Zugegeben: Im Dunstkreis der Leselupe werden wir wohl kaum einem zweiten Ulysses begegnen, an dem noch Generationen von Philologen sich satt essen können.
Doch bleibt die Bedingung bestehen, dass die intellektuellen Fähigkeiten der Kritiker das Niveau des Autors, bzw. seines kritisierten Textes nicht unterschreiten sollten, um dem Text gerecht werden zu können.
Eine Leserüberforderung mag zwar selten vorkommen, zumal hier Autoren ihre ersten Schritte wagen, auch weil ein Leser gegenüber dem betriebsblinden Autor immer (zumindest) einen Vorteil besitzt. Ich habe hier allerdings auch schon (abseits der Lyrik) "Verbesserungsvorschläge" gefunden, die diesen Namen nicht verdienten. Wenn hier Autoren die Texte anderer Autoren analysieren, entsteht leicht der Eindruck des Besserwissens. Als unbeteiligter Dritter sehe ich dann die Makel des Textes sowie die ihrer Kritik. Und Kritik stößt oft auf beiden Seiten auf Ablehnung: Schlechter Text gegen schlechte Kritik: Der Autor, der sein Erstlingswerk gern in einem goldenen Rahmen sehen möchte und der Kritiker, der seinen Status als Durchblicker zu beweisen sucht.
Aber wir reden hier am eigentlichen Problem, dass Textarbeit in den Kommentaren kaum stattfindet, vorbei, siehe hierzu aus Beitrag #3:
Es gab eine Zeit, wo hier auf der Lupe ein lockerer Meinungsaustausch herrschte und vor allem auch viel herumgeblödelt wurde. Auch das hatte seine Reize. Fast unmerklich trat dann das, was wir hier gern als „Textarbeit“ bezeichnen immer mehr in den Hintergrund. Speziell aus den Reihen unserer „Blümchendichter“ rekrutierten sich immer mehr User, die den eigentlichen Sinn der Lupe wohl darin sahen, fix mal ein hingeschludertes Gedicht unter die Leute zu bringen und dann gegenseitig und genüsslich ihre aktuelle seelische Verfassung breitzutreten, Kochrezepte anzupreisen oder einfach nur das Wetter vor der eigenen Haustür zu beschreiben. Ganz schlimm verbreitet waren solche Kommentare wie: „Ich kann den Inhalt deines Textes wunderbar nachvollziehen. Mir ging es nämlich ganz genauso, und da hatte ich folgendes…“
Erschreckend (und zugleich auch beruhigend) ist, dass dieser Beitrag vor fast 20 Jahren geschrieben wurde. Inhaltlich hat sich also bei aller Inovation nicht viel gändert.
