Warten

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namibia

Mitglied
Als er am nächsten Abend nach Hause kam, wartete sie schon auf ihn. Ja, sie hatte eigentlich den ganzen Tag gewartet, wenn sie es recht überlegte, hatte sie ihr Leben lang auf ihn gewartet.

Zu Beginn ihrer Ehe ging er oft abends nach der Arbeit noch weg. Schließlich musste er dafür sorgen, dass genug Brot im Hause war, denn dass sie direkt von ihm schwanger werden und Zwillinge bekommen würde, das hatte keiner von ihnen beiden erwartet. Es war knapp das Brot und so hatte er einen Grund, fortzubleiben. Er musste Geld für Essen auftreiben und sie hatte allen Grund, auf ihn zu warten. Ihr Grund hieß Helmut und ihr Grund hieß Anna, beides ihre Kinder, die hungrig auf das Abendmahl warteten – gemeinsam warteten sie zu dritt – auf ihn, der so oft nicht kam in den Abendstunden, da sie hungrig nach ihm waren.

Später, als die Kinder etwas älter waren, zog er in den Krieg. Und wieder wartete sie auf ihn, wartete auf das Atmen neben sich, in ihrem Bett, darauf, dass er kommen und sie in den Arm nehmen würde, sie und die beiden Kinder, die warteten auf ihren Vater, den Soldaten.

Er kam nicht, er kam lange nicht, blieb fort und sie hatte keine Ahnung, wie lange sie noch warten müsste. Alle war-teten, die Nachbarin von Gegenüber mit den blonden langen Locken, der der Friseursalon um die Ecke gehörte; die alte Frau, die in ihrem Korblehnstuhl saß und zum Fenster hin-ausblickte; die kleine Liesel, die monoton Stunde um Stunde mit ihrem Seil auf der Straße sprang, alle warteten, starrten irgendwie in die Ferne, als könnten ihre Blicke ins Leere die Männer schneller zurückbringen.

Es kam keiner und es kam kein Brot und es kam kein Ende des Krieges, obwohl doch alle so sehnsüchtig darauf warteten. Warteten auf Zeiten, in denen sie satt und glücklich sein konnten, in denen das Warten endlich ein Ende haben sollte, aber es hatte kein Ende.

Und nun saß sie wieder hier am Küchentisch mit den Krümeln der letzten Nacht, die mit ihr warteten. Die Kinder waren längst aus dem Hause, keiner wartete mehr mit ihr, nicht einmal mehr Purzel, der Rauhaardackel, der war längst gestorben. Hatte sich verschluckt an den Krümeln der Nachkriegszeit.

Keiner wartete mehr mit ihr, nicht einmal ihre Sehnsucht, auch die war ihr abhanden gekommen in den Zeiten des Wartens. Sie war des Wartens überdrüssig geworden, die Sehnsucht, hatte sich abgewandt, versteckt. So saß sie alleine am Küchentisch, keine Gesellschaft, keine Gefühle, nur das vertraute Wissen um das Warten.

Sie wusste genau, wo er jetzt saß und worauf er wartete, so wie jeden Abend, und sie wartete eigentlich nur noch darauf, dass diese Gedanken und Bilder in ihr verschwänden und dass sie nicht mehr darauf warten müsste und das Warten vergessen könnte. Aber sie wusste, auch darauf würde sie noch lange warten müssen.
 
E

eisblume

Gast
Hallo namibia,

hui, da hast du deinen gewählten Titel aber ziemlich inflationär innerhalb des Textes verwendet. Tut mir leid, aber da ist mir entschieden zu viel „warten“ enthalten.

Abgesehen davon strauchle ich schon beim ersten Satz.
Als er am nächsten Abend nach Hause kam, wartete sie schon auf ihn.
Das hier
Und nun saß sie wieder hier am Küche ...
So saß sie alleine am Küchentisch, ...
stellt wohl die aktuelle Situation dar, daher ist der Einführungssatz so nicht passend.

Meine Empfehlung wäre, den Text zum einen deutlich zu kürzen/straffen und zum anderen das Warten subtiler zu vermitteln. In der aktuellen Form hat das einen ziemlichen Holzhammercharakter, der (zumindest auf mich) recht abschreckend wirkt. Ich meine, hier wäre weniger mehr und würde dann auch eine größere Wirkung erzielen.

freundliche Grüße
eisblume
 

namibia

Mitglied
Vielen Dank, Eisblume.

Das war ein Versuch, die Hoffnungdlosigkeit des Wartens darzustellen , ich werde ihn aber nochmal überarbeiten bzw ich denke , ich werde einfach eine neue Variante schreiben. Dabei sind mir deine Anmerkungen hilfreich.

Herzliche Grüße


Anna
 
E

eisblume

Gast
Hallo namibia,

ich weiß, es kommt nicht immer so gut an, wenn man in einem fremden Text wütet, aber so kann ich besser zeigen, wie ich es meine. Ich habe auch nicht viel verändert, sondern nur einmal gestrichen, was mMn überflüssig ist und worauf du gut verzichten könntest.
Das soll jetzt natürlich nicht heißen, das dies nun die finale Version wäre, nur eine Idee, wie es (für mich) als Kurzprosa deutlich stärker wäre. Vielleicht kannst du damit etwas anfangen.

