Ich ging den Hausreihen entlang. Der Belag unter meinen Füssen bröckelte und hätte dringend eine Auffrischung nötig. Die Strasse war belebt, zwar nicht so stark, dass man nicht mehr seine eigenen Füsse sehen konnte, doch genug, so dass man immer mehrere Personen gleichzeitig in seinem Sichtfeld hatte. Auch Autos fuhren an mir vorbei. In meinem Reiseführer hatte ich gelesen, dass auch eine Quartierstrasse wie diese in der 12-Milionen-Stadt Sao Paulo gefährlich sein konnte, am Tag wie in der Nacht. Doch ich machte mir nicht viele Gedanken oder gar Sorgen. Böse Jungs würden sich nur in der Nacht zeigen, und im Moment stand die Sonne noch hoch über dem Horizont.
Ich hatte die Wahl, entweder ich nahm die Hauptstrasse oder lief quer durch die Quartiere, was mir mindestens eine Stunde einsparen würde. Also entschied ich mich für die Abkürzung, um noch vor Sonnenuntergang im Hotel zu sein. Auch wenn ich mich am Tag nicht fürchtete, in der Nacht wollte ich definitiv nirgends allein sein, weder in einer Gasse wie dieser noch auf der Hauptstrasse.
Je später es wurde, desto länger dauerte es, bis ich auf andere Menschen traf. Am Anfang fiel es mir nicht auf, doch jetzt, als ich nur noch vereinzelt Leute sah, beschleunigte ich meine Schritte. Mehr Eile konnte nicht schaden. Die Anstrengung des Tages machte sich mehr und mehr bemerkbar. Meine Füsse schmerzten vom Gehen und Herumstehen, ich war müde und hatte Hunger. Ein Tag voller Besichtigungen von Museen, historischen Plätzen und Kirchen war anstrengender, als gedacht. Ich war auch nicht mehr der Jüngste, und die Beschwerden des Alters machten sich auch bei mir bemerkbar. In meinen Zwanzigern hätte ich einen Tag wie diesen mit Leichtigkeit bewältigt und hätte dann die ganze Nacht durchgetanzt. Nicht wenige Male war ich direkt nach einer intensiven Partynacht in der Schule erschienen, und das hatte wunderbar funktioniert. Die Gedanken an jene Zeiten brachte mich zum Lächeln. Doch auch wenn es sehr schöne Jahre gewesen waren, bereute ich es nicht, mit meiner Frau einen neuen Lebensabschnitt angefangen zu haben. Nicht ein einziges Mal hatte ich mir gewünscht, zum vorherigen, lockereren Leben zurückzukehren. Wie auch, wenn ich an die vielen schönen Momente dachte, die ich mit meinen zwei wunderbaren Mädchen erleben durfte. Wie sie anfingen zu sprechen und zu laufen oder als die beiden die Schule abgeschlossen hatten. Für nichts in der Welt hätte ich mit jemandem den Platz tauschen wollen.
In Gedanken vertieft, bemerkte ich nicht, dass die Dämmerung eingesetzt hatte. Hatte ich mich in der Zeit verschätzt, oder war ich falsch abgebogen? Mein Blick suchte die Gegend ab. Ich wollte jemanden nach dem Weg fragen, doch die Personen, die noch auf der Strasse unterwegs waren, mieden den Blickkontakt. Auch die Türen der Häuser ringsum schienen abweisend und verschlossen. Wenn mir jetzt etwas passierte, würde mir niemand helfen.
