Prolog
»Wie müssen durchhalten! Verteidigt die Stadt. Die Titanen dürfen hier nicht rein!«, schrie ein großer Mann, der drei Eindringlinge auf ein Mal abwehrte. Obwohl sie in der Überzahl waren, konnten sie den Mann nicht bezwingen.
Es war eine erbitterte Schlacht zu See, auf der Erde und in der Luft, jeder in seinem Element. Jeder überall da, wo er am stärksten war. Doch die Titanen schienen überall gleich stark zu sein. Es machte keinem Einzelnen von ihnen aus, ob sie in der Luft oder auf der Erde kämpften.
»Phöbus, hilf deiner Schwester, sie wird angegriffen!«, schrie der große Mann wieder, nachdem er die drei Angreifer nun mit seinen Blitzen vertrieben und sich neuen Gegnern zugewendet hatte.
»Ja, Vater, ich sehe es.«, Phöbus jagte auf die Erde zu, wo Diana gerade von zwei weiteren Angreifern bedrängt wurde. Doch er sah schon, dass sie auch ohne seine Hilfe gut zu Recht kam. Etwas, das aussah, als ob es Urwaldlianen wären, schossen aus der Erde und wickelten die Angreifer ein, doch wenige Augeblicke später tauchte eine dritte Person auf, berührte die Lianenfesseln und sie gingen in Flammen auf. Diana konnte sich gerade noch rechtzeitig bücken, um nicht von den brennenden Überresten der Lianen getroffen zu werden. Gerade wollten die anderen sie angreifen, als Phöbus vor ihr auftauchte:
»Ihr werdet ihr nichts tun, verschwindet!«, sagte er und begann so hell zu leuchten, dass die Angreifer ihre Hände vor dem Gesicht halten mussten, um nicht geblendet zu werden. Das war der nötige Augenblick, in dem Diana, Phöbus und eine dritte Person es schafften, die drei Angreifer unschädlich zu machen.
»Danke, Hades!«, Diana stand erleichtert auf und schaute sich um; überall waren Menschen in Kämpfe verwickelt. Die Titanen waren zwar in der Unterzahl, doch sie waren den Atlanten körperlich und geistig überlegen, vor allem, weil sie viel älter waren und es schon bestens gelernt haben, ihre Kräfte einzusetzen. Doch die Älteren, die zu Atlantis standen, konnten den Titanen Widerstand leisten. Sogleich stürzte Hades wieder in den Kampf.
»Kronos darf nicht in die Stadt, koste es was es wolle. Wenn er den Splitter bekommt, ist es aus für uns. Das darf nicht geschehen!«, schrie der Vater von Phöbus.
»Das wissen wir, danke, Zeus!«, schrie Hera, seine Gattin. Sie flog auf die Erde zu und ließ durch die Kraft ihrer Gedanken einen Spalt in dem Boden öffnen. Zwar konnten die Titanen fliegen, doch das verwirrte sie für einen Augenblick, der entscheidend für den Angriff von Hera war.
So langsam glaubten Phöbus und Diana, dass sie nun gewinnen würden, denn die Titanen wichen mehr und mehr zurück, indem Zeus und Hades ihnen dabei halfen.
Doch dann passierte etwas; eine dunkle Gestalt jagte durch die Luft auf die Stadt zu, zu schnell, um sich von dem abgelenkten Zeus bemerken zu lassen. Die Gestalt kam direkt vor Phöbus zum stehen und schleuderte ihn zu Seite, eher Phöbus begriffen hatte was gerade passiert war. Diana folgte der Gestalt, denn sie wusste; die Titanen daran zu hindern, den Splitter zu bekommen war sogar wichtiger, als die Gesundheit ihres Bruders.
Sie lief der Gestalt hinterher, aber sie war nicht schnell genug, doch dann hörte sie eine vertraute Stimme hinter sich:
»Diana, geh und kümmere dich um deinen Bruder. Ich erledige das hier.«
»Poseidon? Schaffst du das? Vielleicht wirst du meine Hilfe brauchen?«, Diana wollte beweisen, dass sie mutig ist.
»Nein, du kannst da nichts ausrichten. Nun geh! Und bring dich und deinen Bruder in Sicherheit.«
»Okay, aber pass auf dich auf.«
»Das werde ich!«, Poseidon ließ sie stehen und eilte selbst hinunter in die Stadt.
Diana lief wieder zurück und kam rechtzeitig bei Phöbus an, als dieser sich gerade aufrichtete.
»Was ist passiert?«, fragte er ziemlich benommen und fühlte an seinem Hinterkopf nach einer großen Beule.
»Du wurdest umgestoßen und ein Angreifer ist in die Stadt durchgekommen.«
»Was? Wir müssen sofort hin und ihn aufhalten.«
»Beruhige dich. Poseidon ist schon dort. Er wird sich um ihn kümmern. Alles ist in Ordnung.«, doch noch eher sie das ausgesprochen hatte merkte sie, dass etwas doch nicht in Ordnung war.
Es wurde eine riesige Menge Energie frei. Das konnten alle in der Umgebung spüren, denn für einige Augenblicke erstarben die Kämpfe und alle wandten sich nach der Quelle dieser Kraft um.
»Der Splitter wurde aktiviert.«, flüsterte Diana leise, doch so aufdringlich, dass Phöbus dachte, die ganze Welt würde es hören, »doch von wem?«, - ihre Antwort kam etwas wenig später. Der Angreifer, der vorhin in die Stadt durchgedrungen war, flog jetzt wieder in die Luft und wurde sogleich von Poseidon aufgeholt, der durch seine einzige Anwesenheit die Titanen zwang, zu fliehen.
Sie waren gerettet, doch Zeus schaute immer noch besorgt zu Poseidon, der seine neuen riesigen Kräfte anscheinend nicht mehr kontrollieren konnte.
»Ich musste es tun, sonst wäre Kronos in den Besitz des Splitters gelangt. Verzeiht mir, ich hatte keine Wahl.«
»Beruhige dich, du hast das Richtige getan, doch nun musst du dich unter Kontrolle bringen.«, Zeus wollte die Hoffnung nicht verlieren, doch es war schon zu spät. Große Wassermassen erhoben sich über der Stadt. Poseidon schien das Wasser anzuziehen. Alle brachten sich in Sicherheit. Weg von der Stadt. Sie durften Poseidon nicht zu nahe fliegen, denn sie würden dann wohl auch durch die Kraft des Splitters wegtreiben.
»Zeus, tu es!! Bevor es zu spät ist«, flehte Poseidon. Und Zeus sammelte seine Kraft zusammen, mit dem Wissen, dass es keinen anderen Ausweg gab. Er feuerte seinen Blitz auf Poseidon und dieser wurde umgehauen und außer Gefecht gesetzt. In dem Moment als Phöbus zu Poseidon hochschoss und ihn vor dem Aufprall auf die Erde rettete, brachen die ganzen Wassermengen, die der Splitter um sich gesammelt hatte, auf die Stadt ein. Die Stadt war verloren, doch der Splitter kam nicht in die Hände der Titanen.
***
Van kannte diese Geschichte schon fast auswendig. Sie zeigte den wahren Ursprung seiner Kräfte und derer seiner Freunde. Und nun wusste er auch, dass es an der Zeit für ihn war, sich der Suche nach den Splittern anzuschließen und dabei zu helfen, die Welt vor dem Vita-Splitter zu bewahren, indem er es nicht zulassen durfte, dass dieser in die falschen Hände geriet.
Der Angriff
Als Van erwachte, war es noch dunkel draußen, aber es war heiß. Dieser Sommer ist besonders heiß geworden. Van jagte einen kleinen Luftstrom durch sein Zimmer und dachte unter der angenehmen Brise an den gestrigen Tag. Endlich war er zwanzig Jahre alt geworden. Endlich konnte er mit seiner praktischen Ausbildung beginnen und auf Missionen gehen, die weite Welt besser erkunden, als es ihm bis dahin möglich war. Einige Minuten lag er noch da und überlegte sich, was er wohl als aller erstes unternehmen würde und ob Conroy schon einen Auftrag für ihn hätte. So schlief er, ohne es zu merken, in dem glückseligen Gefühl wieder ein.
»Aaaufwachen!!«, Rori kam ins Zimmer gestürmt und hatte Van mit ihrem lautem Schrei so abrupt aus dem Schlaf gerissen, dass er fast vom Bett gestürzt wäre, doch er fiel nicht.
»Dass du jetzt deine Kräfte benutzen kannst, heißt noch lange nicht, dass du sie auch immer und überall einsetzen musst.«, sagte sie in einem belustigten Ton über Van hinweg, als er mit einer leichten Bewegung wieder zurück auf das Bett kam.
»Ich wäre doch fast hingefallen. Ist dir das egal?«, er wusste was Rori bedrückte. Mit ihren Neunzehn Jahren durfte und konnte sie ihre Fähigkeiten nicht überall gebrauchen, deshalb nahm Van sich vor, in ihrer Gegenwart so wenig wie möglich von seinen Kräften zu zeigen.
»Nein, nein. Bleib lieber gesund. Ach, übrigens, dein Kumpel Will ist da. Er wartet auf dich in der Küche, also beeil dich.«, mit diesen Worten schwebte sie hinaus.
Rori war ein aufgewecktes Mädchen, mit dem es Van noch nie langweilig gewesen war. Seine Schwester hatte genau so wie er schwarzes Haar, aber bei ihr reichte es bis zu den Schultern und manchmal verdeckten Haarsträhnen kleine Teile ihres rundlichen, warmen Gesichtes.
Van stand auf und zog sich an und ohne es zu wollen, ohne es irgendwie geplant zu haben, griff er nach seinem Wecker, der genau in dem Moment angefangen hatte zu klingeln, als Van ihn auch schon ausschaltete. Der Wecker, der jetzt halb elf Uhr vormittags anzeigte, stand auf einem kleinen Tisch neben Vans Bett, auf dem gerade noch genug Platz für eine Leselampe und für einige Bücher war. Er öffnete sein Fenster einen Spalt weit, damit er im Falle einer späten Rückkehr nicht durch das ganze Haus zu gehen brauchte. Nachts lies er das Fenster lieber geschlossen, damit keine ärgerlichen Insekten reinflogen und ihm den Schlaf raubten. Mit einem leichten Grinsen ging er schließlich runter in die Küche, wo Will gerade seinen Kakao zu Ende trank und sich mit Rori unterhielt. Will war etwas kleiner als Van, doch genauso geschickt, was Reaktion und Schnelligkeit anging. Die beiden waren schon seit ihrer frühen Kindheit befreundet und besuchten beide nun schon seit einigen Jahren die Akademie von Conroy.
»Hey Will, was steht an? So früh schon da – haben wir uns nicht auf elf geeinigt?«, fragte Van nach.
»Morgen Schlafmütze. Ja, aber ich konnte nicht mehr schlafen und da dachte ich, ich komme einfach etwas früher. Ist doch okay?«, sprudelte es aus Will heraus, »Außerdem dachte ich, dass du gerade heute nicht so lange schlafen würdest.«, sagte er mit einem Augenzwinkern.
»Ach, ich werde noch genug Zeit haben alles auszuprobieren.«, gab Van lächelnd zurück.
