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Empfohlener Beitrag
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Es muss am Freitag vor Sonnenuntergang gewesen sein, als der Teufel meinen Vater geholt hat, denn danach war Sabbat und der Teufel hat samstags keine Macht.
Die Kleine Gemeinde traf sich Samstagvormittag zum Gottesdienst -- diesmal bei meiner Oma in der Küche.
Jahre später habe ich erfahren, dass die Gemeinde, um nicht von der Securitate erwischt zu werden, an jedem Samstag an einem anderen Ort den Gottesdienst halten musste. Noch später erfuhr ich dann, dass es Quatsch war, denn einer der Prediger der Kleinen Gemeinde, der zugleich die Buchhaltung erledigte, inoffizieller Mitarbeiter und Spitzel der Securitate war.
Ich war fünf Jahre alt und es war die Zeit, in der in Rumänien die Kommunisten, Kommunisten folterten, in Gefängnisse sperrten oder in Zwangslager verbannten, weil sie Kommunisten waren. Ich wusste damals noch nicht, dass man die Menschen manchmal zu ihrem Glück zwingen muss. Und wer nicht glücklich sein will ...
Ich wusste auch nicht, dass die Große Gemeinde auch unsere Gemeinde war, in der mein Großvater mütterlicherseits, der früher katholischer Pfarrer war, und wegen seiner Freiheitsliebe und der Liebe zu meiner Großmutter aus der Kirche ausgeschlossen wurde, die Baupläne für das Gemeindehaus entworfen hatte. Und auch nicht, dass die Große Gemeinde so hieß, weil sie mehr Mitglieder hatte, die sich nicht jedes Mal einen neuen Ort für ihre Gebete suchen mussten, weil mein Großvater dafür gesorgt hatte, dass der Staat die Gemeindemitglieder nicht verfolgte.
Die Große Gemeinde hasste die Kleine Gemeinde, weil sie Gottes Worte zu eng auslegte, die Botschaften falsch deutete, und weil ihre Mitglieder lieber reihenweise ins Gefängnis wanderten, statt wie jeder andere Bürger auch, samstags zu arbeiten und Militärdienst zu leisteten. Sie fürchteten, dass der Staat irgendwann auch die Große Gemeinde verbieten würde.
Die Kleine Gemeinde hasste die Große Gemeinde, weil sie gegen Gottes Gesetze verstieß – kein Wunder, hieß es, wenn der Prediger ein ehemaliger katholischer Pfarrer, Politiker, Senator, Journalist sei, der sogar ein blasphemisches Theaterstück über … man wagte es gar nicht auszusprechen und beließ es bei Umschreibungen und Andeutungen. Aber all das habe ich erst viele Jahre später erfahren.
An dem besagten Samstagvormittag saß ich auf der Platte des lauwarmem Sparherds in der Küche meiner Großmutter und blickte auf die kniende Kleine Gemeinde herab. Das Murmeln und Säuseln ihrer Gebete betäubte meine Sinne, schläferte mich ein und – obwohl ich kein Wort verstand, war ich mir sicher, dass sie alle in den Himmel kommen würden, fromm wie sie waren.
Der Sauerstoffverbrauch in der kleinen Küche war sehr hoch, so dass ich zwischendurch immer wieder kurz einschlief – besser gesagt, in einen Dämmerzustand verfiel. Vielleicht lag es aber auch an dem Duft der noch glühenden Schalen der Sonnenblumenkerne im Ofen – das Feuerholz und die Holzkohle wurden für Heizen und Kochen aufgehoben.
Es wurde viel über Gott gesprochen. Und meine Großmutter sprach das Wort Philister lispelnd, wie ein kleines Mädchen, und hasserfüllt, wie eine Harpyie aus. Warum, das wusste ich damals noch nicht. Jedenfalls waren meine Gedanken schon längst beim Mittagessen, das ja bereits am Freitag vor-gekocht wurde, denn am Samstag durfte man nicht arbeiten und auch nicht kochen – eigentlich durfte man nichts, außer beten. Und Gott sei Dank -- essen ...
Manchmal fühlte ich mich gar nicht wohl damit.
Wenn andere Kinder das Kino besuchten, oder ins Puppentheater gingen und davon erzählten, dann war ich auf Gott ein bisschen sauer, weil ich behaupten musste, dass ich im Wald einer echten Waldfee begegnet wäre.
Oder als ich im Ferienlager an der Schwarzmeerküste feststellen musste, dass es jeden Tag mittags Fleisch zu Essen gab. Ich war verzweifelt und dachte, dass ich am Ende verhungern werde.
