Wandeln auf nassen Gleisen!

Das war wieder eine dieser Nächte, die mich schlichtweg in den Wahnsinn treiben. Den ganzen Tag war es brüllend heiß und trotz zugezogener Vorhänge und nackt auf dem Bett rumliegen, gab es keine Erleichterung. Und auch jetzt, kurz vor Mitternacht, ist es nicht wesentlich besser. Wenn ich am Nachmittag kurz auf den Balkon trat, um einen Blick auf die Welt zu werfen, sah ich nur leichtbekleidete Frauen. Auch das schafft keine Erleichterung. Also warf ich mir ein Hemd über und schlüpfte in eine Hose, um noch in die Nacht zu gehen. Ich marschierte die Strasse entlang und blickte in fremde Fenster und Balkone. Die Leute saßen zusammen, einer spielte auf einer Akkustikgitarre, Kerzen brannten und ich hörte leises Murmeln und das Klingeln von Weingläsern, mit denen angestoßen wurde. Auch um diese Uhrzeit waren die Menschen noch auf der Strasse, saßen mit einem Bier oder einer Flasche Wein auf dem Gehweg oder hatten sich gar Stühle und ein Tischchen auf die Strasse gestellt. Ich schlenderte in einen Döner-Laden und traf sie. Edna! Man stelle sich vor, in einem verkackten Döner-Laden. Ist das etwa ein Ort der Romantik? Sicherlich nicht! In diesem Moment allerdings der beste aller Orte. Edna troff etwas Sesamsosse von der Lippe und ich konnte kaum an mich halten, sie ihr nicht einfach vom Kinn zu lecken. Auch sie hatte mich bemerkt, obschon ich unrasiert und ungeduscht war. Sei´s drum, wenig später saßen auch wir vor dem Laden auf dem Gehsteig, jeder eine Flasche Bier in der Hand und plauderten, während wir uns Zigaretten drehten. Was mich daran sehr faszinierte, war die Art, wie sie Zigaretten drehte und wenn ich ganz ehrlich bin, war es nicht die Art wie sie sie letztlich drehte, sondern wie sie das gummierte Papier anleckte. Edna war nicht sonderlich groß, vielleicht eins sechzig mit etwas gutem Willen, ihr Haar war braun und lockig. Schminke trug sie keine, ein Trägershirt, ein schwarzes Röckchen und Sandalen. Auch ihr sah man an, dass sie unter der Gluthitze gelitten hatte und ihr Duft wurde dadurch nur noch verstärkt. Nach einigen Stunden (was weiß ich, was wir geredet oder geschwiegen hatten) kam ein Lüftchen auf und in der Ferne rollte gar ein Donner heran. Endlich Abkühlung. Ich wußte bereits vom ersten Moment an, dass, wenn ich Edna diese Nacht nicht haben könnte, ich nie wieder eine Frau haben wollte. Edna war ein Kind, trotz ihrer 23 Jahre und ihre durchtriebene Naivität verschaffte mir von Zeit zu Zeit eine konkrete Erektion. Als der erste Regentropfen fiel, hatten wir schon 3 Bier getrunken. Wir blickten ´gen Himmel und warteten sehnsüchtig auf mehr. Da erhob sich Edna und streckte mir ihre kleine schmutzige Hand entgegen. "Komm´!", sagte sie, "ich zeig Dir was schönes". Ich ergriff ihre Hand, die mir weich und klein erschien und mit ineinander verschränkten Fingern spazierten wir die Strasse entlang Richtung S-Bahngleise. Eine etwas verwilderte Gegend, Schotter, Buschwerk, abgestellte Möbel und Müll. Wir überwanden einen Zaun (Edna, trotz ihrer geringen Körpergröße mit Leichtigkeit, ich mit Mühe) und liefen zu den Gleisen hinab. In diesem Moment brach der Regen los und innerhalb von wenigen Sekunden waren wir naß bis auf die Haut. Welche Labsal! Wir standen bei einem alten Sofa, aus dem schon die Metallfedern grüßten und Edna begann sich auszuzuiehen. Sie tat das mit einer Selbstverständlichkeit, die mich erregte. "Komm doch", sagte sie wieder und sah mich mit ihren Augen an. Nun zog auch ich mich aus und als sie meine Erregung sah, mußte sie unwillkürlich lächeln. Wieder streckte sie mir ihre Hand entgegen, ich ergriff sie und sie führte mich auf die Gleise. Dort spazierten wir dann ein Weilchen, zwei nackte Menschenkinder im Sommerregen, Hand in Hand, schweigend. Das Schweigen war in diesem Moment das aufregendeste, ich wüßte auch heute nicht, was man hätte sagen können. Nach etwa 20 Minuten kehrten wir zu dem Sofa zurück, unter dem unsere Sachen lagen. Wir setzten uns nackt darauf, Edna in meinem Arm und betrachteten über Stunden den langsam nachlassenden Regen.
Miteinander geschlafen haben wir nicht. Warum auch, denn die Schönheit dieses Moments war nicht zu übertreffen. Ein eigenartiges Bild, denke ich heute oft, zwei nackte Menschen, aneinandergekauert auf einem verdreckten Sofa im Regen. Eigenartig, aber unwiderbringlich schön!
 