Ich wollte gerade umkehren, um einen anderen Weg einzuschlagen, da hörte ich das Rauschen einer Strasse. Wenn ich richtig schätzte, war es die Hauptstrasse, was hiess, dass mein Hotel nicht mehr weit weg war. Mit neuer Hoffnung setzte ich meinen Weg mit eiligen Schritten fort. Inzwischen waren die Strassenlaternen eingeschalten worden. Davon merkte man allerdings nicht viel, da die meisten Lampen nicht mehr in ihren Halterungen hingen. Die Häuser zu meiner Linken waren mit Graffiti bedeckt. Was für ein Unterschied zum sauberen und gepflegten Quartier zu Hause. Wo sich hier Abfallsäcke am Strassenrand türmten, reihten sich daheim schön geschnittene Büsche entlang des Gehwegs. Mir wurde immer mulmiger zumute. Jedes ungewohnte Geräusch liess mich zusammenzucken. Der Gedanke an die nahe Hauptstrasse beruhigte mich ein wenig. Dort würde sicherlich niemand etwas Kriminelles versuchen. Und genau in diesem Moment traten fünf junge Männer mit vernarbten Gesichtern und Armen aus einer Nebenstrasse hervor. Noch bevor ich überlegen konnte, ob es besser wäre, wegzurennen oder zu schreien, zog einer von ihnen ein Messer aus seiner Hose. Lässig warf er es in die Luft und fing es wieder auf. Ich wusste, dass er jeden Moment zustossen könnte. Mein Herz schlug so schnell, dass ich Angst hatte, es würde mir aus dem Brustkorb springen. Ich wusste, dass ich in der Falle steckte und nicht die geringste Chance auf Flucht hatte. Die Männer schrien mich an, ihre Sprache schien mir portugiesisch sein, doch was sie sagten, verstand ich nicht. Doch auch so ahnte ich, was sie von mir wollten. Schnell versuchte ich, meine Uhr vom Handgelenk zu ziehen, brauchte jedoch mehrere Versuche. Die Männer waren nähergetreten. Ich streckte das wertvolle Stück einem von ihnen entgegen. Er riss sie mir mit gierigen Augen sofort aus der Hand. Während ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche zog, trat einer der Männer hinter mich. Sein Atem roch unangenehm, als hätte er sich seit Wochen nicht die Zähne geputzt. Die Passanten machten einen grossen Bogen um uns. Ich hätte es wahrscheinlich nicht anders gemacht. Alles zog sich in mir zusammen beim Gedanken, dass jemand meinen Angehörigen die Nachricht über meinen Tod überbringen müsste. Der Mann hinter mir riss mir grob meinen Rucksack von den Schultern. Ich machte mich so klein wie möglich und hob meine Hände, um nicht bedrohend zu wirken. So gut es ging, versuchte ich, das Zittern zu verbergen, um meine Angst nicht zu offensichtlichtlich zu machen. Ein jämmerlicher Versuch, dessen war ich mir bewusst, und das wussten auch die Gangster, was man an ihrem Lachen bemerkte. Sie konnten alles von mir haben, sofern ich lebend hier wegkam. Und tatsächlich, sie schienen zufrieden mit ihrer Beute und verschwanden wieder hinter der nächsten Hausecke, als ob sie gar nicht da gewesen wären. Vor Erleichterung ging ich fast in die Knie, doch diesmal war ich mir meiner Umgebung nur zu gut bewusst. So schnell, wie mich meine Beine trugen, eilte ich auf die Hauptstrasse zu und in die Sicherheit des Hotels und meiner Familie.
Noch heute denke ich oft an diesen Überfall. Wer waren diese Männer, und was hatte sie zu dieser Tat verführt? War es Hunger oder Bosheit? Ich bin gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen. Ja, ich hatte Angst gehabt. Unsägliche Angst. Das war neu für mich gewesen. Ich hatte vorher nicht gewusst, wie Angst sich anfühlt. Ich habe einen Moment in einen Abgrund geschaut. Auch in einen Abgrund in mir selbst.
Ich hatte die Wahl, entweder ich nahm die Hauptstrasse oder lief quer durch die Quartiere, was mir mindestens eine Stunde einsparen würde. Also entschied ich mich für die Abkürzung, um noch vor Sonnenuntergang im Hotel zu sein. Auch wenn ich mich am Tag nicht fürchtete, in der Nacht wollte ich definitiv nirgends allein sein, weder in einer Gasse wie dieser noch auf der Hauptstrasse.
Je später es wurde, desto länger dauerte es, bis ich auf andere Menschen traf. Am Anfang fiel es mir nicht auf, doch jetzt, als ich nur noch vereinzelt Leute sah, beschleunigte ich meine Schritte. Mehr Eile konnte nicht schaden. Die Anstrengung des Tages machte sich mehr und mehr bemerkbar. Meine Füsse schmerzten vom Gehen und Herumstehen, ich war müde und hatte Hunger. Ein Tag voller Besichtigungen von Museen, historischen Plätzen und Kirchen war anstrengender, als gedacht. Ich war auch nicht mehr der Jüngste, und die Beschwerden des Alters machten sich auch bei mir bemerkbar. In meinen Zwanzigern hätte ich einen Tag wie diesen mit Leichtigkeit bewältigt und hätte dann die ganze Nacht durchgetanzt. Nicht wenige Male war ich direkt nach einer intensiven Partynacht in der Schule erschienen, und das hatte wunderbar funktioniert. Die Gedanken an jene Zeiten brachte mich zum Lächeln. Doch auch wenn es sehr schöne Jahre gewesen waren, bereute ich es nicht, mit meiner Frau einen neuen Lebensabschnitt angefangen zu haben. Nicht ein einziges Mal hatte ich mir gewünscht, zum vorherigen, lockereren Leben zurückzukehren. Wie auch, wenn ich an die vielen schönen Momente dachte, die ich mit meinen zwei wunderbaren Mädchen erleben durfte. Wie sie anfingen zu sprechen und zu laufen oder als die beiden die Schule abgeschlossen hatten. Für nichts in der Welt hätte ich mit jemandem den Platz tauschen wollen.
