Hallo Ofterdingen,
"Venus von Willendorf" ist korrekt. Und das ist wohl irgendwo in der Nähe von Wien, wenn ich es im Straßenatlas auch gerade nicht finden kann.
Wie du sicher gemerkt hast, kam ich auf Brecht, als ich versucht habe, zwei andere, frühere Prosatexte von dir zu lesen, welche du aber gelöscht hattest, sodass ich sie leider immer noch nicht kenne. An jenen Stellen haben dir deine Kritiker vorgeworfen, du würdest auf altbackene Weise dem Leser sogenannte Weltverstehenserkenntnisse beibringen wollen, im Grunde seiest du Prediger, nicht Prosaist. (Was ich nach obigem Text gar nicht nachvollziehen konnte.) Und du sagst dann etwas wie: "Ja, wenn man Brecht für überholt hält, weil er..." Ich persönlich bin bei Brecht über Schullektüre kaum hinausgekommen. Ich habe darum den Titel von Me-ti hinten in einem Suhrkamp-Taschenbuch nachgeschlagen, einem anderen von Brecht, das ich auch nicht gelesen, aber liegen haben. Ich glaube, da stand er so, wie ich ihn geschrieben habe. Tatsächlich saß ich vor vielen Jahren mal in einem sogenannten Philosophie-Kurs an einer Volkshochschule, wo uns der Dozent eröffnete, dieses Buch werde er nun mit uns behandeln. Dann habe ich aber diesen Kurs verlassen, weil ich den Dozent nicht mochte, bevor er überhaupt richtig was sagen konnte, zu dem Buch.
Peter Sloterdijk lese ich nicht. Wie ich überhaupt extrem viel von dem nicht kenne, was man, als jemand mit einer gewissen Nähe zur Literatur, in meinem Alter kennen sollte. Dafür dann wieder ganz viel von dem, was man angeblich wohl nicht zu kennen braucht, weil es nicht so relevant ist. Leider bin ich meist total unfähig, zwischen beidem einen Unterschied zu erkennen. Peter Sloterdijk steht in der neuerdings auf meinem LL-Profil eingefügten In-/Out-Liste unter den Out-Autoren. Speziell in diesem Fall hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mir fest vorgenommen habe, dass ich weder zu Autoren raten, noch von Autoren eher abraten werde, die ich kaum kenne. Doch im Fall Sloterdijk habe ich es dann doch getan.
Mir schwebten auch eher unsere langjährigen Kulturressort-Redakteure vor (als die "wirklichen" Prosaisten und Philosophen), von Zentralorganen wie DIE ZEIT, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, die ich vor Jahrzehnten mit wahrer Inbrunst gelesen habe, damit ich wusste, was man lesen sollte, wenn man nur die Zeit hätte, die man nicht hat, weil man ständig so viel Kulturberichterstattung abarbeiten muss. Um mal nur den sich mächtigst aufdrängenden Namen zu nennen: Marcel Reich-Ranicki. Inzwischen habe ich sämtliche Zeitungen aus meinem Leben abgeschafft wie vorher schon das Fernsehen. Es kommt aber immer noch vor, dass ich spät in der Nacht nach Hause komme und Deutschlandradio Kultur anschalte und mich nach zwei Minuten schon zum x-ten Male wundere, ob wohl Sportfans, zu denen ich nicht gehöre, auch finden, dass sie mit einer so unglaublichen Fülle hohlen Geschwätzes, das dir jeden Dreck anpreist, manchmal durchaus taugliche Tipps geben kann, das wirklich Wichtige und Bleibende aber nie, niemals zu erkennen in der Lage ist, wenn es auf den Plan tritt, gelangweilt und genervt und zugeschüttet werden. (Oder entsprechend die Leser von Wirtschaftszeitungen...)
Als ich es geschrieben habe, war ich mir keineswegs sicher, ob du diese Kritik an dem Kurzessay über den weiblichen Riss und Schmerz in der Welt nicht ganz übel aufnehmen würdest. Ob du nicht gerade diesen Absatz für die eigentliche Krone deiner Schöpfung halten würdest. Da kannst es dir ja nun aussuchen. KaGeb findet die Ideen in jenen Zeilen ganz super. Ich nicht.
