Vom Schlüsselfelder Schiff oder der Nachruf des Goldschmieds

Hörnchen

Mitglied
In einer Kneipe in Nürnberg im Jahr des Herrn 1510, da saßen mehrere Männer, ins Gespräch vertieft, bei Bier und Wein zusammen. „Habt ihrs schon gehört?“ fragte der Wirt, dem die Kneipe gehörte. Er hatte soeben einer Gruppe Männern, allesamt Nürnberger Kaufleute, ein Brett mit Speck, Käse und Schmalz an den Tisch gebracht. Nun wollte er sich ein wenig an den Gesprächen der Bürger beteiligen. Die Männer und der Wirt kannten sich bereits seit Jahren, und sie hielten viel voneinander. „Was gehört?“ fragte der Maier und trank einen Schluck Bier aus einem Krug. Auch der Seiler und der Hofenberg Thomas, ein wohlhabender Seidenhändler, sahen fragend zum Wirt auf. Nur der vierte und letzte Mann an ihrem Tisch machte ein vielsagendes Gesicht. „Na freilich weiß ichs. Ich wussts schon am nächsten Tag. Ein herber Schlag, wenn du mich fragst. Auch wenns ein alter Griesgram war.“ Dem Seiler gefiel diese Art von Antwort gar nicht. Er hasste es, wenn Leute wirrer sprachen als er selbst. Er knallte seinen Becher auf den Tisch und rief: „Na Spucks schon aus Johann! Oder sind alle Goldschmiede so wortkarg. Kannst dir deine Rätsel sonst wo hinschieben“. „Na Na, mach mal halblang Seiler“, sagte der Seidenhändler Hofenberg. Ist dir der Wein schon zu Kopfe gestiegen? Aber mich täts ja jetzt auch interessieren, was da war.“ „Wenn ich mir einen dicken Schädel vom Wein angetrunken habe, dann nur damit ich dein Gesülze ertragen kann Thomas!“ gab der Seiler zurück. Er meinte es nicht so böse wie er es gesagt hatte, denn solche Schelmereien kamen unter den Männern des Öfteren vor.

Der Wirt, der bisher gestanden hatte, setzte sich zu den Männern an den Tisch. Während der Goldschmied fortfuhr, tat er sich mit den anderen Männern am Speck und Käse gütlich, und hörte zu. „Es gab mal einen gemeinsamen Freund vom Wirt und mir“, begann Johann. „Nun gut, Freund ist wohl etwas zu viel gesagt. Nennen wir ihn einen gemeinsamen Bekannten. Der alte Georg, so war sein Name. War ein Meister in unserer Zunft, so wie ich selbst. Und den hat vor einer Woche jetzt der Schlag getroffen. Ist einfach umgekippt, während der Arbeiterei. So hatts mir auf jeden Fall sein Sohn, der Benedikt, erzählt. „Na und?“ fiel ihm der Seiler ins Wort. „Jeden Tag holt der Hergott einen armen Hund zu sich, an manchen Tagen auch zwei! Was sollts mich also kümmern.“ Er nahm einen Bissen von einer Scheibe Brot mit Schmalz, welches ihm der Wirt hingelegt hatte, trank einen tiefen Zug aus seinem Becker und seufzte zufrieden. Dem Seidenhändler schien derweil ein Licht aufgegangen zu sein. „War das nicht der alte Knabe, der den Auftrag fürs Schiff bekommen hat? Ich habs einmal bei den Schlüsselfeldern gesehn, ein wunderbares Stück, ganz aus Silber und Kupfer, und fein vergoldet. Der Landauer hats in Auftrag gegeben, und der wiederum ist von mir ein entfernter Verwandter.“

„Ein Schiff? Fragte der Maier, der während des Gesprächs still gewesen war und sich nun auch zu Wort meldete. „Goldschmiede schmieden Gold, Bootsbauer bauen Schiffe. Das ist so klar wie das Amen in der Kirche. Aber ein Goldschmied, der ein Boot aus Gold baut? Sowas habe ich noch nie gehört.“ „Das liegt daran Maier, dass du mehr Zeit in meiner Kneipe als draußen in der Stadt verbringst!“ Der Wirt lachte über seinen eigenen Scherz. „Aber dieses Schiff“, fuhr er gleich danach fort, „das ist wirklich ein Meisterstück. Ich war einmal zu Besuch in seiner Werkstatt, wollt ihm was zu essen vorbeibringen und ein kühles Bier. Da konnte ich einen Blick auf das Schifflein erhaschen. Nur einen kurzen, der Georg hats danach gleich versteckt, hat ein großes Geheimnis drum gemacht. Es war noch nicht ganz fertig, aber man konnte bereits die filigrane Arbeit an den Segeln und der Takelage erkennen. Der Meister meinte zu mir ich solle meine Nase nicht in seine Angelegenheiten stecken und mich zum Teufel scheren. Das habe ich dann auch getan. Aber in meinem Leben nicht habe ich eine so schöne Arbeit gesehen. Für den Auftrag hat er sicherlich einen ganzen Batzen bekommen.“ „Du sagst es Martin“, stimmte ihm der Goldschmied zu. „Ich habs auch mal fertig gesehn, bin blass vor Neid geworden. Das war kein Tölpel, der Georg. Nur im Umgang mit Menschen hats ihm arg gefehlt. Der musste immer allein arbeiten, hatte nie einen Lehrbuben. Wenn nur eine Kleinigkeit bei seinen Aufträgen schief ging, flog schon das Werkzeug durch die Stube.“