In Gedanken vertieft, bemerkte ich nicht, dass die Dämmerung eingesetzt hatte. Hatte ich mich in der Zeit verschätzt, oder war ich falsch abgebogen? Mein Blick suchte die Gegend ab. Ich wollte jemanden nach dem Weg fragen, doch die Personen, die noch auf der Strasse unterwegs waren, mieden den Blickkontakt. Auch die Türen der Häuser ringsum schienen abweisend und verschlossen. Wenn mir jetzt etwas passierte, würde mir niemand helfen.
Ich wollte gerade umkehren, um einen anderen Weg einzuschlagen, da hörte ich das Rauschen einer Strasse. Wenn ich richtig schätzte, war es die Hauptstrasse, was hiess, dass mein Hotel nicht mehr weit weg war. Mit neuer Hoffnung setzte ich meinen Weg mit eiligen Schritten fort. Inzwischen waren die Strassenlaternen eingeschalten worden. Davon merkte man allerdings nicht viel, da die meisten Lampen nicht mehr in ihren Halterungen hingen. Die Häuser zu meiner Linken waren mit Graffiti bedeckt. Was für ein Unterschied zum sauberen und gepflegten Quartier zu Hause. Wo sich hier Abfallsäcke am Strassenrand türmten, reihten sich daheim schön geschnittene Büsche entlang des Gehwegs. Mir wurde immer mulmiger zumute. Jedes ungewohnte Geräusch liess mich zusammenzucken. Der Gedanke an die nahe Hauptstrasse beruhigte mich ein wenig. Dort würde sicherlich niemand etwas Kriminelles versuchen. Und genau in diesem Moment traten fünf junge Männer mit vernarbten Gesichtern und Armen aus einer Nebenstrasse hervor. Noch bevor ich überlegen konnte, ob es besser wäre, wegzurennen oder zu schreien, zog einer von ihnen ein Messer aus seiner Hose. Lässig warf er es in die Luft und fing es wieder auf. Ich wusste, dass er jeden Moment zustossen könnte. Mein Herz schlug so schnell, dass ich Angst hatte, es würde mir aus dem Brustkorb springen. Ich wusste, dass ich in der Falle steckte und nicht die geringste Chance auf Flucht hatte. Die Männer schrien mich an, ihre Sprache schien mir portugiesisch sein, doch was sie sagten, verstand ich nicht. Doch auch so ahnte ich, was sie von mir wollten. Schnell versuchte ich, meine Uhr vom Handgelenk zu ziehen, brauchte jedoch mehrere Versuche. Die Männer waren nähergetreten. Ich streckte das wertvolle Stück einem von ihnen entgegen. Er riss sie mir mit gierigen Augen sofort aus der Hand. Während ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche zog, trat einer der Männer hinter mich. Sein Atem roch unangenehm, als hätte er sich seit Wochen nicht die Zähne geputzt. Die Passanten machten einen grossen Bogen um uns. Ich hätte es wahrscheinlich nicht anders gemacht. Alles zog sich in mir zusammen beim Gedanken, dass jemand meinen Angehörigen die Nachricht über meinen Tod überbringen müsste. Der Mann hinter mir riss mir grob meinen Rucksack von den Schultern. Ich machte mich so klein wie möglich und hob meine Hände, um nicht bedrohend zu wirken. So gut es ging, versuchte ich, das Zittern zu verbergen, um meine Angst nicht zu offensichtlichtlich zu machen. Ein jämmerlicher Versuch, dessen war ich mir bewusst, und das wussten auch die Gangster, was man an ihrem Lachen bemerkte. Sie konnten alles von mir haben, sofern ich lebend hier wegkam. Und tatsächlich, sie schienen zufrieden mit ihrer Beute und verschwanden wieder hinter der nächsten Hausecke, als ob sie gar nicht da gewesen wären. Vor Erleichterung ging ich fast in die Knie, doch diesmal war ich mir meiner Umgebung nur zu gut bewusst. So schnell, wie mich meine Beine trugen, eilte ich auf die Hauptstrasse zu und in die Sicherheit des Hotels und meiner Familie.
Noch heute denke ich oft an diesen Überfall. Wer waren diese Männer, und was hatte sie zu dieser Tat verführt? War es Hunger oder Bosheit? Ich bin gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen. Ja, ich hatte Angst gehabt. Unsägliche Angst. Das war neu für mich gewesen. Ich hatte vorher nicht gewusst, wie Angst sich anfühlt. Ich habe einen Moment in einen Abgrund geschaut. Auch in einen Abgrund in mir selbst.