Lieben Gruß
eisblume


Als er [strike]am nächsten Abend[/strike] nach Hause kam, wartete sie schon auf ihn. [strike]Ja, sie hatte eigentlich den ganzen Tag gewartet, wenn sie es recht überlegte, hatte[/strike][blue]Wie[/blue] sie ihr Leben lang auf ihn gewartet [blue]hatte[/blue].

Zu Beginn ihrer Ehe ging er oft abends nach der Arbeit noch weg. Schließlich musste er dafür sorgen, dass genug Brot im Hause war, [blue]für sie und die Zwillinge.[/blue][strike]denn dass sie direkt von ihm schwanger werden und Zwillinge bekommen würde, das hatte keiner von ihnen beiden erwartet. Es war knapp das Brot [/strike][strike]und[/strike] so hatte er einen Grund, fortzubleiben[strike]. Er musste Geld für Essen auftreiben[/strike] und sie hatte allen Grund, auf ihn zu warten. [strike]Ihr Grund hieß Helmut und ihr Grund hieß Anna, beides ihre Kinder, die hungrig auf das Abendmahl warteten – gemeinsam warteten sie zu dritt – auf ihn, der so oft nicht kam in den Abendstunden, da sie hungrig nach ihm waren.
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Später[strike], als die Kinder etwas älter waren,[/strike] zog er in den Krieg. Und wieder wartete sie auf ihn, wartete auf das Atmen neben sich, in ihrem Bett, darauf, dass er kommen und sie in den Arm nehmen würde, sie und die [strike]beiden [/strike]Kinder[strike], die warteten auf ihren Vater, den Soldaten[/strike].

Er [strike]kam nicht, er [/strike]kam lange nicht, blieb fort und sie [strike]hatte keine Ahnung, wie lange sie noch warten müsste. Alle war-teten, die Nachbarin von Gegenüber mit den blonden langen Locken, der der Friseursalon um die Ecke gehörte; die alte Frau, die in ihrem Korblehnstuhl saß und zum Fenster hin-ausblickte; die kleine Liesel, die monoton Stunde um Stunde mit ihrem Seil auf der Straße sprang, alle warteten, [/strike]starrte[strike]n irgendwie[/strike] in die Ferne, als könnten [blue]ihn [/blue]ihre Blicke ins Leere [strike]die Männer[/strike] schneller zurückbringen.

[strike]Es kam keiner und es kam kein Brot und es kam kein Ende des Krieges, obwohl doch alle so sehnsüchtig darauf warteten. Warteten auf Zeiten, in denen sie satt und glücklich sein konnten, in denen das Warten endlich ein Ende haben sollte, aber es hatte kein Ende.
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Und nun saß sie wieder hier am Küchentisch mit den Krümeln der letzten Nacht[strike], die mit ihr warteten. Die Kinder waren längst aus dem Hause, keiner wartete mehr mit ihr, nicht einmal mehr Purzel, der Rauhaardackel, der war längst gestorben. Hatte sich verschluckt an den Krümeln der Nachkriegszeit[/strike].

Keiner wartete mehr mit ihr, nicht einmal ihre Sehnsucht[strike], auch die war ihr abhanden gekommen[/strike][strike] in den Zeiten des Wartens[/strike]. [strike]Sie war des Wartens überdrüssig geworden, die Sehnsucht, hatte sich abgewandt, versteckt. So saß sie alleine am Küchentisch, keine Gesellschaft, keine Gefühle, nur das vertraute Wissen um das Warten. [/strike]

[strike]Sie wusste genau, wo er jetzt saß und worauf er wartete, so wie jeden Abend, und sie wartete eigentlich nur noch darauf, dass diese Gedanken und Bilder in ihr verschwänden und dass sie nicht mehr darauf warten müsste und das Warten vergessen könnte. Aber sie wusste, auch darauf würde sie noch lange warten müssen. [/strike]
 

namibia

Mitglied
Liebe Eisblume,

vielen Dank für deine Korrekturvorschläge. So ganz habe ich´s noch nicht klar, aber ich glaube, ich ahne , was du meinst. Ich hatte durch die Wiederholungen versucht, diese Endlosschleife der Wartenden zum Ausdruck zu bringen, diese Erstarrung, die ein Warten auf die Zukunft mit sich bringt.

Ich denke, ich werde tatsächlich noch einmal einen anderen Text zu dem Thema versuchen zu schreiben - aber dann mit etwas Abstand zu dem jetzigen.

Jedenfalls hilft mir eine solche Textarbeit wie die deine sehr ..


alles Liebe und vielen Dank

Anna
 
E

eisblume

Gast
Hallo Anna,

ich versteh schon, was du meinst, aber es ist wirklich so, dass weniger oft mehr ist. Wiederholungen sind durchaus ein legitimes Stilmittel, hier aber meine ich, dass sie diese Wirkung nicht entfalten. Ich lese hier einfach nur Wiederholungen, die mir etwas erzählen, das ich mittlerweile schon weiß und sind (für mich) daher eben ohne weitere Wirkung.

Wünsche dir einen schönen Abend
eisblume
 



 
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