Wir waren zweiundzwanzig Jahre verheiratet. Erna war eine erfolgreiche
Geschäftsfrau und ich Buchhalter in ihrem Betrieb. Wir teilten eine grosse Leidenschaft: Das Wandern.
Wir nutzten jeden freien Tag, um in die Berge zu fahren. Kleine Touren von
fünf bis sechs Stunden lagen uns am meisten. Nichts Extremes, nie höher als dreitausend.
Unterwegs rasteten wir oft, die Bergwirtschaften kannten wir mit Namen: Alpenblick, Himmelreich, Bella Vista und wie sie alle heissen...
Unsere letzte Wanderung machten wir ins Alpstockgebiet.
Es war ein glasklarer Spätsommertag. Wir begannen um sechs Uhr
morgens mit dem Aufstieg bei der Talstation der Stockbahn. Nach etwa zweieinhalb Stunden hatten wir die Felsenegg und damit die Grathöhe erreicht. Wir machten eine kurze Rast und wanderten dann dem alten Saumpfad entlang Richtung Gupf.
Unterwegs wollte Erna einen kleinen Abstecher machen auf den Plattensprung. Das Panorama sei dort oben einfach einmalig, meinte sie.
Wir verliessen den Pfad beim Wegweiser und waren zehn Minuten später
oben. Der Plattensprung ist wirklich platt wie ein Teller, ein Felsvorsprung unter dem es etwa dreissig bis vierzig Meter senkrecht in die Tiefe geht.
Wir legten die Rucksäcke ab und Erna begab sich sofort an den Rand der
Platte. Sie machte das hier immer so. Ich stand ein bisschen weiter zurück
und sah ihr zu. Sie hielt eine Hand als Sonnenschutz über den Augen und schaute in die Ferne.
Es war vollkommen still hier oben.
Ich schaute sie eine Weile nachdenklich an und verspürte plötzlich den
absonderlichen Wunsch, ihr einen Tritt zu geben. Für den Bruchteil einer
Sekunde hatte ich den fast unwiderstehlichen Drang, sie in die Tiefe stürzen zu sehen.
Ich wusste, dass ich etwas tun musste, um mich von diesem wahnsinnigen Gedanken zu befreien und hob deshalb den Wanderstock in Richtung Alpenkette. Ich wollte irgend etwas Belangloses sagen, als meine Frau plötzlich einen Schrei ausstiess. Ich sah, wie sie das Gleichgewicht verlor, die Arme haltsuchend in die Luft warf, beim Hinfallen erst auf die Platte schlug und lautlos abstürzte.
Jetzt heisst es, ich hätte sie umgebracht. Zwei Wanderer behaupten, ich
hätte sie mit dem Stock angestossen. Sie hätten es genau gesehen, als sie über der Platte rasteten.
Diese Idioten.
Geschäftsfrau und ich Buchhalter in ihrem Betrieb. Wir teilten eine grosse Leidenschaft: Das Wandern.
Wir nutzten jeden freien Tag, um in die Berge zu fahren. Kleine Touren von
fünf bis sechs Stunden lagen uns am meisten. Nichts Extremes, nie höher als dreitausend.
Unterwegs rasteten wir oft, die Bergwirtschaften kannten wir mit Namen: Alpenblick, Himmelreich, Bella Vista und wie sie alle heissen...
Unsere letzte Wanderung machten wir ins Alpstockgebiet.
Es war ein glasklarer Spätsommertag. Wir begannen um sechs Uhr
morgens mit dem Aufstieg bei der Talstation der Stockbahn. Nach etwa zweieinhalb Stunden hatten wir die Felsenegg und damit die Grathöhe erreicht. Wir machten eine kurze Rast und wanderten dann dem alten Saumpfad entlang Richtung Gupf.
Unterwegs wollte Erna einen kleinen Abstecher machen auf den Plattensprung. Das Panorama sei dort oben einfach einmalig, meinte sie.
Wir verliessen den Pfad beim Wegweiser und waren zehn Minuten später
oben. Der Plattensprung ist wirklich platt wie ein Teller, ein Felsvorsprung unter dem es etwa dreissig bis vierzig Meter senkrecht in die Tiefe geht.
Wir legten die Rucksäcke ab und Erna begab sich sofort an den Rand der
Platte. Sie machte das hier immer so. Ich stand ein bisschen weiter zurück
und sah ihr zu. Sie hielt eine Hand als Sonnenschutz über den Augen und schaute in die Ferne.
Es war vollkommen still hier oben.
Ich schaute sie eine Weile nachdenklich an und verspürte plötzlich den
absonderlichen Wunsch, ihr einen Tritt zu geben. Für den Bruchteil einer
Sekunde hatte ich den fast unwiderstehlichen Drang, sie in die Tiefe stürzen zu sehen.
Ich wusste, dass ich etwas tun musste, um mich von diesem wahnsinnigen Gedanken zu befreien und hob deshalb den Wanderstock in Richtung Alpenkette. Ich wollte irgend etwas Belangloses sagen, als meine Frau plötzlich einen Schrei ausstiess. Ich sah, wie sie das Gleichgewicht verlor, die Arme haltsuchend in die Luft warf, beim Hinfallen erst auf die Platte schlug und lautlos abstürzte.
Jetzt heisst es, ich hätte sie umgebracht. Zwei Wanderer behaupten, ich
hätte sie mit dem Stock angestossen. Sie hätten es genau gesehen, als sie über der Platte rasteten.
Diese Idioten.