Warum Wessis uns nicht verstehen... Teil II: Wo war gleich noch mal links?

Willybald

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Alles starrt gebannt auf den immer breiter werdenden rechten Flügel der Gesellschaft, welcher vor allem im Osten, sozusagen auf der Landkarte rechts in Deutschland, einen großen Wohlfühlfaktor genießt. Darüber vergessen wir die nahe liegende Frage: Wo genau befindet sich eigentlich links? Etwa immer noch dort, wo es früher mal war, bei Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg? Oder gar bei Christian Weitling, dem zwar keine kommunistische Revolution gelang, der aber immerhin mit seiner Knopflochnähmaschine die textile Fertigung revolutionierte. Vielleicht auch bei August Bebel, der sich nie als Arbeitervertreter sah, weil ihm die Arbeiterschaft zu konservativ erschien? Eher bei Willy Brandt oder bei Gerhard Schröder?
Nein, ich geb’s zu, Letzteres war unsachlich. Rekapitulieren wir lieber zunächst unser einstiges Rollenverständnis der politischen Ausrichtungen. Die DDR war nach dem anerkannten Klischee ein sozialistischer Staat, also links, während die BRD aus dem Blickwinkel unserer Arbeiterklassenführer imperialistisch und damit rechts war. Die dortige Kommunistische Partei mit ihrem Vordenker Herbert Mies, finanziell ausgehalten und instruiert von der SED, befand sich ebenfalls am linken Gegenpol zu den Herrschenden im Westen. Klarer Fall, zumal die Sowjetzone, also der Osten Deutschlands, auch aus Sicht der imperialistischen Machthaber links im politischen Spektrum lag. Unter der Hand gab es auch bei uns ein paar Oppositionelle zu unserer führenden – natürlich linken – Partei der Arbeiterklasse. Das waren Konterrevolutionäre, erzählte man uns. Obendrein vom Westen gesteuert. Also rechts.
Rechts ist konservativ, an den Unterschieden zwischen den Klassen festhaltend und die alte Ordnung bewahrend. Links dagegen ist progressiv, weil auf Veränderung der kapitalistischen Gesellschaft drängend; sogar revolutionär, strebend zu sozialer Gerechtigkeit bis hin zur Gleichmacherei. Pff, urteilen überzeugte Neoliberale darüber und Sie schmunzeln sicher süffisant, weil Ihnen der Hinweis auf die SPD auf der Zunge liegt. Geduld, dazu komme ich gleich. Freuen Sie sich bloß nicht zu früh!

