Wasserfrau

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Ji Rina

Mitglied
Hallo Doc!
Von der Autorin bekommt man keine Erklärungen, weil sie sagt, die Bedeutung des Textes hinge vom Leser ab.
Also die Begegnung zwischen den beiden hab ich einfach als “magische Begegnung”gesehen, so wie jede/jeder bei einer Begegnung mit einem Jongleur auf der Strasse, einem Verkäufer, einem Bettler, sei es aus was immer für Gründen, augenblicklich geblendet sein kann.
Mit den Düsen ist der Herr Lagerfeld? (falls die Autorin KL im Sinn hatte) auf eine Idee gekommen, die er später an seiner neu entworfenen schwarzen Abendrobe mit Mantel umsetzte, eine Abendrobe, dessen bestickte Rückenpartie im Scheinwerferlicht funkelte und aufblitzte, als liefen Tausende Wasserperlen in feinen Bahnen über den Stoff hinunter zum Mantelsaum, wo sie ein glitzerndes Band bildeten.
Ich weiss nicht wo Karl Lagerfeld (falls die Autorin Karl Lagerfeld im Sinn hatte) sich sonst noch so aufhält, kann aber sagen, dass die Königin von Spanien jeden Sommer über den Flohmarkt von Binisalem spaziert und sich dabei die (auf der Strasse ausgelegte) Verkaufsware anschaut. Und Schwul oder nicht Schwul: Anziehungskraft kann doch über jeden immer und überall herfallen (sei es nur für den Bruchteil einer Sekunde).
Wie man auf so eine Idee, wie die “Wasserfrau” kommt, weiss ich auch nicht. Aber vielleicht ist ja gerade auch das interessant. “Nicht möglich” fand ich die Geschichte nicht.
Mit lieben Gruss,
Ji
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Ji, Du hast meine Grundidee treffsicher dingfest gemacht, und für die Verteidigung des Textes möchte ich die Worte eines hochgeschätzten Lelu-Mitgliedes zitieren: "in der Kathedrale meines Herzens wird für Dich immer eine Kerze brennen" :) :) es ist einer meiner Lieblingstexte, nicht zuletzt deshalb, weil er oft auf Widerstand stößt. Danke Dir, liebe Grüße - Heidi
P.S.: Darf man das, zugeben, dass man eigene Texte hat, die man liebt?
 

herziblatti

Mitglied
Wasserfrau

Es könnte Anfang der Achtzigerjahre gewesen sein.
Der Wind oder das Leben hatte sie dorthin geweht, wo sie wie eine verwunschene Wasserfrau hinter dem kleinen Verkaufsstand in Münchens Fußgängerzone stand und anschraubbare Düsen für Wasserhähne verkaufte.

Ein paar Leute waren stehengeblieben, wie immer in einem kleinen Halbkreis, schauten, hörten ihr zu, teilten sich plötzlich.

Sie hatten Platz gemacht für einen Herren, nicht allzu groß oder gar furchteinflößend, gekleidet in einen dunkelblauen Mantel aus englischem Tuch. Sein behandschuhter Zeigefinger deutete flüchtig auf den Wasserstrahl, er sagte etwas auf französisch zu seiner Begleiterin.

Die Wasserfrau stockte in ihrem Vortrag, der die Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit dieser leicht anzubringenden, verstellbaren Düse anpries, und sie sah auf in ein blasses, feingeschnittenes Patriziergesicht, geschützt vor zu viel Nähe durch eine große Sonnenbrille, die dunklen Haare, so gar nicht in diese Zeit passend, zu einem Mozartzopf zusammengefasst.

Seine Begleiterin, offenbar eine Dolmetscherin, wandte sich mit der Frage an sie, ob denn die Wasserhähne in Europa alle genormt seien.

Darauf hatte die Wasserfrau keine Antwort, weil sie das nicht wusste, und das brachte sie in Bedrängnis.
Sie wollte nicht, dass er ginge, ohne etwas von ihr mitzunehmen.
Sie wollte aber auch nicht, dass er etwas mitnahm und irgendwo zu Hause in einem fernen oder nahen Europa feststellte, dass sie gelogen hatte.
Sie zögerte zu antworten.

Er sah ihr zu, wie sie ihre Hand unter den sanften Wasserstrahl hielt, wie sich Luftperlen an den Härchen ihres Handrückens fingen und weitergeschwemmt wurden, sah zu, wie sie mit einer kleinen Bewegung die Düse umstellte, und das feine Sprühen des Wassers in der Märzsonne glitzerte.
Sie schlug die Augen nieder.
Er spürte ihre Verlegenheit und lächelte. Sprach ein paar Worte zu seiner Begleiterin, die übersetzte: "Monsieur wünscht zwei Stück dieser Sprühdüsen mitzunehmen."

Später wusste sie nicht so recht, was in diesen Augenblicken geschehen war. Ein Verkaufsgespräch mit positivem Ausgang? Eine Begegnung? Und das winzige Ziehen im Herznest, das sie verspürt hatte, was war das gewesen?