»Ich habe damals so gut wie nicht geschlafen. Ich war die ganze Nacht unterwegs, sodass ich am nächsten Morgen ein Taxi nach Hause nehmen musste. Da war ich wirklich ausgepowert, keine Energie mehr gehabt, um einfach für ein Paar Sekunden in der Luft zu bleiben, geschweige denn zu fliegen.«
»Du hast diese Ausrede ja wirklich drauf.«, lachte Van, »Konntest du dir nicht etwas anderes ausdenken wieso du am nächsten Tag nach deinem Geburtstag nicht mehr fliegen konntest?«
Rori lachte auch und meinte ganz gelassen. »Dafür muss er seine Kräfte nicht benutzen, um sich vor einem Sturz aus dem Bett zu retten.«
»Er hat ja auch keine kleine Schwester, die lauter schreien kann, als ein Düsenjet, der gerade die Schallmauer durchbricht.«
	
In dieser gelassenen Stimmung frühstückten sie zu Ende, bis Van und Will sich erhoben.
»Was habt ihr jetzt vor?«, erkundigte sich Rori.
»Na was wohl, Schwesterherz?«, lachte Van, »Wir erkunden mal die Welt, testen unsere Reflexe. Das Übliche eben.«
»Na dann pass auf, dass du nicht auch mit einem Taxi nach Hause kommst.«
»Keine Angst, Rori, ich passe schon auf. Also wollen wir?«, er drehte sich zu Will.
»Ja, lass uns abdüsen. Bis später, Rori.«
»Viel Spass noch, Jungs.«
Sie gingen raus in den Garten, schauten sich kurz um und nachdem sie sich vergewissert hatten, dass keiner über die hohe Hecke hinüberschaute, stiegen sie mit ihrer maximalen Geschwindigkeit in die Luft. Dass sie jemand sehen könnte, kam nicht in Frage, denn schon nach einem Meter waren die beiden zu schnell für das menschliche Auge. Allerdings konnten sie diese Energie nur für kurze Zeit mobilisieren. Nach einigen Sekunden blieben sie weit oben in den Wolken im Schwebezustand auf einer Stelle schweben. Obwohl Will einige Wochen älter als Van war, konnte er ihn trotzdem nicht überholen. Van war ein Naturtalent, das blieb keinem verborgen. So erreichte er als einziger zwanzigjähriger Schüler der Akademie von Conroy die Dritte Stufe. Damit konnte er drei Kräfte in sich vereinen und sie gekonnt mobilisieren.
»Hast du heute Nacht wieder geträumt?«, Wills Frage riss Van aus seinem Gedankengang.
»Ja, es ist immer das Selbe, immer denke ich, dass ich ertrinken muss. Es ist immer so viel Wasser da.«
»Meinst du, es könnte ein weiterer Splitter in der Nähe sein?«, man merkte sofort wie euphorisch Wills Stimme klang. »Und kannst du ihn jetzt besser wahrnehmen, nachdem du zwanzig geworden bist und deine Kräfte besser gebrauchen kannst?«
»Ich glaube schon. Ich kann jetzt sogar die Richtung spüren, aus der seine Energie zu kommen scheint, nicht nur ihre Gegenwart.«, gab Van hoffnungsvoll zurück.
»Das wäre doch cool. Es ist bestimmt ein Natursplitter mit der Kraft des Wassers, da deine Träume ja von Wasser handeln.«
So flogen sie mit gemächlicher Geschwindigkeit in die Richtung, wohin Vans Intuition sie führte. Es war schön für Van, endlich mal so frei zu sein. In der Luft drehte er seine Rollen, machte Überschläge, spielte mit Wolkenformen rum. Er brauchte sich nur genug auf die Kraft des Windes zu konzentrieren, um aus formlosen Wolkenfeldern bildliche Wolkenfiguren entstehen zu lassen. Will freute sich zwar mit Van, doch Van sah in seinen Augen, dass er etwas traurig war. Bis zum heutigen Tag war Will immer der überragende. Er konnte schon seit Wochen seine Kräfte ungehindert einsetzen, doch nun war er nicht mehr der Einzige und auch nicht mehr der Bessere. Er wollte gerade etwas sagen, doch er kam nicht dazu. Van hielt so plötzlich in einer Wolkenform, dass Will einiges an Geschicklichkeit aufbringen musste, um nicht mit ihm zusammenzustoßen.
»Was ist los?«
»Ich glaube, ich spüre es jetzt ganz deutlich, es scheint wirklich ein Splitter zu sein!«, antwortete Van znd flog unter die Wolkendecke, um nachzusehen wo sie jetzt waren. Unter sich sah er nur einige mit Bäumen und hohem Gras bedeckte Hügel. Jetzt war er sich sicher, die Kraft schien wirklich aus diesem Gebiet zu stammen. Er visierte den höchsten Hügel auf der Erde an und flog darauf zu, dicht gefolgt von Will, dem jetzt die Erwartung über den Fund eines neuen Splitters im Gesicht stand. Auf dem Hügel angekommen überblickten sie die Gegend. Nur ein Paar Vögel sangen in den Bäumen, die hier überall verstreut standen. Es war kein Zeichen von irgendeiner Zivilisation in dieser Gegend zu erkennen. Keine Straßen, keine künstliche Tunnel. Ein perfekter Platz um einen Splitter der Macht zu suchen. Hier müsste Van seine Gegenwart und die genaue Position deutlich spüren, doch er vernahm nur einen winzigen Teil seiner Energie. Er konzentrierte sich noch mehr und glaubte jetzt zu wissen wo er war.
»Folg mir, aber sei vorsichtig. Etwas stimmt hier nicht. So fernab von Menschen müsste ich ihn viel deutlicher spüren.«
»Was, meinst du, könnte los sein? Vielleicht sind einige Darays unterwegs?«
»Wenn das so ist, dann haben wir gleich bestimmt eine schöne Abwechslung. Mir war doch schon wirklich etwas langweilig.«, lächelte Van, doch trotzdem konnte Will seinen beunruhigenden Unterton wahrnehmen. Sie waren noch nie nur zu zweit in einen richtigen Kampf fernab von den anderen verwickelt. Van hatte bis jetzt sogar nur Trainingskämpfe absolviert, denn er konnte vor seinem zwanzigsten Geburtstag keine praktischen Erfahrungen mit den Darays machen.
»Hier müsste es sein, pass auf!«, sie standen in einer kleinen Schlucht, in der es angenehm frisch war.
»Okay, wonach sollen wir Ausschau halten?«
»Das kann ich dir auch nicht sagen, aber wenn wir ihn gefunden haben, dann werde ich es spüren. Das wird doch wirklich unglaublich sein: gleich am ersten Tag finde ich einen Splitter. Kennst du viele Zwanzigjährige, die das von sich behaupten können?«
»Nun, nein. Aber wir haben ihn ja auch noch nicht gef...«
	
»PASS AUF!!!«, Van schubste seinen Freund in eine Hecke und kullerte sich Seitwärts weg, denn genau in diesem Moment schlug ein Feuerball auf die Stelle ein, wo die beiden sich gerade befanden. Solange Will noch mit den Dornen kämpfte und versuchte sich zusammenzureimen, was denn gerade passiert war, stürmte Van schon nach oben und konzentrierte sich mit aller Kraft, sodass die drei Personen, die weiter oben auf einem Hügel standen durch die Luft wirbelten und einige Meter weit weg flogen. Zwei von ihnen landeten leichtfüßig auf einem dicken Baumstamm, der auf der Erde lag, anscheinend eine ehemalige Eiche, die von einem Blitz getroffen worden war. Die dritte Person kullerte allerdings rückwärts weiter, bis ein weiterer Baum ihn zum Anhalten verhalf.
»Was soll denn das? Direkt aus dem Hinterhalt angreifen, dazu auch noch drei gegen zwei?«, brachte Van wütend hervor.
»Nicht doch, beruhige dich,«, sagte die größte Person, »findet den Splitter für uns und wir lassen euch in Frieden.«
»Kommt nicht in Frage!!«
»Tja, dann müssen wir euch wohl eine Lektion erteilen, los greift an!«
Mit diesen Worten sprangen die Personen auseinander und ehe sich Van versah, war auch schon der nächste Ball aus Feuer genau an der Stelle gelandet, wo er einige Augenblicke zuvor gestanden hatte. Er schaute über die Schulter und sah, dass die dritte Person sich gerade konzentrierte. Er hatte keine Zeit nachzudenken, was darauf folgen könnte, denn gerade griff ihn ein Schwarm aggressiver Vögel an. In dem er ihnen so gut wie er konnte ausweichte, konzentrierte er sich und die Luft um ihn herum begann allmählich zu wirbeln. In diesem Wirbel konnten die Vögel nicht bleiben, doch Van konnte auch nicht in der Luft bleiben, denn die Vögel würden immer wieder zurückkehren. Die dritte Person hatte also die Tierwelt unter ihrer Kontrolle. Während er sich das überlegte, sah er einen gewaltigen Bären in Wills Richtung knurren.
Doch er wusste, dass er sich auf Will verlassen konnte, denn genau in dem Moment konzentrierte sich Will und konnte mit seinen kräftigen Armen die Pranken des Bären mühelos abwehren. Van dachte, dass seine Macht der Kraft doch sehr nützlich sei. Doch nun musste er eine Rolle rückwärts hinlegen, denn die erste Person schien den Gefallen daran zu bekommen, Van doch noch zu grillen. Auf ein Mal gab es einen Schlag in den Rücken und Van flog einige Meter weit gegen einen Felsen. Die Angreifer waren ja zu dritt. So was von unfair. Doch Van spürte, dass keiner von ihnen die Dritte Stufe hatte, also konnten sie gegen Will und Van nicht gewinnen. Er bewegte sich von dem Felsen so schnell weg, dass der Angreifer das zu spät bemerkte. Van berührte seinen Körper nicht, doch durch die gebündelte Kraft der Luft schoss er nach oben und prallte einige Augenblicke später gegen einen Baum und blieb erst mal reglos liegen.
Während andere Feuerbälle auf Van einschossen und er sich krümmen und bücken musste, überlegte er, dass er die Person, die den Bären kontrollierte, ausschalten müsste, damit Will ihm helfen konnte. Er bemerkte den Angreifer hinter einem Felsen stehen und immer noch meditieren. Er schoss auf ihn zu und führte unterwegs eine komplizierte Bewegung mit seinen Armen aus. Ein gebündelter Luftstoß riss den Angreifer von den Füßen und ehe dieser Gelandet war, war Van schon bei ihm und verpasste ihm einen Tritt mit dem Fuß. Kampftraining gehörte zu der Grundausbildung an der Akademie.
»Van, ich helfe dir!« schrie Will. Der Feuerball-Mann war wohl durch seine Feuerballattacke so abgelehnt, dass er ihn vergessen hatte. Dieser rammte ihn in der Luft mit der gebündelten Kraft in seinen Armen. Der Angreifer fiel fünf Meter tief, doch zu seinem Glück landete er in einem Busch, der sogleich Feuer gefangen hatte.
»Schnell, Will, wir müssen den Splitter finden und dann von hier abhauen. Ich kann ihn jetzt besser spüren, da die Darays außer Gefecht sind, doch es können jedem Moment weitere auftauchen.«, Van rannte zu einem Felsbrocken, »Hier. Ich bin mir ganz sicher, der Splitter müsste hier drin versteckt sein.«
Will kam zu dem Brocken und mit einem gewaltigen Armhieb zerbrach er den Felsen. Jetzt spürte er den Splitter auch. Er war äußerst klein und grau. Die beiden mussten nicht lange nach ihm suchen, denn sie konnten ihn spüren. Van griff wahllos in den Steinhaufen und angelte den Splitter raus.
