Völlig bewegungslos

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Harte, aber auch konstruktive Kritik ist durchaus erwünscht

Eddie zog seine Gummistiefel an und machte sich bereit für das hintere Feld. Es gab noch einiges an Disteln, die er raushacken musste, bevor seine Schwester und Brüder später am Nachmittag vorbeikamen. Er nahm den Hut mit der breiten Krempe von der Garderobe und seinen Regenmantel. Es war ein kalter Tag. Noch nasser als jeder Tag der vergangenen drei Wochen. Und das ist gut so, dachte er bei sich. In all den Jahren hatte er nie gehört, wie sich sein Vater über den Regen beschwert hatte. Und er auch nicht, seit er mit dem Farmen angefangen hatte.
Kathy kam mit einem Paar Handschuhen in den Wäschekeller. „Hier, nimm die. Ich will nicht, dass du dich in zehn oder fünfzehn Jahren über Arthritis beklagst.“
Er nahm die Handschule und steckte sie sich in die Tasche. „Ich werde nicht lange brauchen. Höchstens zwei Stunden.“
Kathy begann, die Waschmaschine mit Wäsche zu füllen. „Sei heute Nachmittag nicht zu spät zurück. Es ist wichtig, dass du hier bist, wenn die anderen ankommen.“
Eddie öffnete die Hintertür zum Garten und lehnte sich gegen den Rahmen. „Wegen mir brauchen wir uns sowieso nicht treffen, dass ist sicher.“
„Du wirst hier sein“, sagte Kathy. „Deine Schwester hat es viel Mühe gekostet, euch vier heute Nachtmittag zusammen zu bringen. Und euer Treffen ist wichtig. Wenn nicht für dich, dann für Jennifer. Und für das Andenken an euren Vater.“
Eddie zuckte mit den Schultern, trat nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. „Kann schon sein“, murmelte er und blickte dem stetigen Nieselregen entlang hoch in die dunklen Wolken über ihm.
Sie war jetzt eine Woche her, die Beerdigung seines Vaters. Alle Verwandten, ob nahestehend oder fern, waren erschienen, so wie fast jeder der Dorfbewohner. Er war ein vielrespektierter Mann gewesen, der lange Tage sieben Tage die Woche damit verbrachte, auf seiner Farm zu arbeiten. Wann immer er etwas Freizeit hatte, half er den Nachbarn – beim Heu einbringen, Kühe melken oder Schafe scheren. Er war der Inbegriff kompromissloser Entschlossenheit gewesen, wenn es ums Arbeiten ging, und auf dem Land gab es keinen schnelleren Weg als diesen, um zu einem bewunderten und respektierten Einwohner zu werden.
Nicht mehr und nicht weniger hatte Eddies Vater erreichen wollen. Seine Arbeitsmoral hielt er sein Leben lang aufrecht, und nichts konnte ihn davon abhalten, sie in die Praxis umzusetzen, außer die Diabetes. Die Erblindung des einen Auges, die Amputation dreier Finger und zunehmendes Versagen seiner Nieren hatten ihm keine Wahl gelassen, und so hatte er die Leitung der Farm an seinen Sohn übergeben.
Während Eddie vom Garten herüber in die Garage ging, ertönten die Worte seines Vaters in seinen Ohren. Jedes Mal wenn er die Hacke vom Haken an der Wand nahm, erinnerte er sich an den Satz, den sein Vater jedem seiner Kinder an dem Tag, als sie zum ersten Mal raus aufs Feld gingen, um Disteln zu jäten, vorgetragen hatte:
„Ein Mensch ist nur dann von Nutzen, wenn er einen Wert hat“, hatte er gesagt, die Hacken heruntergenommen und sie ihnen gereicht. „Also geht jetzt und macht euch selbst wertvoll.“
Sie waren alle da, als Eddie den Satz zum ersten Mal hörte, und er war sich sicher, seine älteren Geschwister hatten ihn bereits zuvor hören müssen. Aber Eddie hatte das Gefühl gehabt, sein Vater spräche zu ihm allein. Er hörte ihn das nie wieder sagen. Dennoch war der Satz immer da, bei sämtlichen Aufgaben und Arbeiten, die er in seinem Leben verrichtet hatte, hallte eher durch sein Herz als durch seine Gedanken und brachte ihn durch die schwierigen Bedingungen und Herausforderungen, die ein Farmer zu bewältigen hatte.
Er fand die Hacke und griff nach ihr. Sehnsucht berührte ihn, als er sie vom Harken zog und über seine Schulter schwang. Gedämpfte Traurigkeit, die viele Menschen, die in isolierten Gegenden arbeiten, begleitet. Er schob das Gefühl beiseite, konzentrierte sich wieder auf die Aufgabe, die vor ihm lag, zog den Kopf tief zwischen die Schultern und ging heraus in den Regen – so wie er und sein Vater jahrelang gemeinsam gegangen waren und wie er weiterhin gehen würde, für viele weitere Jahre.
In fünfzehn Minuten erreichte er das hintere Feld und begann, den Boden zu hacken und die Wurzeln der Disteln zu durchtrennen. Er konnte das gut, den Strang mit einem Schwung zerschneiden, nach der Wurzel treten und sie dabei aus dem Boden ziehen. Und zur nächsten Distel, alles in einem Atemzug. Eine nach der anderen. Immer wieder und wieder die gleichen Bewegungen, so sicher wie die flüssigen Züge eines Meisterschwimmers.