Ein Jahr später etwa - die Wasserfrau hatte inzwischen geheiratet und saß abends gerne eng an die noch nicht zur Gewohnheit gewordene Schulter geschmiegt vor dem Fernseher - sah sie in einem Frauenmagazin die neuesten Trends aus Paris. Haute Couture, wunderschöne, untragbare und unerschwingliche Kunstwerke. Zuletzt, nicht wie sonst üblich das Brautkleid, sondern diesmal als ganz persönliches Highlight des Modeschöpfers, eine schwarze Abendrobe mit Mantel, dessen bestickte Rückenpartie im Scheinwerferlicht funkelte und aufblitzte, als liefen Tausende Wasserperlen in feinen Bahnen über den Stoff hinunter zum Mantelsaum, wo sie ein glitzerndes Band bildeten.
Und dann kam er selbst auf die Bühne, gab Interviews in allen Sprachen.

Sie erkannte ihn sofort, das Gesicht, die dunkle Brille, den Zopf.
Die Frage der ZDF-Moderatorin, woher er seine Ideen, seine Einfälle beziehe, beantwortete er auf Deutsch: „Ach, wissen Sie, ich habe so viele Eindrücke, so viel ‚inspiration‘, zuhause im Badezimmer oder in München beim Flanieren …“

Sie lächelte. Rückte einen unmerklichen Millimeter weg von der Wärme des vertrauten Männerkörpers neben sich, sagte kein Wort, und den Flügelschlag eines Schmetterlings, den sie verspürte, barg sie in einem geheimen Schrein.


© Heidi Merkel
 

herziblatti

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Wasserfrau

Es könnte Anfang der Achtzigerjahre gewesen sein.
Der Wind oder das Leben hatte sie dorthin geweht, wo sie wie eine verwunschene Wasserfrau hinter dem kleinen Verkaufsstand in Münchens Fußgängerzone stand und anschraubbare Düsen für Wasserhähne verkaufte.

Ein paar Leute waren stehengeblieben, wie immer in einem kleinen Halbkreis, schauten, hörten ihr zu, teilten sich plötzlich.

Sie hatten Platz gemacht für einen Herren, nicht allzu groß oder gar furchteinflößend, gekleidet in einen dunkelblauen Mantel aus englischem Tuch. Sein behandschuhter Zeigefinger deutete flüchtig auf den Wasserstrahl, er sagte etwas auf Französisch zu seiner Begleiterin.

Die Wasserfrau stockte in ihrem Vortrag, der die Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit dieser leicht anzubringenden, verstellbaren Düse anpries, und sie sah auf in ein blasses, feingeschnittenes Patriziergesicht, geschützt vor zu viel Nähe durch eine große Sonnenbrille, die dunklen Haare, so gar nicht in diese Zeit passend, zu einem Mozartzopf zusammengefasst.

Seine Begleiterin, offenbar eine Dolmetscherin, wandte sich mit der Frage an sie, ob denn die Wasserhähne in Europa alle genormt seien.

Darauf hatte die Wasserfrau keine Antwort, weil sie das nicht wusste, und das brachte sie in Bedrängnis.
Sie wollte nicht, dass er ginge, ohne etwas von ihr mitzunehmen.
Sie wollte aber auch nicht, dass er etwas mitnahm und irgendwo zu Hause in einem fernen oder nahen Europa feststellte, dass sie gelogen hatte.
Sie zögerte zu antworten.

Er sah ihr zu, wie sie ihre Hand unter den sanften Wasserstrahl hielt, wie sich Luftperlen an den Härchen ihres Handrückens fingen und weitergeschwemmt wurden, sah zu, wie sie mit einer kleinen Bewegung die Düse umstellte, wie das feine Sprühen des Wassers in der Märzsonne glitzerte.
Sie schlug die Augen nieder.
Er spürte ihre Verlegenheit und lächelte. Sprach ein paar Worte zu seiner Begleiterin, die übersetzte: "Monsieur wünscht zwei Stück dieser Sprühdüsen mitzunehmen."

Später wusste sie nicht so recht, was in diesen Augenblicken geschehen war. Ein Verkaufsgespräch mit positivem Ausgang? Eine Begegnung? Und das winzige Ziehen im Herznest, das sie verspürt hatte, was war das gewesen?

Ein Jahr später etwa - die Wasserfrau hatte inzwischen geheiratet und saß abends gerne eng an die noch nicht zur Gewohnheit gewordene Schulter geschmiegt vor dem Fernseher - sah sie in einem Frauenmagazin die neuesten Trends aus Paris. Haute Couture, wunderschöne, untragbare und unerschwingliche Kunstwerke. Zuletzt, nicht wie sonst üblich das Brautkleid, sondern diesmal als ganz persönliches Highlight des Modeschöpfers, eine schwarze Abendrobe mit Mantel, dessen bestickte Rückenpartie im Scheinwerferlicht funkelte und aufblitzte, als liefen Tausende Wasserperlen in feinen Bahnen über den Stoff hinunter zum Mantelsaum, wo sie ein glitzerndes Band bildeten.
Und dann kam er selbst auf die Bühne, gab Interviews in allen Sprachen.

Sie erkannte ihn sofort, das Gesicht, die dunkle Brille, den Zopf.
Die Frage der ZDF-Moderatorin, woher er seine Ideen, seine Einfälle beziehe, beantwortete er auf Deutsch: „Ach, wissen Sie, ich habe so viele Eindrücke, so viel ‚inspiration‘, zu Hause im Badezimmer oder beim Flanieren …“

Sie lächelte. Rückte einen unmerklichen Millimeter weg von der Wärme des vertrauten Männerkörpers neben sich, sagte kein Wort und den Flügelschlag eines Schmetterlings, den sie verspürte, barg sie in einem geheimen Schrein.


© Heidi Merkel
 



 
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