Da ich es selbst so halte, bin ich sofort davon ausgegangen, dass sich diese Geschichte um einen Kern realer, eigener Lebenserfahrung herumkristallisiert hat. Ich glaubte also, dass du diese Frau nicht "erfunden" hast, sondern wirklich mal irgendwo gesehen, wenn wohl auch nicht nackt und ohne den segeltuchgroßen Schlüpfer. (Übrigens wirklich ein etwas gehässiges Bild. Ich mache so etwas auch, aber nur, wenn ich wirklich weiß: Ich will jetzt gehässig sein.)
Nun ist es aber so, dass Denksysteme, Theoriegebilde, Zeitdiagnostik und dergleichen es an sich haben, dass sie unheimlich gut alles erleuchten, was man selber schon erfahren hat, wenn man sie im Lehnstuhl im Buch liest. Da sie ja ein leuchtender Geist aus der unendlichen Masse des Zufälligen und Vorübergehenden destilliert hat. Sagen wir mal: Hegel, haha! Komischerweise passt aber nicht eine, irgendwie wirklich nie eine, zumindest bei mir in meinem Leben nicht, Erkenntniszeile auf nur den einen und einzigen und ganz speziellen Menschen, mit dem man es aus den seltsamsten Gründen heraus, da und dort zu tun bekommt - und "über den" man "informiert" ist, denn man hat darüber gelesen, über solche "Fälle".
Es ist von daher schlicht bekloppt, der konkreten Frau XY, sie mag Alkoholikerin sein oder eigentlich noch nicht mal richtig besoffen, sie mag gertenschlank oder tonnendick sein, sie mag dich anmachen oder grade das von dir Mann nicht schon wieder wollen, ex cathedra verstandis mitzuteilen, grundsätzlich sei ihre Lebensbefindlichkeit ja die Folgende... Und führte sie sich das nur mal richtig vor Augen, könnte sie ihre Lebensbefindlichkeit danach auch zu ihrer eigenen Zufriedenheit optimieren. Das ist bekloppt.
Dagegen finde ich es keineswegs bekloppt, dass man, wenn man einsam ist, sich an jemanden klammert, der mit einem spricht. Ich finde es nicht bekloppt, Leute zu schockieren, die man als herablassend empfindet. Und auch nicht, wenn man jemanden schnuckelig findet, zu probieren, ihn unter der Gürtellinie zu kitzeln. Das finde ich alles eigentlich höchst normal und gesund.
Ich schwöre, beruflich und privat habe ich seit langer Zeit mit Frauen fast nichts zu tun. Ich habe auch nichts gegen DIE Frauen, denn es wäre doch einigermaßen merkwürdig, etwas gegen Leute zu haben, die für die eigene Existenz ziemlich unerheblich sind. (Abstrus, heutzutage in Deutschland was gegen Juden zu haben, denn wo sind sie denn, diese Juden, die einem was zu Leide täten? - Und wenn sie so merkwürdig nicht anwesend sind, wird man schon mal nachforschen dürfen, warum sie abwesend sind.) Ich bin schwul. Und zwar, überspitzt formuliert, nicht, weil Frauenseelen mir so fremd wären, sondern weil Männerkörper so geil sind. So einfach kann das sein. Trotz all dem Gesagten, fange ich mir regelmäßig diese Schelte ein, ich hätte ein völlig falsches Frauenbild und sei emotional und kommunikativ einfach nicht ganz fit genug für den alltäglichen Umgang mit dieser, offenbar sehr hoch wertigen menschlichen Unterkategorie.
Das liegt daran, weil ich nicht akzeptiere, irgendeine Frau, ganz egal welche, für irgendwas Besonderes nur deswegen zu halten, weil sie eine Frau ist. Und ich bin auch überhaupt nicht bereit, bei irgendwas DIE Frauen und DIE Männer zu sehen. (Von daher tauge ich letztlich nicht zum Buddy für emanzipationsgebeutelte Ehedem-Machos.) Ich schelte nicht über DIE Frauen, weil ich DIE Frauen nirgendwo sehe.