Er blickte sich um und dachte daran, wie seine Brüder John und Grant und seine Schwester Jennifer jede einzelne Distel gezählt und nach dem Nachhauseweg in einem Buch notiert hatten. Es wahr eine unendliche Strichliste, die das ganze Jahr lang geführt wurde. Das war der einzige Weg, der sich durch einen Tag Distelhacken brachte, indem sie aus ihm einen Wettbewerb machten. Für Eddie war es einfach eine der vielen Arbeiten, die das Erhalten einer Farm mit sich brachte. Kein Nonsens, kein Drama. Einfach eine Distel nach der anderen, bis das Feld gejätet war.
Die anderen hatten sich nie so gefügt wie Eddie. All ihre Aufgaben erledigten sie, weil sie keine andere Wahl hatten. Sobald sie konnten, verließen sie die Farm – Grant und John begannen im Alter von sechszehn Jahren eine Ausbildung im nahegelegenen Ort, und Jennifer heiratete mit siebzehn und zog in die Stadt.
Aber Eddie war geblieben. Arbeitete tagein tagaus mit seinem Vater auf der Farm. Übernahm mehr und mehr Verantwortung, als seine Eltern älter wurden. Als er zwanzig wurde, zog er in einem Wohnwagen auf dem hinteren Feld, und nachdem er Kathy kennen gelernt und geheiratet hatte, baute er auf dem Grundstück ein kleines, einstöckiges Haus, mit dem Hintergedanken, eines Tages die Farm zu übernehmen, wenn sich seine Eltern in den Ruhestand zurückzogen.
Im Alter von 35 Jahren trat Eddie dann vollständig in die Fußstapfen seines Vater und die Farm war von da ab seine eigene. Die Eltern zogen in die Stadt, um in unmittelbarer Nähe guter medizinischer Versorgung zu leben, und Eddie und Kathy siedelten ins Haupthaus über.
Da stand er nun also, an einem weiteren bewölkten und nieseligen Tag, und verrichtete seine Arbeit. Er sah hoch, betrachtete den Himmel bis zum Horizont, von dem aus neue, graue Wolken auf ihn zukamen. Es gab kein Anzeichen dafür, dass der Regen in nächster Zeit aufhören würde. „Und das ist gut so,’ murmelte er erneut und machte sich wieder ans Jäten. Nach zwei Stunden harter Arbeit sah er schließlich auf, schlang die Hacke über die Schultern und ging zurück zum Haus, davon überzeugt, dass die Dinge so waren, wie sie sein sollten.
Als er das Tor zwischen vorderem und hinterem Feld erreichte, blickte er kurz zurück und entdeckte eine kleine Gruppe Disteln, die er übersehen hatte, in der hinteren Zaunecke. Er legte die Hand ans Tor und krümmte bereits die Finger, um es zu öffnen, während er gleichzeitig versuchte, die Existenz des verbliebenen Unkrauts aus seinem Gedächtnis zu radieren. Doch dieser Impuls ging vorbei, wieder zog der den Kopf ein, um ihn vor dem Regen zu schützen, und ging zurück ins Feld, um seine Arbeit zu vervollständigen.
Im alten Werkzeugschuppen fand er Jennifer, als er auf die Farm zurückkehrte.
„Ed“, sagte sie und küsste ihn auf die Wange. „Ich bereite gerade noch alles vor. Eine Flasche Whisky habe ich mitgebracht, dort im Kühler. Und dahinter stehen Gläser.“
Eddie nickte.
„Oh, und guck mal!“ Sie griff hinter einen Stapel mit trockenem Holz. Das habe ich gefunden.“ Sie bückte sich und hob einem halb fertigen Briefkasten hoch. Die Ecken waren abgerundet und mit Schmirgelpapier abgeschliffen worden. Das Dach fehlte noch, der Rest aber war kunstvoll gefertigt worden. „Hat Dad das gemacht?“
„Yep, er hat noch dran gearbeitet, als ich ihn das letzte Mal hier raus geholt habe.“
Jennifers Schultern entspannten sich. „Wir sollten es heute zuende bauen. Ihm damit Tribut zollen.“
„Eddies Gesichtsausdruck änderte sich nicht. „Wo sind John und Grant?“
Jennifer setze den Kasten zwischen dem Kreis aus Stühlen, die sie aufgestellt hatte, auf den Boden. „Sie sind schon hier, sagen nur noch Kathy hallo. Hier, setz dich. Ich schütte dir einen Whisky ein.“
Eddie setzte sich und nahm das Glas, dass Jennifer ihm reichte. Dann beugte er sich zum Kühler herüber und ergriff die Zange. Vier Eiswürfel glitten einer nach dem anderen in den Drink. Er schüttelte ihn leicht, genoss das klirrende Geräusch und ließ das Glas auf seinem Knie ruhen.
Grant und Eddie traten in den Schuppen und nickten Eddie zu. Eddie nickte zurück. „Ziemlicher Scheißtage heute, oder?“ fragte Grant und setzte sich.
„Beschwer dich nie über den Regen“, entgegnete Eddie. „Es wird Tage geben, an denen du dich nach ihm sehnst.“
Die anderen lachten. Jennifer trat hinter ihn und rieb seine Schultern. „Manchmal erinnerst du mich so sehr an Dad.“ Sie ging zur Werkbank und hielt John und Grant eine Dose Bier hin. „Nun“, sagte sie, „es sich schön, dass wir wieder alle zusammen sind.“
Die drei Männer nickten. Ihre Blicke hingen gesenkt auf ihren Drinks.
