Eine moderne Form der Priamel.
Danke, Bernd.
Mir war der Begriff "Priamel" nicht aus der Germanistik bekannt, wo ein kleiner Vierzeiler aus drei Parallelen und einer zu den "Thesen" dieser ersten drei Verse gegenläufigen Pointe als "Priamel" (eingedeutscht von lat. praeambula) bezeichnet zu werden pflegt, sondern aus meinem altphilologischen Studium wo ich gelernt habe, daß das carmen 1.1 von Horaz als eine Muster-Priamel gilt. Das ist allerdings eine ziemlich weit ausgeführte Sammlung vom "Berufen", die der Dichter erwogen hat, um schließlich als "Dichter" zu enden.
Genau genommen also nicht so sehr "modern", als vielmehr antik.
Die antithetischen Schlüsselbegriffe hast Du gut gebündelt. Ich vermute, Du hast zwei Spalten vorgegeben, aber es erscheint mir als Leser wie eine bloße Liste. Ich ordne etwas schlichter:
Wahnsinn - Verstand
Vernunft - Raserei
Antlitz - Fratze
Freude - Tränenfluten
tanzen - stampfen
verschleppen - federn
Mut - Schande
Schuld - Sühne
wobei gelegentlich die Attribute und anderes Prädikatzeug die entsprechenden Antithesen verstärken.
Es ist ja, wie man an der Großschreibung und dem - nenne ichs mal - "neobarocken Stil" erkennt, ein älteres Stück von mir, gefühlte dreihundert Jahre alt ("modern").
Von heute aus, in ästhetischer und altersdementer Distanz, reflektiert frage ich mich aber, ob am Ende eindeutig ist, daß der "wahnsinnige" Herr Tristan im ersten Akt der (wie es letztes Wochenende in der Sächsischen Zeitung, in einer Artikelüberschrift tatsächlich wortwörtlich geschrieben stand)
"LSD-Oper" Richard Wagners hier als Lyri fungiert.
Vielleicht liest eine Jemandin die dipolare Litanei des Lyri als Verzweiflung der verliebten Isolde, die eben deshalb, weil sie sich gedemütigt fühlt, "Sühne" verlangt, aber in selbstmörderischem Eifer den Kelch mittrinken will. Den Todestrank.
Tja.
grusz, hansz