Sondern nur jeweilige spezielle Einzelfälle der Spezies Mensch. Und die haben alle eine Macke. Alle, jeder und jede. Und ich selber ganz gewiss. Wage ich - als Mann - nun an der Macke dieses oder jenes Spezialfalles Mensch mich zu reiben, dann wird mir, ist die auf die Schippe Genommene nun mal grade eine Frau, bisweilen vorgeworfen, ich würde das ja nur machen, weil ich Mann und sie Frau sei. DIE Männer seien ja ALLE so, die würden das ja NIE verstehen, nur DIE Frauen verstehen immer ALLES, restlos. Und grade ich hätte wohl, aus Gründen, die man in einem längeren Prozess gewiss perfekt analysieren könnte, eine ganz spezifische, nicht ganz normale Abneigung gegen DIE Frauen entwickelt, würde sie, die Einzelne jetzt also eigentlich ja gar nicht meinen, sondern nur meinen Frauenkomplex mal wieder abarbeiten.
In solchen Fällen erlaube ich mir, manche Leute für etwas bekloppter zu halten als mich selbst. Denn niemals, an keinem einzigen Tag stehe ich auf und denke: Ich als MANN, ich als SCHWULER, wir MÄNNER, wir SCHWULE. Nämlich von diesen, von den Männern und auch von den Schwulen führen mir täglich so viele vor Augen, dass sie mich für ganz was Andres als sie halten, dass ich nicht wüsste, warum ich mich mit denen irgendwie innerlich verbunden fühlen sollte. Da es sich bei eingehender Betrachtung nun aber weist, dass es auch DIE Männer nicht gibt, auch DIE Schwulen nicht, findet man unter beidem (und auch unter Frauen ist es nicht ausgeschlossen, will mir scheinen) einzelne Exemplare der Gattung Mensch, die man gern in seiner Nähe haben würde. Einzelne, die meisten sowieso nicht. Von allen.
Dein Erzähler aber hebt ja nun gerade zu "DIE Frauen" an, die seien nämlich so und so. So etwas sage ich nie. Niemals im Leben. Und wenn in meinen Texten irgendwelche Schwule anfangen zu erklären, DIE Schwulen seien so oder so, dann ist höchste Wachsamkeit angebracht, denn da kann man davon ausgehen, dass ich mir Mords einen Spaß draus mache, diese Figur mal einen rechten Schwachsinn daherreden zu lassen. Dass dann halt dein Sprecher selber ein Mann ist, der nun aber einer Frau erklärt, was DIE Frauen seien, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Das wird übrigens oft und gerne und im Exzess betrieben: Leute, die nicht arm sind, erklären den Armen, warum und wie sie arm seien. Leute, die Arbeit haben, erklären den Arbeitslosen, wie man lebt, wenn man keine Arbeit hat. Leute, die noch nie von irgendwas abhängig waren, erklären den Süchtigen, wie man sich aus der Sucht befreit. Leute, die selber immer Auto fahren, organisieren unseren ÖPNV. Und so weiter. Noch und nöcher. Endlos.
Nun wisssen wir inzwischen ja alle, dass DIE Frauen (haha) es UNS Männern (haha) wie Zucker aus der Hand fressen, wenn wir ihnen erklären, sie, DIE Frauen, seien die an sich ja viel kostbareren Gefäße göttlichen Willens auf Erden. "Ach, wenn ich das doch nur auch hätte, dieses Dings oder Dongs von euch Frauen!" So was hören sie gern. Und das ist es ja, was dein Erzähler tut. Er sagt ja erst mal überhaupt nichts Negatives über DIE Frau. Er liefert die Komplimente, nach denen sie gar nicht gefischt hat. Insofern wäre völlig unbegreiflich, dass du dich danach unter Frauen nicht mehr zeigen darfst. Nur hast du halt diese irritierende Unterschwelligkeit an dir, man ist sich nie so ganz sicher, ob man kapiert hat, worauf du rauswillst. Das ist hier dies: "Sie begreifen ihre Chance nicht..." Da fragt man sich, wie meint er das?, sagt er nun nicht doch was Böses über DIE Frauen?
Okay, mir sagte mal ein Heterosexueller, der mich als Schwulen nicht erkannt hatte, da bin ich mir sicher, er beneide ja so Männer wie mich um diesen gewissen weiblichen Anteil ihrer Persönlichkeit, davon hätte er auch gerne mehr. Das nahm ich als nettes Kompliment, dachte, na, wenn du wüsstest!, sagte ihm aber trotzdem nicht, was Sache war. Diese Episode erzählte ich nun meiner Schwester, welche mich als Schwulen kennt (und eine Frau ist, haha). Ich hatte noch gar nicht geendet, da wollte sie schon Öl auf die Wogen gießen, Pflaster auf die Wunde tun: Nein, nein, aber das stimme doch überhaupt nicht, von mir könne man ja nun wirklich nicht sagen, dass ich so weiblich sei, dass ich diesem weiblichen Klischee des Schwulen zuzurechnen sei. Aus so einer Einzelmeinung sollte ich mir gar nichts machen.