„Ich glaube, Dad hätte das gefallen. Das wir hier bei ihm zusammen kommen.“
„Cheers“, sagte John und hob sein Glas. „Auf den alten Mann.“
Die anderen drei hoben ihre Getränke ebenfalls. „Auf den alten Mann“, wiederholten sie.
Jennifer ließ ihr Glas leise gegen ihre Zähne schlagen. Die anderen starten auf den Briefkasten zwischen ihnen auf dem Boden, taten aber so, als sähen sie ihn nicht. „Hier hat er immer gewerkelt“, sagte sie und zeigte auf die Werkbank. „Genau hier. All die Jahre.“
John und Grant blickten kurz um sich. Eddie schaute nicht einmal auf.
Wieder erfüllte schweigen den Schuppen. Das einzige Geräusch machte der Wind draußen, der leise durch die Dachziegeln pfiff. Da saßen sie also, wie die vier Ecken eines Rechtecks – verbunden, aber irgendwie auch getrennt.
Jennifer verschränkte die Arme vor der Brust. „Kommt schon, Jungs, sagt doch was. Deshalb sind wir schließlich hier. Keine Stille mehr. Stille hat uns bisher auch nichts gebracht.“
Grant rutschte ungemütlich auf seinem Stuhl vor und zurück. „Die Dinge auf der Farm scheinen gut zu laufen, Ed“, sagte er. „Hast du alles im Griff wie immer?“
Eddie nickte. „Alles im Griff.“
John trommelte mit den Fingern gegen die Seite seiner Bierdose.
„John“, sagte Jennifer. Ihre Stimme klang frustriert. „Gib uns eine Erinnerung an Dad.“
„Eine Erinnerung?“, fragte John, lehnte sich vor, stützte einen Ellebogen auf seinem Knie ab und steckte die andere Hand in die Hosentasche. „Eine Erinnerung... .“ Er lehnte sich zurück und betrachtete die Decke. „Ah.“ Er lächelte. „Wisst ihr noch, als wir uns gegenseitig mit Eiern bewerfen wollten?“ Er schaute Grant an und blickte dann zu Eddie herüber. Die beiden nickten. „Wir wollten eine Eierschlacht veranstalten. Rannten rein und klauten Eier aus dem Kühlschrank. Wisst ihr noch?“
„Yeah, das stimmt“, entgegnete Grant. „Wir versteckten uns hinter den Wassertanks und wollten die Eier gerade unter uns aufteilen, da stand Dad auf einmal hinter uns. Ich weiß immer noch nicht, wie er uns überhaupt gesehen haben konnte. Mensch, hat der uns den Hintern versohlt, weil wir die Eier genommen hatten. Jeder von uns kriegte ne Tracht mit dem Paddel.“
„Genau“, sagte John. „Ich sehe sein Gesicht heute noch vor mir. Wisst ihr noch, wie es immer anschwoll, wenn er sauer wurde? Ganz rot und dick.“ Regen prasselte auf die Ziegeln. John musste die Stimme heben, damit die anderen drei ihn hören konnten. „Aber wir haben es immer überstanden. Dich hat er immer am meisten rangenommen“, sagte er und blickte zu Eddie herüber. „Du konntest hinterher kaum laufen. Für dich gab es immer ne Extraportion.“
Eddie nickte.
„Ich erinnere mich noch, wie dein Hintern so grün und blau war, dass Mum zu weinen anfing“, fügte Jennifer hinzu. „Ich weiß noch genau, wie sie in der Küche stand und Abendbrot machte, mit einem Taschentuch in der Hand, das sie sich immer wieder über die Augen wischte.“
Eddie hielt ihr sein Glas hin. Jennifer nahm die Flasche und schüttete ihm einen neuen Drink ein. „So schlimm war es gar nicht, glaube ich“, entgegnete er. Ich kann mich erinnern, dass es so schlimm war.“
Johns Fingerspitzen klapperten wieder gegen seine Dose. „Doch, die Abreibungen vom alten Mann waren nicht ohne. Immer wenn sein Gesicht rot wurde... .“
Eddie schüttelte sein Glas. „Ich werde nie vergessen, dass er nie mit einer Arbeit aufhörte, bis sie beendet war. Ich glaube nicht, dass es etwas gab, dass er nicht fertig stelle.“
„Stimmt“, fügte Jennifer hinzu. „Wisst ihr noch, als es Nacht wurde und wir immer noch Disteln jäten mussten. Er fuhr den Traktor aufs Feld und ließ die Scheinwerfer an, damit wir was sehen konnten.“
„Ich kann ihn noch immer hören“, entgegnete John. „Ein Mensch ist nur dann von Nutzen, wenn er einen Wert hat.“
Eddie nickte mit ernster Miene. „Er hatte auf der Farm immer alles im Griff. Und das ist der Grund dafür.“
„Du machst deine Sache auch sehr gut, Ed“, sagte Jennifer und klopfte ihm auf die Schulter. „Du bist ihm sehr ähnlich.“
Eddie streckte ein Bein aus und tippte mit der Stiefelspitze unbewusst den Briefkasten an.
„Was ist das eigentlich?“, fragte Grant.