In einer Diktatur des Proletariats liegt es nahe, dass nur eine Partei das Denken vorgibt. Ich verrate an dieser Stelle kein Geheimnis, wenn ich feststelle, dass es diese Partei noch gibt. Zu ihren Zielen gehört, dem rücksichtslosen Wachstumsweg des Kapitalismus zu entsagen und wieder umzukehren zu den Wurzeln des Sozialismus. Bloß diesmal mit weniger Fehlern. Was dann wiederum ein eher konservatives Ziel wäre, weil rückwärtsgewandt. Bei diesem Versuch waren wir schon einmal, erinnert mich bloß nicht daran!
Währenddessen sind die damaligen Oppositionellen aus der DDR, diese Konterrevolutionäre, nicht etwa rechts, sondern jetzt erst recht links. Das, was ihre einstigen Gegner einmal waren. Ich merke gerade, dass ich Gefahr laufe, den ideologischen Leitfaden zu verlieren. Denn diese Gegner der damaligen Linken und heute selbst Linke finden sich kaum in der einstigen Linkspartei SPD wieder, zumal es jetzt eine neue Linkspartei gibt, welche die SPD nicht mag, da diese nicht mehr links ist. Dabei ist deren Zustimmung zu den reaktionären Kriegsermächtigungsgesetzen 1914 doch längst verjährt! Aber ach, wer kennt nicht den alten Reim: Wer hat uns verraten – die Parteivorsitz-Kandidaten!
Mit der Linkspartei als Nachfolgerin der einstigen Staats-Linken wollen die zuvor erwähnten Dauernörgler natürlich ebenfalls nichts zu tun haben. Denn diese verfolgen ja konservative Ziele (=rechts?), indem sie wieder in die Regierung zurückwollen, auf die sie einst ein unangefochtenes Abo hatten. Dann würden sie natürlich nicht politisch links regieren, weil sie im Sinne des einst verhassten Klassenfeindes, also auf marktwirtschaftlich-bürgerlicher Basis statt im Geiste von Marx-Engels-Lenin herrschen müssten. Klappt ohnehin noch nicht so ganz und wenn, dann nur mit Hilfe anderer Parteien, die alles andere als links sind.
Womit ich wieder am Anfang des Problems gelandet wäre. Wem das jetzt immer noch zu eindimensional erscheint, den erschlage ich rhetorisch mit einer Erklärung des Syrien-Konfliktes. Dort kämpfen die USA zusammen mit den Kurden gegen den IS, die jeder für sich den syrischen Machthaber Assad loswerden wollen, während Russland Assad unterstützt und deshalb gegen die Amerikaner ist, welche wiederum sauer auf ihren NATO-Bündnispartner Türkei sind, weil der gegen ihre Verbündeten, die Kurden Krieg führt, wenngleich der Türke ebenfalls Assad loswerden will und deshalb auch was gegen die Russen hat. Da er sich aber mit dem Amerikaner überworfen hat, flirtet der Türke trotzdem ein bisschen mit dessen Gegner, dem Russe, dem er allerdings ab und zu ein Flugzeug abschießt, was Sinn macht, wo er von ihm schließlich das S400-Raketensystem gekriegt hat. Zumal der Russe ja Assad unterstützt, den die Amis und der Türke einträchtig stürzen wollen, genau wie der erklärte Feind von allen, der IS, aber… Ihr seht, ich habe euch nicht zu viel versprochen, was das logische Verständnis und die Nachvollziehbarkeit von Politik betrifft! Diese ist mittlerweile so vielschichtig geworden, dass allen Ernstes schon von „gemäßigten Extremisten“ – was für ein göttliches Paradoxon! – gesprochen wird, um ein bisschen Abstand zu den „radikalen Extremisten“ zu schaffen. Ich stelle mir das in etwa so vor wie eine gemäßigte Todesstrafe, bei welcher der Delinquent nur ein bisschen umgebracht wird.

