Von Mächten geborgen

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namibia

Mitglied
Von Mächten geborgen

Es stürmt die See, die Wellen tosen,
der Himmel türmt sich auf zum Grau,
der Wind verwirbelt sich in Hosen,
die Gischt verschlingt sich mit dem Tau .

Ich werd von links nach rechts geschmissen,
verliere rasch die Contenance
die Haare nass, das Hemd zerrissen
such ich verzweifelt die Balance.

Die Angst kriecht hoch in meiner Seele -
allein auf dieser wilden See.
Ich schreie, tobe , brülle, quäle
mich kopflos zwischen Luv und Lee.

Und während mich der Sturm so schüttelt,
erkenn ich langsam in mir drin,
dass ich - vom Unwetter gerüttelt -
von Mächten doch geborgen bin.
 
O

orlando

Gast
Das Gedicht finde ich makellos.
Nur die "Mächte" verderben mir das morgendliche Müsli. ;)

Warum benennst du die nicht genauer? Engel, Götter, * vor Neptun ganz ... (mein Favorit)

Spornende Grüße
orlando
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo,

mir gefällt es nicht. Zu welchem Grau türmt sich der Himmel? Was hat die gezierte Contenance in diesem Kontext verloren? Wie kommt das Lyr-Ich zu dieser Conclusio?

Nein, für mich funktioiert das überhaupt nicht, die Bilder empfinde ich alle als leicht schief und das Ende ist für mich absurd.

Sorry

Jürgen
 

namibia

Mitglied
Liebe Orlando,

viele Dank für deinen Kommentar. Die letzte Zeile ist natürlich eine Anlehnung an das alt bekannte Bonhoeffer Zitat, das ich nur geringfügig verändern wollte .. Ich könnte Mächte in Kräfte umändern, aber bin noch nicht klar, ob das wirklich eine Verbesserung darstellt.

Lieber Jürgen,

vielen Dank für deinen Kommentar. Wenn du Turner Bilder kennst, weißt du, welches Grau ich meinte und wenn du an der See lebst, kennst du es vielleicht auch..

Was die Contenance betrifft, so hast du recht, die Contenance zu wahren auf einem kenternden Schiff, dürfte recht schwierig sein und doch ist genau das für manche Menschen unendlich wichtig - trotz scheinbar unüberwindbarer Turbulenzen die Fassade zu wahren. Das war es, was ich damit ausdrücken wollte: die Fassade ist wichtiger als das eigene Leben.

Und warum du das Ende als absurd empfindest, habe ich noch nicht wirklich verstanden. Vielleicht kannst du es mir erläutern.

Ich dachte, das lyrische Ich bekämpft so lange den Sturm bis es schließlich erkennt, dass die Lösung nicht im Kampf dagegen, sondern in der Annahme der Erschütterung besteht. Aber das ist mein eigenes Kopf Kino, was offensichtlich nicht jeder nachvollziehen kann, so dass ich mich frage, wie ich die Bilder klarer formulieren könnte..

Euch beiden wünsche ich einen guten Sonntag abend

Alles LIebe

Anna
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Namibia,

ich meinte, die Bedrohung ist zu dick aufgetragen, um sich darin noch "geborgen" fühlen zu können.
Auch finde ich, dass sich vielleicht Wolken auftürmen, aber niemals der Himmel und das substantivierte Grau vermag diese seltsame Metapher dann schon gar nicht zu tragen. Er türmt sich zu einem Grau auf? Nein, geht gar nicht und ist auch nicht sonderlich bedrohlich - soll so klingen, aber das halbgare Grau macht es kaputt. Diese Sprachbagatelle kann gegen keinen "Fishermen at Sea" von Turner anstinken.

Dann noch die verwirbelten Hosen, nein, das ist albern....

Tut mir leid, das alles geht gar nicht. Ich gebe jedoch zu, dass diese Art Text mir extrem gegen den Strich geht und ich hier wohl auch stark von meinen Geschmacksnerven im Urteilsvermögen beeinträchtigt sein mag. Trotzdem: nur Turner sollte eine Turner malen.

Sorry

Jürgen
 

James Blond

Mitglied
Ich sehe den Unwillen von JoteS eher in seiner Weltsicht als in diesem Gedicht begründet.
Doch wenn man verfolgt hat, wie hier zuweilen Kitschiges, Hohles und Halbgares unkommentiert bleibt, überrascht mich diese eindeutige und einseitige Ablehnung schon.

Hervorzuheben wäre die schöne Form: das sichere Metrum, die Kreuzreime in abwechselnd stumpfen und klingenden Kadenzen. Zur formalen Sicherheit kommt die inhaltliche Stringenz, die sich zielstrebig auf die letzte Strophe hinarbeitet und die passenden Bilder. Zunächst (S1) wird die äußere Situation umrissen, in S2 das Lyrische Ich beschrieben, wie es dieser Situation ausgeliefert ist, in S3 seine Verzeiflung dargestellt, die in S4 eine Wendung zu Trost und Geborgenheit erfährt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich mE auch berechtigte Kritik äußern:

Zum Grau auftürmen: Was sich (s)türmt, wird noch nicht grau.