»So, nun aber weg.«
»Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen.«, bestätigte Will und stieg zusammen mit Van in die Luft, doch etwas war nicht in Ordnung. Die beiden blieben wie gefesselt in der Luft hängen und es tauchten zwei weitere Personen auf.
»Könnten wir bitte den Splitter haben? Sonnst lassen wir euch runter in die brennende Höhle fallen«, sagte eine von ihnen.
»Um mich aufzuhalten, muss es schon mehr als ein Telekinet ersten Grades sein!«, sagte Van und konzentrierte sich so heftig, dass alle Personen um ihn herum weggeschleudert wurden und er aus der Starre befreit war, doch ehe er zum Angriff übergehen konnte, hielt ihn jemand von unten an die Beine und in diesem Moment, als er runtersah spürte er einen heftigen, brennenden Schmerz an seinem Rücken. Sein T-Shirt fing Feuer und er selbst stürzte ab in den brennenden Wald. Und da sah er den Splitter. Er war ihm beim Angriff aus der Hand geflogen. Gerade als der Feuermann ihn an sich nehmen konnte, kriegte er einen Stoß mit einem dicken Ast, den Will wahrscheinlich vom nächsten Baum gerissen hatte und nun selber nach dem Splitter schnappte. Van landete auf der Krone eines Baums, der schon bis zur Hälfte abgebrannt war und konnte sich dort gerade noch so halten, doch er war nicht im Stande zu fliegen. Sein Körper brannte vor Schmerz und er dachte, dass irgendwo ein Knochen gebrochen sein müsste. Will sah die Ausweglosigkeit und fasste einen Entschluss.
»Ich werde den Splitter aktivieren und uns beide hier rausholen.«
»Nein, das darfst du nicht. Du bist noch nicht so weit. Das wird schief gehen«, Van wusste, dass Will jetzt wirklich eine Heldentat vollbringen wollte, indem er die beiden da rausholte. Van fiel auch auf, dass keiner mehr angriff. Die zwei Neuankömmlinge stürzten sich in den brennenden Wald, um ihre Kameraden zu retten. Somit hatten Van und Will Zeit wegzufliegen. Van hätte nur etwas Starthilfe von Will gebraucht.
»Red keinen Quatsch, Van. Ich bin schon lange bereit für die Dritte Stufe.«, mit diesen Worten führte er den Splitter an seine Brust und aktivierte diesen. Einen Moment lang schien er zu leuchten, doch dann ließ er einen Wasserstrahl auf Vans Baum gleiten, der das Feuer dort löschte. Die fünf Angreifer waren nun wieder in der Luft, zwei von ihnen hielten den Mann, der den Bären kontrolliert hatte, in den Armen. Anscheinend war er nicht in der Lage zu fliegen. Doch die zwei anderen führten schon einen Angriff auf Will aus, der mit seiner Kraft die beiden abwehrte und anschließend riesige Mengen Wasser frei ließ, auf die die Angreifer nicht vorbereitet waren. Sie wurden von der Wassermenge nach unten geschleudert. Van lag immer noch auf der Krone des Baumes, während mit Will etwas vorging. Er hatte die Wasserkraft nicht mehr unter Kontrolle und so spülte sie über Van hinweg und er drohte runter zu fallen, doch er blieb in der Luft. Nicht aus seiner eigenen Kraft. Jemand hielt ihn mit der Kraft seiner Gedanken fest.
»Caitlin!!«, freute sich Van, »Wir sind gerettet.«
Der Wasserschwall hatte aufgehört und Kerrian kam mit dem bewusstlosen Will in seinen Armen zu Van und Caitlin.
»Was hat er sich dabei gedacht, den Splitter zu benutzen. Er wusste doch, dass er noch nicht so weit war. Ich musste ihn außer Gefecht setzen, damit er aufhört.«
»Aber es wird ihm doch nichts Schlimmes passiert sein?«, Van klang besorgt.
»Wollen wir hoffen, dass du Recht hast. Aber jetzt müssen wir in die Akademie zurück. Kannst du fliegen oder sollte Caitlin deine Wunden heilen?«
»Also den gebrochenen Knochen konnte ich schon heilen, aber die übrigen Blessuren werfen dich doch nicht aus der Bahn?«, meldete sich Caitlin.
»Ja, es wird schon gehen, danke.«, gab Van trocken zurück.
Chaya
Van ging in einem Zimmer der Akademie umher und wartete. Wartete, bis jemand kommen würde und ihm sagen würde, was nun mit Will passiert. Wartete, ob sie bestraft werden, weil sie sich ohne Erlaubnis und nur zu zweit auf die Suche nach einem nicht identifizierten Splitter der Macht begaben. Doch am meisten fürchtete sich Van vor Wills Schicksal. Man muss geistlich und körperlich bereit sein, um sich auf die nächst höhere Stufe zu begeben, einen weiteren Splitter der Macht zu aktivieren. Van wusste nicht ganz, was mit denen passierte, die den Splitter frühzeitig aktiviert hatten, doch ihm blieb die Erzählung im Gedächtnis hängen. Er erinnerte sich, wie besorgt alle um Poseidon waren.
Seit Vans gesamten Zeit auf der Akademie gab es nur einen Vorfall einer zu frühen Aktivierung, doch es war damals nicht so schlimm. Gerüchte gingen umher, dass derjenige nur einen schwachen Splitter aktiviert hatte. Die Folge darauf war, dass er nur seine gesamten Kräfte einbüßen musste, um schlimmeren Folgen zu entgehen. Doch bei Will war es anders; er hatte einen mächtigen Splitter an sich genommen, doch die Frage blieb, ob Kerrian ihn rechtzeitig außer Gefecht gesetzt hatte. Denn dann würde die Macht in ihm wohl nicht so angestiegen sein, dass Will bleibende Schäden zu befürchten hatte. Das hoffte Van, denn er hat sich eingeredet, dass das alles seine Schuld war. Hätte er den Splitter doch blos nicht wahrgenommen. Sie würden dann womöglich immer noch mit Will durch die Lüfte gleiten und Wolken verändern.
Van blieb an dem Gedanken hängen, in der Hoffnung, das noch irgendwann zu machen und sich dabei von keinen Splittern ablenken zu lassen. Er konnte nicht ruhig sitzen, musste immer wieder seine Kreise im Zimmer machen. Das Glas Wasser, das da auf dem Tisch stand, hatte er nicht angerührt und er merkte auch gar nicht, dass er am Arm blutete. Erst als er zum wiederholten Male seine Runde drehte, fiel ihm ein roter Faden auf dem Boden auf. Van musste zuerst begreifen, dass das sein Blut war. Dann spürte er auch schon die Wunde am Arm, als ob er aus einer Art Trance erwachte, die alle seine Gefühle unterdrückt hatte. Er holte sich vom oberen Regal einen Verbandskasten und wickelte mit einem Tuch seinen Arm ein. Die Blutung konnte er stoppen, doch der Schmerz blieb. Sowohl physisch, als auch psychisch. Draußen hörte er einige Stimmen, dann Schritte, die näher kamen und schließlich ein Klicken in der Tür und sie sprang auf.
Conroy stand im Raum. Er war der Oberste, weiseste und wohl auch der Mächtigste unter den Kriegern in der Akademie. Keiner wusste wie alt er war; man konnte es auch schlecht erraten. Dem zu Folge wie er aussieht, würden ihn einige auf achtzig Jahre schätzen, doch bewegte er sich und kämpfte, wie ein dreißigjähriger Krieger. Sein Alter war ihm im Kampf nicht anzumerken und keiner konnte auch genau sagen bei welcher Stufe der Macht er sich gerade befand. Theorien unter den Schülern gingen von fünf bis zehn Splittern aus, doch manchmal erweckte Conroy den Eindruck, dass er noch viel weiter war.
»Nun, was hast du mir zu erzählen, Evan?«, Conroy klang ruhig.
»Wie geht es Will? Wird er wieder gesund?«, Van musste mit dieser Gegenfrage anfangen.
»Er lebt, doch genaues kann ich dir im Moment nicht sagen. Wir haben seine Kräfte extrahiert und es ist unwahrscheinlich, dass er sie je wieder zurückkriegt. Im Moment liegt er im Koma. Ich kann nicht sagen wann er wieder aufwacht.«, Van drehte sich bei diesen Worten der Magen um. Er, er ganz allein war dafür verantwortlich, dass Will keine Kräfte mehr besaß.
»Also, zu meiner Frage; wie habt ihr den Splitter gefunden und wieso seid ihr nur zu zweit unterwegs gewesen? Wieso habt ihr die anderen nicht alarmiert?«
»Heute Nacht hatte ich wieder einen Traum vom Wasser und von einer versunkenen Stadt. Con, ich glaube, ich habe von Atlantis geträumt.«, Van wollte endlich die Wahrheit über seine Träume erfahren. Zuvor schien es ihm nicht wichtig zu sein, doch seit er vor zwei Tagen begann die Gegenwart eines Splitters zu fühlen, hat er sich diese Frage öfters gestellt. Als er merkte, dass Conroy lieber zuhören würde, als zu reden, fuhr er fort. »Vor ein Paar Tagen begann ich den Splitter zu spüren, doch er war schwach, ich wusste nicht, in welcher Richtung ich suchen sollte. Deshalb wollte ich warten, bis ich zwanzig geworden war und sich dann konkreter um den Splitter kümmern könnte, natürlich nur mit Erlaubnis der Akademie. Doch heute nahm ich den Splitter besonders intensiv wahr und da Will auch da war, dachte ich, da wäre nichts dabei, wenn wir der Sache einfach auf den Grund gehen würden. Anscheinend haben die Darays den Splitter auch wahrgenommen. Nur waren wir einige Minuten schneller bei ihm, als sie.«
»Evan, du darfst nie vergessen, dass Cillian Daray auch fähige Leute hat. Du darfst nie wieder so leichtsinnig handeln, sonst wirst du mehr verlieren, als die Kräfte deines Freundes.«
»Ja, Con, ich weiß.«
»Und was deinen Traum angeht, könntest du wirklich von der Stadt der Atlanten geträumt haben. Da du jetzt deine Kräfte besser kontrollieren kannst, kannst du die Energien der Splitter besser wahrnehmen. Und ich glaube, dass der Splitter, den Will an sich genommen hat, etwas mit dem Splitter zu tun hat, den Poseidon vor zehn Tausend Jahren benutzt hat. Das wäre eine Erklärung für deinen Traum von Atlantis.«
Van wusste nicht was er sagen sollte; es war überwältigend für ihn, so nah an einem antiken Ereignis gewesen zu sein. Er konnte im Traum die Wassermengen, die von dem Splitter ausgingen, nahezu spüren. Es war beängstigend und wundervoll zu gleich.
»Aber ich wollte mit dir noch etwas anderes besprechen, Evan.«, Conroy unterbrach die Stille und Vans Gedanken über den Traum, »Wir haben vor kurzem einen weiteren Menschen mit einem außergewöhnlich hohen Energieniveau wahrgenommen. Seine Energieimpulse sind nicht beständig, doch wir glauben endlich denjenigen gefunden zu haben, der den Vita-Splitter benutzen und einsetzen kann.«, Van war geschockt; derjenige könnte mit dem Vita-Splitter umgehen? Dem mächtigsten Splitter überhaupt? Mit dem Splitter, der über das Leben und den Tod entscheidet?