Mit dem alten Rechts-links-Denken kommen wir jedenfalls nicht weiter. Nicht in einer Zeit, wo ideologische Grenzen verwischen, während strategische Grenzen neu befestigt werden. Wo im Bundesland der Klöße und Bratwürste die gesellschaftliche Mitte die Form einer Wespentaille aus dem Rokoko annimmt. Dort steht die kleine CDU als „große Volkspartei“ allein auf weiter Flur und sucht jemanden, der mit ihr spielt. Da mutet das beharrliche Festhalten des christlich-demokratischen Zentralkomitees im Konrad-Adenauer Haus am No Go mit Linkspartei und AfD ein bisschen an wie das greinende Kind, welches unbedingt in den Zoo will, aber keine Tiere mag. Kann den Parteifunktionären bitte mal jemand stecken, dass die Thüringer entweder links oder rechts wollen, aber nicht mehr wie zu Zeiten Bernhard Vogels Gott hab ihn selig die CDU? Keiner, zumindest nicht innerhalb der Partei der Mitte, weiß, wieso. Und dabei heißt es sonst immer, die großen Volksparteien seien zu wenig innovativ. Nun, aus Sicht des wechselfreudigen Wählers vielleicht ja doch, nur halt in die falsche Richtung.
Irgendwie vermischt sich heutzutage alles, selbst die klare Rollenaufteilung in männlich oder weiblich ist – wenn auch nicht von der gesellschaftlichen, so doch von der medial projizierten – Realität überholt worden. Es gibt Leute, die behaupten, es gäbe kein Ost und West mehr, also auch keine Ossis und Wessis, in Deutschland. Im selben Atemzug stellen sie jedoch mit Blick auf regionale Wahlergebnisse fest, dass der Osten irgendwie anders tickt. Bei so viel Wischiwaschi könnte theoretisch auch aus Deutschlands einstigem obersten Umweltschützer (von Amts wegen!) der Cheflobbyist der Autoindustrie werden, ohne dass die Autos – da lehne ich mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster – deshalb irgendwie sozialdemokratischer ausgesehen hätten, nicht wahr, Herr Gabriel? Russisches Erdgas riecht schließlich auch mit Schrödi nicht plötzlich nach den Erben Bebels und Liebknechts, sondern nach wie vor irgendwie… bisschen stinkig, wie immer.
Dem weltweit führenden Drohnenkrieger Barack Obama genügte kurz nach seinem Amtsantritt allein die vage Ankündigung, dass er, natürlich nur falls es sich einrichten lässt, Kriege zukünftig nicht mehr ohne triftigen Grund führen will, um den Friedensnobelpreis hinterher geworfen zu kriegen. Doch wen wundert’s, wo wenige Jahrzehnte zuvor Jassir Arafat – Gott hab ihn ebenfalls selig! – nur mal ein paar Wochen lang keine Bomben zu zünden brauchte und schon hatte er denselben Klunker an der Backe. So schnell biste heutzutage auf der ganz und gar anderen Seite gelandet und musst dich nur ein klein wenig ändern dafür! Also bitte schön, keine Aufregung, wenn sich der gesellschaftliche Konsens ebenfalls leicht verändert. Wir, also die Gesellschaft, haben es nicht erfunden, wir machen es bloß „denen da oben“ nach!“ Denn was bezwecken die damit? Ist doch klar – die wollen Aufmerksamkeit. Da kann man noch was lernen von!
Wir wischen kräftig an den Grenzen politischen Kalküls und schon kann jeder, der eben noch zufrieden einer brennenden Asylunterkunft zunickte und meinte, da seien die (da drinnen – Anm.d.A.) ja nicht ganz unschuldig daran, entrüstet sagen: Deswegen bin ich doch nicht gleich ein Nazi! Damit hat er nicht ganz Unrecht, denn auf den Begriff „Nazi“ gibt es keine patentrechtlich geschützte Definition. Ich bemerke gerade mein Versäumnis – ich hätte mir „Nazi“ markenrechtlich schützen lassen sollen, dann könnte ich einen Riesen-Schmott machen. Gerade bei uns im Osten!

