Vier Richtungen Himmel (1).

1.

Ich gehöre auf den Müll.
Mit Schlachtgesängen das Spielfeld betreten, zu Null wieder runter.
Dreck gefressen bei jenem Eindreschen von Füssen, das sich Dasein schimpft. Blutgrätsche ist es, Schreien und Schlamm, ein Heulen nach dem Ball. Endlich angespielt zu sein, endlich vorgelegt zu bekommen.
Alle stürmen sie für ihren Kick ins Glück. Niemand will zurück bleiben, keiner einen reinbekommen.
"Zeig Dich!" riefen die meinen nach mir. Wenigstens Szenenapplaus sollte dem Sohn, dem Enkel, dem Neffen gelingen.
"Der hätte mal sehen sollen, wie ich abends vom Spielen heim bin!"
Das große Latinum ward mir eingeworfen, die richtige Haltung zugepasst, der korrekten Vollzug des Kreuzzeichens freigestoßen. Aber all die Bälle kamen mir zu steil, zu schräg, hatten derart viel Schmiss, dass ich nicht einen davon köpfen konnte. Und nun endlich gehöre ich mit Bierbüchsen, Wurstpappen, Senf und Fett auf den Müll. Der Sohn, der Enkel, der Neffe, über dessen Wiege man sich einst beugte.
Alles verstolpert, nichts geköpft bekommen, fortwährend den Weg zum Tor vergessen: So ist es mir zerronnen, mein Dasein. Und derart leichthin schreibt sich dieses Nichts von einem halben Jahrhundert, dass man glauben könnte, mein Weg auf den Müll nun wäre das Auspusten einer Geburtstagstorte.
Tatsächlich aber weiß ich nicht, wo anfangen mit dem Tod.

2.

Vielleicht ist die Tränke von einer Kneipe hier kein sonderlicher Pfad in jenes Reich, wo unter Abfällen Flüstern herrscht und Schatten. Das täglich Bier, die Klaren, noble Absacker: Wie der Kanonendonner eines Sturmes auf sämtliche Grenzen, so ward er mir stets verheißen, der Suff. Klabautermänner, Zechbrüder, kernige Kumpanen. Dasein, dem Prosit für Prosit jeglicher Ruf zum Torschuss aus den Gurgeln weicht: Kippe und Korn, immer nach vorn! Schnapsgedrosselte, welche verworfen sind in alle Richtungen Himmel. Wolfsfrei zum Sterben.

3.

"Zeigt her Euer Glück!" lade ich zwei Stubenfliegen ein, die mir gerade Gesellschaft genug sind. Kleines Gemüt, kleiner Tod. Lange Zunge, flinke Klatsche. Sterben wie die Fliegen. Ich lerne gerne.
Zum Tod hin, ja, da lässt das Glück sich erkennen: dass es längst fortgewischt sein wollte von jenen Schultafeln, auf denen es einst mit Schönschrift vermerkt ward.
"Lag Euch je etwas am Glück?" raune ich den Fliegen zu. Der Ordnung halber, damit ja alles, was uns golden dünkt, in die Bodenlosigkeit des Widernatürlichen verworfen ist.
"Besonders vielleicht an meinem Glück?" setze ich nach. Ja mal wissenswert, inwieweit so eine Welt sich schert um das, was man sich schafft zu seiner Lust. Ob unsere Herzen der Welt Blüte bedeuten, oder ob unsere Herzen allem bloß nimmersatte Öfen sind, deren Qualm sämtliche Himmel schwärzt.
Ich stiere den Stubenfliegen in die Facettenaugen, mit welch Mengen Bildern pro Sekunde sie mich wahrnehmen mögen? Als Verwischtes und Zuckendes vielleicht, dem es an Licht mangelt wie an Tiefe. Nein, ein Glück ist den Fliegen nicht gegeben. Der Fliegen fliehendes Sein bedeutet reinstes Werken. Nach Zeiten, nach Schichten, nach den Launen ihres Werkes. Geschmeiß, welches dem Dasein eine Logik abgewinnt, die heller einleuchtet, als jeder Tag. Werden lassen, was möglich ist. Mag das auch bedeuten, den Menschen frische Pest in ihre Kelche zu tunken.
 

flores

Mitglied
Ehrlich gesagt empfinde ich beim Lesen von derart viel Masochismus und Selbstmitleid fast echt schon selbst etwas Mitleid. Mich schreit es hier an: „Seht nur her, ich bin eine gescheiterte Existenz!“
Schon allein der Eröffnungssatz. Was muss passieren, dass ein Mensch so von sich denkt? Ich nehme diesen Satz durchaus ernst, da überladene martialische Ausführungen folgen. Geht es hier eigentlich um den Sport oder soll der Sport nur eine Allegorie auf das Leben insgesamt sein? Warum taucht auf einmal das Latinum auf?
Der Abschluss von Teil 1 komplettiert das Ganze. Warum bewusst „anfangen mit dem Tod“? Das Subjekt lebt noch! Ergo ist die Existenz nicht gescheitert! Kopf hoch und weiter machen!
Teil 2 stellt dann also die hedonistische Flucht dar, bzw eine Resignation. Auch das tut mir fast schon Leid. Nur gerat ich auch hier ins Kreuzfeuer der gewaltigen Sprache. Das ist Krieg - und nicht schön.
Teil 3 wird unleidlich. Ich hoffe das Subjekt steht im Delirium als Folge von Teil 2. Warum sollte sich die Welt um Derartiges „scheren“? Ist es nicht ziemlich undankbar, Glück zu fordern? Und das mit den Herzen und den Öfen, ich wiederhole mich, dieser Gedanke tut mir leid.

Ich wünsche gute Besserung.
 
Ein Mensch ist, was er hinterlässt.

Herzlichen Dank für den Kommentar.
Tatsächlich empfahl mir eine Verlagslektorin vor einiger Zeit, mich wegen dem hier wohl besser in Behandlung zu begeben… Es gibt eben in der gesamten (Welt-)Literatur kein Werk, das sich über hunderte Seiten Bewusstseinsstrom auseinandersetzt mit dem Freitod. Gerade wegen dieser absoluten Ausnahmestellung meines Werkes schaffe ich weiter und immer weiter daran, mag ich auch nicht der beste Prosalyriker der Welt sein.
„Ich gehöre auf den Müll!“ empfinde ich so ziemlich als die Mitte zwischen Euphemismen, die einem als Pflegefall das „Loslassen“ nahelegen, und: „Verreck doch, Alter!“
 



 
Oben Unten