Der Seiler zog nach diesen Worten die Brauen hoch. „Du sagtest eben, dass er auch einen kleinen Bengel hat. Wenn der so zurückgezogen war, frag ich mich ja wie so jemand an ein Weib kommt. Ich dagegen bin umgänglich, trinke nur täglich mein Feierabendbier, gehe jeden Sonntag brav zur Messe und schimpfe nicht über meine Großmutter. Warum hab ich dann keine Frau?“ Er machte eine ausladende Geste. „Tja Seiler, dann geh doch mal auf das Volksfest und tanze mit den Mädchen, anstatt hier mit uns in einer verstaubten Kaschemme zu sitzen!“ rief Johann und schenkte ihm grinsend Wein nach. „Und der Georg war früher auch mal ganz umgänglich, ein netter Kerl war das. Aber seiner Frau hat ein Geschwür den Bauch zerfressen. Daran ist sie elendig verreckt, der Herr sei ihr gnädig, so einen Tod wünscht man keinen. Danach war er nie mehr derselbe, ist auch nicht mehr in die Messe gegangen und hat seinen Sitz im Stadtrat aufgegeben. Das ist alles schon Jahrzehnte her. Und jetzt hats ihn halt selbst erwischt.“ „Was ist mit seinem Sohn?“ fragte Thomas. „Hat der sich schon was aufgebaut? Oder ist der ein Taugenichts?“ Der Wirt nickte kräftig. „Jaja, der ist auch Goldschmied, aber hat bei einem anderen gelernt. Sein Vater wollte ihn ja nicht selbst ausbilden. Hat ihn lieber für teuer Geld weggeschickt in die Lehre. Der wird jetzt bestimmt die Werkstatt übernehmen. Frau und Kind hat er auch schon, dem mangelts also grad an nichts. Glaube auch nicht, dass er seinen alten Herrn sonderlich vermisst.“ Er stand auf und ging zum Tresen um noch einmal einen Krug Bier zu holen. „Was ich gehört habe“, sagte Johann, „ist das er das Talent seines Vaters wohl geerbt hat. Man munkelt in meiner Zunft, dass von dem Schlüsselfelder Schifflein noch eins existiert, eine genaue Kopie. Und die soll wohl der Sohn heimlich angefertigt haben, um zu zeigen, dass er genauso gut ist wie der alte Georg. „Na also das ist ja jetzt ein Ding!“ rief der Maier. Der Seidenhändler nickte zustimmend und der Seiler schüttelte ungläubig den Kopf. „Munkeln kann man viel, meine Herren“, sagte Johann nachdenklich. „Aber eins ist gewiss: Nürnberg hat einen fähigen Meister verloren, auch wenn er nicht der beliebteste war. Darum bitte, stoßt mit mir einmal auf den alten Georg an. Gott hab ihn selig, er soll in Frieden ruhen!“ Die Männer prosteten ihm zu und widmeten sich einem anderen Thema. Aber an die Geschichte vom Goldschmied Georg würden sie sich noch lange erinnern.
 
Zuletzt bearbeitet:

petrasmiles

Mitglied
Liebe/r/s Hörnchen,

die Idee ist ja hübsch, aber die Sprache ist dafür zu heutig, zu modern, zu viele Fremdwörter.
Und ohne die angepasste Sprache zündet es meiner Meinung nach nicht so richtig.

Liebe Grüße
Petra
 

Hörnchen

Mitglied
Liebe Petra,

vielen Dank für deinen hilfreichen Kommentar! Ich habe mich tatsächlich schon etwas bemüht, die Gespräche mit einem mittelalterlichen Touch zu versehen. Vgl. z.B. "Geschwür" statt Tumor. Nichtsdestotrotz habe ich nicht allzu viel Zeit für diese kleine Geschichte aufgewendet, um sie literarisch noch ansprechender zu gestalten. Ich werde dies jedoch bei der baldigen Überarbeitung berücksichtigen. Solltest du ein paar Formulierungen kennen, die ich für Formulierungen in meinem Text verwenden könnte, würde ich mich sehr freuen, diese zu erfahren. :)

Liebe Grüße
(Das) Hörnchen
 

Klaus K.

Mitglied
Hörnchen,

nett, aber ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass irgendetwas passiert. Mag ja sein, dass sich 1510 eine derartige Sache erzählt wurde. Etwas Dramaturgie wäre m.E. nicht verkehrt, z.B. ein Test der Schwimmfähigkeit des Schiffchens durch den Hersteller in der Pegnitz,das Objekt versinkt und bleibt unauffindbar
 

Klaus K.

