wüstenrose
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Ich möchte auch nach Paris gehen, aber ich kann es vorläufig nicht. Paris male ich mir ungemein bunt und vergnüglich aus; ein immenses Treiben, ein nimmermüdes Flanieren, ein Spiel der Farben und Töne und Düfte unter schwankendem Himmel, des Weiteren begreiflicherweise die Parcs und Jardins, woselbst früher, wie man heute weiß, in sehr zarten und kunstvollen Kutschen unerhört reizende junge Knospen, d.h. Mädchen, ebenso auf- und ab- wie auch hin- und herbewegt wurden und ein etwa barfüßig vorbeispazierender Hirtenbube aus dem Innern der Kalesche heraus einen hochnäsig-kühnen, im selben Momente aber so sehr sehnsüchtig-träumenden Blick erhaschen und in die grobe Wolle seiner Hirtentracht einschlagen konnte, dass sein feiner Anstand ihm ohne Weiteres gebot, hiefür dankbar und natürlicherweise nicht anders als glücklich zu sein! Der sanfte, wärmende Wind in der Avenue Montaigne! Der Quai de la Seine mit seinen uralten und doch immer neuen Geschichten! Und dann der Blick über die Dächer hinweg, nirgendwo sonst soll es ähnlich beredte Dächer geben, nirgendwo sonst hat man je solche Dächer angetroffen! Ich möchte auch nach Paris gehen, aber ich kann es vorläufig nicht. Einstweilen will ich mich noch hüten, etwas Abschließendes zu sagen. Ich lege mich nicht gerne fest; lieber als das Enggeknüpfte, Festgezurrte, lieber als das Eindeutige war mir allemal das Weitläufige und Unbegrenzte, das kraftvoll Sichdehnende war mir von jeher das Liebste. Oft stand ich allein im großen Raum und dann horchte ich und horchte ich auf die Stimmen, die aus allen vier Himmelsrichtungen an mich herangetragen wurden. Und dann begann ich zu schreiben und unter meiner Hand verwandelte sich die Welt in eine bunte, seltsame Blumenwiese, daraus Tage und Nächte erwuchsen und darauf Lachen und Weinen gesät war. Das Große war mir bekannt wie das Unscheinbare, das Niedrigste mir ebenso vertraut wie das Sichbisindenhimmelhinaufreckende. Denn jeden Laut habe ich vernommen, jeden Ton habe ich aufgegriffen und in das hübsche Bettchen einer Melodie aus maßlosen Worten gelegt. Die Welt schwang sich auf in mir, dass es unsagbar ist. Vielleicht aber, so muss ich jetzt sagen, war der Raum am Ende zu weit für mich, der Weg zu beschwerlich, die Stille zu deutlich. Meine Krankheit ist eine Kopfkrankheit, die schwer zu definieren ist. Sie beginnt im Kopf und wandert nach überallhin. Im Kopf löst sich ein Stein und reißt alles mit sich fort.
Schwungvoll war ich zunächst angetreten in der Absicht, die Welt in Worte zu fassen. Beherzt bot ich feil, was üppig überfloss in mir; oder aber es war die Leere selbst, aus der ich schöpfte. Ehe mir dann, bisweilen, die Schrift zu bröckeln begann und mithin erstarb in entlegenen Eskapaden. Denn je höher ich mein zu-Sagendes auftürmte, desto hohler wurde der Klang, und je zarter ich zu Werke ging, desto unerbittlicher stahl sich ein Doppelsinn in meine Worte, um ihnen in aller Bedächtigkeit und Sorgfalt den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Mit meinem Schreiben hatte ich umschließen wollen. Es hätte weit reichen sollen, weit hinausreichen lassen wollte ich es! Aber es reichte nicht einmal bis nach Zernez im Unterengadin. Das Emmental mag dazwischen gelegen haben oder das Glarnerland stand im Weg, alles ist möglich, oder es waren die Gipfel selbst, mit ihren unermesslich kühnen Weiten, die mich von etwas abhielten, das ich gerne erfahren hätte.
Die Verhältnisse, die wir hier in der Anstalt haben, sind geradlinig. Vormittags bin ich ein wenig im Garten beschäftigt, indem ich einfache Arbeiten erledige, die der Gärtner mir anweist. Am Nachmittag trinke ich eine Tasse Tee und esse ein Birnbrot dazu. Manchmal lese ich. Manchmal schaue ich zum Fenster hinaus auf die nahe gelegenen Berge. Die Abende verlaufen in der Regel ruhig und friedlich. Im Schlafsaal ist es nie ganz still, immerzu raschelt und nestelt es in irgendeiner Ecke, was mir gelegen kommt, denn die völlige Stille ist mir unheimlich geworden. Mit den anderen Insassen spreche ich nicht oder kaum, dennoch ist mir ihre Gegenwart willkommen, solange sie Abstand halten; scheinbar in Gedanken oder in ein Buch vertieft, verfolge ich ihre Schritte im Raum und höre ich, wie sie miteinander über das Wetter oder den Kirchgang oder den Schweizer Käse reden.
Die Zitate Ich möchte auch nach Paris... / Meine Krankheit ist... stammen aus einem Brief Robert Walsers an Therese Breitbach.
Schwungvoll war ich zunächst angetreten in der Absicht, die Welt in Worte zu fassen. Beherzt bot ich feil, was üppig überfloss in mir; oder aber es war die Leere selbst, aus der ich schöpfte. Ehe mir dann, bisweilen, die Schrift zu bröckeln begann und mithin erstarb in entlegenen Eskapaden. Denn je höher ich mein zu-Sagendes auftürmte, desto hohler wurde der Klang, und je zarter ich zu Werke ging, desto unerbittlicher stahl sich ein Doppelsinn in meine Worte, um ihnen in aller Bedächtigkeit und Sorgfalt den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Mit meinem Schreiben hatte ich umschließen wollen. Es hätte weit reichen sollen, weit hinausreichen lassen wollte ich es! Aber es reichte nicht einmal bis nach Zernez im Unterengadin. Das Emmental mag dazwischen gelegen haben oder das Glarnerland stand im Weg, alles ist möglich, oder es waren die Gipfel selbst, mit ihren unermesslich kühnen Weiten, die mich von etwas abhielten, das ich gerne erfahren hätte.
Die Verhältnisse, die wir hier in der Anstalt haben, sind geradlinig. Vormittags bin ich ein wenig im Garten beschäftigt, indem ich einfache Arbeiten erledige, die der Gärtner mir anweist. Am Nachmittag trinke ich eine Tasse Tee und esse ein Birnbrot dazu. Manchmal lese ich. Manchmal schaue ich zum Fenster hinaus auf die nahe gelegenen Berge. Die Abende verlaufen in der Regel ruhig und friedlich. Im Schlafsaal ist es nie ganz still, immerzu raschelt und nestelt es in irgendeiner Ecke, was mir gelegen kommt, denn die völlige Stille ist mir unheimlich geworden. Mit den anderen Insassen spreche ich nicht oder kaum, dennoch ist mir ihre Gegenwart willkommen, solange sie Abstand halten; scheinbar in Gedanken oder in ein Buch vertieft, verfolge ich ihre Schritte im Raum und höre ich, wie sie miteinander über das Wetter oder den Kirchgang oder den Schweizer Käse reden.
Die Zitate Ich möchte auch nach Paris... / Meine Krankheit ist... stammen aus einem Brief Robert Walsers an Therese Breitbach.