„Ein halber Briefkasten“, antwortete Jennifer. „Er hat dran gebastelt, als er das letzte Mal hier draußen war.“
„Na, da haben wir’s ja“, entfuhr es John. „Es gibt also doch etwas, das der alte Bastard nicht zu Ende gebracht hat.“
„Ich habe Eddie vorgeschlagen, dass wir sie für ihn fertig bauen“, erzählte Jennifer. „Als ein Andenken an ihn.“
Eddie zog den Fuß zurück unter seinen Stuhl. Sein Nacken und sein Gesicht fühlten sich plötzlich heiß an. Er starrte auf den Kasten und dann rüber zur Werkbank, über der Hammer und Zangen hingen.
Irgendetwas schwoll unter seiner Haut an. Irgendetwas unangenehmes. Und dieses Etwas würde sich durch Stillsitzen, Whiskytrinken und träge Gespräche nicht beruhigen lassen.
„Könnt ihr euch noch daran erinnern, wie er mit dem Holzklotz nach Eddie warf?“, fragte Grant.
Jennifer verschluckte sich und schlug die Hand aufs Knie. „Ja genau!“, rief sie. „Wer war alles dabei? Ich war da... und du, und Eddie. Was haben wir gemacht?“
Grant strick sich durch den Bart. „Ich glaube, irgendwas für die Hunde. Eine Hundehütte oder so was.“
„Eine Raststange für den Hühnerstall“, sagte Eddie. „Mit den Hunden hatte das nichts zu tun.“ Seine Lippen waren fest aufeinander gepresst. Er atmete schwer durch die Nase, ein und aus, als wäre er gerannt.
Jennifer stand auf. „Stimmt. Wir haben eine Stange gebaut. Und du, Grant, und Eddie habt aufeinander rumgehackt... .“
Eddie knirschte mit den Zähnen, so stark, dass er fühlen konnte, wie sich der Muskel unter seinem Kiefer zusammenzog. „Grant hat auf mir rumgehackt. Dad mahnte uns mehrmals, wir sollten aufhören. Und als ich schließlich nicht mehr konnte und Grant in den Schwitzkasten nahm... .“
„Warf er den Klotz nach dir“, rief Jennifer. „Genau so war es. Ich hab zu heulen angefangen.“
Grant klatschte in die Hände. „Ja, das war ja das Lustige. Du hast geheult. Der Klotz hat Eddie nur um ein paar Zentimeter verfehlt. Aber geheult hast du.“
Eddie runzelte die Stirn. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Klotz nach uns beiden warfen. Wir haben beide den anderen geärgert.“
Grant schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er. „Den hat er definitiv nach dir geworfen. Er rief deinen Namen, als der Klotz durch die Luft flog.“
John blickte Eddie direkt an. „Kannst du dir vorstellen, wie Mum reagiert hätte, wenn dich das Ding richtig getroffen hätte?“
„Ich würde Geld drauf wetten, dass er seine Haare gestreift hat“, fügte Jennifer hinzu.
Sie setzte sich hin und stützte die Ellbogen auf ihre Knie. Der halb fertige Briefkasten lag zwischen ihnen. Alle vier sahen die perfekt geschnitzte Klappe und die glatt geschliffenen Seiten. Aber das Bemerkenswerteste daran, dass, worauf sie am meisten starrten, was das Loch, dort, wo das Dach hätte sein sollen.
Eddie legte eine Hand auf seinen Bauch und rieb so vor und zurück, als wollte er einen Schmerz wegreiben. Mit der anderen schwenkte er sein Glas hin und her und lauschte erneut dem Klirren der Eiswürfel. Eine Hand legte sich auf seinen Arm und hielt ihn fest. Johns Arm. „Hör auf damit, Eddie. Das hat er auch immer gemacht.“
Die anderen beiden nickten und mieden seinen Blick. Jennifer stand auf, ging zur Werkbank und ergriff Hammer und eine Schachtel mit Nägeln, die sie neben den Kasten legte. Als sie ein Stück Holz nahm und es prüfend über die Öffnung hielt, strich sich Eddie mit der Hand durch die Haare und erhob sich von seinem Stuhl. Für ein kurzen Moment stellte er sich vor, wie er den Fuß heben und stampfend das beinahe perfekte Werk seines Vaters zertreten würde. Stattdessen trat er aus dem Stuhlkreis, öffnete die Tür und trat nach draußen.
Während der Wind durch sein Haar fuhr, blickte er auf in den Himmel und verfluchte den Regen. Dann stand er einfach da, sein Whiskyglas in der rechten Hand, völlig bewegungslos.
 

Zefira

Mitglied
Hallo, liebes "Girl who...",

meinen Glückwunsch zu dieser Geschichte. Ich habe sie zweimal mit wachsender Freude gelesen. Obwohl Du mit Beschreibungen sparsam bist, hat sie eine sehr starke und deutliche Atmosphäre. Ich habe es mal mit den Lektoratstolls versucht:

Eddie zog seine Gummistiefel an und machte sich bereit für das hintere Feld. Es gab noch einiges an Disteln, die er raushacken musste, bevor seine Schwester und Brüder später am Nachmittag vorbeikamen. Er nahm den Hut mit der breiten Krempe von der Garderobe und seinen Regenmantel. Es war ein kalter Tag. Noch nasser als jeder Tag der vergangenen drei Wochen. Und das ist gut so, dachte er bei sich. In all den Jahren hatte er nie gehört, wie sich sein Vater über den Regen beschwert hatte. Und er auch nicht, seit er mit dem Farmen angefangen hatte.