»Aber Con, wenn die Darays den finden, könnte es schlecht für uns werden.«
»Der Ansicht bin ich auch. Wenn sie diesen Menschen erst mal ausgebildet haben, dann kann er diesen Splitter lokalisieren und es wäre für die Welt nicht so schön – ja nahezu tragisch. Deshalb musst du dich mit Caitlin, Kerrian und Lani sofort auf die Suche nach diesem Menschen machen. Das wäre dann mein erster Auftrag, den ich für dich und Will vorgesehen hatte, doch nun müsst ihr die Sache eben zu viert erledigen und ehrlich gesagt, könnte ich mir kein besseres Team vorstellen. Wenn du geduldig bist, wartet schon bald ein Splitter der vierten Stufe auf dich.,«, Conroy bemerkte mit einem Grinsen die großen Augen von Van, »also los, ihr dürft keine Zeit verlieren. Kerrian weiß bescheid, wohin ihr zu fliegen habt«
»Richte Will schöne Grüße von mir aus.«, sagte Van und lief aus dem Zimmer.
»Wie siehts aus, Van, bereit?«, fragte Kerrian.
»Hallo, Lani, ja ich bin fast bereit,«, er wickelte den Tuch von seinem Arm, »Caitlin, meinst du, du könntest...?«
»Na klar, kein Problem. Komm her.«, sagte sie und kam selbst schnell zu Van und hatte schon ihre Hände über der Wunde, die sogleich zu schrumpfen begann und sich allmählich auch ganz verschloss.
»Danke, also wohin müssen wir?«
»Folg mir einfach.«, antwortete Kerrian. Er spielte gerne den Anführer und wenigstens Einen im Team zu haben, der nicht wusste, wohin es ging, machte ihn stolz, dass er seinem Anführerstatus schon so früh am Anfang der Mission gerecht werden konnte.
»Also gut, wir müssen so schnell wie möglich diese Person finden. Unseren Informationen zu folge befindet sie sich irgendwo in der Stadt.«, mit diesen Worten stieß er sich von der Erde ab und begann mit dem Steigflug, der immer schneller wurde. Im Himmel wurde er dann von einer weißen Wolke begrüßt. Als andere zu Kerrian dazu kamen, ging es auch schon los. Kerrian ganz vorne zusammen mit Lani. Danach folgten Caitlin und Van, der durch die Wolken jagte. Alles sah nach einem fröhlichen Ausflug, bei dem die Freunde zum nächsten See fliegen und dort in aller Ruhe picknicken würden. Doch wer sie sich näher betrachtete, der konnte keine Rücksäcke mit vollem Inhalt an Lebensmitteln für den Picknick an ihren Rücken sehen und ihre Mienen waren so ernst und nachdenklich, dass der Gedanke an einen Ausflug sich ganz schnell wieder verflüchtigte; genau wie die Wolkenformen unter ihnen.
Schnell merkte Van, dass sie auf eine große Stadt zuflogen,
»Wir haben diesen Energieimpuls irgendwo in diesem Stadtzentrum wahrgenommen. Wir müssen vorsichtig sein, damit wir mit unserer Fliegerei kein Aufsehen erregen,«, Kerrian war auf ein Mal sehr ernst geworden, »wir werden uns aufteilen und wenn jemand diese Person gefunden hat, dann gibt er einen besonders starken und kurzen Energieimpuls, damit die anderen ihn schnell orten können. Wenn wir Glück haben, sind die Darays noch nicht hier, andererseits müssen wir uns beeilen. Ich schlage vor, ihr landet auf den Hochhäusern und steigt dann mit dem Fahrstuhl runter. Auf der Straße werden wir es leichter haben, zu suchen, ohne aufzufallen.«
»Ich denke, ich fange gleich auf der Straße an, um Zeit zu sparen.«, Van konnte mit seiner Geschwindigkeit irgendwo in der Seitenstraße landen und nicht bemerkt werden.
»Einverstanden. Also los! Seid vorsichtig.«
Die Gruppe teilte sich auf. Caitlin und Lani flogen auf den nächsten Wolkenkratzer zu und Kerrian und Van schossen mit einer hohen Geschwindigkeit zwischen zwei Häusern in die Tiefe, um in einer Seitenstraße unbemerkt zu landen. Auf dem Boden teilten sie sich dann auch auf.
Van ging durch die Straßen, seine Sinne bis zum Anschlag geschärft und angespannt, doch er konnte keine Veränderung feststellen, also hatten die anderen wohl auch wenig Glück. Es schien fast unmöglich, eine einzelne Person unter den Tausenden von Leuten, die durch die Straßen eilten, zu lokalisieren. Wenn diese Person bloß noch ein Mal ihre Energie benutzen würde, dann wäre es einfacher. Doch nichts der Gleichen geschah. Van musste schon seit einer Stunde in der Stadt sein, ohne Erfolg, bis er einen Schatten auf einem der Hochhäuser bemerkte – es war keiner von seiner Gruppe.
»Nein, die Darays sind da!«, sagte Van leise vor sich hin. Er musste schnell handeln. Jedem einzelnem Hinweis nachgehen und gerade ist eben einer vorbeigefahren. In der Form eines Krankenwagens, der es ziemlich eilig zu haben schien.
»Besser, als gar nichts.«, dachte Van und eilte dem Wagen durch die Straßen hinterher. Ihm war es egal, dass einige Passanten sich über seine außergewöhnliche Schnelligkeit wunderten, denn er hatte gerade einen von den Darays in die selbe Richtung fliegen sehen.
War sich diese Person überhaupt im Klaren, welche Jagd gerade ihretwegen durch die Stadt unternommen wurde? Und das Wichtigste – wusste diese Person etwas über ihre Fähigkeiten? Diese und manche anderen Fragen beschäftigten Van, als er gerade in eine Straße einbog, die voller Passanten war und wo der Krankenwagen zu sehen war. Er bemerkte auch den Daray, der gerade auf einem der Dächer gelandet war und dieses Schauspiel unter ihm genüsslich ansah. Van musste sich durch die Menge kämpfen, denn er konnte es nicht riskieren, von dem Daray bemerkt zu werden, indem er flog. Obwohl Van spürte, dass dieser Daray nicht unbedingt stark war, konnten seine Freunde doch nicht weit sein und da spürte er eine Energie, ganz in seiner Nähe. Sehr schwach und doch wahrnehmbar.
Gerade war Van durch die Menschenmenge gekommen und sah eine Frau, die den Kopf auf den Knien einer anderen jungen Frau hatte. Die zweite Frau war kaum älter als Van und sie schluchzte leise, indem sie den Kopf, wahrscheinlich ihrer Mutter, sachte tätschelte. Sie musste es sein. Van hatte einen schwachen Energierest in ihr wahrgenommen, doch wie konnte er sie von hier fortschaffen? Er traute sich auch nicht, einen Energieimpuls von sich zu geben, da er nicht wusste, ob die Darays näher zu ihm waren, als Kerrian und die anderen. Der andere Daray auf dem Dach sah nach allen Seiten und Van vermutete, dass er nach seinen Kollegen Ausschau hielt, die wahrscheinlich jeden Moment hier sein würden. Van musste handeln.
Während er überlegte, wurden die beiden Frauen in den Krankenwagen gebracht und dieser fuhr anschließend unter lauten Sirenengeheul weiter, in Richtung Krankenhaus, wie Van vermutete. Der Daray setzte sich auch in Bewegung und wie Van feststellte, mit einer besorgten Miene. Also befürchtete auch er, dass in der Nähe einige von seinen Feinden sein mochte und traute sich nicht einen Energieimpuls loszuschicken, um seine Kollegen herzurufen, denn so konnte er aus Versehen auch Vans Freunde auf sich aufmerksam machen.
Mit Schrecken stellte Van fest, dass die Darays mittlerweile schon zu zweit in der Luft waren und den Krankenwagen genau beobachteten. Er konnte nicht länger warten. Im nächsten Tunnel wollte er das Mädchen aus dem Wagen holen und im Alleingang versuchen, mit ihm zu Conroy zu kommen. Der rettende Tunnel kam in Sicht und Van beschleunigte, um möglichst unbemerkt vor dem Wagen im Tunnel zu sein. Die Darays waren zu sehr auf den Wagen fixiert und so konnten sie Van nicht bemerken, wie dieser auf einer Parallelstraße auf den Tunnel zueilte.
Van konnte nur hoffen, dass die Darays nicht auch in den Tunnel fliegen würden, aber das würden sie sicher nicht wagen. Sie durften nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken. Als der Wagen im Tunnel war, stellte Van mit Erleichterung fest, dass hinter ihm sonst keine anderen Fahrzeuge fuhren und die Darays tatsächlich beschlossen haben, über dem Tunnel zu fliegen. Van holte den Wagen mit Leichtigkeit von Hinten ein und öffnete die hintere Tür. Das Mädchen ist fast starr aus Angst geworden »Was!?«, doch Van blieb keine Zeit zum Erklären, der Wagen würde gleich das Ende des Tunnels erreichen. So schnappte er sich das immer noch fassungslose Mädchen und eilte mit ihm wieder auf die Straße, genau im richtigen Moment, wie Van feststellte, denn sobald sie aus dem Wagen gesprungen waren, fuhr dieser wieder auf die offene Straße hinaus. Zu spät merkte Van, dass die hintere Tür immer noch offen war.
Er musste schnell handeln und so nahm er das Mädchen, das vor Entsetzen seine Sprachen verloren schien, in die Arme und flog mit ihm dicht über der Tunneldecke auf die andere Seite des Tunnels zu. Am Ende des Tunnels bog er nach links ab, denn da befand sich, seiner Erinnerung nach, eine U-Bahnstation. Unter der Erde konnten sie gefahrlos weiter fliehen. Van landete direkt vor dem Eingang und ohne nach hinten zu schauen und die ohne auf die erstaunten Passanten zu achten, zog er das Mädchen in das Gebäude hinein, wo die Rolltreppen sie weiter unter die Erde brachten. Van hatte viel mehr Widerstand von dem Mädchen erwartet, doch er konnte es mühelos hinter sich her ziehen. Sie hatten Glück, gerade kam eine U-Bahn an, wo die beiden auch einstiegen. Van setzte sich auf eine Couch und versuchte seinen Puls wieder unter Kontrolle zu kriegen. Das Mädchen sackte kraftlos neben ihm zusammen und schluchzte leise.
»Na das war ja ne irre Flucht«, Van wollte die peinliche Stille mit einem Witz beenden, »Ich heiße Evan, doch alle Freunde nennen mich einfach Van. Und wie heißt du?«
»Ch-Ch-Chaya... Warum hast du mich h-hier her gebracht?«, Chaya weinte immer noch leise vor sich hin und Van sah sich einer weiteren schwierigen Aufgabe gegenüber – Chaya zu überzeugen, dass er einer von den Guten war und sie retten wollte. Doch nachdem er sie aus einem fahrenden Wagen hinausgezerrt hatte, fiel es hm schwer zu glauben, dass sie sich so einfach überzeugen ließ.
»Das ist eine lange Geschichte, doch glaub mir, ich musste dich aus dem Wagen holen, um dich vor schlimmen Menschen zu retten«, Van dachte, dass das nicht überaus überzeugend klang, doch zu seiner Überraschung nickte Chaya leicht, »Ich glaube dir. Ich habe gleich gespürt, dass du mir nichts Böses wolltest, ganz anders, als dieser andere Mann auf dem Dach. Er war voller böser Energie. Und er scheint hier in der Nähe zu sein...«
								»Wie müssen durchhalten! Verteidigt die Stadt. Die Titanen dürfen hier nicht rein!«, schrie ein großer Mann, der drei Eindringlinge auf ein Mal abwehrte. Obwohl sie in der Überzahl waren, konnten sie den Mann nicht bezwingen.