Einmal habe ich versucht, ein Stück Rindfleisch zu essen, aber ich musste sofort würgen und hatte mich fast übergeben. Ich war Gott dankbar, dass er mich so vor der Sünde bewahrt hatte. Also habe ich mittags das Fleisch immer in meine Hosentasche gesteckt und aß nur die Beilagen. Ich musste unbedingt vermeiden aufzufallen, und hoffte, dass Gott ein Auge zudrücken würde.
Am dritten Tag fragte mich ein Junge am Nachbartisch, ob ich Fleisch nicht möchte, weil ich es immer in meine Taschen steckte. Ich hatte mich sehr geschämt und ich fühlte mich ertappt, aber ich war gewohnt zu lügen, und sagte, im Gegenteil, ich liebte das Fleisch über alles und gerade deswegen hebe ich es mir für später auf, um es ungestört zu genießen. Er verriet mir, dass er das Fleisch auch sehr liebte, aber sich nicht beherrschen könne und sofort aufessen müsste.
Meine Idee, meinen Fleischanteil ihm anzubieten, hatte zwei riesige Vorteile. Einerseits gewann ich dadurch einen Freund, der von meiner Großherzigkeit sehr beeindruckt war – "ich könnte das nicht", sagte er mit gesenktem Haupt. Und ich fand gleichzeitig die Lösung meines Problems, um am Schwarzen Meer nicht zu verhungern: Weil ich auf das Fleisch verzichten würde, möchte er mir – und es lag eindeutig an seinem schlechten Gewissen – seinen Anteil am Abendessen mir überlassen. Ich antwortete, dass das nicht nötig sei, aber innerlich jubelnd nahm ich sein Angebot umgehend an.
Das Abendessen war immer fleischlos: Polenta mit Quark oder Schmand, Nudeln mit Quark oder Käse, Milchreis mit Zimt und Zucker, oder Grießbrei mit Erdbeersirup. Von einem Augenblick zum anderen wendete sich meine Ferienzeit ins Paradiesische und ich war glücklich herausgefunden zu haben, dass lügen okay ist, wenn es hilft, Gottes Verbote einzuhalten.
Also – ich war fünf, saß dümpelnd auf dem Sparherd und träumte bereits von der leckeren Gemüsesuppe mit Griesknödeln, von dem Kartoffelpüree mit Rotkohl und panierten Zucchini und Auberginen oder Blumenkohl, als ich die Wahrheit erfuhr. Jemand aus der Kleinen Gemeinde sprach sie aus:
„Lasst uns für ihn beten!“, er hob die Stimme, „der Teufel hat seine Seele geholt und lässt keine Gelegenheit aus, seinen Körper zu zerstören, zu vergiften und zu vernichten! Lasst uns an Jesus beten, dass er ihm die Kraft gibt, sich vom Satan loszureißen und in die Gemeinde zurückzufinden!!“
Ich war augenblicklich hellwach. Mein Vater! Der Sohn des Predigers in den Fängen des Teufels! Mein Herz schlug Purzelbäume und meine Brust drohte zu platzen wie ein Luftballon in einem Schraubstock. Ich wagte es nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Ich wagte es nicht Gott zu fragen, wann es denn passiert sei, warum der Teufel meinen Vater aus unserer Kleinen Gemeinde entführt hat? Ich dachte, er wäre bei der Arbeit gewesen – und dann wurde es mir sofort klar: Samstag, Sabbat, da darf man doch nicht arbeiten! Gott hat es verboten!
Aber der Teufel hatte meinen Vater dazu gezwungen. Und es kam noch viel mehr heraus. Satan hatte meinen Vater zu Fleisch essen verführt. Vater wollte singen. Auch tanzen und Zeitung lesen. Ins Kino und ins Stadion gehen.
Ich hörte, dass der Prediger meinen Großvater, der in der Großen Gemeinde Prediger war, beschuldigte, einen schlechten Einfluss auf meinen Vater gehabt zu haben.
„Luzifer hat viele Gesichter und nimmt verschiedene Formen an“, hatte er gesagt. „Die in der Großen Gemeinde sind keine echten Adventisten. Der hat Bücher zu Hause und Zeitschriften – lebt gegen Gottes Gebote. Früher, in den Tempeln des Bösen, hat er in jeder Messe ein Stück vom Leib Jesu gegessen und die Gemeindemitglieder auch dazu gezwungen. Und er hat vor der ganzen Gemeinde Jesu Blut getrunken!“
Niemand hatte ihm widersprochen und ich wollte sterben. Warum bloß hat mein Vater nicht alles geleugnet? Warum hat er bloß die Wahrheit gesagt?
Einige Tage später, hatte ich meinem Vater von dieser Episode erzählt, und gefragt, ob es stimmte, was der Prediger behaupetet hatte. Er schmunzelte und legte seine Hand schwer auf meinen Kopf: "Wenn du die Wahrheit finden willst, suche nicht bei den Menschen. Jede Katze weiß mehr davon."
