vom Tageslicht (gelöscht)

Carlo Ihde

Mitglied
Nicht schlecht, das Textchen. Spontan kam mir das gute alte "Noli turbare circulos meos" ins Gedächtnis, der einsame Denker über seiner Aufgabe, der für diese Dreistigkeit von den Eindringlingen erschlagen wurde. Wie hieß er noch gleich?...

An deinen Text "Juli" erinner ich mich ziemlich genau. Daher fällt dieser hier nun durch seine etwaige Holprigkeit auf, an wenigen Stellen erfodert das Lesen eine Umstellung des Metrums, der Rezipient vermag das beim stillen Lesen frühestens beim dritten oder vierten Mal und selbst dann ist man sich noch sicher über seine selbstgesetzten Hebungen und Senkungen.

Idee ist gut, nur springt wieder der Kosmos bei raus, den ein fühlendes lyrisches Ich um sich herum enstehen lassen will: eingesperrt und gleichermaßen unverstanden, beengt, beschwert von simplen Dingen wie dem Tageslicht, das einfache Sein ist neuerdings weniger beiläufig erträglich, etwas fehlt, etwas fehlte immer schon, eine Idee, eine größere Essenz, nicht der Selbstzweck der Kreise. Schlafen und Wachen, natürliche Rhythmen werden nun in Frage gestellt, aber eben unbewusst, scheinbar automatisch, oder besser: psychosomatisch. Genau, das ist es: das Aus-dem-Takt-geraten ist unbewusst und somatisiert. Und es verlangt, dass das Ich im Zentrum steht. Vielleicht wird damit ein uraltes Recht eingefodert...

Grundstimmung überzeugt, Überarbeitung erwünscht, und wie immer ausnahmslos freundliche Kritiken über Texte des Autors, der sich zur obigen Kritik verstiegen hat.
 

Nil

Mitglied
Hallo Carlo Ihde!

Archimedes hat das gesagt (noli turbarecirculos meos).

Ich kann dir nicht ganz folgen. "Verstiegen hat"? Wie ist das gemeint?

So wie ich dich verstanden habe stört dich die Form oder "Holprigkeit", wie du sagst.
Mir fällt lediglich eine Stelle auf: Die zweite Verszeile der ersten Strophe. Sie tritt zu unmittelbar nach der ersten in Erscheinung. Sollte vielleicht eine Idee länger sein... Ansonsten scheint mir kein Manko greifbar zu sein. Das kann an fehlender Objektivität meinerseits liegen, an meinem verkorksten Geschmack, was eigene Dichtung betrifft (grins) oder schlicht und ergreifend fehlende Erfahrung in dem Gebiet
Damit meine ich natürlich formelle Aspekte. Vielleicht alles zusammen?
Vielleicht hast du einige Änderungsvorschläge? Mir wollen sich keine offenbaren. Wenn du welche hast, kann ich mich damit auseinadnersetzten und finde dadurch möglicherweise neue Ideen für dieses Gedicht.

Das Aus-dem-Takt geraten ist schon bewusst, nur versteht das lyrische Ich es nicht. Es weiß was mit ihm los ist, aber nicht 100 prozentig warum.

Vielen dank für den Kommentar.
Freue mich auf deine Antwort.

Nil
 

Carlo Ihde

Mitglied
Nee, habs mir überlegt: Änderungswünsche kann ich nicht formulieren, das wäre vermessen. Der Wunsch, den ich äußern könnte, wäre viel allgemeinerer Natur: versuch einfach jeden Text, wenn er abgeschlossen ist, als abgeschlossen zu betrachten. Jeder Text ist immer ein Übeform oder Vorform oder Verlaufsform, das weitere Üben sollte nicht einen vorhandenen Text verstümmeln müssen, sondern vielmehr einen neuen, anders gearteten Text hervor bringen, das schult die Themenvielfalt, kann ermöglichen nicht thematisch auf der Stelle zu treten. Also bitte Text unverändert lassen.

Mit "verstiegen" meine ich, nicht ganz unironisch, mich selbst: also ich habe mich in eine Kritik verstiegen, das mache ich sonst ganz selbstverständlich und nebenbei, selbst die härtesten und vernichtendsten Kritik kriegt man nebenbei von mir um die Ohren gehauen. Nur wenn ich wirkliches Talent vermute, habe ich das Gefühl es stünde mir nicht zu, überhaupt eine Kritik (ob positiv oder negativ) zu veräußerlichen. Nur Talent haben eben die Wenigsten von allen, die ich hier bisher kritisiert habe.