Es war eine erbitterte Schlacht zu See, auf der Erde und in der Luft, jeder in seinem Element. Jeder überall da, wo er am stärksten war. Doch die Titanen schienen überall gleich stark zu sein. Es machte keinem Einzelnen von ihnen aus, ob sie in der Luft oder auf der Erde kämpften.
»Phöbus, hilf deiner Schwester, sie wird angegriffen!«, schrie der große Mann wieder, nachdem er die drei Angreifer nun mit seinen Blitzen vertrieben und sich neuen Gegnern zugewendet hatte.
»Ja, Vater, ich sehe es.«, Phöbus jagte auf die Erde zu, wo Diana gerade von zwei weiteren Angreifern bedrängt wurde. Doch er sah schon, dass sie auch ohne seine Hilfe gut zu Recht kam. Etwas, das aussah, als ob es Urwaldlianen wären, schossen aus der Erde und wickelten die Angreifer ein, doch wenige Augeblicke später tauchte eine dritte Person auf, berührte die Lianenfesseln und sie gingen in Flammen auf. Diana konnte sich gerade noch rechtzeitig bücken, um nicht von den brennenden Überresten der Lianen getroffen zu werden. Gerade wollten die anderen sie angreifen, als Phöbus vor ihr auftauchte:
»Ihr werdet ihr nichts tun, verschwindet!«, sagte er und begann so hell zu leuchten, dass die Angreifer ihre Hände vor dem Gesicht halten mussten, um nicht geblendet zu werden. Das war der nötige Augenblick, in dem Diana, Phöbus und eine dritte Person es schafften, die drei Angreifer unschädlich zu machen.
»Danke, Hades!«, Diana stand erleichtert auf und schaute sich um; überall waren Menschen in Kämpfe verwickelt. Die Titanen waren zwar in der Unterzahl, doch sie waren den Atlanten körperlich und geistig überlegen, vor allem, weil sie viel älter waren und es schon bestens gelernt haben, ihre Kräfte einzusetzen. Doch die Älteren, die zu Atlantis standen, konnten den Titanen Widerstand leisten. Sogleich stürzte Hades wieder in den Kampf.
»Kronos darf nicht in die Stadt, koste es was es wolle. Wenn er den Splitter bekommt, ist es aus für uns. Das darf nicht geschehen!«, schrie der Vater von Phöbus.
»Das wissen wir, danke, Zeus!«, schrie Hera, seine Gattin. Sie flog auf die Erde zu und ließ durch die Kraft ihrer Gedanken einen Spalt in dem Boden öffnen. Zwar konnten die Titanen fliegen, doch das verwirrte sie für einen Augenblick, der entscheidend für den Angriff von Hera war.
So langsam glaubten Phöbus und Diana, dass sie nun gewinnen würden, denn die Titanen wichen mehr und mehr zurück, indem Zeus und Hades ihnen dabei halfen.
Doch dann passierte etwas; eine dunkle Gestalt jagte durch die Luft auf die Stadt zu, zu schnell, um sich von dem abgelenkten Zeus bemerken zu lassen. Die Gestalt kam direkt vor Phöbus zum stehen und schleuderte ihn zu Seite, eher Phöbus begriffen hatte was gerade passiert war. Diana folgte der Gestalt, denn sie wusste; die Titanen daran zu hindern, den Splitter zu bekommen war sogar wichtiger, als die Gesundheit ihres Bruders.
Sie lief der Gestalt hinterher, aber sie war nicht schnell genug, doch dann hörte sie eine vertraute Stimme hinter sich:
»Diana, geh und kümmere dich um deinen Bruder. Ich erledige das hier.«
»Poseidon? Schaffst du das? Vielleicht wirst du meine Hilfe brauchen?«, Diana wollte beweisen, dass sie mutig ist.
»Nein, du kannst da nichts ausrichten. Nun geh! Und bring dich und deinen Bruder in Sicherheit.«
»Okay, aber pass auf dich auf.«
»Das werde ich!«, Poseidon ließ sie stehen und eilte selbst hinunter in die Stadt.
Diana lief wieder zurück und kam rechtzeitig bei Phöbus an, als dieser sich gerade aufrichtete.
»Was ist passiert?«, fragte er ziemlich benommen und fühlte an seinem Hinterkopf nach einer großen Beule.
»Du wurdest umgestoßen und ein Angreifer ist in die Stadt durchgekommen.«
»Was? Wir müssen sofort hin und ihn aufhalten.«
»Beruhige dich. Poseidon ist schon dort. Er wird sich um ihn kümmern. Alles ist in Ordnung.«, doch noch eher sie das ausgesprochen hatte merkte sie, dass etwas doch nicht in Ordnung war.
Es wurde eine riesige Menge Energie frei. Das konnten alle in der Umgebung spüren, denn für einige Augenblicke erstarben die Kämpfe und alle wandten sich nach der Quelle dieser Kraft um.
»Der Splitter wurde aktiviert.«, flüsterte Diana leise, doch so aufdringlich, dass Phöbus dachte, die ganze Welt würde es hören, »doch von wem?«, - ihre Antwort kam etwas wenig später. Der Angreifer, der vorhin in die Stadt durchgedrungen war, flog jetzt wieder in die Luft und wurde sogleich von Poseidon aufgeholt, der durch seine einzige Anwesenheit die Titanen zwang, zu fliehen.
Sie waren gerettet, doch Zeus schaute immer noch besorgt zu Poseidon, der seine neuen riesigen Kräfte anscheinend nicht mehr kontrollieren konnte.
»Ich musste es tun, sonst wäre Kronos in den Besitz des Splitters gelangt. Verzeiht mir, ich hatte keine Wahl.«
»Beruhige dich, du hast das Richtige getan, doch nun musst du dich unter Kontrolle bringen.«, Zeus wollte die Hoffnung nicht verlieren, doch es war schon zu spät. Große Wassermassen erhoben sich über der Stadt. Poseidon schien das Wasser anzuziehen. Alle brachten sich in Sicherheit. Weg von der Stadt. Sie durften Poseidon nicht zu nahe fliegen, denn sie würden dann wohl auch durch die Kraft des Splitters wegtreiben.
»Zeus, tu es!! Bevor es zu spät ist«, flehte Poseidon. Und Zeus sammelte seine Kraft zusammen, mit dem Wissen, dass es keinen anderen Ausweg gab. Er feuerte seinen Blitz auf Poseidon und dieser wurde umgehauen und außer Gefecht gesetzt. In dem Moment als Phöbus zu Poseidon hochschoss und ihn vor dem Aufprall auf die Erde rettete, brachen die ganzen Wassermengen, die der Splitter um sich gesammelt hatte, auf die Stadt ein. Die Stadt war verloren, doch der Splitter kam nicht in die Hände der Titanen.
***
Van kannte diese Geschichte schon fast auswendig. Sie zeigte den wahren Ursprung seiner Kräfte und derer seiner Freunde. Und nun wusste er auch, dass es an der Zeit für ihn war, sich der Suche nach den Splittern anzuschließen und dabei zu helfen, die Welt vor dem Vita-Splitter zu bewahren, indem er es nicht zulassen durfte, dass dieser in die falschen Hände geriet.
Der Angriff
Als Van erwachte, war es noch dunkel draußen, aber es war heiß. Dieser Sommer ist besonders heiß geworden. Van jagte einen kleinen Luftstrom durch sein Zimmer und dachte unter der angenehmen Brise an den gestrigen Tag. Endlich war er zwanzig Jahre alt geworden. Endlich konnte er mit seiner praktischen Ausbildung beginnen und auf Missionen gehen, die weite Welt besser erkunden, als es ihm bis dahin möglich war. Einige Minuten lag er noch da und überlegte sich, was er wohl als aller erstes unternehmen würde und ob Conroy schon einen Auftrag für ihn hätte. So schlief er, ohne es zu merken, in dem glückseligen Gefühl wieder ein.
»Aaaufwachen!!«, Rori kam ins Zimmer gestürmt und hatte Van mit ihrem lautem Schrei so abrupt aus dem Schlaf gerissen, dass er fast vom Bett gestürzt wäre, doch er fiel nicht.
»Dass du jetzt deine Kräfte benutzen kannst, heißt noch lange nicht, dass du sie auch immer und überall einsetzen musst.«, sagte sie in einem belustigten Ton über Van hinweg, als er mit einer leichten Bewegung wieder zurück auf das Bett kam.
»Ich wäre doch fast hingefallen. Ist dir das egal?«, er wusste was Rori bedrückte. Mit ihren Neunzehn Jahren durfte und konnte sie ihre Fähigkeiten nicht überall gebrauchen, deshalb nahm Van sich vor, in ihrer Gegenwart so wenig wie möglich von seinen Kräften zu zeigen.
»Nein, nein. Bleib lieber gesund. Ach, übrigens, dein Kumpel Will ist da. Er wartet auf dich in der Küche, also beeil dich.«, mit diesen Worten schwebte sie hinaus.
Rori war ein aufgewecktes Mädchen, mit dem es Van noch nie langweilig gewesen war. Seine Schwester hatte genau so wie er schwarzes Haar, aber bei ihr reichte es bis zu den Schultern und manchmal verdeckten Haarsträhnen kleine Teile ihres rundlichen, warmen Gesichtes.
Van stand auf und zog sich an und ohne es zu wollen, ohne es irgendwie geplant zu haben, griff er nach seinem Wecker, der genau in dem Moment angefangen hatte zu klingeln, als Van ihn auch schon ausschaltete. Der Wecker, der jetzt halb elf Uhr vormittags anzeigte, stand auf einem kleinen Tisch neben Vans Bett, auf dem gerade noch genug Platz für eine Leselampe und für einige Bücher war. Er öffnete sein Fenster einen Spalt weit, damit er im Falle einer späten Rückkehr nicht durch das ganze Haus zu gehen brauchte. Nachts lies er das Fenster lieber geschlossen, damit keine ärgerlichen Insekten reinflogen und ihm den Schlaf raubten. Mit einem leichten Grinsen ging er schließlich runter in die Küche, wo Will gerade seinen Kakao zu Ende trank und sich mit Rori unterhielt. Will war etwas kleiner als Van, doch genauso geschickt, was Reaktion und Schnelligkeit anging. Die beiden waren schon seit ihrer frühen Kindheit befreundet und besuchten beide nun schon seit einigen Jahren die Akademie von Conroy.
»Hey Will, was steht an? So früh schon da – haben wir uns nicht auf elf geeinigt?«, fragte Van nach.
»Morgen Schlafmütze. Ja, aber ich konnte nicht mehr schlafen und da dachte ich, ich komme einfach etwas früher. Ist doch okay?«, sprudelte es aus Will heraus, »Außerdem dachte ich, dass du gerade heute nicht so lange schlafen würdest.«, sagte er mit einem Augenzwinkern.
»Ach, ich werde noch genug Zeit haben alles auszuprobieren.«, gab Van lächelnd zurück.
