Spät aber lang
Hallo abercombie,
so, da bin ich wieder. Versprochen ist versprochen. Aber
Vorsicht! Ist lang geworden. Du fragst: "Was könnte ich
verbessern?". Ich dreh es mal um und sage Dir, was mir
nicht gefällt. So an die Geschichte heranzugehen, fällt mir
leichter. Einen Kritikpunkt habe ich Dir ja schon geschrieben.
Siehe Thekenhocker und Bierchen. Bei jeder Strophe kann ich
prinzipiell mit dem Kopf nicken und sagen: "Ja, hab ich so
in der Art mindestens einmal schon gehört".
* Globalisierung
* Informationsflut, -gau
* Umweltverschmutzung
* Die Uhr läuft ab
Alles keine neuen Geschichten. Wieso, sollte ich Dein Gedicht,
das eigentlich tausendmal gehörte Aussagen zum 1001 sten Mal
wiederholt, interessant finden?
1) Interessant finde ich persönlich mir unbekannte Dinge.
2) Interessant finde ich, wenn mir neue Sichtweisen eröffnet
werden. Interessant finde ich Unbekanntes.
3) Interessant finde ich Dinge, die mich zum Nachdenken
bringen.
4) Interessant finde ich, verblüfft oder in die Irre geleitet
zu werden oder aber wenn sich bei mir ein Aha-Erlebnis
einstellt.
5) Auch interessant finde ich Dinge, die mir zunächst
unverständlich sind, aber so gestaltet oder geschrieben wurden,
dass sie mich fesseln und ich diese Nuss knacken will.
Diese Aufzählung zielte jetzt mehr auf den
Kopf ab. Es gibt aber noch weitere Kriterien, die Gedichte
für mich ansprechend machen. Das ist die Gefühlsebene.
Schlicht: Löst das Gedicht bei mir mehr aus als ein: "Aha, jo,
dich kenn ich ja schon."
Ist es a) witzig, kann ich drüber lachen oder aber es
trifft mich so, dass ich es gefühlsmäßig, wie auch immer,
b) mit- oder nachempfinden kann.
So, nun rücken wir mal Deinem Text zu Leibe.
Die Überschrift ist als Frage gestaltet. Das ist im Prinzip
mal nicht schlecht. Eine Frage regt, oder zumindest fordert,
einen Gefragten immer auf, über etwas nachzudenken.
Im Prinzip könntest Du damit bei mir 3) auslösen. 3) wird
aber leider wieder zunichte gemacht, weil Du in Strophe 5
die Antwort gibst. Warum um alles in der Welt soll ich
jetzt noch nachdenken? Ich bin faul.
Als Beispiel hier eine Version ohne die letzte Strophe.
Was soll man werden?
Was soll man werden in dieser Welt?
Im Schatten der Globalisierung
Die ihre Fangarme ausstreckt
Um auch den letzten Winkel
Vollends zu erfassen
Was soll man werden in dieser Welt?
In der Flut der Informationen
Die uns überschwemmt
Gespeist aus einer schier
Unversiegbaren Quelle
Was soll man werden in dieser Welt?
Im schadstofftriefenden Dunst
Der höchsten Errungenschaften
Die uns so weit voran
An den Abgrund gebracht haben
Was soll man werden in dieser Welt?
In den tickenden Uhren
Die stetig laufen
Und uns keine Ruhe lassen
Bis nach dem Tod
In der Version wirkt nun 3) bei mir. Dein Gedicht ist offen.
Das bringt mich ins Grübeln, ins Nachdenken. Ohne Strophe
5 könnte ich aus dem Text so etwas wie Hilflosgkeit
herauslesen womit u.U. die b) angesprochen würde.
Jetzt eine weitere Version. Hier lassen wir den Text mit
leicht abgeänderter Frage enden.
Was soll man werden?
Was soll man werden in dieser Welt?
Im Schatten der Globalisierung
Die ihre Fangarme ausstreckt
Um auch den letzten Winkel
Vollends zu erfassen
Was soll man werden in dieser Welt?
In der Flut der Informationen
Die uns überschwemmt
Gespeist aus einer schier
Unversiegbaren Quelle
Was soll man werden in dieser Welt?
Im schadstofftriefenden Dunst
Der höchsten Errungenschaften
Die uns so weit voran
An den Abgrund gebracht haben
Was soll man werden in dieser Welt?
