Vitus und Cora, zwei Zeitgenossen (April 2020)

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semmel16

Mitglied
Vor einigen Wochen fing es unmerklich an. Die tiefe Verbundenheit seit Kindertagen zwischen Vitus und Cora schien Risse zu bekommen. In den letzten beiden Jahren hatten sie sich fast täglich nach getaner Arbeit getroffen. Sie plauderten miteinander über ihr Arbeitsfeld und die Menschen, denen sie ihren beruflichen Erfolg verdankten.

Mit leuchtenden Augen schwärmten beide gleichermaßen von ihrem grandiosen Sieg über die Dummheit Vieler. Anfangs hätten Sie es kaum zu träumen gewagt, in ihrem Wirken so groß und mächtig zu werden. Ihr Einfluss auf die Menschen schien grenzenlos.

Wie so oft im geschäftlichen Leben gab es nach fulminantem Berufsstart eine kurze Phase des Stillstands. Doch wie erhofft wurden sie nur kurz darauf hinein katapultiert in ungeahnte Schaffenserfolge. Zusammen mit ihren auf der ganzen Welt tätigen Kollegen unternahmen sie einen siegreichen Feldzug.

„Ach ja ………,“ setzt Cora an. Ihr Blick in die Ferne gerichtet deutet einen Hauch von Müdigkeit an. Vitus nickt verstehend, und auch er murmelt kaum hörbar „ach ja.“

Nach langen Minuten gemeinsamen Schweigens bricht es schließlich aus Cora heraus: „Wir hatten doch eine tolle Zeit. Weißt du noch, wie wir unseren Lebenstraum endlich wahr werden lassen konnten? Gut, im April 2020 sah es mal fast so aus, als würden diese Menschen uns Paroli bieten können. Aber dann siegte bei denen ihre kurzsichtige, egoistische Dummheit. Wenn ich an deren Argumente denke … - wir wollen wieder feiern, wir wollen schnellstens unser altes Leben zurück, wir wollen keine Freiheitseinschränkungen, wir wollen in Urlaub fahren, wir wollen, wir wollen, wir wollen …..

Die wollten einfach nicht kapieren, dass all die Massen von Menschen, die ihren Willen bekommen haben, ein unfassbares Leiden im Anschluss daran erleben sollten. Klar, für unzählige Menschen wäre es der direkte finanzielle Ruin gewesen, wenn sie ihre Geschäfte, Restaurants, Urlaubsdomizile nicht in gewohnter Manier hätten weiterführen können. Aber wir sehen ja, die meisten Betriebe sind dann sowieso kaputt gegangen. Die Menschen, die ihnen das Geld bringen und ihr wirtschaftliches Überleben hätten sichern sollen, sind gestorben.“

„Du hast Recht, Cora. Ich bin auch dankbar, dass die Menschen damals so wenig ausdauernd waren. Der anfänglich wirklich bewundernswerte Verzicht auf so Vieles, durchaus auch mit schweren Verlusten, machte mir schon große Sorgen. Zum Glück für uns führten sie ja bald wieder ihr vermeintlich altes Leben weiter.“

Unter sanftem Kopfnicken und mit vergangenen fröhlichen Erinnerungsbildern vor Augen betrübt sich allmählich Vitus‘ Blick. „Ach ja……“ Er atmet tief ein und wieder aus: „.Cora, ich bin müde vom ständigen Herumirren und Suchen, wen ich noch erfolgreich heimsuchen könnte.“

„Mir geht es genauso wie dir, Vitus. Meinst du, wir sollten an der Mitgliederversammlung heute Abend teilnehmen? Dort wollen einige artverwandte Kollegen ein neues Konzept vorstellen, das unseren Arbeitsbereich für die nächsten Jahre noch einmal interessant und Erfolg versprechend definiert. Wie ich die Menschen kenne, werden sie mitmachen – nach unseren Vorgaben!
 

hein

Mitglied
Hallo @semmel16 ,

aus der Sicht von Vitus und Cora war das letzte Jahr ja durchaus erfolgreich. Und wie es aussieht werden die Karrierechancen ja eher besser als schlechter. Und wenn die dann noch mehr mit der ausländischen Verwandtschaft verkehren, wird mir Angst und Bange.

Gut geschrieben, aber von mir (inhaltlich) ungerne gelesen.

LG
hein
 
G

Gelöschtes Mitglied 21900

Gast
Gelungene Satire! Ich denke, viele können sich vorstellen, was für ein Balanceakt es sein kann, das Thema Corona "auf die Schippe zu nehmen".
Gruß Klaus
 

Morphea

Mitglied
Sehr gut, Corona aus einer anderen Perspektive. Allein die Namensgebung Cora und Vitus sind in diesem Kontext sehr zielführend...
 



 
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