort hinzugefügt. So ist es für mich jetzt rund. LG - Stephan
 

Dr Time

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Verzeihen?

Ein Kasten voller Kindheit
verblieben aus der Zeit,
als alles gut war und doch schlimm.
Sie hat mich viel gelehrt.

Ein Kasten voller Kindheit
mit all der Liebe - all dem Leid
mit all dem Blut, das deine Schuld
durchdrungen hat wie Muttererd‘.

Es fließt davon, es fließt davon
wie Tränen meiner Kinder.
Ich schreib ein Wort und mach ganz leis‘
nun einen Punkt dahinter.

Verzeihen.
 



 
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