Gott ist mächtig, aber der Teufel hat ihn geholt.
Die Kleine Gemeinde traf sich Samstagvormittag zum Gottesdienst -- diesmal bei meiner Oma in der Küche.
Jahre später habe ich erfahren, dass die Gemeinde, um nicht von der Securitate erwischt zu werden, an jedem Samstag an einem anderen Ort den Gottesdienst halten musste. Noch später erfuhr ich dann, dass es Quatsch war, denn einer der Prediger der Kleinen Gemeinde, der zugleich die Buchhaltung erledigte, inoffizieller Mitarbeiter und Spitzel der Securitate war.
Ich war fünf Jahre alt und es war die Zeit, in der in Rumänien die Kommunisten, Kommunisten folterten, in Gefängnisse sperrten oder in Zwangslager verbannten, weil sie Kommunisten waren. Ich wusste damals noch nicht, dass man die Menschen manchmal zu ihrem Glück zwingen muss. Und wer nicht glücklich sein will ...
Ich wusste auch nicht, dass die Große Gemeinde auch unsere Gemeinde war, in der mein Großvater mütterlicherseits, der früher katholischer Pfarrer war, und wegen seiner Freiheitsliebe und der Liebe zu meiner Großmutter aus der Kirche ausgeschlossen wurde, die Baupläne für das Gemeindehaus entworfen hatte. Und auch nicht, dass die Große Gemeinde so hieß, weil sie mehr Mitglieder hatte, die sich nicht jedes Mal einen neuen Ort für ihre Gebete suchen mussten, weil mein Großvater dafür gesorgt hatte, dass der Staat die Gemeindemitglieder nicht verfolgte.
Die Große Gemeinde hasste die Kleine Gemeinde, weil sie Gottes Worte zu eng auslegte, die Botschaften falsch deutete, und weil ihre Mitglieder lieber reihenweise ins Gefängnis wanderten, statt wie jeder andere Bürger auch, samstags zu arbeiten und Militärdienst zu leisteten. Sie fürchteten, dass der Staat irgendwann auch die Große Gemeinde verbieten würde.
Die Kleine Gemeinde hasste die Große Gemeinde, weil sie gegen Gottes Gesetze verstieß – kein Wunder, hieß es, wenn der Prediger ein ehemaliger katholischer Pfarrer, Politiker, Senator, Journalist sei, der sogar ein blasphemisches Theaterstück über … man wagte es gar nicht auszusprechen und beließ es bei Umschreibungen und Andeutungen. Aber all das habe ich erst viele Jahre später erfahren.
An dem besagten Samstagvormittag saß ich auf der Platte des lauwarmem Sparherds in der Küche meiner Großmutter und blickte auf die kniende Kleine Gemeinde herab. Das Murmeln und Säuseln ihrer Gebete betäubte meine Sinne, schläferte mich ein und – obwohl ich kein Wort verstand, war ich mir sicher, dass sie alle in den Himmel kommen würden, fromm wie sie waren.
Der Sauerstoffverbrauch in der kleinen Küche war sehr hoch, so dass ich zwischendurch immer wieder kurz einschlief – besser gesagt, in einen Dämmerzustand verfiel. Vielleicht lag es aber auch an dem Duft der noch glühenden Schalen der Sonnenblumenkerne im Ofen – das Feuerholz und die Holzkohle wurden für Heizen und Kochen aufgehoben.
Es wurde viel über Gott gesprochen. Und meine Großmutter sprach das Wort Philister lispelnd, wie ein kleines Mädchen, und hasserfüllt, wie eine Harpyie aus. Warum, das wusste ich damals noch nicht. Jedenfalls waren meine Gedanken schon längst beim Mittagessen, das ja bereits am Freitag vor-gekocht wurde, denn am Samstag durfte man nicht arbeiten und auch nicht kochen – eigentlich durfte man nichts, außer beten. Und Gott sei Dank -- essen ...
Manchmal fühlte ich mich gar nicht wohl damit.
Wenn andere Kinder das Kino besuchten, oder ins Puppentheater gingen und davon erzählten, dann war ich auf Gott ein bisschen sauer, weil ich behaupten musste, dass ich im Wald einer echten Waldfee begegnet wäre.
Oder als ich im Ferienlager an der Schwarzmeerküste feststellen musste, dass es jeden Tag mittags Fleisch zu Essen gab. Ich war verzweifelt und dachte, dass ich am Ende verhungern werde.
Einmal habe ich versucht, ein Stück Rindfleisch zu essen, aber ich musste sofort würgen und hatte mich fast übergeben. Ich war Gott dankbar, dass er mich so vor der Sünde bewahrt hatte. Also habe ich mittags das Fleisch immer in meine Hosentasche gesteckt und aß nur die Beilagen. Ich musste unbedingt vermeiden aufzufallen, und hoffte, dass Gott ein Auge zudrücken würde.
