Weiße Zeit

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rothsten

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Ein Wolf zieht sich zum Sterben zurück. Sein Rudel hat er verlassen, sie brauchen ihn nicht mehr. Längst kann er nicht mehr einer Hetzjagd folgen, und der Winter steht für alle vor der Tür. Ein Wolf kennt seine Zeit.

Seit Tagen hat er nicht mehr gefressen. Erst konnte er nichts fangen, jetzt will er nicht mehr. Den Kadaver des Kaninchens, den er riecht, rührte er nicht an. Er stinkt nach Tod. Und warum noch mit Raben streiten um ein paar Fetzen Aas und gammliger Knochen.

Er bleibt stehen, hält die Nase in die Luft. Ein Wolf braucht die Welt nicht sehen, braucht nicht ihren Krach und Lärm hören, um zu verstehen. Ein Wolf riecht die Welt, und er riecht, dass er nicht mehr weitergehen sollte. Er ist angekommen.

Prüfend kreist seine Schnauze dicht über dem Boden, immer enger zieht er seine Bahnen. Zwischen den Wurzeln einer uralten Eiche wächst Moos, so weich wie der Bauch einer säugenden Mutter. Es ist eigentlich ein Bett für den Ersten, doch er hat kein Rudel mehr, und keinen Ersten. Er legt sich hin, eine tiefe Sonne scheint. Der Wind zieht am letzten Eichblatt, noch will es nicht fallen. Der Wolf rollt sich zusammen, versteckt die Nase unter seinen Pfoten. In weiter Ferne ein schwaches Jaulen, er hört es nicht. Er schläft ein.

Am nächsten Morgen wacht der Wald auf. Das Eichblatt liegt auf dem Wolf. Der erste Schnee ist gefallen.
 

rothsten

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So FrankK,

jetz bisse fällich:

Details:
quote:
Ein Wolf zieht sich zum Sterben zurück.
Trockene Einleitung, etwas zu trocken, für den Rest der Geschichte. Passend zum Klang der Geschichte fände ich sowas wie: "Alleine trottete der (alte) Wolf durch den Wald."
Ne, Dein Vorschlag holt mir zu weit aus. Das klingt mir zu sehr nach "es war einmal", und ich bin hier ja in der Kurzprosa.

Ganz ehrlich, ist "Allein trotte der alte Wolf ..." für mich trockener weil erwartbar. Ich komme lieber zum Punkt. Das bleibt so. ;)

quote:
Statt einer unbestimmten / beliebigen Hetzjagd würde ich daraus ein "ihrer Hetzjagd" (oder "Hatz") machen, bezogen auf das vorangegengene "sie brauchen ihn ...".
Das "für alle" im Bezug zum Winter kannst Du getrost streichen. Der Winter ist für alle da.
Klingt merkwürdig, wirklich vom Klang her. Vielleicht besser:
"... tief scheint die Sonne."
"ihre Hetzjagd" klingt danach, als ob sie den Altwolf beim ersten Scheitern verstoßen. Das wäre mir zu schnell.

Der Winter steht vor der Tür. Vor allem
... :( Das habe ich korrigiert. Danke für Deine Aufmerksamkeit!

Klingt merkwürdig, wirklich vom Klang her. Vielleicht besser:
"... tief scheint die Sonne."
Lassen wir die Nordvölker entscheiden, ob ihre Sonne tief scheint oder ihnen eine tiefe Sonne scheint.

Ich muss unfreiwillig schmunzeln. "Eichblatt", schon klar, ausgesprochen lyrisch angehaucht. Technisch:
"Eine Prüfbescheinigung über den Eichstatus einer Messeinrichtung".
Eichenblatt? Obacht, kommt später erneut.
:)

Schön, dass Du so aufmerksam liest. Habs korrigiert.

In weiter Ferne ein schwaches Jaulen,
Tautologisch?
Hm, ...

interessanter Gedanke. Sagte ich weniger, wenn es "in der Ferne" wäre?

Vielen Schrank lieber Frank-Dank,
rothsten
 



 
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