Waldeslust - Sonett

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Walther

Mitglied
Waldeslust


Ich stehe im bemoosten Schatten alter Bäume
Und rufe mir die Lebensängste launig zu;
Im dunklen Walde herrscht wie immer Waldesruh.
Am Ende habe ich wohl nur die schlechten Träume

Der Kindheit ausgepackt und in die Nacht geworfen.
Dort stehen sie und lehnen an der krummen Eiche
Und spielen mit sich und mit meiner bleichen Leiche:
Sie lassen mich die kaltschweißnassen Bilder morphen,

Zusammenpixeln in ein graublauschwarzes Splittern,
In dem die aasverzückten Maden schlürfend zittern.
Dann wache ich und greife mir an meine Stirn

Zerfrage mich, was macht der Wahn mit einem Hirn.
Ich rufe mich zur Ordnung, kleide mich in Zwirn,
Um meinen Ariadnefaden zu entwirrn.
 

Label

Mitglied
Lieber Walther

ein Gedicht das mir eigentlich gut gefällt,
die Waldesruh assoziiere ich mit dem in sich gehen, und selbst wenn jemand ausgeglichen und im Reinen mit sich ist, lauern da doch irgendwelche Schrecken.
Eigentlich, weil

Und rufe mir die Lebensängste launig zu;

dieser Vers ein Paradoxon ist, mir denke, dass dies von dir wahrscheinlich absichtlich gewählt, aber mir nicht erklärlich ist und darüber stolpere.

Am Ende habe ich [strike]wohl[/strike][blue]dort[/blue] nur die schlechten Träume

wohl wirkt da mehr als Füllwort während dortpräzisierender wirkt - aber das ist wie immer Ansichtssache


Und spielen mit sich und mit meiner bleichen Leiche:

bleiche Leiche klingt gut - aber LyrI ist ja noch nicht tot und und [blue]beinah[/blue] oder [blue]fast schon[/blue] klingt zwar nicht so griffig, wäre aber 'richtiger' - eine Abwägungssache


Um meinen Ariadnefaden zu entwirrn.

Im übertragenen Sinne ist es 'meinen' im Realen fände ich jenen passender.


kennst du das Volkslied
Waldeslust Oh wie einsam schlägt die Brust?
daran musste ich auch denken ;)

lieber Gruß Label
 

Label

Mitglied
Und rufe mir die Lebensängste [strike]launig[/strike][blue]trotzig[/blue] zu;

wäre das eine Möglichkeit?

lgL
 

molly

Mitglied
Am Ende habe ich nur wieder schlechte Träume.

Wie wäre das, lieber Walther? Sonst hat Label schon alles gesagt.
 

Walther

Mitglied
Hi Molly und Label,

danke fürs befassen mit diesem zugegebenermaßen etwas sperrigen text. das sonett ist auch eine collage. der bezug zu deutschem dicht- und liedgut ist absicht. ich helfe mal ein wenig:
"Träum ich oder wach ich" ist s1v1 eines gedichts von Fallerslebens, quelle hier: http://www.von-fallersleben.de/traeum-ich-oder-wach-ich-wieder/
Waldeslust ist ein deutsches volkslied. quelle hier: https://www.lieder-archiv.de/waldeslust-notenblatt_600041.html
Morphen: https://www.duden.de/suchen/dudenonline/morphen und pixeln: https://www.duden.de/suchen/dudenonline/pixeln sind verben aus der grafischen bildbearbeitung.
Ariadnefaden: https://de.wikipedia.org/wiki/Ariadnefaden - dieser steht in diskussion zum "in Zwirn" - verkürzt aus "in bestem Zwirn"
daneben, wenn man die verse mal genau abwägt, sollte erkennbar sein, daß der text die "schlafes bruder" metapher bearbeitet und dies schwarzhumorig. das spiel wird nicht ernst genommen. angst ist "lächerlich". das geschieht u.a. durch expressionistisch gefärbte, überzogene bilder.
aus der vorrede wird klar, warum ich die vorschläge nicht umsetzen kann. täte ich das, wäre diese ebene aus dem text herausgenommen.
das heißt nicht, daß ich nicht nachvollziehen kann, warum diese vorschläge gemacht werden. damit würde der text geglättet, sozusagen "zurückgenommen".
das sonett soll jedoch seine widerhaken behalten. es soll kein wohlgefühl auslösen. es soll auf hinterhältige art weh tun.
lg w.
 



 
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