Kathy kam mit einem Paar Handschuhen in den Wäschekeller. „Hier, nimm die. Ich will nicht, dass du dich in zehn oder fünfzehn Jahren über Arthritis beklagst.“
Er nahm die Handschule und steckte sie sich in die Tasche. „Ich werde nicht lange brauchen. Höchstens zwei Stunden.“
Kathy begann, die Waschmaschine mit Wäsche zu füllen. „Sei heute Nachmittag nicht zu spät zurück. Es ist wichtig, dass du hier bist, wenn die anderen ankommen.“
Eddie öffnete die Hintertür zum Garten und lehnte sich gegen den Rahmen. „Wegen mir brauchen wir uns sowieso nicht treffen, dass ist sicher.“
„Du wirst hier sein“, sagte Kathy. „Deine Schwester hat es viel Mühe gekostet, euch vier heute Nachtmittag zusammen zu bringen. Und euer Treffen ist wichtig. Wenn nicht für dich, dann für Jennifer. Und [blue] zum[/blue]Andenken an euren Vater.“
Eddie zuckte mit den Schultern, trat nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. „Kann schon sein“, murmelte er und blickte dem stetigen Nieselregen entlang hoch in die dunklen Wolken über ihm.
Sie war jetzt eine Woche her, die Beerdigung seines Vaters. Alle Verwandten, ob nahestehend oder fern, waren erschienen, so wie fast jeder der Dorfbewohner. Er war ein vielrespektierter Mann gewesen, der [strike]lange Tage[/strike] sieben Tage die Woche damit verbrachte, auf seiner Farm zu arbeiten. Wann immer er etwas Freizeit hatte, half er den Nachbarn – beim Heu einbringen, Kühe melken oder Schafe scheren. Er war der Inbegriff kompromissloser Entschlossenheit gewesen, wenn es ums Arbeiten ging, und auf dem Land gab es keinen schnelleren Weg als diesen, um zu einem bewunderten und respektierten Einwohner zu werden.
Nicht mehr und nicht weniger hatte Eddies Vater erreichen wollen. Seine Arbeitsmoral hielt er sein Leben lang aufrecht, und nichts konnte ihn davon abhalten, sie in die Praxis umzusetzen, außer der Diabetes. Die Erblindung [blue] eines[/blue] Auges, die Amputation dreier Finger und zunehmendes Versagen seiner Nieren hatten ihm keine Wahl gelassen, und so hatte er die Leitung der Farm an seinen Sohn übergeben.
Während Eddie vom Garten herüber in die Garage ging, ertönten die Worte seines Vaters in seinen Ohren. Jedes Mal wenn er die Hacke vom Haken an der Wand nahm, erinnerte er sich an den Satz, den sein Vater [blue] jedem seiner Kinder vorgetragen hatte, an dem Tag, als sie zum ersten Mal zum Jäten aufs Feld gingen:[/blue]
„Ein Mensch ist nur dann von Nutzen, wenn er einen Wert hat“, hatte er gesagt, die Hacken heruntergenommen und sie ihnen gereicht. „Also geht jetzt und macht euch selbst wertvoll.“ Das ist tautologisch: Ein Mensch ist nur dann von Nutzen, wenn er nützlich ist! Ich schlage vor: ein Mensch ist nur wertvoll durch das, was er schafft o.ä.
Sie waren alle da, als Eddie den Satz zum ersten Mal hörte, und er war sich sicher, seine älteren Geschwister [blue] kannten ihn schon[/blue]. Aber Eddie hatte das Gefühl gehabt, sein Vater spräche zu ihm allein. Er hörte ihn das nie wieder sagen. Dennoch war der Satz immer da, bei sämtlichen Aufgaben und Arbeiten, die er in seinem Leben verrichtet hatte, hallte eher durch sein Herz als durch seine Gedanken und brachte ihn durch die schwierigen Bedingungen und Herausforderungen, die ein Farmer zu bewältigen hatte.
Er fand die Hacke und griff nach ihr. Sehnsucht berührte ihn, als er sie vom [red] Haken[/red] zog und über seine Schulter schwang. Gedämpfte Traurigkeit, die viele Menschen, die in isolierten Gegenden arbeiten, begleitet. Er schob das Gefühl beiseite, konzentrierte sich wieder auf die Aufgabe, die vor ihm lag, zog den Kopf tief zwischen die Schultern und ging heraus in den Regen – so wie er und sein Vater jahrelang gemeinsam gegangen waren und wie er weiterhin gehen würde, für viele weitere Jahre.
In fünfzehn Minuten erreichte er das hintere Feld und begann, den Boden zu hacken und die Wurzeln der Disteln zu durchtrennen. Er konnte das gut, den Strang mit einem Schwung zerschneiden, nach der Wurzel treten und sie dabei aus dem Boden ziehen. Und zur nächsten Distel, alles in einem Atemzug. Eine nach der anderen. Immer wieder und wieder die gleichen Bewegungen, so sicher wie die flüssigen Züge eines Meisterschwimmers.
Er blickte sich um und dachte daran, wie seine Brüder John und Grant und seine Schwester Jennifer jede einzelne Distel gezählt und [blue] zu Hause[/blue] in einem Buch notiert hatten. Es wahr eine unendliche Strichliste, die das ganze Jahr lang geführt wurde. Das war der einzige Weg, der [red] sie[/red] durch einen Tag Distelhacken brachte, indem sie [blue] daraus[/blue] einen Wettbewerb machten. Für Eddie war es einfach eine der vielen Arbeiten, die das Erhalten einer Farm mit sich brachte. Kein Nonsens, kein Drama. Einfach eine Distel nach der anderen, bis das Feld gejätet war.