Und noch ein Histörchen: An einer Bushaltestelle sitze ich, gegenüber dem Häuschen auf der anderen Straßenseite, in dem die Fahrgäste für die Gegenrichtung warten. Dort sind auf der Bank zwei junge Männer mit Sporttaschen, Alter etwa neunzehn. Daneben ein etwas kurioses Paar von etwa Mittfünfzigern. Eine ziemilch dicke Frau, mit vielen Taschen, offenbar alkoholisiert. Und ihr Partner, ein mickriges Männchen, noch viel alkoholisierter, er kriegt kaum noch was mit. Das ältere Paar macht einen sozial etwas deklassierten Eindruck, es handelt sich aber augenscheinlich nicht um das, was man "Penner" nennt. Auch wüsste ich nicht, ob ich nun diese als "Alkoholiker" einstufen so einfach dürfte. Jedenfalls sind beide potthässlich und einigermaßen dumm (um es kurz sagen zu können). Nun patscht die Frau dem nebensitzenden Burschen auf dem Knie herum und löchert ihn mit Fragen. Was denn sie für ein Paar seien? Wo sie hingingen? Was sie am Abend noch vorhätten? Ob sie welche von denen, also, du weißt schon, von der Sorte eben, seien? Sei ja auch egal. Sie seien beide jedenfalls hoch schnuckelig. (Was ich nur bestätigen kann.) Ob sie dann noch Sex machen würden heute Abend? Na ja, wenn man so jung sei. Da sollten sie sich nur nichts dreinreden lassen. Sie seien so ein hübsches Paar. Und mit ihnen würde so ein altes Weib wie sie schon auch gerne noch mal. Aber das ginge ja wohl nicht, dafür sei man ja wohl zu alt und hässlich. (Was ich nur bestätigen kann.)
Wie du dir vorstellen kannst, waren die beiden jungen Männer extrem verlegen. Wurden aber keine Spur aggressiv, sondern lachten fleißig und ließen alles geschehen, bis der Bus kam. Dass es sich bei dem Männerpaar um ein schwules hätte handeln können, darauf war ich als Schwuler vorher überhaupt nicht gekommen. Vielmehr blieb ich bis zum Ende der Überzeugung, dass die beiden so etwas sicher noch nie miteinander gemacht hatten. (Vielleicht sind sie nun auf eine Idee gekommen.) Es war unübersehbar, dass die ältere Frau die Jünglinge sexuell interessant fand. Und ich fand sie, je länger ich zusah, auch immer interessanter für meine schwulen Bedürfnisse. Hätte selbst aber so ein Trara wie diese Frau im öffentlichen Raum und gegenüber so sportlichen Genossen natürlich niemals abgezogen als Schwuler, der ich bin. Das wäre mir dann doch zu heiß gewesen.
Jetzt. Was sagt diese Geschichte aus über DIE Frau? Nicht die eben Erwähnte, sondern alle auf der Welt! Was sagt sie aus über neunzehnjährige, gut aussehender, sportbegeisterte Männer? (Um jetzt mal nicht DIE Männer zu sagen, indem man noch den Partner der Alten herbeizöge; dem schien übrigens alles egal sein, die Alte hätte die Burschen ruhig mitnehmen können.) Und was über DIE Schwulen? Nichts, oder nicht viel. Dennoch ist es eine wahre Geschichte - und einigermaßen unerhaltsam, wenn man sie erzählt.
Was uns beide angeht, und da du nun schon wieder eine Geschichte von mit gelesen und rezensiert hast, sieht es für mich ein wenig nach Missverständnis aus. Da wir gerade die Texte des Gegenübers nicht so schlecht finden, wie das meiste Sonstige, was wir bisher gelesen haben hier, sind wir in Gefahr zu meinen, wir würden sie tatsächlich verstehen und schätzen. Und das ist, glaube ich, nicht der Fall. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich nicht begreife, worum es dir beim Schreiben letztlich geht - und du auch nicht, worum bei mir. Von daher warne ich, auch uns selber, davor, uns für "Freunde" zu halten. Bis wir uns eines Tage plötzlich die blauen Taucherflossen um die Ohren klatschen werden.