Zurück zum Thema. Bei so viel Grenzenlosigkeit darf man sich nicht wundern, wenn irgendwo ein wenig Identität abhanden kommt. Und wie ist das mit Dingen, die man selbst nicht wieder findet? Genau, man braucht Hilfe beim Suchen! Da soll noch mal jemand behaupten, Ossis wären nicht tolerant. Von wegen! Die vehementesten Ossis kommen schließlich aus dem Westen und werden in Sachsen, Brandenburg oder Thüringen ohne jegliche Vorurteile anerkannt und akzeptiert. Ist eine Leistung, wenn man bedenkt, wie kurz die Lunte in Punkto anpassungsunwillige Ausländer ist bei den Leuten, die uneingeschränkt einem Geschichtslehrer aus Hessen, einem Essener Volkswirt oder einem Münchener Ex-Republikaner und Pleitier als Vertreter ihrer Ost-Interessen zujubeln. Das Leben ist aber manchmal auch ungerecht: Als John F. Kennedy einst behauptete, er sei ein Berliner, wurde er für diese eindeutige Falschaussage frenetisch gefeiert. Wenn Björn Höcke jedoch erklärt, es fühle sich schon wieder so an wie in der DDR, „und dafür haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht!“, dann lacht sich eine ganze Kabarett-Nation darüber krumm und buckelig. Abgesehen freilich von den AfD-Anhängern. Aber ich sprach schließlich auch vom Kabarett-Publikum.
Mit unserer Ost-Biografie sehen wir jedoch solche Missverständnisse den Fans von Höcke, Kalbitz, Meuthen & Co. milde lächelnd nach. Wir dachten schließlich Anfang der 90-er Jahre auch, wir bekämen honorige Fachkräfte mit ganz tollem Know-how geliefert, wenn uns die Konrad-Adenauer-Stiftung ihre Berater rüberschickte. Wir setzten sie an die Schaltstellen der Macht und sahen ihnen staunend und erst viel später auch ein bisschen zweifelnd zu, wie sie schalteten und walteten. Damals wussten wir eben noch nicht, dass besagte Stiftung eher die Kurzzeitpflege für gescheitertes CDU-Personal ist und kein Brain-Pool für idealistische Aufbauhelfer und Ärmel-Hochkrempler. Wir sind also an verzweifelte Goldsucher und händeringende Emporkömmlinge aus dem Westen gewöhnt. Die haben wir noch alle überlebt. Überdies ist der Chef der Thüringer Links-Partei ebenfalls ein Wessi und somit ist es völlig legitim, dass wir Westpersonal in die zentralen Machtpositionen jener Partei setzen, die als einzige die Menschen im Osten wirklich versteht und quasi einer von ihnen ist. Da braucht sich die olle Ost-Schnalle Frauke Petry wirklich nicht zu wundern, dass sie ihr blaues Handtäschchen packen musste und in einer so erdverbundenen Partei wie der AfD nicht länger tragbar war. Erde ist nun einmal braun, das weiß doch jeder!
Also komm uns keiner mehr mit solch überholt-bürgerlichen Begriffen wie rechts und links! Was heißt das denn heute noch? Eine Erfindung der Merkel-Medien, die uns verdummen und in vorgefertigte Raster packen wollen, damit man uns leichter beherrschen kann. Alles staatsgesteuert. Wer sagt denn, dass links besser ist als rechts, obwohl doch „rechtschaffen“ eine positive Eigenschaft ist, während ein „linkes Ding“ nur Ganoven und Gangster drehen. Die ganze Polarisierung beruht eh nur auf dem Zufall, dass vor über 200 Jahren in der französischen Nationalversammlung die Königstreuen rechts und die revolutionären Kräfte links vom Präsi saßen. Hätte theoretisch auch anders herum kommen können.
Wenn wir die Merkel einfach nicht leiden können und sie mag es nicht, wenn ihr Volk rechts ist – ha, dann sind wir eben gerade rechts! Aber so was von! Das ist unsere Form des Protestes. Auch wenn wir ja eigentlich gar nicht rechts sein wollen. Man drängt uns förmlich in diese Ecke. Man = die Merkel-Medien, das dürfte klar sein.
Als Beispiel dazu eine Diskussion, wie sie in zahllosen ostdeutschen Stuben oder an Stammtischen stattfinden kann oder stattgefunden hat. „Ich sehe doch, was hier los ist und was für Probleme es mit den Ausländern gibt, auch wenn die Politiker das ignorieren. Bin ich denn deswegen gleich ein Nazi?“ – „Naja, also, ehrlich gesagt…“ – „Na gut, sag’s ruhig, von mir aus, dann bin ich eben ein Nazi! Ich steh’ dazu!“ – „Nein-nein, ich meine nur, den Begriff ’Nazi’ habe ich mir patentrechtlich schützen lassen und für dessen Verwendung wird jetzt eine Gebühr fällig!“ Gut, der letzte Satz ist reines Wunschdenken, ich gebe es zu.

Ein kleiner Tipp an „die da oben“: Falls ihr die AfD tatsächlich loswerden wollt, dann entrüstet euch nicht so verkrampft über deren Gebaren! Verabscheut doch mal die Grünen, oder noch besser die FDP als haltlose Populisten, dann setzt der unzufriedene, Protest wählende Osten sofort dort sein Kreuz, wenn er merkt, dass er den „Volksverrätern“ damit am meisten weh tut. Ihr kriegt auf diese Weise gleich einen passablen Koalitionspartner mitgeliefert. Klappt zumindest vorübergehend.
Natürlich könntet ihr auch Frau Dr. Angela Merkel in die AfD schicken – und schwupps, wäre das Problem ein für allemal erledigt.
 



 
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