Die anderen hatten sich nie so gefügt wie Eddie. All ihre Aufgaben erledigten sie, weil sie keine andere Wahl hatten. Sobald sie konnten, verließen sie die Farm – Grant und John begannen im Alter von [red] sechzehn[/red] Jahren eine Ausbildung im nahegelegenen Ort, und Jennifer heiratete mit siebzehn und zog in die Stadt.
Aber Eddie war geblieben. Arbeitete tagein tagaus mit seinem Vater auf der Farm. Übernahm mehr und mehr Verantwortung, als seine Eltern älter wurden. Als er zwanzig [blue] war[/blue] (Wortwiederholung!), zog er in [red] einen[/red] Wohnwagen auf dem hinteren Feld, und nachdem er Kathy kennen gelernt und geheiratet hatte, baute er auf dem Grundstück ein kleines, einstöckiges Haus, mit dem Hintergedanken, eines Tages die Farm zu übernehmen, wenn sich seine Eltern in den Ruhestand zurückzogen.
Im Alter von 35 Jahren trat Eddie dann vollständig in die Fußstapfen seines Vater und die Farm war von da ab seine eigene. Die Eltern zogen in die Stadt, um in unmittelbarer Nähe guter medizinischer Versorgung zu leben, und Eddie und Kathy siedelten ins Haupthaus über.
Da stand er nun also, an einem weiteren bewölkten und nieseligen Tag, und verrichtete seine Arbeit. Er sah hoch, betrachtete den Himmel bis zum Horizont, von dem aus neue, graue Wolken auf ihn zukamen. Es gab kein Anzeichen dafür, dass der Regen in nächster Zeit aufhören würde. „Und das ist gut so[red] “,[/red] murmelte er erneut und machte sich wieder ans Jäten. Nach zwei Stunden harter Arbeit sah er schließlich auf, schlang die Hacke über die Schultern und ging zurück zum Haus, davon überzeugt, dass die Dinge so waren, wie sie sein sollten.
Als er das Tor zwischen vorderem und hinterem Feld erreichte, blickte er kurz zurück und entdeckte eine kleine Gruppe Disteln, die er übersehen hatte, in der hinteren Zaunecke. Er legte die Hand ans Tor und krümmte bereits die Finger, um es zu öffnen, während er gleichzeitig versuchte, die Existenz des verbliebenen Unkrauts aus seinem Gedächtnis zu radieren. Doch dieser Impuls ging vorbei, wieder zog der den Kopf ein, um ihn vor dem Regen zu schützen, und ging zurück ins Feld, um seine Arbeit zu vervollständigen. Ausgezeichnet diese Stelle!
Im alten Werkzeugschuppen fand er Jennifer, als er auf die Farm zurückkehrte.
„Ed“, sagte sie und küsste ihn auf die Wange. „Ich bereite gerade noch alles vor. Eine Flasche Whisky habe ich mitgebracht, dort im Kühler. Und dahinter stehen Gläser.“
Eddie nickte.
„Oh, und guck mal!“ Sie griff hinter einen Stapel mit trockenem Holz. Das habe ich gefunden.“ Sie bückte sich und hob [red] einen[/red] halb fertigen Briefkasten hoch. Die Ecken waren abgerundet und mit Schmirgelpapier abgeschliffen worden. Das Dach fehlte noch, der Rest aber war kunstvoll gefertigt [strike] worden[/strike]. „Hat Dad das gemacht?“
„Yep, er hat noch dran gearbeitet, als ich ihn das letzte Mal hier raus geholt habe.“
Jennifers Schultern entspannten sich. „Wir sollten es heute zuende bauen. Ihm damit Tribut zollen.“ Das klingt mir ein bißchen zu geschwollen. Vielleicht „das sind wir ihm schuldig“?
„Eddies Gesichtsausdruck änderte sich nicht. „Wo sind John und Grant?“
Jennifer setze den Kasten zwischen dem Kreis aus Stühlen, die sie aufgestellt hatte, auf den Boden. „Sie sind schon hier, sagen nur noch Kathy hallo. Hier, setz dich. Ich [blue] gieße[/blue] dir einen Whisky ein.“
Eddie setzte sich und nahm das Glas, [red] das[/red] Jennifer ihm reichte. Dann beugte er sich zum Kühler herüber und ergriff die Zange. Vier Eiswürfel glitten einer nach dem anderen in den Drink. Er schüttelte ihn leicht, genoss das klirrende Geräusch und ließ das Glas auf seinem Knie ruhen.
Grant und Eddie traten in den Schuppen und nickten Eddie zu. Eddie nickte zurück. „Ziemlicher [red] Scheißtag[/red] heute, oder?“ fragte Grant und setzte sich.
„Beschwer dich nie über den Regen“, entgegnete Eddie. „Es wird Tage geben, an denen du dich nach ihm sehnst.“
Die anderen lachten. Jennifer trat hinter ihn und rieb seine Schultern. „Manchmal erinnerst du mich so sehr an Dad.“ Sie ging zur Werkbank und hielt John und Grant eine Dose Bier hin. „Nun“, sagte sie, „es [red] ist[/red] schön, dass wir wieder alle zusammen sind.“
Die drei Männer nickten. Ihre Blicke hingen gesenkt auf ihren Drinks.