In den tickenden Uhren
Die stetig laufen
Und uns keine Ruhe lassen
Bis nach dem Tod
Was soll ich werden? (oder)
Was soll aus mir werden?
Jetzt ist der Text immer noch offen aber die Hilflosigkeit
tritt deutlicher hervor. Aktivierung b)
Zu den Strophen. Die sind sprachlich alle nahezu gleich, wie
aus der Schablone gepresst, wie vom Fließband kommend. Das
wirkt etwas monoton oder litaneienartig. Dadurch, kombiniert
mit den bekannten Inhalten, verstärkt sich nur die
"Langeweile" und/oder Emotionslosigkeit. Ich lese Wiederholungen
von schon bekannten Inhalten und ich lese "bekannte", immer
gleich gestaltete Strophen.
Nächste Version:
Was soll man werden?
Im Schatten der Globalisierung
Die ihre Fangarme ausstreckt
Um auch den letzten Winkel
Vollends zu erfassen
In der Flut der Informationen
Die uns überschwemmt
Gespeist aus einer schier
Unversiegbaren Quelle
Im schadstofftriefenden Dunst
Der höchsten Errungenschaften
Die uns so weit voran
An den Abgrund gebracht haben
In den tickenden Uhren
Die stetig laufen
Und uns keine Ruhe lassen
Bis nach dem Tod
Was soll man werden in dieser Welt?
Damit ist schon wieder etwas an Gleichförmigkeit und Redundanz
aus dem Text genommen. Die regelmäßige aber unnötige
Wiederholung der immer gleichen Frage.
So, jetzt mal ein wenig mehr an b) rumkitzeln. Gefühle
aktivieren. Beispiel Strophe 1)
Im [blue]kalten[/blue] Schatten der Globalisierung
Die ihre Fangarme [blue]wie (gierige)Kraken[/blue] ausstreckt
Um auch den letzten Winkel
Vollends zu erfassen
Kalte Schatten. Wer mag die schon und diese ekligen Kraken
sind ja auch nicht gerade sympatisch. Mit Adjektiven machst
Du Stimmung. ABER VORSICHT!!!! Nicht übertreiben.
Weiter gegen die Gleichförmigkeit. Ich nehme jetzt mal
Strophe 1 und 2 im Zusammenhang und formuliere die ein wenig
um.
Im kalten Schatten der Globalisierung
Die ihre Krakenarme ausstreckt
Um auch den letzten Winkel
noch zu erfassen
Wenn die Flut der Informationen
Uns überschwemmt
[strike]Gespeist aus einer schier
Unversiegbaren Quelle[/strike]
Die letzten beiden Zeilen in Strophe 2 kannst Du vergessen.
Wichtig und damatisch ist, dass Ich oder Jemand von diesen
Informationen überschwemmt wird, in ihnen absäuft. Welche
Quelle das war und woher die Informationen kamen,
interessiert mich ehrlich gesagt nicht, wenn ich darin
versacke.
Strophe 4, so wie sie zur Zeit ist:
Was soll man werden in dieser Welt?
In den tickende Uhren
Die stetig laufen
Und uns keine Ruhe lassen
Bis nach dem Tod
Sitzt Du INdiesen Uhren??? Wohl kaum!! Eine
Möglichkeit wäre:
Wenn unaufaltsam tickende Uhren
bis nach dem Tod
uns keine Ruhe lassen
Und zum Schluß noch einmal die Strophe 5. In Deinem Text
stellt sie ja die Schlussfolgerung und Lösung zu S 1-4 dar.
Meine Frage: "Wieso ist ein Egoist gegen die Auswirkungen
der Datenflut in S2 gefeit? Wieso ist ein Egoist gegen
eine sterbende Umwelt gefeit? Wieso ist ein Egoist gegen
ein standig zermürbend tickendes Urwerk gefeit?"
So, das waren einige Anmerkungen aus meiner Sicht. Es
sind nur Beispiele und Hinweise, wobei ich möglichst nahe
an Deinem Text und Deiner Schreibweise geblieben bin.
Ich hoffe, Du kannst damit etwas anfangen. Es hängt ja
schließlich auch alles von der Absicht ab, mit der Du das
Gedicht geschrieben hast. Die kenne ich nun mal nicht.
Gruß
Thys