Mitglied
Hörnchen,

Verzeihung, aber ich wurde gestört und meine Tasse ist auf die Tastatur gefallen! Also, die Diskutanten sinnieren dann, ob sie die Pegnitz kurzzeitig nachts umleiten oder trockenlegen können. Sie finden das Schiffchen, von anderen unbemerkt. Und jetzt, was macht man nun mit dem Eigentümer? Böse, böse...
Wahrscheinlich kommt jetzt mal wieder meine schwarze Seele zu stark durch, du hast es geschrieben und es steht mir nicht zu, deinen Text zu verändern und meinen Vorstellungen anzupassen. Wie gesagt, so eine Prise Salz und Pfeffer, das hat mir persönlich gefehlt.

Mit bestem Gruß, Klaus
 

petrasmiles

Mitglied
Liebes Hörnchen,

ich fürchte, so funktioniert das nicht.
Zum Kreativ sein gehört nicht nur die Idee, sondern der lange Weg zum Endprodukt, mit dem man das Ergebnis geschaffen hat, das man anstrebte.

Dafür, eine spätmittelalterliche/früneuzeitliche Geschichte erzählen zu wollen, muss man gute Gründe haben, die über Weinhumpen und Kaminknistern hinaus geht. Dann müsste man sich in die Zeit einarbeiten, ein Gespür dafür finden, wie die Leute geredet haben und einen authentischen Duktus finden, der gleichzeitig die Zeit trifft und dem heutigen Leser eine Botschaft vermittelt - das kann man nicht googeln, und das kann einen keiner vorsagen.

Vielleicht solltest Du es mit einfacherer Sprache versuchen - aber wenn man historische Bezüge wählt, sollte man historische Kenntnisse besitzen.

Liebe Grüße
Petra
 

Hörnchen

Mitglied
Liebe Petra,

ich bin mir sicher, dass man nicht extra Geschichte studieren muss, um über ein historisches Ereignis eine Kurzgeschichte zu schreiben. In diesem Falle geht es um das Schlüsselfelder Schiff, welches Historisch ja sogar in die Zeit fällt (Fertigstellung 1503 in Nürnberg).

Auch ein Ken Follett, der historische Romane schreibt und damit Geld verdient ist nicht unbedingt historisch akkurat, sowohl was die historischen Ereignisse selbst, als auch die Sprache betrifft (vgl. als Beispiel "Das Fundament der Ewigkeit").

Ein Leser möchte in erster Linie unterhalten werden, eine authentischere Szenerie ist ein Bonus. Ich verstehe deinen Punkt, bedenke jedoch bitte, dass dies immer noch ein Forum für Hobbyautoren ist, und nicht die Leipziger Buchmesse :) Ich habe mir daher eine gewisse "künstlerische Freiheit" erlaubt.

Zur Sprache sei auch noch kurz angemerkt, dass diese heutzutage kaum authentisch nachgestellt oder sinngemäß passend abgeleitet werden kann. Frühneuhochdeutsch, welches um 1500 noch gesprochen wurde, ist ein Stadium der deutschen Sprache, welches heutzutage von den wenigsten Menschen so einfach verstanden werden dürfte. Es handelt sich hierbei nicht um eine bloße Varietät des Deutschen, sondern um eine eigene Stufe in der Entwicklung zum heutigen Hochdeutsch. Zum zeitlichen Vergleich wäre Early Modern English, z.B. Shakespeare, wohl angemessen.

Fazit: Man hätte die Geschichte authentischer erzählen können. Auch an dieser Stelle noch einmal danke für die Hinweise. Eine historische Nacherzählung im Sinne eines Leopold von Ranke ("Wie es eigentlich gewesen") ist in meinen Augen jedoch nicht zwingend erforderlich, um eine gute Geschichte zu erzählen.

Liebe Grüße
Hörnchen
 

Hörnchen

Mitglied
Lieber Klaus,

vielen Dank für deine Kommentare!
Ich hoffe die Tastatur hat es überstanden.

Auch dir möchte ich für deine Hinweise herzlich danken. :) Ich werde deine beigesteuerten "Götterfunken" bei der Überarbeitung berücksichtigen.

Liebe Grüße
Hörnchen
 

petrasmiles

Mitglied
Eine historische Nacherzählung im Sinne eines Leopold von Ranke ("Wie es eigentlich gewesen") ist in meinen Augen jedoch nicht zwingend erforderlich, um eine gute Geschichte zu erzählen.
Liebes Hörnchen,

das sehe ich ganz genau so.
Nur, allein zwischen Ranke und Follett klaffen Welten. Es kommt auch für den Hobbyautoren einzig darauf an, welches Ziel er (sie, es) verfolgt und ob er damit zufrieden ist. Um so mehr wir selbst wissen, desto besser können wir einschätzen, ob dies der Fall ist.

Liebe Grüße - und noch viel Spaß am Schreiben!

Liebe Grüße
Petra
 



 
Oben Unten