„Ich glaube, Dad hätte das gefallen. Das wir hier bei ihm zusammen kommen.“
„Cheers“, sagte John und hob sein Glas. „Auf den alten Mann.“
Die anderen drei hoben ihre Getränke ebenfalls. „Auf den alten Mann“, wiederholten sie.
Jennifer ließ ihr Glas leise gegen ihre Zähne schlagen. Die anderen starten auf den Briefkasten zwischen ihnen auf dem Boden, taten aber so, als sähen sie ihn nicht. Das klingt merkwürdig... anstarren, aber so tun, als sähen sie ihn nicht... Vielleicht „sie schauten verstohlen auf den Briefkasten“?
„Hier hat er immer gewerkelt“, sagte sie und zeigte auf die Werkbank. „Genau hier. All die Jahre.“
John und Grant blickten kurz um sich. Eddie schaute nicht einmal auf.
Wieder erfüllte [red]Schweigen[/red] den Schuppen. Das einzige Geräusch [blue] war das leise Pfeifen des Windes in den Dachziegeln[/blue]. Da saßen sie also, wie die vier Ecken eines Rechtecks – verbunden, aber irgendwie auch getrennt.
Jennifer verschränkte die Arme vor der Brust. „Kommt schon, Jungs, sagt doch was. Deshalb sind wir schließlich hier. Keine Stille mehr. Stille hat uns bisher auch nichts gebracht.“
Grant rutschte ungemütlich auf seinem Stuhl vor und zurück. „Die Dinge auf der Farm scheinen gut zu laufen, Ed“, sagte er. „Hast du alles im Griff wie immer?“
Eddie nickte. „Alles im Griff.“
John trommelte mit den Fingern gegen die Seite seiner Bierdose.
„John“, sagte Jennifer. Ihre Stimme klang frustriert. „Gib uns eine Erinnerung an Dad.“
„Eine Erinnerung?“, fragte John, lehnte sich vor, stützte einen Ellebogen auf seinem Knie ab und steckte die andere Hand in die Hosentasche. „Eine Erinnerung... .“ Er lehnte sich zurück und betrachtete die Decke. „Ah.“ Er lächelte. „Wisst ihr noch, als wir uns gegenseitig mit Eiern bewerfen wollten?“ Er schaute Grant an und blickte dann zu Eddie herüber. Die beiden nickten. „Wir wollten eine Eierschlacht veranstalten. Rannten rein und klauten Eier aus dem Kühlschrank. Wisst ihr noch?“
„Yeah, das stimmt“, entgegnete Grant. „Wir versteckten uns hinter den Wassertanks und wollten die Eier gerade unter uns aufteilen, da stand Dad auf einmal hinter uns. Ich weiß immer noch nicht, wie er uns überhaupt gesehen haben konnte. Mensch, hat der uns den Hintern versohlt, weil wir die Eier genommen hatten. Jeder von uns kriegte ne Tracht mit dem Paddel.“
„Genau“, sagte John. „Ich sehe sein Gesicht heute noch vor mir. Wisst ihr noch, wie es immer anschwoll, wenn er sauer wurde? Ganz rot und dick.“ Regen prasselte auf die Ziegeln. John musste die Stimme heben, damit die anderen drei ihn hören konnten. „Aber wir haben es immer überstanden. Dich hat er immer am meisten rangenommen“, sagte er und blickte zu Eddie herüber. „Du konntest hinterher kaum laufen. Für dich gab es immer ne Extraportion.“
Eddie nickte.
„Ich erinnere mich noch, wie dein Hintern so grün und blau war, dass Mum zu weinen anfing“, fügte Jennifer hinzu. „Ich weiß noch genau, wie sie in der Küche stand und Abendbrot machte, mit einem Taschentuch in der Hand, das sie sich immer wieder über die Augen wischte.“
Eddie hielt ihr sein Glas hin. Jennifer nahm die Flasche und schüttete ihm einen neuen Drink ein. „So schlimm war es gar nicht, glaube ich“, entgegnete er. Ich kann mich erinnern, dass es so schlimm war.“
Johns Fingerspitzen klapperten wieder gegen seine Dose. „Doch, die Abreibungen vom alten Mann waren nicht ohne. Immer wenn sein Gesicht rot wurde... .“
Eddie schüttelte sein Glas. „Ich werde nie vergessen, dass er nie mit einer Arbeit aufhörte, bis sie beendet war. Ich glaube nicht, dass es etwas gab, [red]das[/red] er nicht fertig [red] stellte[/red].“
„Stimmt“, fügte Jennifer hinzu. „Wisst ihr noch, als es Nacht wurde und wir immer noch Disteln jäten mussten. Er fuhr den Traktor aufs Feld und ließ die Scheinwerfer an, damit wir was sehen konnten.“
„Ich kann ihn noch immer hören“, entgegnete John. „Ein Mensch ist nur dann von Nutzen, wenn er einen Wert hat.“ Tautologie - siehe oben!
Eddie nickte mit ernster Miene. „Er hatte auf der Farm immer alles im Griff. Und das ist der Grund dafür.“
„Du machst deine Sache auch sehr gut, Ed“, sagte Jennifer und klopfte ihm auf die Schulter. „Du bist ihm sehr ähnlich.“
Eddie streckte ein Bein aus und tippte mit der Stiefelspitze unbewusst den Briefkasten an.
„Was ist das eigentlich?“, fragte Grant.