Ich finde die Sprache teils etwas maniriert für eine so jungen Menschen, das ist nicht schlecht, im Gegenteil, es ist beinahe als würde ich in einen Spiegel gucken, oftmals strotzen auch meine Texte von theatraler Maniriertheit, vielleicht weil man so den künstlerischen Anspruch stärker noch wörtlich verdinglichen will. In Ordnung wenn's von alleine kommt. Old-fashioned ab dem Moment, wo es Füllstoff in einem Raster wird oder Baustein bei absoluter Ideenlosigkeit.

Deutungshypothese: dem lyrischen Ich entschwindet die Zirkelwelt, die greifbare, die mathematische. Kenn ich. Wenn man den Zirkel sehr naturalistisch auslegt, ich hab mein Mathe-Abitur nur mit 3- bestanden, dafür Deutsch mit 2+ und Religion mit 1+. Die Menschen sind nunmal verschieden, die Erkenntnis, dass das Rationale und mathematisch Erfassbare die Welt außerhalb unseres Fühlens erklären, nicht aber die Welt innerhalb unseres Gefühlsradius', ist dann notwendig. Ich glaube Kunstinteresse und Mathematik ist unvereinbar. Wahrscheinlich hat ein gnädiger Gott das so angelegt, damit wir alle keine Universalgenies werden. Wäre auch noch schöner. Bisher trösten sich doch die Logik-Begabten damit, dass sie rational denken, und die Kreativ-Begabten damit, dass die Logiker keine Ahnung vom wirklichen Fühlen haben. Aber Vorsicht: dieses Gliederungsprinzip gilt nur, solange man es vorzieht, es nicht genau nehmen zu wollen. Im Endefeckt wollen wir alle nur ein bisschen glücklich sein und unser aller Streben muss in Einklang zu bringen sein mit unseren Fähigkeiten. Den anderen, die einen nicht verstehen, das Recht auf die Fähigkeit zur Führung eines gelingenden glücklichen Lebens abzusprechen, ist gegenstandslos. Es beschreibt die Ein-Igelung in seiner als besonders oder hervorstechend empfundene Position. Viele die Gedichte schreiben, so hab ich das an anderen und mir erlebt, halten sich für etwas besseres oder besonderes, manche haben davor sogar Angst. Wahres Leben beginnt für mich mit einer gewissen inneren Größe, die dort beginnt, wo der Autor nicht vor der Dichtkunst auf die Knie fällt, wo der Autor das Dichten als zweckfrei ansieht und nur aus dem Selbstzweck der Persönlichkeitsbildung betreibt, nicht aber um die Welt in Frage zu stellen, in die er sich als fühlendes Wesen geworfen und Rationalismen unterworfen sieht, gegen die es mittelfristig zu rebellieren gilt.

Bevor ich weiter monologisiere, mache ich lieber einen Vorschlag zum Abschluss, für eine Übung: wenn du den festen Glauben hast, ein Dichter (sag ich eigentlich ungern, Schriftsteller ist besser, oder Autor) zu werden, schreibe jeden Tag ein Gedicht. Ich weiß, das meiste findet man scheiße, zu oberflächlich, zu unreflektiert, zu prinzipiell. Aber wer sagt denn, dass alles Geschriebene irgendwann mal eins zu eins in Publikationsmasse umgewandelt werden soll? Deshalb jeden Tag ein Gedicht. Kein Vierzeiler, das sind keine Gedichte, das sind kalte intentionsarme Bild-Rülpser. Jeden Tag einen 20-Zeiler, der Weg ist lang und wenn du genügend kompromisslos bist wirst du dicht nicht mit Floskeln zufrieden geben wie "Der Weg ist das Ziel", denn das ist die allergrößte Scheiße. Jeden Tag ein Gedicht. Ein einem Jahr sprechen wir uns wieder.
 

ENachtigall

Mitglied
Watt nu

Hallo Nil,

hier solltest Du Dich entweder für Singular (das Tageslicht, es) oder Plural (die Tageslichter, sie) entscheiden. Sonst ist es grammatisch nicht einwandfrei.