»Ich habe damals so gut wie nicht geschlafen. Ich war die ganze Nacht unterwegs, sodass ich am nächsten Morgen ein Taxi nach Hause nehmen musste. Da war ich wirklich ausgepowert, keine Energie mehr gehabt, um einfach für ein Paar Sekunden in der Luft zu bleiben, geschweige denn zu fliegen.«
»Du hast diese Ausrede ja wirklich drauf.«, lachte Van, »Konntest du dir nicht etwas anderes ausdenken wieso du am nächsten Tag nach deinem Geburtstag nicht mehr fliegen konntest?«
Rori lachte auch und meinte ganz gelassen. »Dafür muss er seine Kräfte nicht benutzen, um sich vor einem Sturz aus dem Bett zu retten.«
»Er hat ja auch keine kleine Schwester, die lauter schreien kann, als ein Düsenjet, der gerade die Schallmauer durchbricht.«
In dieser gelassenen Stimmung frühstückten sie zu Ende, bis Van und Will sich erhoben.
»Was habt ihr jetzt vor?«, erkundigte sich Rori.
»Na was wohl, Schwesterherz?«, lachte Van, »Wir erkunden mal die Welt, testen unsere Reflexe. Das Übliche eben.«
»Na dann pass auf, dass du nicht auch mit einem Taxi nach Hause kommst.«
»Keine Angst, Rori, ich passe schon auf. Also wollen wir?«, er drehte sich zu Will.
»Ja, lass uns abdüsen. Bis später, Rori.«
»Viel Spass noch, Jungs.«
Sie gingen raus in den Garten, schauten sich kurz um und nachdem sie sich vergewissert hatten, dass keiner über die hohe Hecke hinüberschaute, stiegen sie mit ihrer maximalen Geschwindigkeit in die Luft. Dass sie jemand sehen könnte, kam nicht in Frage, denn schon nach einem Meter waren die beiden zu schnell für das menschliche Auge. Allerdings konnten sie diese Energie nur für kurze Zeit mobilisieren. Nach einigen Sekunden blieben sie weit oben in den Wolken im Schwebezustand auf einer Stelle schweben. Obwohl Will einige Wochen älter als Van war, konnte er ihn trotzdem nicht überholen. Van war ein Naturtalent, das blieb keinem verborgen. So erreichte er als einziger zwanzigjähriger Schüler der Akademie von Conroy die Dritte Stufe. Damit konnte er drei Kräfte in sich vereinen und sie gekonnt mobilisieren.
»Hast du heute Nacht wieder geträumt?«, Wills Frage riss Van aus seinem Gedankengang.
»Ja, es ist immer das Selbe, immer denke ich, dass ich ertrinken muss. Es ist immer so viel Wasser da.«
»Meinst du, es könnte ein weiterer Splitter in der Nähe sein?«, man merkte sofort wie euphorisch Wills Stimme klang. »Und kannst du ihn jetzt besser wahrnehmen, nachdem du zwanzig geworden bist und deine Kräfte besser gebrauchen kannst?«
»Ich glaube schon. Ich kann jetzt sogar die Richtung spüren, aus der seine Energie zu kommen scheint, nicht nur ihre Gegenwart.«, gab Van hoffnungsvoll zurück.
»Das wäre doch cool. Es ist bestimmt ein Natursplitter mit der Kraft des Wassers, da deine Träume ja von Wasser handeln.«
So flogen sie mit gemächlicher Geschwindigkeit in die Richtung, wohin Vans Intuition sie führte. Es war schön für Van, endlich mal so frei zu sein. In der Luft drehte er seine Rollen, machte Überschläge, spielte mit Wolkenformen rum. Er brauchte sich nur genug auf die Kraft des Windes zu konzentrieren, um aus formlosen Wolkenfeldern bildliche Wolkenfiguren entstehen zu lassen. Will freute sich zwar mit Van, doch Van sah in seinen Augen, dass er etwas traurig war. Bis zum heutigen Tag war Will immer der überragende. Er konnte schon seit Wochen seine Kräfte ungehindert einsetzen, doch nun war er nicht mehr der Einzige und auch nicht mehr der Bessere. Er wollte gerade etwas sagen, doch er kam nicht dazu. Van hielt so plötzlich in einer Wolkenform, dass Will einiges an Geschicklichkeit aufbringen musste, um nicht mit ihm zusammenzustoßen.
»Was ist los?«
»Ich glaube, ich spüre es jetzt ganz deutlich, es scheint wirklich ein Splitter zu sein!«, antwortete Van znd flog unter die Wolkendecke, um nachzusehen wo sie jetzt waren. Unter sich sah er nur einige mit Bäumen und hohem Gras bedeckte Hügel. Jetzt war er sich sicher, die Kraft schien wirklich aus diesem Gebiet zu stammen. Er visierte den höchsten Hügel auf der Erde an und flog darauf zu, dicht gefolgt von Will, dem jetzt die Erwartung über den Fund eines neuen Splitters im Gesicht stand. Auf dem Hügel angekommen überblickten sie die Gegend. Nur ein Paar Vögel sangen in den Bäumen, die hier überall verstreut standen. Es war kein Zeichen von irgendeiner Zivilisation in dieser Gegend zu erkennen. Keine Straßen, keine künstliche Tunnel. Ein perfekter Platz um einen Splitter der Macht zu suchen. Hier müsste Van seine Gegenwart und die genaue Position deutlich spüren, doch er vernahm nur einen winzigen Teil seiner Energie. Er konzentrierte sich noch mehr und glaubte jetzt zu wissen wo er war.
»Folg mir, aber sei vorsichtig. Etwas stimmt hier nicht. So fernab von Menschen müsste ich ihn viel deutlicher spüren.«
»Was, meinst du, könnte los sein? Vielleicht sind einige Darays unterwegs?«
»Wenn das so ist, dann haben wir gleich bestimmt eine schöne Abwechslung. Mir war doch schon wirklich etwas langweilig.«, lächelte Van, doch trotzdem konnte Will seinen beunruhigenden Unterton wahrnehmen. Sie waren noch nie nur zu zweit in einen richtigen Kampf fernab von den anderen verwickelt. Van hatte bis jetzt sogar nur Trainingskämpfe absolviert, denn er konnte vor seinem zwanzigsten Geburtstag keine praktischen Erfahrungen mit den Darays machen.
»Hier müsste es sein, pass auf!«, sie standen in einer kleinen Schlucht, in der es angenehm frisch war.
»Okay, wonach sollen wir Ausschau halten?«
»Das kann ich dir auch nicht sagen, aber wenn wir ihn gefunden haben, dann werde ich es spüren. Das wird doch wirklich unglaublich sein: gleich am ersten Tag finde ich einen Splitter. Kennst du viele Zwanzigjährige, die das von sich behaupten können?«
»Nun, nein. Aber wir haben ihn ja auch noch nicht gef...«
»PASS AUF!!!«, Van schubste seinen Freund in eine Hecke und kullerte sich Seitwärts weg, denn genau in diesem Moment schlug ein Feuerball auf die Stelle ein, wo die beiden sich gerade befanden. Solange Will noch mit den Dornen kämpfte und versuchte sich zusammenzureimen, was denn gerade passiert war, stürmte Van schon nach oben und konzentrierte sich mit aller Kraft, sodass die drei Personen, die weiter oben auf einem Hügel standen durch die Luft wirbelten und einige Meter weit weg flogen. Zwei von ihnen landeten leichtfüßig auf einem dicken Baumstamm, der auf der Erde lag, anscheinend eine ehemalige Eiche, die von einem Blitz getroffen worden war. Die dritte Person kullerte allerdings rückwärts weiter, bis ein weiterer Baum ihn zum Anhalten verhalf.
»Was soll denn das? Direkt aus dem Hinterhalt angreifen, dazu auch noch drei gegen zwei?«, brachte Van wütend hervor.
»Nicht doch, beruhige dich,«, sagte die größte Person, »findet den Splitter für uns und wir lassen euch in Frieden.«
»Kommt nicht in Frage!!«
»Tja, dann müssen wir euch wohl eine Lektion erteilen, los greift an!«
Mit diesen Worten sprangen die Personen auseinander und ehe sich Van versah, war auch schon der nächste Ball aus Feuer genau an der Stelle gelandet, wo er einige Augenblicke zuvor gestanden hatte. Er schaute über die Schulter und sah, dass die dritte Person sich gerade konzentrierte. Er hatte keine Zeit nachzudenken, was darauf folgen könnte, denn gerade griff ihn ein Schwarm aggressiver Vögel an. In dem er ihnen so gut wie er konnte ausweichte, konzentrierte er sich und die Luft um ihn herum begann allmählich zu wirbeln. In diesem Wirbel konnten die Vögel nicht bleiben, doch Van konnte auch nicht in der Luft bleiben, denn die Vögel würden immer wieder zurückkehren. Die dritte Person hatte also die Tierwelt unter ihrer Kontrolle. Während er sich das überlegte, sah er einen gewaltigen Bären in Wills Richtung knurren.
Doch er wusste, dass er sich auf Will verlassen konnte, denn genau in dem Moment konzentrierte sich Will und konnte mit seinen kräftigen Armen die Pranken des Bären mühelos abwehren. Van dachte, dass seine Macht der Kraft doch sehr nützlich sei. Doch nun musste er eine Rolle rückwärts hinlegen, denn die erste Person schien den Gefallen daran zu bekommen, Van doch noch zu grillen. Auf ein Mal gab es einen Schlag in den Rücken und Van flog einige Meter weit gegen einen Felsen. Die Angreifer waren ja zu dritt. So was von unfair. Doch Van spürte, dass keiner von ihnen die Dritte Stufe hatte, also konnten sie gegen Will und Van nicht gewinnen. Er bewegte sich von dem Felsen so schnell weg, dass der Angreifer das zu spät bemerkte. Van berührte seinen Körper nicht, doch durch die gebündelte Kraft der Luft schoss er nach oben und prallte einige Augenblicke später gegen einen Baum und blieb erst mal reglos liegen.
Während andere Feuerbälle auf Van einschossen und er sich krümmen und bücken musste, überlegte er, dass er die Person, die den Bären kontrollierte, ausschalten müsste, damit Will ihm helfen konnte. Er bemerkte den Angreifer hinter einem Felsen stehen und immer noch meditieren. Er schoss auf ihn zu und führte unterwegs eine komplizierte Bewegung mit seinen Armen aus. Ein gebündelter Luftstoß riss den Angreifer von den Füßen und ehe dieser Gelandet war, war Van schon bei ihm und verpasste ihm einen Tritt mit dem Fuß. Kampftraining gehörte zu der Grundausbildung an der Akademie.
»Van, ich helfe dir!« schrie Will. Der Feuerball-Mann war wohl durch seine Feuerballattacke so abgelehnt, dass er ihn vergessen hatte. Dieser rammte ihn in der Luft mit der gebündelten Kraft in seinen Armen. Der Angreifer fiel fünf Meter tief, doch zu seinem Glück landete er in einem Busch, der sogleich Feuer gefangen hatte.
»Schnell, Will, wir müssen den Splitter finden und dann von hier abhauen. Ich kann ihn jetzt besser spüren, da die Darays außer Gefecht sind, doch es können jedem Moment weitere auftauchen.«, Van rannte zu einem Felsbrocken, »Hier. Ich bin mir ganz sicher, der Splitter müsste hier drin versteckt sein.«
Will kam zu dem Brocken und mit einem gewaltigen Armhieb zerbrach er den Felsen. Jetzt spürte er den Splitter auch. Er war äußerst klein und grau. Die beiden mussten nicht lange nach ihm suchen, denn sie konnten ihn spüren. Van griff wahllos in den Steinhaufen und angelte den Splitter raus.
