Waldhexle und Nasenbär
Sie trafen sich in einem Gamerchat. Im Internet. So liest man heute! Keine Post, keine Marke, nichts dergleichen braucht man. Nur ein PC, Laptop oder sonstiges mit Tatstatur-und ganz wichtig- Internet!
Eigentlich war Waldhexle nie auf der Suche. Aber nette Profile lesen gefiel ihr gut. Eines Tages las sie diese Zeilen, die die Einsamkeit des Nasenbärs beschrieben und sein Nicht-suchen nach einer Versorgerin. Nein. Sondern jemandem, zum Leben teilen, Späße machen, träumen. Gefühl über Gefühl beschrieb er und fügte es ihr zu durch seinen Text.
Eine freundliche Mitteilung wollte sie im Netz hinterlassen an das liebe Arbeitstierchen, welches beschrieb, wie er selbst im Stande war Wohnung und Stall in Ordnung zu halten, und sonst nur ans frohe Schaffen zu denken. Das tat sie dann auch.
Jedoch nächst täglich Mitteilungen abfragend fand sie Nachricht vom Nasenbär. Worte, herzerwärmend! Volle Freude über jemandem außerhalb des Waldes, der so ein gutes und offenes Herz haben musste, empfand sie es fast als Pflicht wieder einige nette Zeilen zu verfassen.
So entstand schnell eine Art Sucht. Eine Abhängigkeit. Jeden Abend und jeden Morgen lasen beide fleißig, wie viel Wort, Charme, Witz und vor allem Gefühl der andere ausschüttete. Gedichte wurden verfasst, Tage beschrieben, Lebenseinstellungen und später auch Fotos ausgetauscht.
Einige Zeit später steigerte sich die Sehnsucht, endlich zu wissen, was oder wer dahinter stecken möge. So beschlossen beide die nächste Stufe zu betreten. Technisch gesehen ein Schritt zurück. Man bediente sich des guten alten Telefons. So mit Tasten und dann wählen und Stimme hören.
Waldhexle war ganz erfreut, denn Nasenbär klang sehr nett bärig und warm und freundlich. Und auch ihm muss die Stimme vom Waldhexle sehr gut gefallen haben. Denn von nun an wurde zwar zu frühmorgendlicher Stunde noch geschrieben, aber sobald es dunkel wurde im Wald, griff man zum Telefonhörer.
Stundenlanges Erzählen, Fragen und Zuhören. Jeden Tag mit noch mehr Vorfreude. Die Stimmen wurden vertraut, das Leben des anderen kam näher und man verstand sich prächtig.
Der Wunsch wurde größer sich endlich zu sehen. Nein. Nicht nur sehen. Das war schon zu wenig. Man wollte sich in die Arme schließen! Vergessen alle Warnungen und Ermahnungen über Fremde aus dem Internet. Dahin die Scheu des Waldhexles sich keinem mehr anzuvertrauen. Das Herz war voll und wollte endlich wieder nur noch fühlen. Nasenbärs Worte waren warm, weich, voller Sehnsucht und er rief immer und immer wieder an. Sogar von unterwegs. Mit Handy. Ein Geschäftstermin des arbeitsreichen Tieres brachte ihn zuerst noch weiter außer Lande; man wollte sich doch treffen!
Natürlich nicht ganz ohne Sicherheitsmaßnahmen... Die Adresse vom Nasenbär wurde kontrolliert und seine Telefonnummer stand im Telefonbuch. Ganz offiziell. Ein Böser wäre nicht so offen. Und ohnehin, man kannte sich schließlich seit gefühlten Ewigkeiten und kaum etwas, was der andere nicht von einem wusste. Alle Informationen wurden noch zur Sicherheit bei der besten Freundin von Waldhexle hinterlegt.
Nichts hielt die beiden mehr zurück. Spontan beschlossen machte er sich noch in der Nacht auf den Weg zum Waldhexle. Und sie hatte nicht übertrieben. Lange Wege führten durch den dunklen Wald und plötzlich mitten auf der Straße dann ihr Haus. Nasenbär rief kurz vor der Türe nochmal an, gleich wäre es so weit. Ein kurzer Zweifel machte sich nochmal breit im Waldhexle. War das richtig? Fremder Mann im Haus? War alles ordentlich? Sah sie gut aus? Das Klingeln brach die Gedanken und die Neugier öffnete die Tür. Da stand er. Endlich. Besser als seine Fotos ihn hätten je beschreiben können. Gepflegt und ein hinreißendes Lächeln, warme, nette Augen. Kurze Scheu noch, aber dann ein wohliges ineinander fallen lassen. Alles war gut.