Die Tageslichter wie Tonnengewicht,
es will nicht mehr behagen.
Alternativ ginge auch:

Der Tage Licht wie Tonnengewicht,
es will ...

Grüße von Elke
 

Nil

Mitglied
Hallo Carlo Ihde

das mit dem "als abgeschlossen betrachten" ist durchaus nicht leicht. Man schreibt ein Gedicht, findet es nach einiger Zeit im "Schreibjungel" wieder und ändert es dann. Vielleicht fühlt man anders als vorher oder der Sprachfundus ist größer geworden.
Vielleicht hast du recht und man sollte alles so belassen wie es ist, so das die Werke stumm sprechende Zeugen einer Entwicklung sind, einem "besser werden", einem "sich verändern" und unter Umständen durch jene Unvollkommenheit, die uns Menschen so ähnlich ist, eine gewisse Schönheit erhalten.
Dennoch juckt es mir in den Fingern, wenn ich ein Werk nach längerer Zeit wieder lese und es einfach nur schrecklich finde. Da sind Änderungen vorprogrammiert.
Ich befinde mich also, wenn du es so willst, in einer zwiespältigen Lage.

Inhaltlich setzt sich das Gedicht mit dem Alltag außeinander. Dem grauen, gleichen und immer wiederkehrenden Alltag, der sich nie lichten will.
Den Menschen scheint das nicht aufzufallen. Nur dem lyrischen ich. Es fühlt dieses festgefahrene leben, fühlt das "sich im Kreis drehen", also die Zirkelwelt in der es lebt.
Deine Deutungshypotese ist wirklich interessant, auch, wenn ich etwas Anderes beschrieben habe (und hierbei ist es weiterhin interessant zu erwähnen, dass ich in Mathe sehr schlecht bin). Ich fand es nämlich sehr interessant, dass du gerade dieses Thema angesprochen hattest.
Manchmal fehlt mir der Elan zum Schreiben, obwohl dein Vorschlag gut klingt. ich denke nicht, dass man jeden Tag ein Gedicht schreiben muss. Ich denke du willst auch nur im Großen und Ganzen sagen, dass regelmäßiges Üben wichtig ist. Kann natürlich falsch liegen.

Öfters mal ein Gedicht
und noch mehr, wenn es möglich ist
(Hilfe, ich fang schon an zu reimen,
also lass ich es nun hier weiter zu schreiben)!


Machs gut!

Nil fließt dahin.
 

Nil

Mitglied
Hallo ENachtigall!

Ich weiß was du meinst.
Ich habe mir das nur so gedacht:
Es will nicht mehr behagen, dass die Tageslichter wie Tonnengewicht sind.
So ist das gemeint.
Ist vielleicht etwas unklar. Das geb ich gern zu.

Man sieht sich,

Nil

P.S.: Wenn dir Fehler auffallen, dann sa mir das bitte weiterhin. Bin für jeden Korrekturhinweis dankbar.
 

ENachtigall

Mitglied
Verstehe, Nil.

Das würde eindeutig, wenn Du den zweiten Satz großgeschrieben und mit "Das" anfingest.

Die Tageslichter wie Tonnengewicht.
[blue]Das[/blue][strike]es[/strike] will nicht mehr behagen.
It´s up to you, for shure!

Elke
 

Rhea_Gift

Mitglied
Letzte Zeilen als Änderungsvorschlag:

Und erhält, wenn auch entstellt,
die unbekannten Wege

Sonst gefällts mir gut! :)

