von der lust sich einreißen zu lassen

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Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
…das ist Unsinn. Aus dem Nichts entstehen die schönsten Dinge. Du zum Beispiel hast mich auf und niedergerissen. Du hast mich zerstört und hinweggefegt, indem du mich leergeräumt hast. Und als ich ganz befreit war von mir selbst, hast Du in die Architektur meines Leibes Dich selber gestellt, so dass ich ganz und gar Du war und Du ganz und gar leer. Das geschieht für einen Augenblick, nur für einen Augenblick, der sich selber zu schnell einreißt, als dass man ihn fassen könnte und doch bleibt er so konkret in der Erinnerung, weil das Gefühl, wenn man sich rasend wieder aufgebaut hat, dem Verlust der Ewigkeit gleichkommt.

*************

Ich sitze am Fenster und führe ein Zwiegespräch mit mir, einen Monolog der nicht abreißen will, leise, ein Gespräch um die Leere zu verscheuchen. Du hast mich zertrümmert, gefüllt und verlassen. Jetzt glaube ich, Deinen Schatten auf den Wellen des Sees zu sehen, der sich dünn, blassblau, vor meinem Fenster ausspannt.

**************

Wer die Ewigkeit will, muss die Zeit fangen und ihr die Beine brechen. Wie bricht man der Zeit die Beine? – Indem man vergisst, dass es sie gibt. Du bist ewig – die Pointe läuft darauf hinaus, dass es das Vergessen nicht ist, hast Du gesagt.

**************

Ich, - der ich jetzt weiß, dass es zum Leben mehr braucht, als das Leben zu bieten hat, will sagen - einen anderen Menschen, ein Du, - Dich. Ich sitze am Fenster und starre auf Deinen Schatten, er kommt auf mich zu, stolpert, bleibt liegen, steht auf und löst sich urplötzlich auf. Mir ist kalt.
 
Zuletzt bearbeitet:

Scal

Mitglied
Hallo Patrick,

da bin ich zunächst sprachlos wie Einer, der während einer Zugfahrt sinnend beim Fenster hinausblickt und dann wiederum auf diesen aufgerissenen Brief - ... "zum Leben mehr braucht als das Leben zu bieten hat" ... haben das die Schienen gesprochen ? ... "zertrümmert, gefüllt, verlassen ..."

LG
Scal
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Hallo Patrick,

ich finde deinen Text interessant, aber als erklärter Gegner des übermäßigen Gebrauchs von abstrakten Begriffen auch mit den selbigen überladen. Meiner Meinung nach würde dein Text viel mehr Kraft gewinnen, wenn du das Konkrete noch deutlicher herausarbeitest, so wie es dir z.B. hier gelungen ist:

Jetzt glaube ich deinen Schatten auf den Wellen des Sees zu sehen, der sich dünn, blassblau, vor meinem Fenster ausspannt.
(kurze Anmerkung zu diesem Satz: Auch wenn der Gebrauch des Kommas vor Infinitivsätzen mit zu fakultativ ist, würde ich hier eines benutzen, da man sonst beim Lesen auf die Idee kommen kann, den Schatten - also im Plural - etwas glauben zu wollen, bis man dann merkt, dass hier etwas anderes gemeint ist. Dadurch kann es sein, dass manche Leser, die zunächst die erste Lesart im Sinn haben, ins Stocken geraten - ein Komma würde dem Abhilfe schaffen)

Dadurch, dass aber der Text vor allem durch abstrakte Begriffe und Wörter des Fühlens getragen wird, gelingt es mir als Leser kaum, einen mehr als (oberflächlich) intellektuellen Zugang zum Geschriebenen zu finden. Es fehlen mir dafür Wörter, welche die Sinnebene berühren und in der Lage sind, Bilder vor meinem inneren Auge zu erzeugen, wie es dir z.B. im zitierten Satz gelungen ist.