»So, nun aber weg.«
»Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen.«, bestätigte Will und stieg zusammen mit Van in die Luft, doch etwas war nicht in Ordnung. Die beiden blieben wie gefesselt in der Luft hängen und es tauchten zwei weitere Personen auf.
»Könnten wir bitte den Splitter haben? Sonnst lassen wir euch runter in die brennende Höhle fallen«, sagte eine von ihnen.
»Um mich aufzuhalten, muss es schon mehr als ein Telekinet ersten Grades sein!«, sagte Van und konzentrierte sich so heftig, dass alle Personen um ihn herum weggeschleudert wurden und er aus der Starre befreit war, doch ehe er zum Angriff übergehen konnte, hielt ihn jemand von unten an die Beine und in diesem Moment, als er runtersah spürte er einen heftigen, brennenden Schmerz an seinem Rücken. Sein T-Shirt fing Feuer und er selbst stürzte ab in den brennenden Wald. Und da sah er den Splitter. Er war ihm beim Angriff aus der Hand geflogen. Gerade als der Feuermann ihn an sich nehmen konnte, kriegte er einen Stoß mit einem dicken Ast, den Will wahrscheinlich vom nächsten Baum gerissen hatte und nun selber nach dem Splitter schnappte. Van landete auf der Krone eines Baums, der schon bis zur Hälfte abgebrannt war und konnte sich dort gerade noch so halten, doch er war nicht im Stande zu fliegen. Sein Körper brannte vor Schmerz und er dachte, dass irgendwo ein Knochen gebrochen sein müsste. Will sah die Ausweglosigkeit und fasste einen Entschluss.
»Ich werde den Splitter aktivieren und uns beide hier rausholen.«
»Nein, das darfst du nicht. Du bist noch nicht so weit. Das wird schief gehen«, Van wusste, dass Will jetzt wirklich eine Heldentat vollbringen wollte, indem er die beiden da rausholte. Van fiel auch auf, dass keiner mehr angriff. Die zwei Neuankömmlinge stürzten sich in den brennenden Wald, um ihre Kameraden zu retten. Somit hatten Van und Will Zeit wegzufliegen. Van hätte nur etwas Starthilfe von Will gebraucht.
»Red keinen Quatsch, Van. Ich bin schon lange bereit für die Dritte Stufe.«, mit diesen Worten führte er den Splitter an seine Brust und aktivierte diesen. Einen Moment lang schien er zu leuchten, doch dann ließ er einen Wasserstrahl auf Vans Baum gleiten, der das Feuer dort löschte. Die fünf Angreifer waren nun wieder in der Luft, zwei von ihnen hielten den Mann, der den Bären kontrolliert hatte, in den Armen. Anscheinend war er nicht in der Lage zu fliegen. Doch die zwei anderen führten schon einen Angriff auf Will aus, der mit seiner Kraft die beiden abwehrte und anschließend riesige Mengen Wasser frei ließ, auf die die Angreifer nicht vorbereitet waren. Sie wurden von der Wassermenge nach unten geschleudert. Van lag immer noch auf der Krone des Baumes, während mit Will etwas vorging. Er hatte die Wasserkraft nicht mehr unter Kontrolle und so spülte sie über Van hinweg und er drohte runter zu fallen, doch er blieb in der Luft. Nicht aus seiner eigenen Kraft. Jemand hielt ihn mit der Kraft seiner Gedanken fest.
»Caitlin!!«, freute sich Van, »Wir sind gerettet.«
Der Wasserschwall hatte aufgehört und Kerrian kam mit dem bewusstlosen Will in seinen Armen zu Van und Caitlin.
»Was hat er sich dabei gedacht, den Splitter zu benutzen. Er wusste doch, dass er noch nicht so weit war. Ich musste ihn außer Gefecht setzen, damit er aufhört.«
»Aber es wird ihm doch nichts Schlimmes passiert sein?«, Van klang besorgt.
»Wollen wir hoffen, dass du Recht hast. Aber jetzt müssen wir in die Akademie zurück. Kannst du fliegen oder sollte Caitlin deine Wunden heilen?«
»Also den gebrochenen Knochen konnte ich schon heilen, aber die übrigen Blessuren werfen dich doch nicht aus der Bahn?«, meldete sich Caitlin.
»Ja, es wird schon gehen, danke.«, gab Van trocken zurück.
Chaya
Van ging in einem Zimmer der Akademie umher und wartete. Wartete, bis jemand kommen würde und ihm sagen würde, was nun mit Will passiert. Wartete, ob sie bestraft werden, weil sie sich ohne Erlaubnis und nur zu zweit auf die Suche nach einem nicht identifizierten Splitter der Macht begaben. Doch am meisten fürchtete sich Van vor Wills Schicksal. Man muss geistlich und körperlich bereit sein, um sich auf die nächst höhere Stufe zu begeben, einen weiteren Splitter der Macht zu aktivieren. Van wusste nicht ganz, was mit denen passierte, die den Splitter frühzeitig aktiviert hatten, doch ihm blieb die Erzählung im Gedächtnis hängen. Er erinnerte sich, wie besorgt alle um Poseidon waren.
Seit Vans gesamten Zeit auf der Akademie gab es nur einen Vorfall einer zu frühen Aktivierung, doch es war damals nicht so schlimm. Gerüchte gingen umher, dass derjenige nur einen schwachen Splitter aktiviert hatte. Die Folge darauf war, dass er nur seine gesamten Kräfte einbüßen musste, um schlimmeren Folgen zu entgehen. Doch bei Will war es anders; er hatte einen mächtigen Splitter an sich genommen, doch die Frage blieb, ob Kerrian ihn rechtzeitig außer Gefecht gesetzt hatte. Denn dann würde die Macht in ihm wohl nicht so angestiegen sein, dass Will bleibende Schäden zu befürchten hatte. Das hoffte Van, denn er hat sich eingeredet, dass das alles seine Schuld war. Hätte er den Splitter doch blos nicht wahrgenommen. Sie würden dann womöglich immer noch mit Will durch die Lüfte gleiten und Wolken verändern.
Van blieb an dem Gedanken hängen, in der Hoffnung, das noch irgendwann zu machen und sich dabei von keinen Splittern ablenken zu lassen. Er konnte nicht ruhig sitzen, musste immer wieder seine Kreise im Zimmer machen. Das Glas Wasser, das da auf dem Tisch stand, hatte er nicht angerührt und er merkte auch gar nicht, dass er am Arm blutete. Erst als er zum wiederholten Male seine Runde drehte, fiel ihm ein roter Faden auf dem Boden auf. Van musste zuerst begreifen, dass das sein Blut war. Dann spürte er auch schon die Wunde am Arm, als ob er aus einer Art Trance erwachte, die alle seine Gefühle unterdrückt hatte. Er holte sich vom oberen Regal einen Verbandskasten und wickelte mit einem Tuch seinen Arm ein. Die Blutung konnte er stoppen, doch der Schmerz blieb. Sowohl physisch, als auch psychisch. Draußen hörte er einige Stimmen, dann Schritte, die näher kamen und schließlich ein Klicken in der Tür und sie sprang auf.
Conroy stand im Raum. Er war der Oberste, weiseste und wohl auch der Mächtigste unter den Kriegern in der Akademie. Keiner wusste wie alt er war; man konnte es auch schlecht erraten. Dem zu Folge wie er aussieht, würden ihn einige auf achtzig Jahre schätzen, doch bewegte er sich und kämpfte, wie ein dreißigjähriger Krieger. Sein Alter war ihm im Kampf nicht anzumerken und keiner konnte auch genau sagen bei welcher Stufe der Macht er sich gerade befand. Theorien unter den Schülern gingen von fünf bis zehn Splittern aus, doch manchmal erweckte Conroy den Eindruck, dass er noch viel weiter war.
»Nun, was hast du mir zu erzählen, Evan?«, Conroy klang ruhig.
»Wie geht es Will? Wird er wieder gesund?«, Van musste mit dieser Gegenfrage anfangen.
»Er lebt, doch genaues kann ich dir im Moment nicht sagen. Wir haben seine Kräfte extrahiert und es ist unwahrscheinlich, dass er sie je wieder zurückkriegt. Im Moment liegt er im Koma. Ich kann nicht sagen wann er wieder aufwacht.«, Van drehte sich bei diesen Worten der Magen um. Er, er ganz allein war dafür verantwortlich, dass Will keine Kräfte mehr besaß.
»Also, zu meiner Frage; wie habt ihr den Splitter gefunden und wieso seid ihr nur zu zweit unterwegs gewesen? Wieso habt ihr die anderen nicht alarmiert?«
»Heute Nacht hatte ich wieder einen Traum vom Wasser und von einer versunkenen Stadt. Con, ich glaube, ich habe von Atlantis geträumt.«, Van wollte endlich die Wahrheit über seine Träume erfahren. Zuvor schien es ihm nicht wichtig zu sein, doch seit er vor zwei Tagen begann die Gegenwart eines Splitters zu fühlen, hat er sich diese Frage öfters gestellt. Als er merkte, dass Conroy lieber zuhören würde, als zu reden, fuhr er fort. »Vor ein Paar Tagen begann ich den Splitter zu spüren, doch er war schwach, ich wusste nicht, in welcher Richtung ich suchen sollte. Deshalb wollte ich warten, bis ich zwanzig geworden war und sich dann konkreter um den Splitter kümmern könnte, natürlich nur mit Erlaubnis der Akademie. Doch heute nahm ich den Splitter besonders intensiv wahr und da Will auch da war, dachte ich, da wäre nichts dabei, wenn wir der Sache einfach auf den Grund gehen würden. Anscheinend haben die Darays den Splitter auch wahrgenommen. Nur waren wir einige Minuten schneller bei ihm, als sie.«
»Evan, du darfst nie vergessen, dass Cillian Daray auch fähige Leute hat. Du darfst nie wieder so leichtsinnig handeln, sonst wirst du mehr verlieren, als die Kräfte deines Freundes.«
»Ja, Con, ich weiß.«
»Und was deinen Traum angeht, könntest du wirklich von der Stadt der Atlanten geträumt haben. Da du jetzt deine Kräfte besser kontrollieren kannst, kannst du die Energien der Splitter besser wahrnehmen. Und ich glaube, dass der Splitter, den Will an sich genommen hat, etwas mit dem Splitter zu tun hat, den Poseidon vor zehn Tausend Jahren benutzt hat. Das wäre eine Erklärung für deinen Traum von Atlantis.«
Van wusste nicht was er sagen sollte; es war überwältigend für ihn, so nah an einem antiken Ereignis gewesen zu sein. Er konnte im Traum die Wassermengen, die von dem Splitter ausgingen, nahezu spüren. Es war beängstigend und wundervoll zu gleich.
»Aber ich wollte mit dir noch etwas anderes besprechen, Evan.«, Conroy unterbrach die Stille und Vans Gedanken über den Traum, »Wir haben vor kurzem einen weiteren Menschen mit einem außergewöhnlich hohen Energieniveau wahrgenommen. Seine Energieimpulse sind nicht beständig, doch wir glauben endlich denjenigen gefunden zu haben, der den Vita-Splitter benutzen und einsetzen kann.«, Van war geschockt; derjenige könnte mit dem Vita-Splitter umgehen? Dem mächtigsten Splitter überhaupt? Mit dem Splitter, der über das Leben und den Tod entscheidet?