LG, Rhea
 

Carlo Ihde

Mitglied
Noch kurz was Grundsätzliches, lieber Nil, was dir aber nicht unbekannt sein wird: natürlich ist es anstrengend jeden Tag ein Gedicht zu schreiben. Übung ist schon das Ziel, nicht aber misszuverstehen als "Übung um besser zu werden", denn besser ist ein ganz subjektiver Maßstab. Ich sehe den Übungseffekt viel eher darin, sich bewusst zu werden, wie man selbst "klingen" will, eine Persönlichkeitsbildung, die Gedichte so werden lässt, wie sie nur eine ganz singuläre Persönlichkeit werden lassen kann. Ich hatte diesen Übungseffekt auf das Schreiben reduziert. Das war falsch. Vielmehr muss der Schreibende nebenbei es als Selbstverständlichkeit betrachten, auch viel zu lesen ( Empfehlungen reichen von Peter Handke über Christa Wolf bis hin zu Robert Lee Frost), damit sich der Schreibende nicht nur mit seinen eigenen Texten beschäftigt und seine Rolle in der Literatur nicht nur als die eines Ideallesers seiner eigenen Texte versteht. Das führt nämlich zu mangelnder Selbstkritik. Also sollte mein Vorschlag viel eher heißen: jeden Tag etwas mit Literatur zu tun zu haben, jeden Tag ein Gedicht "lesen" und durchdenken, oder schreiben, oder anderen Leuten rezitieren, sich schriftlich dazu zu äußern, jeden Tag ein Stück weit in und mit der Literatur zu leben.


Meine Deutung mit der Sozialisation ( also Mathe versus Kunst ) ist eigentlich ein totales Klischee, stimmt aber meistens, so wie du zu gibst. Mit dieser Faktizität haben wir wohl zu leben. Aber wie gesagt: die Rationalen führen kein intensiveres Leben als die Kreativen. Sie führen ein anderes. Beides kann jedoch mit, viel Arbeitsaufwand und Anstrengung verbunden, zum gelingenden Leben führen. Fälschlicherweise nimmt man an, dass zum Beispiel die Literatur ein leichteres Leben bietet, weil man nur schreiben muss, was einem einfällt. Daraus erklärt sich unter anderem auch die unglaubliche Menge an ungereimten Gedichten, die alle so öde daher knattern, weil jeder Privatmensch (mich eingeschlossen) glaubt, mittels gebrochener Zeile etwas zur Dokumentationskultur unserer Zeit beitragen zu müssen. Dichter sind wir alle nicht, das "wahre" Talent ist der Einzelfall, so war es schon immer. Trotzdem glauben wir uns alle irgendwie singulär, und die meisten Teilnehmer schieben sich galant die gefälligen Beurteilungen ihrer gefälligen Textchen zu. Ernsthafte Anregungen, die die Einstellung zum Schreiben thematisieren sollen (wie ich das hier versuche) findet man selten. Das ist charakteristisch. Wer aber Literatur liebt, muss sie mit strikter Courage lieben oder hassen. Hier findet man leider selten strikte Courage, Dialektik sowieso nicht, vor den großen Dramen unseres aufkeimenden kleinbürgerlichen Biedermeiers, kneifen die meisten, neulich ganz unschön bewiesen, bei einem anderen Text.... führt zu weit.

Viel Spaß beim schreiben. Toitoitoi bei Mathe...
 

Nil

Mitglied
Hallo ENachtigall!

Danke für den Änderungsvorschlag. Er gefiel mir sehr gut. Ich hab ihn gleich übernommen.

Nil
 

Nil

Mitglied
Hallo Rhea_Gift,
netter Name, nebenbei.
Die Zeile ist nicht im Sinne von "erhalten" gemeint, sondern "festhalten". Die Zikelwelt hält die Wege fest und entstellt sie noch zusätzlich. Sie scheinen davon zu schwinden und der Möglichkeit sie einzuschlagen zu entgehen.

Deswegen passt dein Vorschlag nicht ganz.
Trotzdem danke.

Nil
 

Nil

Mitglied
Hallo Carlo Ihde.

Du hast recht. Es ist wichtig sich mit der Literatur auch anderer Autoren außeinander zu setzen. Und "gute" Dichtung oder "bessere als früher" ist etwas subjektives. Ich habe immer schon nach meinem Weg innerhalb dieser Dichtung gesucht und suche immer noch. Vielleicht werde ich fündig, vielleicht nicht. Ich werde es wissen, irgendwann.
Schon früher war das immer meine Zielsetzung. Meinen eigenen, du kannst sagen, Stil zu finden.
Wir werden sehen, was die Zeit bringt.

Ich halte es grundsätzlich für einen Fehler Klischees zu verallgemeinern. Überhaupt tun die Menschen das viel zu oft und sind dann überrascht, wenn eine Person nicht in eines ihrer Muster passt.
Allerding hast du wiederrum recht zu sagen diese Klischees können sich oft bewahrheiten oder meistens.

Nil
 



 
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