Was wir wissen und zu wissen glauben

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Arcos

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Ich erinnere mich an den Nachmittag, als mein Großvater mir sagte, dass der Himmel nicht blau sei. „Er ist farblos“, meinte er, „du siehst nur, was das Licht mit deinem Glauben macht.“ Damals verstand ich es nicht. Ich war acht und glaubte an das Blau wie an die Schwerkraft, an Märchen und an das ewige Leben meiner Eltern.

Später, viele Jahre später, las ich Bücher, in denen die Welt in sich zusammenfiel, sobald jemand sie wirklich zu begreifen versuchte. Ich lernte Namen, Theorien, Zitate – und vergaß dabei manchmal, wie der Wind auf der Haut klingt. Doch immer, wenn ich sicher war, etwas verstanden zu haben, kam ein Satz, ein Gedanke, eine Figur aus einem Roman und riss ein Loch in mein Weltbild.

Was wir wissen, ist oft nur die Maske unseres Trostes. Was wir zu wissen glauben, ein Lied, das wir uns vorsingen, wenn es draußen zu still wird.

Gewissheit ist wie ein Regenbogen – flüchtig und schillernd. Sie entsteht, wenn das Licht der Erkenntnis für einen Augenblick den Nebel der Unsicherheit durchdringt, sich in feinen Tropfen bricht und in seine Farben zerfällt. Doch kaum ist sie sichtbar, tauchen neue Fragen am Horizont auf, wie Wolken, die sich niemals auflösen.

Ich denke oft an meinen Großvater, wenn der Himmel besonders klar ist. Manchmal sehe ich dann kein Blau, sondern nur Tiefe.
 
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Agnete

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eine Kurzprosa, wortgewandt, lyrisch und mit Tiefe. Nein, dieser schöne Text,Arcos, hat es nicht nötig, am Ende das Allerweltswort Pantha Rei zu bemühen.
Ich würde mit vergessen enden.
Wolken, die sich niemals auflösen.
Doch, sie lösen sich auf, aber werden durch neue ersetzt. Also würde ich scheinbar dazu setzen.
lG von Agnete
 

Arcos

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Danke für deine Rückmeldung Agnete.
Ich habe den Schluss etwas angepasst.

Grüße
Önder
 



 
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