Vom Halt-Suchen (Shakespeare Sonnet)

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meinem Schwiegervater gewidmet

(Anm. im Voraus: das Gedicht folgt lediglich der äußeren Form des Shakespeare Sonnets)





Die väterliche Schulter scheint so nah;
ein Ort, darauf mein müdes Haupt zu betten.
Die Sorgen mit und Schlimmes, das da war,
in dem Versuch, mir etwas Halt zu retten.

Doch im Moment, in dem ich meine Deckung
verlasse und mich zeige voll Vertrauen,
erfährt dein andres Ich seine Erweckung
und lässt mich Zorn, Verdruss - auch Kälte - schauen.

Ein harsches Wort von dir: es fällt das Gitter
aus schwarzem, schwerem, starrem Eisen nieder -
in meiner ausgestreckten Hand ein Splitter;
's ist nicht der erste - ich erkenn ihn wieder

und frage mich zum wiederholten Male:
warum nur kratz ich stets an deiner Schale?





.mai_2023
 

sufnus

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Hey Fee!
Ich mag die strengen Formen immer sehr, häufig führt das vermeintlich einengende Regelwerk zu beglückenden Formulierungen. So finde ich die ganze zweite Strophe formulierungstechnisch sehr schön mit einem guten Flow und bin richtig begeistert von der eindringlichen Adjektivreihung in S3Z2. Sehr cool!
Was ich persönlich nicht bräuchte wäre das "'s" in S3Z4, ein völliges Weglassen vom "es" klänge für mich moderner und knackiger: "ist nicht der erste - ich erkenn ihn wieder".
Übrigens ist für mich ein S.-Sonett eigentlich nur formal definiert - insofern hätt ich hier bei deinen Zeilen ein ebensolchiges ohne wenn-und-aber konstatiert. :)
LG!
S.

P.S.:
Ah... und worüber ich grad noch nachdenke: Ist die Widmung so gemeint, dass der Schwiegervater auch der Angesungene ist oder handelt es sich tatsächlich um einen "Brief an den Vater" in Sonettform und der Schwiegervater wäre dann ein Gegenbild zu dem Adressaten? Wahrscheinlich schon ersteres oder? Ich denk grad nur noch wegen der "väterlichen Schulter" drüber nach, die ganz wortwörtlich (auf den Vater bezogen) gemeint sein könnte oder eben im übertragenen Sinn als einer Halt gebenden, vertrauten Schulter. Ist jetzt nur eine inhaltliche Rückfrage, keine Kritik oder so. Ich find sogar eigentlich auch die potentielle Mehrdeutigkeit hier durchaus "schön". :)
 

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Herzlichen Dank, @sufnus ,

für die freundliche Rückmeldung!
Ja, das "s" in S3Z4 ist vielleicht ein bissl altmodisch. Stimmt. Ich lass das noch sacken...ohne das "s" nämlich klingt es mir dann wieder etwas zu flapsig (was vielleicht dem leichten Sprachunterschied von Ösi-Deutsch und Deutsch-Deutsch geschuldet ist).

worüber ich grad noch nachdenke: Ist die Widmung so gemeint, dass der Schwiegervater auch der Angesungene ist oder handelt es sich tatsächlich um einen "Brief an den Vater" in Sonettform und der Schwiegervater wäre dann ein Gegenbild zu dem Adressaten? Wahrscheinlich schon ersteres oder? Ich denk grad nur noch wegen der "väterlichen Schulter" drüber nach, die ganz wortwörtlich (auf den Vater bezogen) gemeint sein könnte oder eben im übertragenen Sinn als einer Halt gebenden, vertrauten Schulter. Ist jetzt nur eine inhaltliche Rückfrage, keine Kritik oder so. Ich find sogar eigentlich auch die potentielle Mehrdeutigkeit hier durchaus "schön".
Und das ist wohl einer der Fälle, wo ich staune, weil du als Leser diese Möglichkeit der Mehrdeutigkeit erfasst hast, ohne meine Geschichte zu kennen. Ich nahm an, dass der Text diese zweite Ebene am Rande nur für mich hat (mein Vater ist verunglückt, als ich noch sehr klein war...und mein Schwiegervater ist da wohl am nähesten an einer Vaterfigur, hat aber so seine schwierigen Ecken und Kanten, die mich in solchen Momenten, wo ich wohl unbewusst zu viel Nähe suche oder erzeuge, dann wieder auf Distanz bringen...da kann ich nicht aus meiner Haut und er nicht aus seiner ;) ).

Ich danke dir für diese sehr spannende Rückmeldung! Was bist du doch für ein "gspüriger" Leser! Bewahr dir das!
LG,
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