Frank Zimmermann

Junior Mitglied
Klasse Geschichte

Die Geschichte ist klasse. Der erste Teil ist mir sehr vertraut, weil ich in einem Viertel wohne, in dem es in lauen Sommernächten genau so zugeht, wie beschrieben.
Auch die Stimmung des Protagonisten ist mir durchaus vertraut.
Dann Edna: kein Klischee, sondern eine Erscheinung, eine besondere Person, trotz oder gerade wegen ihrer Mängel.

Das es dann nicht zum Geschlechtsakt kommt, veredelt die Geschichte geradezu. Zwei Fremde treffen sich in einer heißen Sommernacht und gehen ficken. Das kennt jeder. Aber Deine Wendung ist originell und dabei von angenehmer Erotik.

So komme ich denn wieder zum Anfang: die Geschichte ist klasse (könnte glatt von mir sein...)!
Danke!!
 

gladiator

Mitglied
Hallo FishingwithJack

Schöne Geschichte, die vor allem durch das Ende an Klasse gewinnt. Nur der letzte Absatz...ich komm später drauf, hier meine Anmerkungen:

Und auch jetzt, kurz vor Mitternacht, ist es nicht wesentlich besser. Tempusfehler.

Auch das schafft keine Erleichterung. Tempusfehler.

Auch sie hatte mich bemerkt, obschon ich unrasiert und ungeduscht war. Wieso sollte sie das hindern, Dich zu erkennen? Auf frisch gefönte und schicke Jungs steht sie doch sicher nicht...

Auch ihr sah man an, dass sie unter der Gluthitze gelitten hatte und ihr Duft wurde dadurch nur noch verstärkt. "man" ist ein Unwort.

(was weiß ich, was wir geredet oder geschwiegen hatten) Um mit den Worten von Seven of Nine aus Star Trek Voyager zu sprechen :D: Irrelevant! Wenn Du einfach schreibst, "Nach ein paar Stunden..." wirkt es viel besser, weil die Zeit mit Edna wie im Flug verging. Ich glaube, viele Autoren (mir geht es selbst so) meinen, sie müßten Zeitsprünge fast entschuldigend erklären. So geht es mir hier.

"Komm doch", sagte sie wieder und sah mich mit ihren Augen an. Womit sollte sie ihn denn sonst anschauen?

Miteinander geschlafen haben wir nicht. Warum auch, denn die Schönheit dieses Moments war nicht zu übertreffen. Ein eigenartiges Bild, denke ich heute oft, zwei nackte Menschen, aneinandergekauert auf einem verdreckten Sofa im Regen. Eigenartig, aber unwiderbringlich schön! Meiner Meinung nach komplett überflüssig. Du schreibst dem Leser hier vor, wie er Deine Geschichte zu verstehen hat. Aber das wird er auch so tun.

Gruß
Gladiator
 



 
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