»Aber Con, wenn die Darays den finden, könnte es schlecht für uns werden.«
»Der Ansicht bin ich auch. Wenn sie diesen Menschen erst mal ausgebildet haben, dann kann er diesen Splitter lokalisieren und es wäre für die Welt nicht so schön – ja nahezu tragisch. Deshalb musst du dich mit Caitlin, Kerrian und Lani sofort auf die Suche nach diesem Menschen machen. Das wäre dann mein erster Auftrag, den ich für dich und Will vorgesehen hatte, doch nun müsst ihr die Sache eben zu viert erledigen und ehrlich gesagt, könnte ich mir kein besseres Team vorstellen. Wenn du geduldig bist, wartet schon bald ein Splitter der vierten Stufe auf dich.,«, Conroy bemerkte mit einem Grinsen die großen Augen von Van, »also los, ihr dürft keine Zeit verlieren. Kerrian weiß bescheid, wohin ihr zu fliegen habt«
»Richte Will schöne Grüße von mir aus.«, sagte Van und lief aus dem Zimmer.
»Wie siehts aus, Van, bereit?«, fragte Kerrian.
»Hallo, Lani, ja ich bin fast bereit,«, er wickelte den Tuch von seinem Arm, »Caitlin, meinst du, du könntest...?«
»Na klar, kein Problem. Komm her.«, sagte sie und kam selbst schnell zu Van und hatte schon ihre Hände über der Wunde, die sogleich zu schrumpfen begann und sich allmählich auch ganz verschloss.
»Danke, also wohin müssen wir?«
»Folg mir einfach.«, antwortete Kerrian. Er spielte gerne den Anführer und wenigstens Einen im Team zu haben, der nicht wusste, wohin es ging, machte ihn stolz, dass er seinem Anführerstatus schon so früh am Anfang der Mission gerecht werden konnte.
»Also gut, wir müssen so schnell wie möglich diese Person finden. Unseren Informationen zu folge befindet sie sich irgendwo in der Stadt.«, mit diesen Worten stieß er sich von der Erde ab und begann mit dem Steigflug, der immer schneller wurde. Im Himmel wurde er dann von einer weißen Wolke begrüßt. Als andere zu Kerrian dazu kamen, ging es auch schon los. Kerrian ganz vorne zusammen mit Lani. Danach folgten Caitlin und Van, der durch die Wolken jagte. Alles sah nach einem fröhlichen Ausflug, bei dem die Freunde zum nächsten See fliegen und dort in aller Ruhe picknicken würden. Doch wer sie sich näher betrachtete, der konnte keine Rücksäcke mit vollem Inhalt an Lebensmitteln für den Picknick an ihren Rücken sehen und ihre Mienen waren so ernst und nachdenklich, dass der Gedanke an einen Ausflug sich ganz schnell wieder verflüchtigte; genau wie die Wolkenformen unter ihnen.
Schnell merkte Van, dass sie auf eine große Stadt zuflogen,
»Wir haben diesen Energieimpuls irgendwo in diesem Stadtzentrum wahrgenommen. Wir müssen vorsichtig sein, damit wir mit unserer Fliegerei kein Aufsehen erregen,«, Kerrian war auf ein Mal sehr ernst geworden, »wir werden uns aufteilen und wenn jemand diese Person gefunden hat, dann gibt er einen besonders starken und kurzen Energieimpuls, damit die anderen ihn schnell orten können. Wenn wir Glück haben, sind die Darays noch nicht hier, andererseits müssen wir uns beeilen. Ich schlage vor, ihr landet auf den Hochhäusern und steigt dann mit dem Fahrstuhl runter. Auf der Straße werden wir es leichter haben, zu suchen, ohne aufzufallen.«
»Ich denke, ich fange gleich auf der Straße an, um Zeit zu sparen.«, Van konnte mit seiner Geschwindigkeit irgendwo in der Seitenstraße landen und nicht bemerkt werden.
»Einverstanden. Also los! Seid vorsichtig.«
Die Gruppe teilte sich auf. Caitlin und Lani flogen auf den nächsten Wolkenkratzer zu und Kerrian und Van schossen mit einer hohen Geschwindigkeit zwischen zwei Häusern in die Tiefe, um in einer Seitenstraße unbemerkt zu landen. Auf dem Boden teilten sie sich dann auch auf.
Van ging durch die Straßen, seine Sinne bis zum Anschlag geschärft und angespannt, doch er konnte keine Veränderung feststellen, also hatten die anderen wohl auch wenig Glück. Es schien fast unmöglich, eine einzelne Person unter den Tausenden von Leuten, die durch die Straßen eilten, zu lokalisieren. Wenn diese Person bloß noch ein Mal ihre Energie benutzen würde, dann wäre es einfacher. Doch nichts der Gleichen geschah. Van musste schon seit einer Stunde in der Stadt sein, ohne Erfolg, bis er einen Schatten auf einem der Hochhäuser bemerkte – es war keiner von seiner Gruppe.
»Nein, die Darays sind da!«, sagte Van leise vor sich hin. Er musste schnell handeln. Jedem einzelnem Hinweis nachgehen und gerade ist eben einer vorbeigefahren. In der Form eines Krankenwagens, der es ziemlich eilig zu haben schien.
»Besser, als gar nichts.«, dachte Van und eilte dem Wagen durch die Straßen hinterher. Ihm war es egal, dass einige Passanten sich über seine außergewöhnliche Schnelligkeit wunderten, denn er hatte gerade einen von den Darays in die selbe Richtung fliegen sehen.
War sich diese Person überhaupt im Klaren, welche Jagd gerade ihretwegen durch die Stadt unternommen wurde? Und das Wichtigste – wusste diese Person etwas über ihre Fähigkeiten? Diese und manche anderen Fragen beschäftigten Van, als er gerade in eine Straße einbog, die voller Passanten war und wo der Krankenwagen zu sehen war. Er bemerkte auch den Daray, der gerade auf einem der Dächer gelandet war und dieses Schauspiel unter ihm genüsslich ansah. Van musste sich durch die Menge kämpfen, denn er konnte es nicht riskieren, von dem Daray bemerkt zu werden, indem er flog. Obwohl Van spürte, dass dieser Daray nicht unbedingt stark war, konnten seine Freunde doch nicht weit sein und da spürte er eine Energie, ganz in seiner Nähe. Sehr schwach und doch wahrnehmbar.
Gerade war Van durch die Menschenmenge gekommen und sah eine Frau, die den Kopf auf den Knien einer anderen jungen Frau hatte. Die zweite Frau war kaum älter als Van und sie schluchzte leise, indem sie den Kopf, wahrscheinlich ihrer Mutter, sachte tätschelte. Sie musste es sein. Van hatte einen schwachen Energierest in ihr wahrgenommen, doch wie konnte er sie von hier fortschaffen? Er traute sich auch nicht, einen Energieimpuls von sich zu geben, da er nicht wusste, ob die Darays näher zu ihm waren, als Kerrian und die anderen. Der andere Daray auf dem Dach sah nach allen Seiten und Van vermutete, dass er nach seinen Kollegen Ausschau hielt, die wahrscheinlich jeden Moment hier sein würden. Van musste handeln.
Während er überlegte, wurden die beiden Frauen in den Krankenwagen gebracht und dieser fuhr anschließend unter lauten Sirenengeheul weiter, in Richtung Krankenhaus, wie Van vermutete. Der Daray setzte sich auch in Bewegung und wie Van feststellte, mit einer besorgten Miene. Also befürchtete auch er, dass in der Nähe einige von seinen Feinden sein mochte und traute sich nicht einen Energieimpuls loszuschicken, um seine Kollegen herzurufen, denn so konnte er aus Versehen auch Vans Freunde auf sich aufmerksam machen.
Mit Schrecken stellte Van fest, dass die Darays mittlerweile schon zu zweit in der Luft waren und den Krankenwagen genau beobachteten. Er konnte nicht länger warten. Im nächsten Tunnel wollte er das Mädchen aus dem Wagen holen und im Alleingang versuchen, mit ihm zu Conroy zu kommen. Der rettende Tunnel kam in Sicht und Van beschleunigte, um möglichst unbemerkt vor dem Wagen im Tunnel zu sein. Die Darays waren zu sehr auf den Wagen fixiert und so konnten sie Van nicht bemerken, wie dieser auf einer Parallelstraße auf den Tunnel zueilte.
Van konnte nur hoffen, dass die Darays nicht auch in den Tunnel fliegen würden, aber das würden sie sicher nicht wagen. Sie durften nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken. Als der Wagen im Tunnel war, stellte Van mit Erleichterung fest, dass hinter ihm sonst keine anderen Fahrzeuge fuhren und die Darays tatsächlich beschlossen haben, über dem Tunnel zu fliegen. Van holte den Wagen mit Leichtigkeit von Hinten ein und öffnete die hintere Tür. Das Mädchen ist fast starr aus Angst geworden »Was!?«, doch Van blieb keine Zeit zum Erklären, der Wagen würde gleich das Ende des Tunnels erreichen. So schnappte er sich das immer noch fassungslose Mädchen und eilte mit ihm wieder auf die Straße, genau im richtigen Moment, wie Van feststellte, denn sobald sie aus dem Wagen gesprungen waren, fuhr dieser wieder auf die offene Straße hinaus. Zu spät merkte Van, dass die hintere Tür immer noch offen war.
Er musste schnell handeln und so nahm er das Mädchen, das vor Entsetzen seine Sprachen verloren schien, in die Arme und flog mit ihm dicht über der Tunneldecke auf die andere Seite des Tunnels zu. Am Ende des Tunnels bog er nach links ab, denn da befand sich, seiner Erinnerung nach, eine U-Bahnstation. Unter der Erde konnten sie gefahrlos weiter fliehen. Van landete direkt vor dem Eingang und ohne nach hinten zu schauen und die ohne auf die erstaunten Passanten zu achten, zog er das Mädchen in das Gebäude hinein, wo die Rolltreppen sie weiter unter die Erde brachten. Van hatte viel mehr Widerstand von dem Mädchen erwartet, doch er konnte es mühelos hinter sich her ziehen. Sie hatten Glück, gerade kam eine U-Bahn an, wo die beiden auch einstiegen. Van setzte sich auf eine Couch und versuchte seinen Puls wieder unter Kontrolle zu kriegen. Das Mädchen sackte kraftlos neben ihm zusammen und schluchzte leise.
»Na das war ja ne irre Flucht«, Van wollte die peinliche Stille mit einem Witz beenden, »Ich heiße Evan, doch alle Freunde nennen mich einfach Van. Und wie heißt du?«
»Ch-Ch-Chaya... Warum hast du mich h-hier her gebracht?«, Chaya weinte immer noch leise vor sich hin und Van sah sich einer weiteren schwierigen Aufgabe gegenüber – Chaya zu überzeugen, dass er einer von den Guten war und sie retten wollte. Doch nachdem er sie aus einem fahrenden Wagen hinausgezerrt hatte, fiel es hm schwer zu glauben, dass sie sich so einfach überzeugen ließ.
»Das ist eine lange Geschichte, doch glaub mir, ich musste dich aus dem Wagen holen, um dich vor schlimmen Menschen zu retten«, Van dachte, dass das nicht überaus überzeugend klang, doch zu seiner Überraschung nickte Chaya leicht, »Ich glaube dir. Ich habe gleich gespürt, dass du mir nichts Böses wolltest, ganz anders, als dieser andere Mann auf dem Dach. Er war voller böser Energie. Und er scheint hier in der Nähe zu sein...«