Schreiben, lesen, hören, sprechen, sehen, fühlen. Alles das war möglich ab diesem Tag der ersten Begegnung. Es wurde tiefer, schöner, vertrauter. Es wurde geredet, gefühlt und jede Menge geliebt. Alltägliches kam dazu. Arbeitsstress und Frust, putzen, duschen, einkaufen. Aber alles schien möglich. Vertraut und problemlos. Wie alte Bekannte. Schon immer so nah.
Aber eines Tages schlich sich in die perfekte Harmonie leise, ganz langsam kriechend, Stück für Stück etwas Unwohliges.
Waldhexle hatte, wie es sich gehört für ein rechtes Hexle, einen schwarzen Kater. Dem begegnete Nasenbär nicht so gerne. Und schon gar nicht im Schlafgemach. Da begann sein empfindliches Näslein zu laufen und zu schniefen. Da hatte er es viel lieber, wenn das Waldhexle in seine schöne moderne Stadt-Höhle kam. Da wurde geliebt und gekuschelt, und das Näslein schien in Ordnung. Nasenbär war glücklich. So oft es dem Waldhexle möglich war verbrachte sie alle Zeit bei ihm. Jedoch verlor das Waldhexle immer mehr ihrer tollen Fähigkeiten, die sie brauchte, um im Wald zu überleben. Sie wurde grau und verlor die schöne sprühende Farbe, die Nasenbär doch so sehr an ihr liebte. Aber durch seine schmutzige Brille fiel es ihm kaum auf.
Sie schätze seine Ordnungsliebe und dass sie sich bei ihm um nichts kümmern musste. Jedoch, wenn sie Heim kam und ihre verlorene Farbe bemerkte war sie traurig. Sie dachte aber es sei, weil sie weit weg war vom Nasenbär und wollte am liebsten gleich wieder hin. Jedoch ihre Arbeit musste auch getan werden. So kam Nasenbär wieder zu ihr und half ihr sogar. Das freute das Waldhexle so sehr, dass sie auch seine Freunde in den Wald einlud und kochte für alle. Da begann Nasenbär aber wieder zu schniefen. Er schniefte, schnäuzte und litt so sehr, dass Waldhexle arges Mitleid bekam und ihm Medizin gab. Und weil sie sich so sehr um ihn kümmerte, ging es ihm schnell wieder besser.
Nasenbärs Freunde hatte es so gut beim Waldhexle gefallen, dass auch sie Nasenbär und Waldhexle einluden. Das war ein lustiger Abend. Der schönste Abend, den Waldhexle je erlebt hatte. So gemütlich, vertraut, freundlich. Einfach herrlich! Nasenbär und Waldhexle waren erstmal wieder selig und erzählten allen wie glücklich sie doch seien, sich gefunden zu haben. Und wie viel Glück sie doch hatten, wo es doch so viele einsame Seelen auf dieser Welt gibt, die so eine Liebe nie erfahren dürfen.
Diese Zeit war wunderschön. Und fast hätte sich das Unwohlige wieder davongeschlichen. Aber das will es nicht. Es will sich unbemerkt einfressen und breit machen. Das tat es dann auch.
Als Nasenbär und Waldhexle wieder mal bei seinen Freunden waren, bei denen es immer so schön war, fing sein Näslein wieder an zu laufen. Bei ihr im Wald sowieso. Und es wurde von Mal zu Mal schlimmer. Und wenn Waldhexle sich nicht sofort darum kümmerte und Medizin gab, dann litt Nasenbär so sehr, dass sie gehen mussten. In seiner Stadthöhle angekommen war alles wieder gut.
Dann verlor das Waldhexle aber wieder ihre Farbe. Nasenbär machte sogar Essen, aber Waldhexle merkte, dass sie sein Essen gar nicht mochte. Sie versuchte ihm die Farblosigkeit zu erklären und Nasenbär wurde wütend und fing an zu streiten. Waldhexle ging. Verspürte aber sofort wieder Sehnsucht sobald sie gegangen war und rief Nasenbär an. Er entschuldigte sich, sie machte ihm Vorwürfe und umgekehrt. so quälten die beiden sich noch eine Weile.
Und so wie damals der Tag gekommen war, an dem sie es nicht mehr ohne einander aushielten, kam nun der Tag, an dem sie sich nicht mehr sehen wollten.
Es war einfach vorbei. Beendet.
Waldhexle löschte ihr Profil im Internet und Nasenbär zog aus, ein anderes Hexle zu suchen.
Vielleicht erinnern sich beide manchmal noch an die Zeit, die anders war. Aber er meidet seither den Wald und schwarze Kater und sie spricht nur noch von Internet-Spießern.