„Ein halber Briefkasten“, antwortete Jennifer. „Er hat dran gebastelt, als er das letzte Mal hier draußen war.“
„Na, da haben wir’s ja“, entfuhr es John. „Es gibt also doch etwas, das der alte Bastard nicht zu Ende gebracht hat.“
„Ich habe Eddie vorgeschlagen, dass wir sie für ihn fertig bauen“, erzählte Jennifer. „Als ein Andenken an ihn.“
Eddie zog den Fuß zurück unter seinen Stuhl. Sein Nacken und sein Gesicht fühlten sich plötzlich heiß an. Er starrte auf den Kasten und dann rüber zur Werkbank, über der Hammer und Zangen hingen.
Irgendetwas schwoll unter seiner Haut an. Irgendetwas unangenehmes. Und dieses Etwas würde sich durch Stillsitzen, Whiskytrinken und träge Gespräche nicht beruhigen lassen.
„Könnt ihr euch noch daran erinnern, wie er mit dem Holzklotz nach Eddie warf?“, fragte Grant.
Jennifer verschluckte sich und schlug die Hand aufs Knie. „Ja genau!“, rief sie. „Wer war alles dabei? Ich war da... und du, und Eddie. Was haben wir gemacht?“
Grant strick sich durch den Bart. „Ich glaube, irgendwas für die Hunde. Eine Hundehütte oder so was.“
„Eine Raststange für den Hühnerstall“, sagte Eddie. „Mit den Hunden hatte das nichts zu tun.“ Seine Lippen waren fest aufeinander gepresst. Er atmete schwer durch die Nase, ein und aus, als wäre er gerannt.
Jennifer stand auf. „Stimmt. Wir haben eine Stange gebaut. Und du, Grant, und Eddie habt aufeinander rumgehackt... .“
Eddie knirschte mit den Zähnen, so stark, dass er fühlen konnte, wie sich der Muskel unter seinem Kiefer zusammenzog. „Grant hat auf mir rumgehackt. Dad mahnte uns mehrmals, wir sollten aufhören. Und als ich schließlich nicht mehr konnte und Grant in den Schwitzkasten nahm... .“
„Warf er den Klotz nach dir“, rief Jennifer. „Genau so war es. Ich hab zu heulen angefangen.“
Grant klatschte in die Hände. „Ja, das war ja das Lustige. Du hast geheult. Der Klotz hat Eddie nur um ein paar Zentimeter verfehlt. Aber geheult hast du.“
Eddie runzelte die Stirn. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Klotz nach uns beiden warfen. Wir haben beide den anderen geärgert.“
Grant schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er. „Den hat er definitiv nach dir geworfen. Er rief deinen Namen, als der Klotz durch die Luft flog.“
John blickte Eddie direkt an. „Kannst du dir vorstellen, wie Mum reagiert hätte, wenn dich das Ding richtig getroffen hätte?“ Die Spannungssteigerung ist her sehr gelungen!
„Ich würde [strike]Geld[/strike] drauf wetten, dass er seine Haare gestreift hat“, fügte Jennifer hinzu. Wieso gerade Geld? Ich finde, „ich würde drauf wetten“ klingt natürlicher.
Sie setzte sich hin und stützte die Ellbogen auf ihre Knie. Der halb fertige Briefkasten lag zwischen ihnen. Alle vier sahen die perfekt geschnitzte Klappe und die glatt geschliffenen Seiten. Aber das Bemerkenswerteste daran, [strike] dass,[/strike] worauf sie am meisten starrten, was das Loch, dort, wo das Dach hätte sein sollen.
Eddie legte eine Hand auf seinen Bauch und rieb so vor und zurück, als wollte er einen Schmerz wegreiben. Mit der anderen schwenkte er sein Glas hin und her und lauschte erneut dem Klirren der Eiswürfel. Eine Hand legte sich auf seinen Arm und hielt ihn fest. Johns Arm. „Hör auf damit, Eddie. Das hat er auch immer gemacht.“
Die anderen beiden nickten und mieden seinen Blick. Jennifer stand auf, ging zur Werkbank und ergriff Hammer und eine Schachtel mit Nägeln, die sie neben den Kasten legte. Als sie ein Stück Holz nahm und es prüfend über die Öffnung hielt, strich sich Eddie mit der Hand durch die Haare und erhob sich von seinem Stuhl. Für ein kurzen Moment stellte er sich vor, wie er den Fuß heben und stampfend das beinahe perfekte Werk seines Vaters zertreten würde. Würde ich nicht in Konjunktiv setzen. „Wie er den Fuß hob und das beinahe perfekte Werk seines Vaters zerstampfte“. Stattdessen trat er aus dem Stuhlkreis, öffnete die Tür und trat nach draußen.
Während der Wind durch sein Haar fuhr, blickte er auf in den Himmel und verfluchte den Regen. Dann stand er einfach da, sein Whiskyglas in der rechten Hand, völlig bewegungslos.



Gefällt mir sehr – dichte Atmosphäre, interessante Story, gute Charakterisierung. Ein Vorschlag noch: sag doch an der Stelle, als Jennifer das erste Mal auftaucht, ein paar Worte über ihr Aussehen. Ich hatte an dieser Stelle nämlich etwas Schwierigkeiten, Jennifer und Kathy auseinanderzuhalten, weil Jennifer so selbstverständlich Getränke bereitgestellt hatte, obwohl es nicht ihr Haushalt ist.
 



 
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