Sich verschlingende Gischt: Die Gischt kann sich nicht mit dem Tauwerk verknoten. Aber sie würgt sich auch nicht mit einem Tau hinunter. Sie kann aber die Sicht verschlingen, den Horizon.


Verwirbelt sich in Hosen -> verwirbelt sich zu Hosen
Damit es sich nicht so anhört, als führe er in die Hosenbeine.


Die Contenance gilt zwar als geduldige Selbstbeherrschung, allerdings im Streit mit anderen Menschen, weniger mit Naturgewalten.

"Die Angst kriecht hoch in meiner Seele"
Ich würde die andere Richtung bevorzugen: "Und Angst kriecht tief mir in die Seele"

Und während mich der Sturm so schüttelt,
erkenn ich langsam in mir drin,
dass ich - vom Unwetter gerüttelt -
von Mächten doch geborgen bin.

Weil es auf diese Strophe sehr ankommt, sollte sie noch besser ausgearbeitet werden. "Erkenn ich langsam in mir drin" geht gar nicht, das ist schon ein formidabler Absturz. Auch sind mir die Mächte etwas obskur. Eine mögliche Alternative:

Und während noch der Sturm mich schüttelt,
erkenn ich plötzlich, mitten drin,
dass ich - vom Unwetter gerüttelt -
in Jenem doch geborgen bin.

Gern kommentiert

JB
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo JB,

fast richtig, aber nur fast. Zuerst lobst Du die Bilder in globo um dann fast jedes einzelne zu zerpflücken. Genau diese Vielzahl der kleinen semantischen Ungereimtheiten summiert sich, trotz sauberer Metrik und gutem Aufbau, zu etwas, das mir einfach nicht zusagen will. Die Bilder sind schief und die Wort-Nebenbedeutungen führen in völlig falsche Richtungen.

Genau weil das Gedicht beim ersten Lesen wo wohlklingend ist, weil es so gezielt auf maximale Wirkung getrimmt ist, stört es mich besonders. Der Text hat auch keine Seele.

Wären die schiefen Bilder gestammelt, dann würde ja jeder gleich merken, dass das nicht gut ist. Das bräuchte ich nicht zu kommentieren.

Gruß

Jürgen
 

James Blond

Mitglied
Zuerst lobst Du die Bilder in globo um dann fast jedes einzelne zu zerpflücken.

Lieber JoteS,

Du hast anscheinend meinen Kommentar nicht richtig verstanden. Es ging mir um die Unzulänglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks, an dem sich einiges noch verbessern ließe. An den Bildern selbst habe ich nichts kritisiert.


Genau weil das Gedicht beim ersten Lesen wo wohlklingend ist, weil es so gezielt auf maximale Wirkung getrimmt ist, stört es mich besonders.
Das halte ich für keine angebrachte Haltung. Ein Redakteur sollte sich zumindest bemühen, fair zu bleiben. "Auf maximale Wirkung getrimmt zu sein", ließe sich wohl jedem guten Gedicht vorwerfen. Das Urteil halte ich für reine Willkür. Die sprachlichen Schwächen ändern nichts an der guten Konzeption. Hier sind keinesfalls Hopfen und Malz verloren.

Der Text hat auch keine Seele.
Der Text hat anscheinend mehr "Seele", als es jemand hier verkraften kann. :D

Ebenso könnte man sagen, Deine hier nachgereichte Rechtfertigung als Warnung vor dem Wohlklang "klingt" hohl und hergeholt. Für mich tut sie das.

Gern gelacht.

JB
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hauptsache, Herr Blond kann noch lachen. Mir vergeht der Spass, wenn ich solches Blendwerk lese. Was ist denn daran so unverstaendlich und lustig, wenn ich schlechte Sprache in Hochglanzverpackung kritisiere?

Wenn mal einer etwas zu sagen haette, statt Schleifchen an hohle Nuesse zu binden, das waere doch ganz objektiv mal was.

Ob ich das Deiner Meinung nach als Mod sagen darf, ist mir offen gesagt Wurst.

Hochachtungsvoll

J.
 

James Blond

Mitglied
Aber ja doch!
:)
Mein Humor ist zur Zeit auch recht gefordert! Mir vergeht mittlerweile die Lust am Kommentieren, wenn ich meine Kritiken anschließend gesperrt wiederfinde und zugleich mit persönlichen Beschimpfungen beantwortet. :(

Anscheinend gelingt die textbezogene Kritik hier nicht einmal den Redakteuren, denn dazu wäre es zuweilen erforderlich, auch einmal einen Blick über den Rand der eigenen Weltanschauung zu riskieren.;)

Ironischer Weise wird der Begriff "Blendwerk" (einmal von Zahnpastareklame abgesehen) zumeist von religiöser Seite verwendet, um den vergänglichen Glanz profaner Stätten und die kurzlebigen Verlockungen sinnlicher Genüsse zu strafen, damit der Mensch seinen Blick auf das Ewigwährende richte.