Aber wenn man sich allein den ersten Absatz anschaut, dann wird deutlich, wie viele Begriffe im Text nicht auf die Sinnebene und ins Konkrete zielen:

…das ist Unsinn. Aus dem Nichts entstehen die schönsten Dinge. Du zum Beispiel hast mich auf und niedergerissen. Du hast mich zerstört und hinweggefegt, indem du mich leergeräumt hast. Und als ich ganz befreit war von mir selbst, hast Du in die Architektur meines Leibes dich selber gestellt, so dass ich ganz und gar Du war und Du ganz und gar leer. Das geschieht für einen Augenblick, nur für einen Augenblick, der sich selber zu schnell einreißt, als dass man ihn fassen könnte und doch bleibt er so konkret in der Erinnerung, weil das Gefühl, wenn man sich rasend wieder aufgebaut hat, dem Verlust der Ewigkeit gleichkommt.
Ich kann mir trotzdem vorstellen, dass es Leser gibt, die einen solchen Stil bevorzugen, ich scheine aber nicht dazu zu gehören, denn ich bin der Meinung, dass das allzu Abstrakte schnell beliebig werden kann.

Eine Anmerkung noch zum Schluss: Du hast dich entschieden, dass Du im Text immer groß zu schreiben. Dies würde ich dann konsequenterweise auch bei den Possessiv- und Reflexivpronomen tun, z.B. im vierten Satz Dich statt dich.

Liebe Grüße
Frodomir
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
hey frodomir :)

gute anmerkungen.
ich habe deine vorschläge verarbeitet.

über den stil an sich lässt sich natürlich streiten. ich habe ja bewusst diesen stil gewählt. allerdings scheint mir der text handwerklich recht gelungen zu sein, daher bleiben vorallem geschmacksfragen offen.
ich mag beide stilformen, die du ansprichst. und ich kann mir durchaus texte vorstellen, in denen ich einen konkreteren erzählstil wähle, aber hier schien er mir nicht zu passen, ohne dass ich genau erklären könnte warum.

lg
patrick
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Hallo Patrick,

ich habe auch noch mal über deinen Text nachgedacht und bin heute ein wenig "versöhnlicher" als gestern - man könnte solche Texte mit einem hohen Maß an Abstraktion auch als literarische Texte mit philosophischem Impetus begreifen. Meine Kritik über den Stil des Textes ziehe ich deswegen sogar zurück, denn mit genügend Abstand sehe ich es heute tatsächlich anders und in deinem Text ein Zeichen für die unglaubliche Vielfalt der Literatur.

Ich bin selbst zu schnell dabei, bei der Häufung von besonders abstrakten Begriffen eine mögliche Beliebigkeit, wie sie ganz ausgeprägt ist bei den "Herz-Schmerz"-Gedichten, zu unterstellen. Aber bei erneutem Lesen kann ich keine Beliebigkeit mehr in deinem Text erkennen, es war einfach keine gute Kritikerleistung von mir.

Liebe Grüße
Frodomir
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
seltsam ... jetzt bin ich in der situation, deine kritik an meinem text vor dir zu rechtfertigen. das ist mir auch noch nicht passiert :p

du hast schon nicht ganz unrecht. ein wenig weniger abstraktion, könnte sich positiv auf den text auswirken. wobei ich auch (in einem anderen forum) die rückmeldung bekommen habe, dass gerade das besonders gefallen hat.

aber ... ich kann deine kritik irgendwie nachvollziehen und schau mal, ob ich in zukunft etwas konkreter schreiben werde. ich bin in prosa ja relativ ungeübt.

lg
patrick
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Du musst nichts rechtfertigen, Patrick. Ich habe mit ein wenig mehr Distanz einfach eine andere Sichtweise auf deinen Text bekommen. Wenn dir das Abstrakte im Moment besonders zusagt, dann tobe dich doch dementsprechend aus. Solange es nicht beliebig wird, ist doch alles gut :)
 



 
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