Vom Glauben, dass alles so ist wie es scheint... (Teil 1)

chinaski

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Vom Glauben, dass alles so ist wie es scheint... (Teil 1)

Gestern Nachmittag geschah etwas, das mich an meiner Sicht der Welt zweifeln ließ, an der ich niemals zuvor einen Zweifel hatte. Ich bin überzeugter... Nein, ich war überzeugter Realist. Die Welt ist und bleibt so wie ich sie sehe. Auch wenn ich das Zimmer verlasse, steht dort alles so wie es in der Sekunde war, als ich dort drinnen war. Darüber hinaus glaubte ich, dass auch alle anderen Menschen dies mit mir so teilen. - Es ist schon recht merkwürdig meine Worte so zu vernehmen, da ich noch vor kurzer Zeit, also vor besagtem gestrigen Ereignis nie auf die Idee gekommen wäre so etwas zu denken oder gar zu formulieren. - Ich will beginnen das Geschehen noch einmal so zusammenzufassen wie es mir im Rückblick erschien. Dabei ist mir unwohl, da ich nicht weiß, ob meine Schilderung nicht etwas völlig anderes sein wird als das, was ich tatsächlich erlebte.

Ich befand mich gerade in einem netten Cafe am Förstersee und ich genoss meinen ersten frisch zubereiteten Kaffee mit zwei Würfeln Zucker. Wie jeden Nachmittag las ich gerade die Zeitung, welche ich am Morgen zu müde war zu lesen. Mir war es immer ein Graus diese absonderlichen Nachrichten direkt nach dem Aufstehen zu lesen, da ich mich fragte, warum ich eigentlich noch arbeiten gehen sollte. Nur Katastrophen, Verbrechen, Kriege und derlei beängstigende Inhalte sprangen einem in Form von Druckerschwärze entgegen. Wie gesagt, am Morgen eine ungenießbare Prozedur. Nachmittags war das bei weitem nicht so. Der erwachte Geist in mir liebte dann geradezu die Auseinandersetzung mit diesen Themen. Ohne Zweifel bildeten sich so meine hervorstechenden Werte heraus. Gleichzeitig bildete das Wissen des Tagesgeschehens in der Welt das Fundament für gepflegte Konversation. Das heißt es ist unverzichtbares Utensil, wollte man nicht als ungebildet gelten.

Nun war es so, dass ich gerade den dritten oder vierten Schluck aus meiner Tasse nahm, als mein Blick auf einen Artikel schweifte, der die Überschrift trug „Professor Mendez liefert Beweis für das Nichtvorhandensein der Welt“ –

„So ein Irrsinn. Was...?! Mmh...wie er mitteilte...“, murmelte ich während ich den Artikel las. „Aha! Gibt eine Demonstration am Mittwochabend im Universitätsklinikum Raum 28H223.“

Ich weiß nicht, was mich bewegte, mich für diesen Vortrag zu interessieren. Aber die skurrile Vorstellung, ein braungebrannter Mexikaner mit Sombrero würde den Gästen in gebrochenem Deutsch zu erklären suchen, dass sie eigentlich gar nicht da sind und er ebenso nicht, erweckte in mir ein Bild einer absonderlichen Situation. Kurz gesagt, der Gedanke daran amüsierte und belustigte mich. So dachte ich jedenfalls vorher. Doch nun weiß ich, dass da eine Vorahnung gewesen sein muss, dass alles bis dahin von mir Erfahrene ausgewischt oder zumindest in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen würde.

Ich verbrachte den Rest des Nachmittags am See und ließ mich von der Sommersonne berieseln. Ich blühte auf wie die Natur rings um mich herum. Es war das letzte Mal, dass ich die Welt so klar und bewusst für mich sehen konnte. Die Dämmerung setzte gen 20 Uhr ein und mit ihr der Zeitpunkt, an dem ich unbewusst eine Entscheidung traf. Ich setzte mich in ein Taxi und fuhr zu Professor Mendez ins Klinikum. Ich rätselte selbst, warum ich dorthin fuhr. Und schon jetzt hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass ich zu meiner Belustigung hin wollte. Etwas Unsagbares, etwas Unbegreifliches hatte sich in meine Gedanken gepflanzt. Die Neugierde, ob dieser Professor aus Mexiko wirklich zeigen konnte, dass wir in einer Welt aus Individualwahrnehmungen lebten.

„Aber wie?! Das ist doch nicht möglich! Immerhin sahen wir die gleichen Dinge“, rauschte es in meinem Kopf.
„Völlig unmöglich...“, stammelte ich als wir vor dem großen weißen Gebäude vorfuhren.
„Wie bitte?“, fragte mich der Taxifahrer.
„Schon gut. Wie viel?“
„15,30.“
„Hier haben Sie 17“, sagte ich.
„Danke. Schönen Abend der Herr.“
„Ja..Ok.“
 



 
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