Hier nun kehrt sich das Spiel um, ein Lyrisches Ich glaubt sich im schlimmsten Sturm noch geborgen, aufgehoben, in wessen Hand auch immer. Dieses wird ihm von anderer Seite nicht "geglaubt", als übertrieben, gar als absurd verworfen. "Blendwerk" lautet hier der Vorwurf, als wolle jemand über die wahren Tatsachen hinwegtäuschen.

Zweifellos zeigt sich hier ein Konflikt der Weltanschauung, der allerdings als solcher nicht erkannt wird, sondern sich an Oberflächlichkeiten festbeißt.

Ob hier tatsächlich Schleifchen an hohle Nüsse gebunden wurden?
Vielleicht handelt es sich eher um einen bequemen Sammler, der nur zu faul ist, sich zu bücken. ;)

Ich habe mich des Gedichtes noch einmal angenommen und versucht, die sprachliche Seite zu verbessern ohne den Inhalt zu verändern. Einer tauben Nuss würde es nur wenig nützen, wenn man sie poliert.

Hoch geht die See, die Wellen tosen,
am Himmel türmt sich düstres Grau,
der Wind verwirbelt Wasserhosen,
die Brecher ringen mit dem Tau.

Ich werde hin und her geschmissen,
verliere rasch den Überblick,
den Mut durchnässt, das Hemd zerrissen,
verfluch ich zweifelnd mein Geschick.

Die Angst kriecht tief in meine Seele -
allein auf dieser wilden See.
Ich schreie, tobe , brülle, quäle
mich kopflos zwischen Luv und Lee.

Und während noch der Sturm mich schüttelt,
erkenn ich plötzlich, mittendrin,
dass ich - vom Unwetter gerüttelt -
in Jenem doch geborgen bin.


Gern widersprochen.
JB
 

namibia

Mitglied
Von Mächten geborgen

Es stürmt die See, die Wellen tosen,
der Himmel türmt sich auf zum Grau,
der Wind verwirbelt sich zu Hosen,
die Gischt verschlingt sich mit dem Tau .

Ich werd von links nach rechts geschmissen,
verliere rasch die Contenance
die Haare nass, das Hemd zerrissen
such ich verzweifelt die Balance.

Die Angst kriecht hoch in meiner Seele -
allein auf dieser wilden See.
Ich schreie, tobe , brülle, quäle
mich kopflos zwischen Luv und Lee.

Und während mich der Sturm so schüttelt,
erkenn ich langsam in mir drin,
dass ich - vom Unwetter gerüttelt -
von Mächten doch geborgen bin.
 

namibia

Mitglied
Von Mächten geborgen

Es stürmt die See, die Wellen tosen,
der Himmel türmt sich auf zum Grau,
der Wind verwirbelt sich zu Hosen,
die Gischt verschlingt sich mit dem Tau .

Ich werd von links nach rechts geschmissen,
verliere rasch die Contenance
die Haare nass, das Hemd zerrissen
such ich verzweifelt die Balance.

Die Angst kriecht hoch in meiner Seele -
allein auf dieser wilden See.
Ich schreie, tobe , brülle, quäle
mich kopflos zwischen Luv und Lee.

Und während mich der Sturm noch schüttelt,
erkenn ich plötzlich, mitten drin,
dass ich - vom Unwetter gerüttelt -
in Jenem doch geborgen bin.
 

namibia

Mitglied
Guten Abend die Herren,

ich freue mich, dass mein Gedicht kontrovers diskutiert wird, wenn auch manche Kontroverse recht polemisch erscheint.


Lieber Jürgen,
in der Tat hat James recht, dass sich das lyrische Ich wie auch immer und worin auch immer geborgen fühlt und auch wenn dies religiös erscheint und mit der Anlehnung an das Bonhoeffer Zitat sicher auch unterstrichen wird, so ist es nicht zwingend so gemeint. Über das Thema Grau denke ich noch nach und ich weiß, dass ich definitiv nicht wie Turner male und es auch nie wollte...

Lieber James, ich danke dir sehr für die konstruktiven Verbesserungsvorschläge, die ich gerne zum Teil übernommen habe. Eine Angst kriecht meiner Ansicht nach hoch, erst beginnt sie mit dem mulmigen Gefühl im Bauch und steigt dann in Richtung Herzklopfen ... um vielleicht mit einem Schwindelgefühl im Kopf mit Kollaps zu enden.. Aber natürlich kann sie auch eindringen.

Jedenfalls habe ich viel aus den Kommentaren mitgenommen und versuche, weiter an meiner Sprache zu arbeiten.

Manchmal jedoch spiele ich einfach unbedarft vergnügt mit ihr, auch das sei gestattet und bereitet mir Vergnügen .

Best regards

Änne
 



 
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