Am dritten Tag fragte mich ein Junge am Nachbartisch, ob ich Fleisch nicht möchte, weil ich es immer in meine Taschen steckte. Ich hatte mich sehr geschämt und ich fühlte mich ertappt, aber ich war gewohnt zu lügen, und sagte, im Gegenteil, ich liebte das Fleisch über alles und gerade deswegen hebe ich es mir für später auf, um es ungestört zu genießen. Er verriet mir, dass er das Fleisch auch sehr liebte, aber sich nicht beherrschen könne und sofort aufessen müsste.
Meine Idee, meinen Fleischanteil ihm anzubieten, hatte zwei riesige Vorteile. Einerseits gewann ich dadurch einen Freund, der von meiner Großherzigkeit sehr beeindruckt war – "ich könnte das nicht", sagte er mit gesenktem Haupt. Und ich fand gleichzeitig die Lösung meines Problems, um am Schwarzen Meer nicht zu verhungern: Weil ich auf das Fleisch verzichten würde, möchte er mir – und es lag eindeutig an seinem schlechten Gewissen – seinen Anteil am Abendessen mir überlassen. Ich antwortete, dass das nicht nötig sei, aber innerlich jubelnd nahm ich sein Angebot umgehend an.
Das Abendessen war immer fleischlos: Polenta mit Quark oder Schmand, Nudeln mit Quark oder Käse, Milchreis mit Zimt und Zucker, oder Grießbrei mit Erdbeersirup. Von einem Augenblick zum anderen wendete sich meine Ferienzeit ins Paradiesische und ich war glücklich herausgefunden zu haben, dass lügen okay ist, wenn es hilft, Gottes Verbote einzuhalten.
Also – ich war fünf, saß dümpelnd auf dem Sparherd und träumte bereits von der leckeren Gemüsesuppe mit Griesknödeln, von dem Kartoffelpüree mit Rotkohl und panierten Zucchini und Auberginen oder Blumenkohl, als ich die Wahrheit erfuhr. Jemand aus der Kleinen Gemeinde sprach sie aus:
„Lasst uns für ihn beten!“, er hob die Stimme, „der Teufel hat seine Seele geholt und lässt keine Gelegenheit aus, seinen Körper zu zerstören, zu vergiften und zu vernichten! Lasst uns an Jesus beten, dass er ihm die Kraft gibt, sich vom Satan loszureißen und in die Gemeinde zurückzufinden!!“
Ich war augenblicklich hellwach. Mein Vater! Der Sohn des Predigers in den Fängen des Teufels! Mein Herz schlug Purzelbäume und meine Brust drohte zu platzen wie ein Luftballon in einem Schraubstock. Ich wagte es nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Ich wagte es nicht Gott zu fragen, wann es denn passiert sei, warum der Teufel meinen Vater aus unserer Kleinen Gemeinde entführt hat? Ich dachte, er wäre bei der Arbeit gewesen – und dann wurde es mir sofort klar: Samstag, Sabbat, da darf man doch nicht arbeiten! Gott hat es verboten!
Aber der Teufel hatte meinen Vater dazu gezwungen. Und es kam noch viel mehr heraus. Satan hatte meinen Vater zu Fleisch essen verführt. Vater wollte singen. Auch tanzen und Zeitung lesen. Ins Kino und ins Stadion gehen.
Ich hörte, dass der Prediger meinen Großvater, der in der Großen Gemeinde Prediger war, beschuldigte, einen schlechten Einfluss auf meinen Vater gehabt zu haben.
„Luzifer hat viele Gesichter und nimmt verschiedene Formen an“, hatte er gesagt. „Die in der Großen Gemeinde sind keine echten Adventisten. Der hat Bücher zu Hause und Zeitschriften – lebt gegen Gottes Gebote. Früher, in den Tempeln des Bösen, hat er in jeder Messe ein Stück vom Leib Jesu gegessen und die Gemeindemitglieder auch dazu gezwungen. Und er hat vor der ganzen Gemeinde Jesu Blut getrunken!“
Niemand hatte ihm widersprochen und ich wollte sterben. Warum bloß hat mein Vater nicht alles geleugnet? Warum hat er bloß die Wahrheit gesagt?
Einige Tage später, hatte ich meinem Vater von dieser Episode erzählt, und gefragt, ob es stimmte, was der Prediger behaupetet hatte. Er schmunzelte und legte seine Hand schwer auf meinen Kopf: "Wenn du die Wahrheit finden willst, suche nicht bei den Menschen. Jede Katze weiß mehr davon."
Gott ist mächtig, aber der Teufel hat ihn geholt.
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